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Full text of "Hans Speckters Briefe aus Italien"

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Hans Speckters 
Briefe aus Italien 



herausgegeben 
und mit Einleitung versehen 



von 



Dr. Rosa Schapire 




Hamburg und Leipzig 

Verlag von Leopold Voss 

1910. 




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Hans Speckters 
Briefe aus Italien 



herausgegeben 
und mit Einleitung versehen 



von 



Dr. Rosa Schapire 




Hamburg und Leipzig 

Verlag von Leopold Voss 

1910. 



Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 



Vorwort. 



Hans Speckters au seine Familie gerichteten Briefe werden 
hiermit der Öffentlichkeit übergeben, im Glauben, daß es von 
allgemeinem Interesse ist zu sehen, wie Italien sich in den Augen 
eines Malers in den siebziger Jahren gespiegelt hat. Die Briefe 
wollen nichts anderos sein denn ein Reisetagebuch, das, ohne 
Plan verfaßt, der Gunst der Stunde sein Entstehen dankt. Und 
doch können sie in ihrer anschaulichen Schilderung von Land 
und Leuten, von Natur und Kunst jenen ein Führer sein, die 
unverbildeten Auges über die Alpen ziehen, um Italiens Schön- 
heit zu schauen. 

Um Wiederholungen zu vermeiden wurden Kürzungen vor- 
genommen und alles ausgeschieden, was nicht von sachlichem 
Interesse ist. Auch einzelne flüchtige Sprachentgleisungen wurden 
richtig gestellt. Der Einfachheit halber wurde die Orthographie, 
da es sich nur um ganz unwesentliche Verschiedenheiten handelt, 
dem heutigen Schriftgebrauch angepaßt. Anmerkungen wurden 
nur dort gegeben, wo Speckters Angaben mit dem heutigen Stand 
der Kunstwissenschaft nicht übereinstimmen oder tatsächliche 
Versehen vorliegen. 

Da Speckter zu den auch in seiner Heimat wenig bekannten 
Künstlern gehört, wurde seine Biographie vorangestellt und der 
Versuch seiner künstlerischen Entwicklung gegeben. — All jenen, 
die mich in meiner Arbeit gefördert haben, besonders der Familie 
und den Freunden Speckters, fühle ich mich zu lebhaftem Danke 
verpflichtet. 

Rosa Schapire. 



Inhalt. 



Seite 

I. Biographisches 1 

II. Spcckter als Maler 17 

III. Speckter als Schriftsteller 53 

IV. Reise von München nach Venedig 61 

(Verzeichnis der Orte siehe im alphabetischen Sachregister.) 

V. Anmerkungen 364 

VI. Sachregister 376 



„Es ist wahr, ich habe einen kleinen Sohn! Jetzt nachgerade 
fange ich an, es denken zu können. Es ist wieder ein Speckter 
da!! Gebe Gott, daß er alles das erreiche, was ich gewünscht 
habe, sowohl als Mensch wie als Künstler, mit einem Wort, daß 
er besser werde wie sein Vater ... Es wäre gar zu schön, wenn 
das Werk, was unser alter Vater begonnen, und wofür er wie 
seine Söhne gedacht und empfunden haben, wenn das der Enkel 
erreichte, und nicht nur im Wollen und Streben, sondern in der 
Vollendung ein Künstler würde. Ja, lieber Wurm, täglich denke 
ich daran, wie schön es wäre, wenn unser Alter das noch erlebt 
hätte, der mit seinem Gemüt würde ein echter Großvater sein, 
so ganz beständig auf seinem Platze sitzend, beobachten, würden 
die beiden ganz ineinander gelebt haben, und mein Junge würde 
für sein ganzes Leben sehr viel davon gehabt haben. Doch mit 
dem Alten wird er doch noch leben, denn ich habe all die alten 
Bilder und Zeichnungen in der Kinderstube aufgehängt, und dann 
soll er auch Johann nach seinem Großvater heißen, und dazu 
möchten wir dann gern die ältesten Speckter gebeten haben, uns 
dabei behilflich zu sein und bei unserm Hans Gevatter zu stehen. 
Wie das einzurichten ist, weiß ich freilich nicht, doch darüber 
können wir uns verabreden, außerdem soll die Großmutter und 
der alte Herterich dabei sein. Gott gebe, daß alles so guten Fort- 
gang haben möge wie bisher, denn meine kleine Auguste und der 
Junge sind so wohl, wie es nur zu wünschen ist. Und Gott gebe, 
daß der Hans, wenn er anfängt zu denken, ein einiges Deutsch- 
land und ein selbständiges Hamburg vorfinden möge; auch als 
Anerkennung und Freude über den Reichsverweser nenne ich ihn 
Johann, denn wenn der nicht gekommen wäre, so hätte ich keine 
Hoffnung für die Zukunft gehabt . . . ." 

Schapire, Haas Specktera Briefe. 1 



Diesen Brief, den Otto Speckter, der glückliche Vater, am 
4. August 1848 wenige Tage nach der Geburt seines ältesten 
Sohnes geschrieben, charakterisiert das Milieu, in dem Hans 
Speckter aufgewachsen ist. Der Vater war eine heiter veranlagte, 
konservative Natur, die den Zusammenhang mit der Vergangen- 
heit gern betont hat, die Mutter, die richtige Künstlerfrau und 
Künstlermutter. Heiter, gelassen, beständig in Bewegung und 
doch über den Dingen stehend, verstand sie es den Anforde- 
rungen, die ihr großer Haushalt mit sich brachte, zu genügen, 
ihre Kinder zu erziehen, und fand doch immer Zeit ihrem Mann 
Stunden hindurch, wie er es liebte, bei seinem Schaffen vorzu- 
lesen. — Hans Speckter hat in späteren Jahren Aufzeichnungen 
über seine Kindheit und Jugend niedergeschrieben. Sie mögen 
als das treueste Bild seiner Entwicklung hier folgen: 

„Ich wurde am 27. Juli 1848 in Hamburg geboren als 
ältester von sieben Geschwistern, und bin unter künstlerischen 
Eindrücken aufgewachsen. Denn da mein Vater (Otto Speckter) 
sich während der Arbeit gern von unserer Mutter vorlesen ließ, 
und auch die Anwesenheit der Kinder ihn nicht störte, so ver- 
lebte ich den größten Teil des Tages in seinem Atelier und wußte 
von allen seinen Arbeiten genau Bescheid. Auch zeichnete ich 
selbst damals unaufhörlich, alles, was ich erlebte, einschließlich 
der vorgelesenen Zeitungsberichte über die Belagerungsberichte 
von Sebastopol. — Alle Wände, auch die der Kinderstube, hingen 
bei uns voller Bilder und Kupferstiche, und meine Mutter (Tochter 
des Kaufmanns Julius Bergeest) lehrte uns biblische Geschichte 
an Schnorrs Bilderbibel, deutsche Geschichte und Mythologie nach 
den großen Hermann sehen Kupfern, Märchen nach Ludwig 
Richters, Schwinds und meines Vaters Bildern. — Außerdem war 
mein Vater nicht der erste der Familie, der die Kunst geliebt 
und geübt hat. Die Erinnerung an meinen Großvater, der ein 
begeisterter Kunstliebhaber und feiner Kupferstichsammler gewesen 
ist und viele patriotische und kunstsinnige Männer: Perthes, Besser, 
Runge, Mettlerkamp, Wächter, Harzen und Rumohr zu Freunden 
hatte, und nicht minder die Erinnerung an meinen Onkel, den 
hochbegabten, früh (im Jahr 1835) verstorbenen Erwin Speckter, 



— 3 — 

lebte so lebendig in unserem Hause, daß mir ist, als ob ich diese 
Männer selbst noch gekannt hätte. Auch die Steindruckerci, die 
erste in Hamburg, welche mein Großvater im Jahre 1818, nach- 
dem er seine kaufmännische Handlung aufgegeben hatte, als 
55 jähriger errichtete, und welche viele Jahre auch außerhalb 
Hamburgs wegen ihrer trefflichen, meist von Gröger gezeichneten 
Porträts bekannt war, bestand noch in einem großen Saal unseres 
Hauses am Fleet in der Catharinenstraße und ging erst 1852 in 
andere Hände über, und ich bin nach meines Vaters Bürgerbrief 
eines Steiudruckers Sohn. 

Mein Vater, der sich erst nach dem Tode beider Eltern, 
40 jährig, verheiratet hatte, stand damals im rüstigsten Schaffen. 
Befreit von der Last seines Geschäftes, in dessen Verwaltung er 
dem alternden Vater schon in früher Jugend beistehen mußte, 
und das ihn an einer akademischen Ausbildung verhindert hat, 
konnte er erst von nun an ganz der Kunst leben. Jetzt erst fand 
er die Zeit, in Ol zu malen, hauptsächlich Tierbilder, auch illu- 
strierte er Märchen für einen englischen Verlag und Münchner 
Bilderbogen, und es entstanden die Zeichnungen zu Claus Groths 
„Quickborn", die willkommenste Aufgabe, die ihm, der das nord- 
deutsche Flachland und seine Bewohner so liebte und kannte, je 
zuteil geworden ist. 

Unzertrennlich war ich von meiner wenig jüngeren Schwester. 

Wir sprachen ausschließlich plattdeutsch und spielten und 
erlebten überall Grimmsche und Andersensche Märchen, die unsere 
alte Amme und eine junge Tante uns unaufhörlich erzählen mußten. 
Es war eine phantasievolle Kindheit. 

Neujahr 1855 kam ich, schweren Herzens, als Jüngster zu 
meinem Onkel Schieiden in die Schule. Da ich von meiner Mutter 
sehr früh lesen und schreiben gelernt hatte, stieg ich schnell auf, 
und die Lehrer — nicht mein Onkel — erregten in mir den 
Ehrgeiz, als Neffe des Vorstehers immer der Erste zu sein. So 
wurde ich ein etwas schwächlicher, übermäßig artiger Junge. Zum 
Zeichnen hatte ich wenig Zeit, entbehrte es aber auch nicht, denn 
ich wollte damals aus Verehrung für meinen Onkel Pfingsten, 
unsern Naturgeschichtslehrer, Naturforscher werden. Das natur- 



— 4 — 

historische Museum war mein liebster Aufenthalt, Muschelsamm- 
lung, geschmackvoll arrangierte Herbarien, Eppendorfer Moor^ 
meine Liebhabereien. Später war ein großes Aquarium, dessen 
Tiere ich für ein beabsichtigtes Werk genau zeichnete, der Haupt- 
sport von uns drei Brüdern und manches Mal begleitete uns 
auch unser Vater auf den Fisch- und Salamanderfang am Stadt- 
graben und nach der Höhenluft. 

Nach Absolvierung der Schieiden sehen Schule, einschließlich 
einer lateinischen Selekta, folgten zwei Jahre Sekunda, das erste 
unter dem Interregnum Müller-Ullrich, das zweite unter Classen. 
Ich fühlte mich sehr wohl da; die charakteristischen Persönlich- 
keiten meiner Lehrer, die akademische Art ihres Lesens der alten 
Klassiker, insbesondere Herbsts Einführung in die Goetheschen 
Gedichte, erweiterten meinen Blick. Mein Hauptverkehr bestand 
damals aus angehenden Theologen: Preller, Behrmann, Pauly, 
Barrelet usw., und ich war ein eifriges Mitglied eines von meinem 
Vetter Willy Hübbe gegründeten Vereins „Treudank". Die Vor- 
bereituugsstunden für meine Konfirmation, die Kandidat Ritter 
mir und meinem Jugendfreund Carl de Boor erteilte, dann die 
Konfirmation selbst durch Pastor John, später die Begeisterung 
für Pastor Wilhelm Bauers Predigten machten so tiefen Eindruck 
auf mich, daß ich lange Zeit in mir kämpfte, ob ich nicht Geist- 
licher werden sollte. 

Aber die vom Vater ererbten, etwas katholischen Neigungen, 
und die Begeisterung für den Nicolaikirchenbau, den ich genau 
verfolgte und auf dessen Gerüsten und Werkstätten ich mich viel 
herumtrieb, vor allem aber die Bewunderung' der Disputa Raffaels 
in dem großen Keller sehen Stiche, welcher damals im Durchgangs- 
kabinet des Kunstvereins in den Börsenarkaden hing, brachten 
mich dazu, mich in meinen Zukunftsträumen hauptsächlich als 
Erbauer großer Backsteinkirchen zu denken, welche ich mit 
feinen Bearbeitungen der schönsten Werke Raffaels und Cornelius' 
und der Entwürfe meines Onkels schmücken wollte. So wurde 
ich zur Kunst zurückgeführt. 

Als ich meinem Vater diesen Entschluß mitteilte, gab er nur 
zögernd seine Einwilligung, obgleich es eigentlich immer sein 



— o — 

Wunsch gewesen war. Denn sein früherer Lebensmut war von 
ilim gewichen, seit eine schwere Fußkrankheit ihn zuerst 1863, 
dann im Jahre meiner Konfirmation auf monatelanges, schmerz- 
volles Krankenlager geworfen hatte, nach welchem nicht nur sein 
kräftiger Körper gebrochen war (er ging seitdem nicht ohne Stock), 
sondern auch eine allmähliche Abnahme seiner Arbeitskraft sich 
einstellte, und seine leicht schaffende Phantasie mehr und mehr 
versiegte. Diese frühzeitige Abnahme seiner Kräfte bei völliger 
geistiger Klarheit hat seine acht letzten Lebensjahre getrübt. 
Deshalb hielt er es für seine Ptiicht, mir ernstlich die Schatten- 
seiten des Künstlerberufes vorzuhalten, die er von Jugend auf so 
reichlich erfahren hatte. Er wünschte, daß ich mich erst nach 
dem Maturitätsexamen entscheide. Aber es war keine Zeit zu 
verlieren, und so verließ ich denn die Schule Ostern 1805 und 
zeichnete bei Louis Asher nach Gips und einige Studienköpfe. Die 
geringe Auswahl der vorhandenen Abgüsse war leider durchaus 
nicht danach, mich dafür zu erwärmen; ich bereute fast meinen 
Entschluß, und mein Hauptverkehr blieb derjenige mit meinen 
theologischen Freunden von der Schule. Sehr interessierten mich 
Ashers eigene Arbeiten, acht Kompositionen in Kaulbach scher 
Art zu Opern, darunter sein bekannter Sommernachtstraum, die 
Gartenszene aus Faust und seine geistvollen und begeisterten Er- 
zählungen von Eaffaels Werken, von Cornelius und meinem, von 
ihm angebeteten Onkel Erwin, besonders von ihrem gemeinsamen 
Aufenthalt in Itahen. 

Zugleich war ich Schüler Martin Genslers und kopierte nach 
dessen architektonischen Aquarellen und Jacob Genslers land- 
schaftlichen Federzeichnungen. Damals zuerst lernte ich auch 
bei gelegentlichen Aufforderungen, an ihrem gemeinsamen Früh- 
stück teilzunehmen, das patriarchalische Hauswesen der beiden 
genauer kennenund Günthers geistreich-sarkastischen Witz und seine 
selbständige Weltanschauung. Martin kannte ich längst als treuen 
Freund und Genossen meines Vaters seit den Tagen des großen 
Brandes und dem Jahre 1848 in den gemeinsamen konservativen 
Bestrebungen für Kunst, Handwerk und Volksleben. Auch hatte ich 
schon an seinem abendlichen Unterricht in der Patriotischen Ge- 



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Seilschaft teilgenommen und dort verschiedene junge Architekten 
kennen gelernt, alle überzeugte Anhänger der mittelalterlichen 
Baukunst. 

Ostern 186G ging ich nach Weimar auf die Kunstschule. 
Auch hier wieder der jüngste und längere Zeit der einzige Schüler 
des antiken Saals unter dem Hilfslehrer Thumann, fühlte; ich 
mich anfangs wohler in einigen Familien, an die ich empfohlen 
war, und bei einigen alten Speckter sehen Freunden in Gotha, 
Perthes und Bessers, als unter meinen Kameraden. Erst als ich 
zu Ferdinand Pauwels in die Malklasse gekommen war, wurde 
ich warm in ihrem Kreise und standen mir Kops, Friedrich, 
Freiesleben, Piltz, Krohn und Arndt, mit welchem ich mehrere 
Jahre zusammen wohnte, am nächsten. 

Es war eine frühere Periode als die Gussow-Hagensche; die 
Historienmalerei überwog, und es gab bedeutende Aufträge. 
Pauwels und seine zwei Schüler malten zusammen ein Kolossal- 
bild: Nordamerikas Triumph; links die entfesselten Neger (von 
Gussow), rechts herbeiströmende deutsche Auswanderer (von Thu- 
mann); zwei andere ähnliche Bestellungen wurden von seinen 
Schülern Fritz Spangenberg und Günther ausgeführt. Außerdem 
entstanden manche der besten und interessantesten historischen 
Genrebilder von Pauwels, Graf Harrach und Thumann, der damals 
Professor wurde. Die neuen Professoren Plockhorst und Verlat 
malten religiöse Bilder (Pietä), der Wartburg-Luther-Zyklus wurde 
begonnen. Hennebergs Jagd nach dem Glück machte großen 
Eindruck. So erhielt meine Vorliebe für Historien- und Geschichts- 
malerei reiche Nahrung, und mit besonderem Eifer beteiligte ich 
mich an den Komponierabenden, auf welche Pauwels großen Wert 
legte. Aber auch außerhalb der Kunstschule gab es damals noch 
mancherlei künstlerische Anregungen. Preller, Genelli, Wislicenus 
lebten noch in rüstigem Schaffen, und ich hielt mich nicht von 
ihnen fern wie die meisten Mitglieder der Kunstschule, sondern 
"wurde als Neffe Erwins sehr freundlich von ihnen aufgenommen. 
Preller vollendete damals die Odysseelandschaften für das neue 
Museum, dessen interessanter Inhalt von Dr. A. von Zahn neu- 
geordnet wurde. Wislicenus schuf große Kartons und gewaltige 



— 7 — 

Engel für die Schloßkapelle; Genelli, sein letztes Werk, den 
Theatervorhang, und seine imponierende Greisengestalt konnte 
man ebenso regelmäßig jeden Abend durch die Bei vedere- Allee 
schreiten sehen, wie in den Sommermonaten die des Abbö Liszt 
zur Frühmesse. 

Es war überhaupt ein sehr anregendes Leben in dieser 
Residenzstadt mit der großen Vergangenheit; nie habe ich wieder 
soviel bedeutende und charakteristische Menschen aus allen Ständen 
und Nationen genau kennen gelernt wie hier. Die Persönlichkeit 
des Großherzogs, der Hof, auswärtige Gesandte, die kleinen In- 
trigueu, über die man durch adlige Kollegen genau unterrichtet 
war, der Geheimrat, Bürger, Bauer — man kannte alle und wußte 
um alle Beziehungen. Und die Zusammensetzung der Kunstschule: 
Graf von Kalckreuth und sein gastliches, töchterreiches Haus, 
belgische Professoren und die Schüler, ehemalige preußische Offi- 
ziere, echte Berliner und Hamburger Jungen, Weimarer Hand- 
werkssöhne und Walddörfler. 

Dazu die Umgebung: die anmutigsten Dörfer, die kleinen 
Schlösser, der Bach, die Wartburg, Schwind, Tannhäuser, das 
vortreffliche Theater, dessen Mitglieder man ebenso gut kannte 
wie die Musiker, und jeder interessierte sich auch für die Künste. 
Geselligkeit mit den Familien der Stadt, hübsche Kostümfeste, 
einmal im Park zu Tiefurt unter Leitung des Grafen Harrach, die 
harmlosen Biergäste und Kegelbahnen — es war eine unvergeß- 
liche Studienzeit. 

Zu Studienreisen bin ich damals nicht gekommen. Außer 
einigen kleinen Fußtouren nach dem Thüringer Wald und einer 
dreiwöchentlichen Durchstreifung des ganzen Harz mit meinem 
Freund Piltz, welcher noch nicht lange vorher als wandernder 
Malergesell die Welt durchschweift hatte, damals aber durch seine 
urwüchsigen thüringischen Genrebilder die Aufmerksamkeit der 
ersten Berliner Künstler erregt hatte, habe ich die langen Sommer- 
ferien stets im Elternhause zugebracht. Hier war trotz der zu- 
nehmenden Leiden meines Vaters unser Familienleben durch die 
umsichtige, aufopfernde Fürsorge meiner selbst oft leidenden 
Mutter doch ein verhältnismäßig glückliches zu nennen. Besonders 



— 8 — 

die jüngeren Kinder haben wenig von der Krankheit des Vaters 
bemerkt, denn wenn er die schweren Stimmungen überwunden 
hatte, pflegte sich sein guter Humor wieder einzustellen, und 
abends in Gesellschaften oder unter seinen Freunden war er oft- 
mals ganz der Alte. 

Nicht zum wenigsten aber hat zu der fröhlichen Jugendzeit 
meiner Geschwister das alte behagliche Haus in der Fuhlent- 
wiete beigetragen, das mein Va.ter im Jahre 1857 erworben hatte; 
vorn das lebhafte Volkstreiben der Neustadt, hinten ein sonniger 
Garten, der von friedlichen Nachbargärten rings umgeben war. 
Für eine kinderreiche Künstlerfamilie hätte nichts Günstigeres 
gefunden werden können als diese „alte Kabalje" mit ihren vielen 
kleinen Zimmern und Bodentreppen. Als wir sie nach 22 Jahren 
schweren Herzens verließen, habe ich noch viele Studien zur Er- 
innerung danach gemalt. 

Mein Vater war mit meinem vielen Komponieren mit Recht 
nicht einverstanden. Immer wieder mahnte er mich, nun bald 
selbständig zu werden, Genrebilder zu malen, und stellte mir Hugo 
Kauffmann und Piltz als Vorbilder hin. Mein erstes Bild war 
denn auch eine Kinderstube, zu welcher ich die Studien bei 
längerem Aufenthalt zu Hause nach meinen eigenen Geschwistern 
gemalt hatte. Ich vollendete dann das Bild in Weimar. 

Die Kriegserklärung 1870 beschleunigte meine Heimreise. 
Als ich ankam, erschrak ich vor dem Anblick meines Vaters, so 
hatte er sich verändert. Die politische Erregung kam hinzu. — 
Er sah noch im Kunstverein mein Bild und freute sich sehr 
darüber; am andern Tage mußte ich ihn im Wagen nach Hause 
bringen. Er war vom Schlage getroffen. Wir glaubten, er würde 
die Nacht nicht überleben. 

Am Morgen darauf war die militärische Untersuchung für 
mich und meinen Bruder — wir wurden zurückgestellt. 

So verlebte ich denn die ganze Zeit des großen Krieges, den 
fast alle meine Freunde und Altersgenossen als Soldaten oder 
Krankenträger mitmachten, im Krankenzimmer meines Vaters 
und habe auch von dem kriegerischen Leben in unserer Stadt 
sehr wenig gesehen und miterlebt. Denn mein Vater wollte mich 



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immer um sich haben, wenigstens im Hause, und wenn ich aus- 
ging, war er ungeduldig, bis ich wiederkam. Er war völlig ge- 
lähmt und konnte kein Glied selbst bewegen. Essen und Trinken 
mußte ihm gereicht werden, und er litt an seinen Füßen große 
Schmerzen. Seine Sprache war nur meiner Mutter, mir und dem 
Wärter ganz verständlich, mit welchem ich mich tags und oft 
auch nachts in die Pflege teilte, da sie für einen zu schwer war. 
Abgesehen von nächtlichen, oft sehr angstvollen Phantasien war 
mein Vater im ganzen klaren Geistes, auch sein alter Humor 
kam noch manches Mal zutage und erleichterte uns die schwere 
Zeit. Au den Kriegsereignissen nahm er anfangs so regen An- 
teil, daß wir die Kriegskarten mit Fähnchen über seinem Bett 
aufhängen mußten, und als mehrere hundert französische Offiziere 
in Uniform im Konveutgarten ihren Sold empfingen, trug ich ihn 
ins Vorderhaus an das Fenster, und nun glaubte er erst an 
unseren Sieg. Eine seiner letzten Freuden war es, als ich vor 
seinen Augen für die Hlumination zur Feier des Friedens- 
abschlusses fünf große Transparente malte und für die Germania 
meiner Schwester Anna, für den auferstehenden Barbarossa meines 
Vaters verklärte Züge nahm. Auch das Erscheinen meines ersten 
Holzschnittes, eines in der Art meines Vaters komponierten Bilder- 
bogens, erlebte er noch. Im ganzen aber hatte ich für künstle- 
risches Schaffen wenig Zeit und noch weniger Gedanken. Auch 
nicht viel Raum, denn ich war auf einen kleinen Platz am Fenster 
des zur Krankenstube gewordenen Atehers angewiesen, wo Märchen- 
kompositionen, für P^arbendruck berechnet, in der Art Walter 
Granes, den ich damals noch nicht kannte, meine Hauptbeschäf- 
tigung waren. Als einige Jahre später Münchner Freunde darüber 
lächelten, habe ich sie mit schlechten Studienköpfen übermalt. 
— Mein Vater wurde von seinem immer schwerer werdenden 
Leiden am 29. April 1871 durch den Tod erlöst. 

Meine Absicht war, wieder nach Weimar zurückzukehren 
und unter Gussow, der inzwischen aus München als Professor 
zurückberufen war, Studienköpfe zu malen. Vorher aber traf ich 
mit meinem Freunde Piltz in dem, durch Knaus zu Ehren ge- 
brachten hessischen Dorf Willingshausen in derSchwalm zusammen. 



— 10 — 

Eudlich eine wirkliche Studienreise und ein Platz, an dem 
sich alles vereinigte: winklige Dorfstraßen mit obstbaumbeschatteten 
Lehmhäusern, ein fruchtbar welliges Wiesenland, die kräftigen 
Gestalten und charaktervollen Köpfe der Männer und Frauen 
und bei übermäßigem Fleiß und magerer Kost alle gesund und 
immer vergnügt. Dazu die schöne, originelle Schwalmer Tracht, 
auch bei den Jungen und Mädchen noch fast allgemein und 
ebenso die alten Volkssitten. 

Wir sahen einen Hochzeitszug mit den spinnenden, gold- 
bekränzten Brautjungfern und dem hochbepackteu Ausstattungs- 
wagen, wir erlebten den dreitägigen Plantanz unter der wirklichen 
Knausschen Gold-Hochzeitslinde, wir nahmen teil au dem Leichen- 
schmaus unserer eigenen Wirtin. Ich dachte nicht mehr an 
Historienmalerei! Die hessische Schwalm zu verherrlichen, das 
sollte das Ziel der nächsten Jahre sein. Und wie verstand es 
Piltz mit den Menschen umzugehen! Kinder und alte Weiber, 
die frischen, kurzröckigen Mädchen und die jüdischen Händler, 
alle wußte er richtig zu nehmen; er war der Held des Tages. 
L^nd wie lebte ich auf in seiner erfrischenden Nähe, ich fühlte 
mich als Mensch und Künstler neugeboren! Bald war ich fast 
ebenso vertraut mit den urwüchsigen Menschen wie er. In den 
ersten Wochen machte ich alle Studien mit ihm zusammen. Später 
zu ein paar Bildern, die ich malen wollte. Ich habe nie wieder 
ein so fröhlich harmloses Spielen der Bauernjungen gesehen und 
war in den staubigen Dorfwegen oder auf schattigen Wiesen von 
ihnen immer umgeben. Friedlicher war die Unterhaltung mit 
den freundlichen alten Jungfrauen, die tagein tagaus am blumen- 
geschmückten Fenster neben dem sauberen Himmelbett sitzen 
und spinnen und sich mit einem unglaublich geringen Lohn be- 
gnügen müssen. 

Ungern trennte ich mich schon vor Ende September von 
Willingshausen, aber ich mußte mich noch zur letzten Militär- 
uutersuchung stellen und hoffte, vor Mitte Oktober in Weimar zu sein. 

Aber gegen jede Erwartung wurden wir Brüder diesmal 
brauchbar befunden, obgleich uns noch etwas an der vor- 
geschriebenen Breite fehlte. 



— 11 — 

In meinem Alter, ein Jahr nach dem Kriege, unter den für 
Einjährige in Hamburg damals besonders unerfreulichen Ver- 
hältnissen, nachdem wir schon ein Jahr verloren — das war 
keine angenehme Überraschung. — Dennoch denken wir gern an 
diese Zeit zurück, die wir, alles gemeinsam erlebend, mit gutem 
Humor durchgemacht haben. Insbesondere hatten wir auch das 
Glück, in die sechste Kompagnie zu kommen, welche überhaupt 
viel originelle Menschen enthielt und deren Chef, der Mecklen- 
burger Hauptmann von Borcke, in der ganzen Division wegen 
seiner unwillkürlichen Komik ebenso bekannt war, wie unser 
Feldwebel Lindenkohl als ehrenwerter und gerechtester Unter- 
offizier des Regiments. Da die übrigen Einjährigen uns nicht 
sehr sympathisch waren und von Avancement doch keine Rede 
war, so verkehrten wir viel mit den Dreijährigen, unter denen 
prächtige Leute waren von den Vorsetzen und echte „Dieker", 
die mit überwältigendem Humor von ihren Kriegserlebnissen zu 
erzählen wußten. So haben wir dies lustige Soldatenleben so 
recht von Herzen genossen, uns nie von Wachen, Postenstehen 
und Märschen zu drücken versucht und sind deshalb sehr beliebt 
bei den Leuten gewesen. Besonders mein Bruder Otto, der In- 
genieur wurde und später bei Schwarzwaldbahnbauten mit Hun- 
derten von Arbeitern zu tun hatte, verstand die Leute vortrefflich 
zu nehmen, sie wären für ihn durchs Feuer gegangen. Die drei 
Manöverwochen in und um Reiubeck bei herrlichem Wetter ge- 
hören zu meinen liebsten Lebenserinnerungen. Das beste war 
aber dabei, daß ich alle Strapazen mühelos ertragen habe und 
seitdem ein völlig gesunder Mensch geworden bin. 

Aber damals, als das Jahr „abgerissen" war, verfiel ich einer 
sehr niedergedrückten Stimmung. Nach notdürftig absolvierter 
Studienzeit, beinahe zwei Jahre aus meinem Beruf heraus, sah ich 
ein, daß mein Talent nicht ausreichte und bereute ernstlich, daß 
ich den Rat meines Vaters nicht befolgt, noch die Prima durch- 
zumachen. Jetzt war es zu spät, ich mußte hinfort mir selbst 
fortzuhelfen suchen, wie es eben ging, und mit sehr trüben Ge- 
danken stand ich in dem verödeten Atelier und Krankenzimmer 
meines Vaters. 



— 12 — 

Da veranlaßte mich Bruno Piglheiu, der gleichzeitig in Wands- 
bek als Husar unter ganz anderen Verhältnissen gedient hatte, 
mit ihm nach München zu gehen, in das frische begeisternde 
Kunsttreiben, da würde ich mich schon herausrappeln. Das 
Münchner Leben hatte mir schon bei der großen Ausstellung von 
1869 sehr imponiert und wir reisten im Oktober 1872 über Berlin 
und Dresden nach München. Vom ersten Tage an trat ich, durch 
Piglhein eingeführt, in einen Freundeskreis talentvoller und ge- 
bildeter Genossen, wie ich keine besseren hätte finden können, 
denn Piglhein und F. A. Kaulbach galten schon damals für die 
bedeutendsten jüngeren Talente. 

Piglheins Freunde waren bald auch die meinen. Er selbst 
wurde unwillkürlich der tonangebende Mittelpunkt, denn er war 
uns in allem überlegen, an Schönheit, an Vermögen, an künstle- 
rischer Begabung, auch an tiefer weicher Empfindung. Ein be- 
lebendes Element war der Norweger C. M. Ross, dessen vielseitige 
Interessen und Talente und angeborene Liebenswürdigkeit des 
Umgangs ihm überall, wohin er kam, zum Mittelpunkt heiterer 
Geselligkeit machten, und mit welchem ich in der zweiten Hälfte 
meines Münchner Aufenthaltes eines sehr angenehmen Zusammen- 
wohnens mich erfreute, welches durch ein vorzügliches Klavier- 
spiel und abendliches Phantasieren noch besonders genußreich 
wurde. Ein Wiener, Karl Fröschl, später verschwägert mit 
A. Kaulbach, dem Jüngsten von uns, dessen junge Häuslichkeit 
bald ein Mittelpunkt musikalischer Geselhgkeit wurde, Louis 
Neubert aus Leipzig, ein talentvoller Landschafter und wegen 
seines schlagfertigen Humors in ganz München bekannt, eine alte 
Weimarer Bekanntschaft, außerdem einige Studenten der Medizin 
aus Hamburg bildeten meinen Umgang. 

Die trefflichen Leistungen der Münchner Bühne, gerade in 
jenen Jahren, machten uns alle zu eifrigen Theaterbesuchern, und 
das Gespräch unserer Tafelrunde drehte sich viel um Schauspieler, 
Literatur und Musik. Ross, ein Freund Ibsens und Björnsons, 
und selbst in seiner Kopenhagener Studienzeit ein guter Schau- 
spieler, war bewandert in der älteren und modernen, französischen, 
englischen, deutschen und nordischen Literatur, ein großer Be- 



— 13 — 

wunderer Wagners, dessen Tristan und Isolde und Ring der 
Nibelungen eben damals vollständig aufgeführt wurden. Auch 
Piglhein gehörte zu den Bewunderern Wagners. — Im ersten 
Winter war ich allerdings ein seltener Besucher des Theaters, 
denn ich hielt mich abends meist zu Hause, nachdem ich wäh- 
rend des Abendessens in einer der kleinen Kneipen der Nachbar- 
schaft mir die Stellungen und Gesichter der Arbeiter und Spieß- 
bürger so fest eingeprägt hatte, daß ich sie nachher aus dem 
Gedächtnis nachzeichnen konnte. Noch mehr interessierten mich 
die betenden und beichtenden alten Weiber in den unheimlich 
prächtigen kleinen Zopfkirchen in der Sendlinger Gegend bei 
Dämmerung oder schwachem Lampenlicht. Ich hatte nur nicht 
den Mut, dort Studien zu machen.^' 

Damit brechen Speckters Aufzeichnungen ab. Mehrere seiner 
Briefe an die Mutter und an die Geschwister sind erhalten, die 
seinen Seelenzustand in jenen Jahren spiegeln. Sie wechseln 
zwischen einer lebendigen Schilderung des Münchner Milieus und 
Depressionszuständen, Immer wieder erwachen ihm Zweifel an 
seiner Begabung, trotz des Zuspruchs der Münchner Freunde, 
trotz des verdienten Erfolges, die ihm die Hausbuch-Illustrationen 
damals eingetragen haben. Er schwankt zwischen Historien- 
malerei und Studien nach Natur und Leben, zwischen Pinsel und 
Buchillustration. 

Im Herbst 1874 ist er wieder in Weimar. An der Kunst- 
schule haben Veränderungen stattgefunden — Pauwels Entlassung 
und ein stark ausgesprochenes Kliquenwesen, — die ihm wenig 
liegen. In München hatte Speckter selbständig gearbeitet und 
seine ursprüngliche Absicht, in Rambergs Atelier einzutreten, weil 
Ramberg seinen Schülern die größtmögliche Freiheit ließ, nicht 
ausgeführt. Ob er Piloty, auf dessen Urteil — auf das Urteil 
allein — er viel gegeben hat, seine Studien zur Korrektur vor- 
gelegt hat, wie dies seine Absicht war, bleibe dahingestellt. In 
Weimar zieht es ihm wieder zu Pauwels; „falls jedoch Pauwels 
wirklich nach Dresden kommt, dann glaube ich doch, ich gehe 
wieder zu ihm," heißt es in einem Briefe an seinen Onkel 
Heinrich Schieiden (7. Okt. 1874). Der Gedanke, sich Rat und 



— 14 — 

Hilfe zu holen, aufs neue zu lernen, scheint ihn damals sehr 
beschäftigt zu haben; im gleichen Briefe urteilt er über einen 
neuen Lehrer der Kunstschule: „Schau ss, ein neuer Berliner, 
kann gut malen, nicht sonderlich zeichnen und gar nicht kom- 
ponieren. Was soll das für eine Kunstschule? Trotzdem wäre 
es für mich speziell vielleicht wichtig, unter ihm wieder ein 
Dutzend Studieuköpfe zu versuchen." 

Nach Dresden ist Speckter nicht gegangen, wohl aber war 
er wiederholt in Weimar, da ihm die dortigen Verhältnisse mehr 
zusagten als die Münchner, hinter deren äußern Glanz, dem alles 
Echte fehlt, er sehr bald gekommen ist. 1876 hat Heinrich 
Schieiden ihm einen Aufenthalt in Italien ermöglicht. Er schwankt 
damals zwischen Paris und Italien. Italien siegt, vermutlich 
infolge der klassischen Neigungen, die Speckter beherrschen und 
deren er sich selbst bewußt ist. Vielleicht wäre Paris für die 
Entwicklung des Malers Speckter günstiger gewesen, vielleicht 
hätte er sich dort zusammen mit seinem Hamburger Freund 
Thomas Herbst und seinem ehemaligen Studiengenossen bei 
Pauwels, Liebermann, das feste malerische Gerüst erwerben 
können, das ihm gefehlt hat. Vielleicht hätte auf französischem 
Boden Farbe für ihn an Ausdruckskraft gewonnen, während sie 
für ihn das Sekundäre geblieben ist. An sich sind solche Er- 
wägungen müßig, Speckter hat Italien Paris vorgezogen und ist 
fast ein Jahr im Süden geblieben. 

Was Italien ihm bedeutet hat, davon geben die nachstehend 
veröü entlichten Briefe ein deutliches Zeugnis, Nicht der Künstler 
allein, auch der Mensch erstarkt in sich, sucht sich ohne Bitter- 
keit in den Grenzen zu bescheiden, die die Natur ihm gezogen 
und die er für enger gehalten hat als sie wohl waren. Hunderte 
von Skizzen beweisen, wie fleißig er in Italien gearbeitet hat, 
er ist jedoch klar über Aufgaben und Ziele der Kunst und klar 
über das, was er will, hingegangen, so daß ein wesentlicher Um- 
schwung in seiner Formensprache sich nicht vollzogen hat, „Ich 
werde mir Italien hauptsächlich in dekorativer Hinsicht be- 
trachten," schreibt er an seinen Bruder Erwin unmittelbar vor 
seiner Abreise, „Das war von Anfang an mein hauptsächliches 



— 15 — 

Streben. Und jetzt, wo die Möglichkeit derartiger Aufträge so 
deutlich vorhanden ist, tritt die Sehnsucht danach wieder mit 
der ganzen Kraft hervor." Speckters größere künstlerische Reife, 
die im Ausgang der siebziger Jahre einsetzt, ist das Ergebnis 
einer organischen Entwicklung, nicht ein ihm von außen, durch 
das, was er in Italien gesehen hat, Zugeflogenes. 

Nach seiner Rückkehr wird Hamburg sein bleibender Wohnsitz. 
Er gehört in diese Stadt, mit der er sich innerlich eng ver- 
wachsen fühlt, die ihm gegenwärtig ist auf italienischem Boden 
und Maßstab für so viel Schönes, er gehört hierher, obgleich er 
sich in Hamburg nicht sehr wohl gefühlt haben mag und ziemlich 
isoliert als Künstler in der Kaufmannsstadt. Er leidet an einer 
äußeren Zersplitterung und hat nicht die Kraft, sich zu kon- 
zentrieren. Er klagt seinem Bruder Erwin: „Von meiner Tätig- 
keit ist nicht viel zu berichten. Ich leide an den altbekannten 
Fehlern der Zersplitterung und Talentlosigkeit. Bald dekorative 
lebensgroße Figuren, bald Lilliputer für Holzschnitt, bald Zeich- 
nungen für einen Bücherschrank zu einem holzgeschnitzten 
Rahmen . . . jetzt lebensgroßes Kinderporträt von Hans und Anna 
Duncker, obendrein tausend Nebeninteressen, die mich abziehen 
— da hast Du mein gegenwärtiges Leben !^' (18. Febr. 1879). 

An äußeren Ereignissen war sein Leben nicht reich. 1884 
hat er sich entschlossen, den Unterricht an der Mädchen-Gewerbe- 
schule zu übernehmen, um seiner äußeren Existenz einen festen 
Halt zu geben. An der Talentlosigkeit und Indolenz seiner 
Schülerinnen leidend, wurde ihm der Unterricht an diesem In- 
stitut, der ihm mehr Zeit und Kraft genommen als er geglaubt 
hatte, zur Qual. Einige bescheidene Erfolge: Siege in künst- 
lerischen Konkurrenzen und die goldene Medaille in München für 
einen Glasfensterkarton, wurden ihm in seinen letzten Lebens- 
jahren zuteil, und doch lagen ihm bei der Vielgestaltigkeit seiner 
Interessen vaterstädtische Angelegenheiten nicht weniger am 
Herzen als künstlerische Probleme. Er sucht das allgemeine 
künstlerische Niveau Hamburgs zu heben und hat sich mit der 
ganzen Wärme seiner reichen Natur eingesetzt für die Gründung 
eines Museums für Hamburgische Geschichte. Eine Zentrale für 



— 16 — 

die Denkmäler von Hamburgs Vergangenheit sollte geschaffen 
werden. Andere sollten später die Früchte seines Tuns ernten, 
seine Zeit hat das Umfassende und Notwendige dieses Planes 
nicht begriffen. 

Den vielen inneren Stürmen vermochte seine Natur nicht 
Stand zu halten. Eine nervöse Gereiztheit nahm überhand und 
nach zwei grausamen Leidensjahreu starb er am 29. Oktober 
1888 in der Nähe Lübecks. 

Hamburg hat sehr viel an Hans Speckter verloren. Er 
wäre das Bindeglied gewesen zwischen der älteren und der 
jüngeren Künstlergeneration; im Erfassen malerischer Probleme 
ist er oft erstaunlich modern und seiner Zeit überlegen. Und 
doch wurzelt er im alten Hamburg, dem er angehört, durch seine 
Abstammung von einer Familie, die sich bereits in dritter 
Generation verdient gemacht hat um Hamburgs Kultur und 
Kunst, ohne daß es ihr je gegönnt gewesen wäre, die Früchte 
ihres Tuns zu ernten. Bei seiner ausgesprochenen literarischen 
Begabung wäre er der gegebene Historiograph einer Maler- 
generation gewesen, der er nahe stand durch seinen Vater, seine 
Lehrer und die Berichte seiner Mutter, die das Erbe der Ver- 
gangenheit treu gehütet hat. Manches wäre beisammen ge- 
blieben, was heute in alle Winde verstreut ist und mühsam 
zusammengesucht werden muß. Vielleicht hätte sich durch 
ihn etwas wie künstlerische Tradition vererbt auf ein jüngeres 
Geschlecht. 

Elins aber unterliegt keinem Zweifel:* war sich Speckter 
nicht ganz klar über seine Begabung, war er immer bereit, sich 
einzusetzen für Kulturaufgaben, den Maler dem Schriftsteller zu 
opfern — darin lag das wesentliche seiner Persönlichkeit nicht. 
Für diese konservierende Tätigkeit war er eigentlich zu schade, 
dafür hätte auch die Begabung anderer gereicht. Wenn Speckter 
sich mit rücksichtsloser Energie, mit einer Härte, die ihm nich 
zu eigen war, konzentriert hätte allein auf das, was ihm not tat 
— auf produktive künstlerische Tätigkeit — er wäre zu größeren 
künstlerischen Lösungen gekommen und wäre vielleicht ein glück- 
licher Mensch geworden, weniger an Zwiespalt krankend. 



— 17 — 

Besser als wir Nachgeborenen, die ihn nicht gekannt haben, 
es vermöchten, charakterisiert den Menschen Speckter sein 
Freund F. v. Thiersch, sein Reisegefährte in Italien. 

„Was mich für Speckter so einnahm, war sein bescheidenes, 
schlichtes und ernstes Wesen, seine Tiefgründigkeit und Viel- 
seitigkeit. Er war einer von denen, die mit offenem Herzen 
überall lernen und zugleich lehrreich wirken. Nicht, daß er 
sofort brilliert und imponiert hätte. Der Mensch mit seinen 
liebenswürdigen Seiten mußte erobert werden, aber dann hatte 
man etwas von dieser köstlichen, feinen Natur. Dabei besaß er 
eine wohltuende innere Ausgeglichenheit und einen gleichmäßig 
heiteren, niemals nach dem Unedlen gerichteten Sinn. . . . 
Speckter war von jener Art, die das Wesen der Dinge zu er- 
greifen sucht, und wäre er nicht ein so feiner Künstler gewesen, 
so müßte er als Schriftsteller bedeutend geworden sein." 



In Speckter hat sich schon früh der Trieb geregt, bildnerisch 
zu gestalten, für das Kind, das im Atelier des Vaters groß ge- 
worden und in einem malerischen alten Hause voll romantischer 
Winkelchen aufgewachsen ist, war es selbstverständlich, zu Blei- 
stift und Papier zu greifen, wenn seine Phantasie angeregt wurde. 
Und es bedurfte nur eines geringen Anlasses, um seine Phantasie 
in Bewegung zu setzen: nüchterne Zeitungsberichte über statt- 
gehabte Schlachten genügten, um seine produktive Tätigkeit aus- 
zulösen. Und doch hat es verhältnismäßig lange gedauert, ehe 
er sich entschloß, Maler zu werden. In der Schleidenschen Schule 
wirkt der Naturgeschichtsunterricht stark auf ihn ein, und sofort 
steht der Entschluß des Knaben fest, Naturforscher zu werden. 
Als ihn später während der Konfirmationszeit rehgiöse Probleme 
beschäftigen, will er zur Theologie übergehen. Diese Schwan- 
kungen in so jugendhchem Alter haben bei Speckter mehr zu be- 
deuten als die üblichen Jugendideale und Wünsche, die den 
damit Behafteten im allgemeinen nicht hindern, im spätem Leben 
in einem praktischen Beruf, der lediglich auf den Erwerb ge- 

Schapire, Hans Speckters Briefe. 2 



— 18 — 

richtet ist, unterzutauchen. Das Zwiespältige seiner Begabung 
und seine schwankende Natur, die auf jeden äußern Anstoß 
reagiert, zeigt sich darin. Speckter hat trotz der relativ günstigen 
äußern Verhältnisse nicht zu jenen Bevorzugten gehört, die für 
ihren Beruf gleichsam prädestiniert sind. Für die es eine Wahl, 
ein Anderskönnen nicht gibt, die zu Zeiten schwer tragen mögen 
an dem ihnen Auferlegten, die aber so fest damit verwachsen 
sind, daß die Ausübung ihres Berufes ihnen nicht minder selbst- 
verständlich ist als jede körperliche Funktion. Bis in seine letzten 
Jahre quält ihn der Zweifel, ob er als Maler oder Schriftsteller 
mehr leisten könne, weil er die letzten Fragen der Kunst zu er- 
fassen glaubt, und seine Einsicht ihm sagt, daß er das Erkannte 
nicht zu gestalten vermag. 

Sein frühester zeichnerischer Versuch, treu von der Mutter 
gesammelt und heute im Besitz der Familie, stammt aus dem 
Jahre 1859. Der Knabe ist elf Jahre alt, von einer ernsthaften 
Unterweisung ist natürlich noch nicht die Rede. Seine nächste 
Umgebung drängt ihn zum Gestalten: die Fassade des elterlichen 
Hauses in der Fuhlentwiete mit den vor- und zurückspringenden 
Stockwerken wird gezeichnet. Aus dem einen Fenster blickt der 
Vater, aus dem andern die Geschwister, Kinder spielen auf der 
Straße. Porträtabsicht scheint trotz der kleinen Verhältnisse vor- 
zuliegen. Er hat die Aufgabe merkwürdig gut gelöst; die Pro- 
portionen stimmen natürlich nicht, und den Maßstab des „Korrek- 
ten" darf man nicht anlegen, aber das Ganze ist mit einer ge- 
wissen frischen Verve gezeichnet. Die Behandlung des Figür- 
lichen entspricht seiner Altersstufe. Den wenigst sympathischen 
Eindruck macht der Stamm links vor dem Hause. Das ist keine 
gefühlte Form, sondern fast mit einer gewissen Geschicklichkeit 
hingeschrieben, wie von jemand, der nach Vorlagen gearbeitet hat. 

Das Jahr 1865 wird entscheidend für Speckters Leben. Der 
Entschluß reift in ihm, Maler zu werden. Der Vater setzt dieser 
Absicht einen nur scheinbaren Widerspruch entgegen; da er die 
Begabung des Sohnes frühzeitig erkannt hat, geht damit ein lang 
gehegter Wunsch in Erfüllung. Martin Gensler und Asher leiten 
Speckters ersten Unterricht. Nach dem Erhaltenen hat Geusler 



— 19 — 

stark auf ihn gewirkt, während man nach Ashers Spuren ver- 
gebens sucht. Dabei hat Speckter ihm eine dankbare Erinnerung 
bewahrt. Aus Weimar (17. VII. 76) klagt er der Mutter: „Mit 
meiner Arbeit geht es, obgleich ich eigentlich fleißig bin, nicht 
wesentlich rascher vorwärts als in Hamburg. Asher fehlt mir 
doch so oft! So manches, was mir erst nach tagelangem Mühen 
klar wird, würde er mir beim ersten Blick haben sagen können. 
Von den hiesigen Freunden kann keiner ihn mir ersetzen." Auch 
auf italienischem Boden hat Speckter dankbar betont, wieviel er 
an Einsicht in künstlerischen Fragen Asher zu danken habe. 
Seltsamerweise entzieht er sich jetzt und später künstlerich dem 
Einfluß des sehr geliebten Vaters vollkommen. Nichts läßt darauf 
schließen, daß er der Sohn Otto Speckters, des Fabelzeichners 
und Illustrators ist. Was zwischen ihnen liegt, ist nicht nur der 
Unterschied und Gegensatz zweier Generationen, es ist ein anderes 
Empfinden für Dekoration und Flächenverteilung. Es wird darauf 
noch bei den vielen Gelegenheitsblättern von Vater und Sohn hin- 
zuweisen sein. 

Die Unterweisungen bei Gensler — der Knabe geht noch 
aufs Gymnasium — beginnen in der damals üblichen Weise. 
Der Lehrer läßt ihn seine Zeichnungen kopieren. Das war nicht 
eben der schlimmste Weg. Gensler hat mit Stift und Feder wie 
im Aquarell interessante alte Baulichkeiten in- und außerhalb 
Hamburgs festgehalten, nicht versucht, sie in eine malerisch- 
romantische Sphäre zu heben, sondern sich an die Wirklichkeit 
mit Treue und Exaktheit gehalten. In dieser völligen Anspruchs- 
losigkeit, in dieser Schlichtheit des Schauenden und des Ge- 
schauten- liegt ein gewisser Reiz, vielleicht etwas nüchterner Natur, 
aber Speckter wurde nicht auf den gefährlichen akademischen 
Weg gedrängt, mit einem mechanisch erlernten Können zu prunken. 
Eine Reihe von Zeichnungen nach Gensler aus dem Jahre 1866 
bat sich erhalten, neben architektonischen einzelne figürliche 
Skizzen — Typen aus Blankenese — sie legen Zeugnis ab vom 
ernsthaften Fleiß des jungen Menschen. Daneben hat er schon be- 
gonnen, die Natur auf seine eigene Art zu befragen. Er macht 
Studien „auf unserm Dache" (1864); die Typen des Zigeuner- 

2* 



— 20 — 

lagers auf der Horner Rennkoppel (1865) interessieren ihn. Die 
Behandlung der Köpfe deutet auf Schule, in den Pferden^ Zelten, 
Häusern ist er freier von Genslers Art als in mancher spätren 
Zeichnung. Im Oktober 1866 zeichnet er die Ruine Alt-Lieben- 
stein. Ein großer Raum auf bürgerlichem Gelände beherrscht 
die Komposition, im Hintergrund schlanke Stämme. Das Blatt 
steht innerhalb der Tradition der Vollmer und Morgenstern ; leise 
macht sich eignes Sehen bemerkbar. Der erste Ausflug in die 
Ferne gilt dem benachbarten Lübeck. Vom Dach des Duffkeschen 
Hotels aus zeichnet er die Marienkirche; auch das Haus am 
Burgplatz und die ewige Lampe im Dom werden mit dem Stift 
nachgebildet. Im April 1865 ist er in Ratzeburg. Der Dom wird 
aquarelliert vom „Probstengarten" aus, ferner die Chorseite und 
frühgotisches Chorgestühl. Etwas bunt, aber lebendig in Farbe, 
sein Ton wird später, auch im Aquarell, matter, nachdem er die 
Segnungen der Akademie erfahren hat. 

Die Familienmitglieder dienen als Modell; der kleine Bruder 
Gerhard wird auf dem Schaukelpferd sitzend gezeichnet (1866). 
Die drei Blätter nach ihm sind rührend unbeholfen ; Kinderstudien 
dieser Art gab es unter den Vorlagen, die Speckter zu Gebote 
standen, nicht. Er konnte sich nur an die Natur, an das Selbst- 
geschaute halten, und folgt ihr ängstlich mit tastenden Schritten. 
Ein Jahr früher hat er den Vater gezeichnet. Die Zeichnung 
ist ausdrucksvoller und reifer; weich umgibt der Vollbart Otto 
Speckters leidendes Gesicht und leiht ihm etwas vom Aposteltypus. 
Ein Zusammenhang mit der Hamburger Nazarener- Tradition ist 
in der Auffassung unverkennbar. Eine Olskizze nach dem Vater 
entsteht ein Jahr darauf. Für den 18 jährigen eine sehr anständige 
Leistung, doch wirkt die Skizze akademischer als die empfundenere 
Zeichnung. Speckters Art spricht daraus: nicht Sturm und Drang, 
noch Bruch mit dem Hergebrachten, aber ein Versuch, innerhalb 
gegebener Grenzen ein Ausgereiftes, in sich Geschlossenes zu geben. 

Der Besuch der Weimarer Kunstschule hat diesen Studien 
nach der Natur ein Ende bereitet. An ihre Stelle treten un- 
leidHche Skizzen, die Pauwels Kompositionsklasse ihr Entstehen 
verdanken. Der Olymp und der christliche Himmel müssen her- 



— 21 — 

halten, ..Luther als Kind", die „Visite der Königin von Arabien 
bei Salomo", Savonarola auf dem Marktplatz, Helden in alt- 
deutschem und antikem Kostüm, Gefangene, denen das Todes- 
urteil verlesen wird, schreibende Mönche mit Hunden und Raben, 
einige bürgerliche Rührseligkeiten — kurz die üblichen akade- 
mischen Arbeiten wurden mit einem Eifer, der einer bessern Sache 
würdig wäre, gelöst. Speckter hat das anregende Weimarer Leben 
auf sich wirken lassen und sich günstig darüber ausgesprochen. 
Auch in späteren Jahren zieht es ihn nach der Hm und er be- 
dauert die Unterbrechung seiner Studien, die durch Krankheit 
und Pflege des Vaters und sein Militärjahr verursacht wurden. 
Stellt man die Frage, ob dieser Weimarer Aufenthalt von Vorteil 
für seine künstlerische Entwicklung gewesen ist, so kommt man zu 
einem negativen Ergebnis. In Speckter kämpfen zwei Naturen: 
neben der Freude am Skizzieren nach der Natur, neben der Einsicht, 
daß es ihm als Künstler not täte, nicht in der Stadt zu wohnen, 
sondern am Lande der Natur möglichst nahe zu leben, eine ver- 
hängnisvolle Vorliebe für historische Stoffe. Darin ist er Kind 
seiner Zeit, und die grande peinture eines Pauwels hat es ihm 
angetan. Diese Vorliebe erhält in Weimar eine bedenkliche 
Steigerung, aber sie hat höchstens dazu beigetragen, ihn der Natur 
zu entfremden. Mit den theatralischen Requisiten des Historien- 
bildes war für Speckter so wenig wie für seine Zeitgenossen — 
die damaligen Tagesberühmtheiten nicht ausgenommen — Großes 
zu erreichen. Otto Speckter, dessen künstlerische Kraft nicht 
durch die Akademie, sondern durch Ungunst der Verhältnisse und 
Krankheit gebrochen war, hat das Ungesunde dieses Tuns sehr 
bald eingesehen. Er drängt zur Selbständigkeit, zum Fertig- 
machen, Aber die Wege, die er dem Sohn vorschlägt: das Genre- 
bild und die Vorbilder, die er ihm nennt: Hugo Kauffmann 
und Piltz sind für die Auffassung unserer Generation nicht 
gerade überzeugend und basieren auch nicht auf Einsicht in 
das Beste, das Speckter zu leisten vermag. Auf das Drängen 
des Vaters entsteht die „Kinderstube". (Ölbild bei Herrn 
Erwin Speckter, Bergedorf, Olstudie dazu in der Kunsthalle in 
Hamburg.) 



— 22 — 

Kommt man von der Betrachtung der Kompositionsskizzen, 
so wirkt sie befreiend und ist doch nicht mehr als ein anständiges 
Schulbild, in dem wenig selbständige Beobachtung steckt. Die 
Farbengebung in ihren tiefen roten Klängen schließt sich an die 
Tradition der Alten an und hat keine selbständige Bedeutung. 
Speckter hat seine Geschwister des Morgens beim Anziehen be- 
lauscht. Der vom Eücken gesehene Knabe, der seinen Strumpf 
anzieht, ist die lebendigste, gefühlteste Figur im Bilde. 

Die erfreulichste unter den in Weimar entstandenen Kom- 
positionen ist eine getuschte Federzeichnung vom August 1868. 
Der gesamte Lehrkörper der Kunstschule ist zu einem Gruppen- 
bild vereinigt: Kalckreuth, Pauwels, Genelli, Wislicenus, Prell er, 
Thumann, Marter steig usw., zwölf Personen bewegen sich auf der 
Treppe vor der Front eines Hauses. Genelli bildet die betonte 
Mitte. Durch den gewählten Hintergrund ergibt sich die An- 
ordnung der stehenden, sitzenden und gegen die Mauer gelehnten 
Gestalten zwanglos. Die Komposition ist ohne Anleihe an die 
Gruppenbilder der Holländer des 17. Jahrhunderts entworfen und 
ist wohl ein Gelegenheitsblatt, das dem Zufall sein Entstehen 
dankt. Die Ausführung der Skizze in großem Maßstabe hätte das 
Können des 20jährigen jedenfalls überstiegen. 

Durch die Thüringer Studienreise in Piltzs Gesellschaft 
findet die trostlose Hamburger Zeit einen heitern Abschluß. Es 
mag die glücklichste Periode in Speckters Leben gewesen sein. 
Alles Grübeln, zu dem seine schwere, nordische Natur neigt, liegt 
hinter ihm, von Schaffensfreude erfüllt, lebt er dem Augenblick. 
In Trier', wo er den Freund der Familie Pater Hugiies besucht 
und einen starken Eindruck vom katholischen Klosterleben 
empfängt, in Bacharach, in Kreuznach, in Alsfeld, in Willings- 
hausen hat er gezeichnet. Alles fesselt ihn, in bunter Reihe stehen 
landschaftliche Skizzen neben bäuerlichen Interieurs, Blumen- 
studien neben Figürlichem, „'s Madlische", „s' Nabelche", „die 
Tolle" — die charakteristischen Typen des Dorfes müssen her- 
halten. Bleistift-, Aquarell- und Ölskizze wechseln. Zu den Skizzen 
treten als willkommene Ergänzung die Briefe an seine Familie. 
Ruhig steckt er zu Beginn seiner Laufbahn die Grenzen seines 



— 23 — 

Könnens ab und zieht die Bilanz mit einer frohgemuten Sicher- 
heit, die nicht ganz frei von Resignation ist. „Darüber bin ich 
nair ja auch schon lange klar, daß etwas Außergewöhnliches nicht 
in mir steckt und bin durchaus nicht niedergeschlagen darüber. 
Gerade Vaters kulturhistorische Auffassung der bildenden Kunst 
ist sowohl Piltzs wie meine; da kann auch ein Talent zweiten 
Ranges viel Schönes schaffen, sich und andern zur Freude." (An 
seine Mutter am 23. Juli 1871.) 

Das Militärjahr bringt innerhalb kurzer Zeit die zweite Unter- 
brechung in Speckters Tätigkeit. Auf Piglheins Veranlassung geht 
er mit ihm 1872 in tiefer Verstimmung nach München. Das 
neue Milieu wirkt anregend. Im Odeonkonzert, im Caf^ Probst, 
in der protestantischen Kirche hat er seine Studien gemacht. 
Das Charakteristische der südlichen, lebhaftem Bevölkerung reizt 
ihn und wird mit wenigen energischen Strichen festgehalten. Der 
Philister von dem Biertisch, so gut wie die Andächtigen in der 
Kirche und die Zuschauer, die mit vorgeneigtem Oberkörper in 
gespannter Aufmerksamkeit den Vorgängen auf der Bühne folgen. 
Vorstudien für jenes Bild auf der Gralerie des Hamburger Stadt- 
theaters, das etwa zehn Jahre später entstanden ist. 

Depressionszustäude sind, wie die Briefe an die Angehörigen 
verraten, in diesem Münchner Jahre nicht eben selten. Die peku- 
niäre Abhängigkeit, der ausbleibende Erfolg, sei er auch noch so 
bescheiden, beginnen ihm zu lasten. Verkaufsbilder sollen ent- 
stehen; er hat sich damals in einigen kleinen Genrebildern ver- 
sucht: Frauen am Spinnrocken, ein kleines Mädchen, das die Uhr 
aufzieht, milchschleckende Katzen usw. Es sind jene üblichen 
Nichtigkeiten der siebziger Jahre, die allein stofflich auf das 
Publikum wirken sollen und ihre Liebhaber gefunden haben. Am 
künstlerisch Unbefriedigenden dieses Tuns hat Speckter schwer 
getragen. „Deine Warnung, nicht zu sehr auf die Verkäuflich- 
keit zu sehen, war nicht überflüssig, denn im Anfang deprimierte 
mich das Gefühl, schon so alt zu sein und noch andern zur 
Last zu fallen, allerdings mehr als gut war. Bilder malen zu 
wollen, w^elche partout verkäuflich sind, ist außerdem ein Unsinn, 
denn nur das kann gut werden, was mit Freudigkeit gemacht 



— 24 — 

ist..." (an seinen Onkel Schieiden aus München am 11. De- 
zember 1872) 

Mit diesen süßlichen Bildern sind die „Bauernjungen" nicht 
zu vergleichen. Das Motiv hat ihn lange beschäftigt, Vorstudien 
dafür wurden schon in Willingshausen gemacht. „Wie mir's mit 
meiner Arbeit geht? Sehr schlecht, aber nicht mutlos, im Gegen- 
teil sehr fleißig und voll neuer Lust. Mein Bild ist viel zu 
schwierig gewählt. Viele dramatisch bewegte Figuren im Freien! 
Defreggers Raufer waren im geschlosseneu Raum, daher bedeutend 
leichter. Außerdem haben meine Figürchen ungeeignete Größe: 
zu klein, um, ohne kleinlich zu pimi^eln, Ausdruck hineinzulegen, 
zu groß, um sie nur als Staffagepüppchen zu behandeln. Doch 
ich lerne viel dabei und habe viel Spaß daran . . ." (an seine 
Mutter aus Willingshausen am 10. September 1871). Aus München 
schreibt er an seine Mutter: „Ich bin mir noch nicht einig, was 
ich zunächst malen will, wahrscheinlich aber die Willingshauser 
Jungens. Dazu habe ich die meiste Lust, die meisten Studien 
und die meisten Verkaufschancen . . . Neue Genrebilder anzufangen 
ist schwer, weil man nicht mehr aufs Land kann, um Studien 
zu machen, und die Motive, die man hier sieht, bestehen doch 
größtenteils aus Kneipszenen, Obstverkäuferinnen usw., hundert- 
fach gemalten Gegenständen. Meine Willingshauser Jungens sind 
dagegen originell und gefallen allen, die sie sehen . . . Vor Pigl- 
heins Besuch hatte ich etwas Angst, denn er sagt unverhohlen 
Wahrheiten und macht große Ansprüche. Er war über Erwarten 
zufrieden, fand, daß ich seit Weimar außerordentliche Fortschritte 
gemacht hätte, besonders im malerischen Denken. Er hatte die 
Zieh -Jungen noch nicht gesehen und riet mir, durchaus sie zu 
malen" (aus München am 24. Oktober 1872). Das Bild hat im 
Kunstverein viel Beifall gehabt und fand auch den ersehnten 
Käufer in einem Münchner Kunsthändler. Der gegenwärtige Be- 
sitzer des Bildes war nicht mehr zu ermitteln. Zwei Aquarell- 
skizzen befinden sich im Besitz der Familie. Speckter beschreibt 
das Motiv: „Jungen spielen , Ziehens*, Schluß von ,Süsterpaar ut', 
nach dem ,Treck op de Brück, treck dal de Brück" (11. Juli 1871). 
Fünf Jungen halten sich an den Händen fest, ein sechster liegt 



— 25 — 

bereits am Boden, ein siebenter lehnt gegen die Mauer. Die 
Bewegung klingt in der Gruppe des rechts im Hintergrunde 
sitzenden Mannes mit dem Kinde aus. Das Bild wirkt lebendig in 
Bewegung; man merkt es ihm an, daß es keine Mußarbeit war. 
„An den ganz dunklen Tagen tue ich an meinen Bauernjungeu 
keinen Strich, arbeite überhaupt nur daran, wenn ich wirklich 
Lust habe und vorher weiß, daß ich was machen kann" (am 
11. Dezember 1872). 

Daneben regt sich die Vorliebe für historische Kompositionen 
und er fährt im gleichen Briefe fort: „Ich bereite mich auf eine 
größere historische Komposition vor, die mir schon in Hamburg 
durch den Sinn ging und mit der ich mich diesmal an der Kon- 
kurrenz für historische Bilder beteiligen möchte . . . Die gründ- 
liche Kenntnis unserer alten Geschichte, ihre sinnigen und naiven 
Bräuche, Trachten, Geräte, Architektur usw. fesseln mich bei 
meinen Studien außerordentlich. ,Den Söhnen der Väter einst'gen 
Ruhm zu zeigen' ist zwar nicht die höchste Aufgabe der Kunst, 
wohl aber eine der höchsten, und — wenn auch nicht aus- 
schließlich — so doch dann und wann, wenn der innere Trieb 
dazu da ist, diesem Ziele nachzustreben, will und darf ich nicht 
in mir unterdrücken, wie ich es eine Zeitlang für recht hielt." 
Was für eine Komposition er eingereicht hat, geht weder aus 
den Briefen noch aus den erhaltenen Skizzenbüchern hervor. 
Auch die Wiener Weltausstellung, die er 1873 gesehen hat, be- 
geistert ihn „so viel mehr für meine alten Ideale strenger Zeich- 
nung und Komposition, daß ich mir von den Freunden, welche 
an die allein seligmachende Neumünchner Schule glauben, mit 
ihrem ultramalerischen, d. h. oft nur dreckig-dunklem Gemuschel, 
nicht mehr so viel in meine Arbeiten hineinreden lassen will wie 
früher. Auch Piglheins Arbeiten, so talentvoll sie sind, betrachte 
ich nach dieser Seite hin viel vorurteilsfreier und ungünstiger" 
(am 16. September 1873). 

Die Einsicht in das was not tut, hat Speckter nicht gefehlt, 
so wenig wie die Konsequenz, diesen Weg zu gehen. „Es gibt 
zwei Wege, um als Maler zu Geld und Stellung zu gelangen: 
1. viel machen oder 2. gut machen. Der zweite Weg ist lang- 



— 26 — 

samer, mühseliger und nur bei wirklicher Begabung erfolgreich. 
Daß ich ihn deuuoch riskiere, liegt in meiner Natur. Die ner- 
vöse Schnelligkeit des Gelingens und Schaffens ringsum darf unser- 
eins nicht irre machen. In den meisten Fällen ist es Feuerwerk, 
welches bald verpufft. Es gibt auch in der Kunst Schwindler» 
welche dem Publikum eine Weile imponieren und Sand in die 
Augen streuen können" (aus München 15. Februar 1873). Ver- 
gleicht man mit diesen Aussprüchen, die von einem ehrlichen 
Wollen zeugen, aber zum Teil nach der großen Komposition 
gravitieren, eine Briefstelle aus dem Jahre 1876, so zeigt sich 
der Umschwung, der sich in Speckter vollzogen hat: „Das wahre 
Vergnügen der Arbeit fängt doch erst an, wenn man vor der 
Natur sitzt. Wäre ich wohlhabend, so würde ich nur noch Natur- 
studien machen. Und früher habe ich soviel schöne Zeit und 
Gelegenheit dazu verbummelt.'' 

Das Jahr 1874 steht im Zeichen der Hausbuchzeichnungen. 
Es ist nicht der erste Illustrationsauftrag, den Speckter ausgeführt 
hat. Seine Freude an der Lektüre drängt ihn dazu, den Gestalten 
des Dichters zu einer körperlichen Existenz zu verhelfen. Dieser 
Trieb regt sich schon in frühester Jugend. Im Jahre 1865 ent- 
stehen Zeichnungen zu „Ekkehard" und zu „Kabale und Liebe", 
au sich belanglose Sachen erscheinen sie im Zusammenhang be- 
trachtet bedeutsamer. Vier Jahre später hat er seinen ersten 
Holzschnitt veröffentlicht. Das Märchen von den drei Spinnerinneu 
ist als Münchner Bilderbogen erschienen (Nr. 541). Schrift und 
Bild sind noch nicht zur dekorativer Einheit zusammengeschlossen, 
und doch unterscheidet sich das Blatt wesentlich von den Münchner 
Bilderbogen Otto Speckters (Kapunzel Nr. 216) oder Schwinds 
(Gestiefelter Kater Nr. 48 und von der Gerechtigkeit Gottes Nr. 63). 
Bei diesen beiden überzieht das Bild den ganzen Bogen, die Epi- 
soden der Geschichte greifen im Bild ineinander; der illustrative 
Teil, der keine in sich geschlossenen Einzelmotive bringt, ist auch 
nichts anderes als Erzählung, noch nicht selbständig gewordenes 
Bild. Das ist bei Hans Speckter anders. Die obere Bildreihe: 
die weinende Müllerstochter, die drei alten Frauen bei der Müllers- 
tochter, die staunende Königin auf dem Boden enthält — bild- 



— 27 — 

mäßig gestaltete — Eiuzelkompositionen, die durch Architektur ihren 
Rahmen erhalten haben und voneinander abgegrenzt sind. Ein 
gleiches gilt für die untere Bildreihe. Die Säulen wirken iso- 
lierend, indem sie jedem Bild seinen Rahmen geben und ver- 
bindend zugleich. — Fast zehn Jahre später — 1878 — hat 
Speckter dies Motiv noch einmal behandelt. Das Aquarell (in 
der Hamburger Kunsthalle) der drei Spinnerinnen entsteht. Die 
Abweichungen im einzelnen sind nicht uninteressant, er kommt auch 
zu einer reichen architektonischen Ausgestaltung. 

Aber Hans Speckter hat so wenig wie sein Vater, oder 
Menzel, Schwind und Richter die Wirkungen des Holzschnittes 
zu nützen gewußt, resp. seine dafür bestimmten Kompositionen 
aus der Technik des Holzschnittes heraus geschaffen. Das sind 
alles Federzeichnungen, die vom Xylographen auf den Block über- 
tragen wurden. Erst in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts 
ist in Deutschland das Gefühl für die künstlerische Wirkung 
des Holzschnittes wieder erwacht, wie es im 15. und 16. Jahr- 
hundert lebendig war und dem wir wundervolle Blätter verdanken. 
Erst dann wurde der Holzschnitt aus einer bloß reproduzierenden 
Technik wieder zu einer künstlerisch gestaltenden, unmittelbar 
schaffenden erhoben. Erst dann konnte der Gegensatz schwinden 
zwischen der ursprünglichen Zeichnung und dem ausgeführten 
Holzschnitt, ein Gegensatz, der sich bei Menzel so gut -wie bei 
Hans Speckter ergibt beim Vergleich der Drucke mit den Original- 
skizzen. 

Die Beziehungen zwischen Storm und dem Speckterschen 
Hause reichen ins Jahr 1859 zurück. Otto Speckters Illustrationen 
zu Klaus Groths „Quickborn-' haben Storms Bewunderung erregt. 
In heller Begeisterung schreibt er an den ihm unbekannten 
Künstler. Der norddeutsche, tief in der Heimat wurzelnde Dichter 
hat die ihm adäquate Natur in Otto Speckter erkannt. Diesem 
Brief folgte persönliche Bekanntschaft und gemeinsame Arbeit. 
Otto Speckter illustriert Storms „Abseits" und ,,Drei Märchen" 
(Die Regentrude, Bulemanns Haus, der Spiegel des Cyprianus). 
Nach dem Tode des Vaters hat Hans die Beziehungen zu Storm 
aufrecht erhalten. Im Jahre 1874 entstehen die Illustrationen 



— 28 — 

für das Hausbuch. Die erste Auflage der Anthologie war schon 
1870 erschieuen. Sie enthielt, wie Storm in der Vorrede betont, 
,,eine Rekapitulation aus einer mehr als 30jährigen Lebenserfah- 
rung." Als eine dritte Auflage nötig wurde, erschien sie versehen 
mit Speckters Zeichnungen. 

Seine Aufgabe war nicht eben leicht. Er mußte sich in die 
Ideenwelt von Dichtern einleben, die ihm innerlich nicht immer 
nahe standen und aus ihrer Welt heraus gestalten. Von ihm 
ging der Vorschlag aus, das Buch mit den Porträts der be- 
deutendsten Dichter zu schmücken. Es sind ihrer zwanzig ent- 
standen. Die erhaltenen Zeichnungen beAveisen deutlicher als die 
Illustrationen im Buche, wie ehrlich Speckter um seine Aufgabe 
gerungen hat. Es galt Stiche, Abbildungen, Photographien für 
die Porträts zu beschaffen, und Storm hat, wie aus seinen Briefen 
ersichtlich, Speckter eifrig mit Literaturangaben unterstützt. Es 
galt, trotz dieses toten Materials, das Bildnis möglichst lebendig 
zu gestalten und ihm eine dekorative Fassung zu geben. Speckters 
Vorliebe für strenge Zeichnung und Komposition konnte hier 
ungehemmt zum Ausdruck kommen, denn ob er einen Schatten- 
riß wie bei Claudius, ein Eelief von David d' Angers wie bei Heine, 
Photographien wie bei Heyse, Mörike, Klaus G-roth, einen Stich 
(von Robert Reinicke) wie bei Chamisso benutzt hat — darin 
blieb sieh die Aufgabe immer gleich: das Porträt mußte einen 
streng ornamentalen Charakter erhalten. Und das Ornamentale 
allein, auch wenn es Hauptzweck war, genügte nicht. In der 
Wahl der Rahmenverzierungen hat nicht Spiel und Zufall ge- 
waltet, sondern es lag die Absicht vor, die Welt des Dichters 
durch den Rahmen anzudeuten. Das geschah nicht mittels einer 
aufdringlichen Symbolik oder leicht zu erwerbenden Gelehrsamkeit, 
mit feinem Takt ging Speckter vor. Für Claudius, der den grie- 
chischen Gesang nicht nachahmen will, ergibt sich zwanglos die 
deutsche Eiche, und die Silhouette charakterisiert die Bildnis- 
kunst des 18. Jahrhunderts. Das Porträt Höltys, des Dichters 
der „A.uf munterung zur Freude" wird von heitern Genien um- 
spielt; Winden, Margueriten, anspruchslose, im Garten gezüchtete 
Blumen passen zum Dichter der „Luise'*, und der Eierstab weist 



— 29 — 

auf das antike Versmaß. Der deutsche Adler, SiegeBtrompeten, 
ein Eichenkranz dürfen bei Arndt nicht fehlen, so wenig wie 
Burgfräulein und Page beim Doppelbildnis von Brentano und 
Achim von Arnim. Palmen kennzeichnen die Atmosphäre, in der 
der Greis auf Salas y Gomez gelebt hat, Feldblumen umgeben 
das Bildnis des Lyrikers Uhland, Wasserrosen und Schilf ranken 
sich um Lenaus Haupt, dekorativ verwandte Elefantenköpfe, 
Kakteen und Schlaugen charakterisieren den Süden bei Freilig- 
rath, leichtbeschwingte pompejanische Füllfiguren die heitere Grazie 
in gebundenem Versmaß bei Heyse, dessen Bildnis als im Haus- 
buch, das eine andere Art pflegte ungehörig, Storm aufzunehmen 
sich weigerte. Er kapitulierte, um dem Verleger und dem schönen 
Geschlecht „einen Gefallen zu tun". 

Neben den Porträts enthält das Hausbuch eine größere An- 
zahl figürlicher und landschaftlicher Motive; Speckters Kraft 
zu gestalten, zeigt sich hier ungehemmter. Das „Rheinweinlied" 
ist durch eine reizende kleine Komposition in Chodowieckis Art 
illustriert. Fünf Männer umstehen den Tisch, ein Jüngling into- 
niert das Lied, der Alte mit dem Pelzmützchen stimmt ein — 
über dem Ganzen liegt die behagliche Atmosphäre mit einem 
Stich ins sentimental-philiströse der Biedermeierzeit. Auch die 
in eine Rokoko-Kartusche komponierte Illustration zu Robert 
Prutzs „Von der Pumpe, die nicht mehr hat piepen wollen", 
steht Chodowiecki nicht allzu fern. Der gravitätische Ernst der 
Hofherren in langgepuderter Perücke ist viel humoristischer als 
die weitschweifige Dichtung. Und wie wird die sehnsüchtig er- 
wartende, von verhaltenem Glück durchsonnte Stimmung von 
Schmidts Gedicht „Bald" durch das kleine, ins Rund komponierte 
Bildchen gekennzeichnet. Es ist viel prägnanter als das Gedicht. 
Sein Bestes hat Speckter in den eingestreuten Landschaften ge- 
geben. Was Storm den Illustrationen zum „Quickborn" nach- 
rühmt, „das waren Land und Leute unserer Heimat, das war 
sogar die Luft, das Wetter von zu Haus" gilt auch hier, wenn 
man darunter das Erfassen der intimen Reize der Landschaft 
versteht. Für Speckter wird nach einem schönen Worte Amieis 
,,die Landschaft zum Seelenzustand", und wie sehr jede der Land- 



— 30 — 

schatten, die ein Gescbautes, Erlebtes darstellen, aus dem Geist 
der Dichtung, die sie illustrieren, konzipiert ist, ergibt sich durch 
Vergleich der kleinen Kompositionen. Die trostlose Einsamkeit 
der Heide mit dem Krähen schwärm, die Föhren als energisch 
betonte Vertikale in der breit hingelagerten Ebene zu Anette 
von Droste-Hülsboifs „Krähen"; die träumerische Mondschein- 
landschaft, der die festgeschlossene Baumgruppe links Haltung 
gibt, zu Lenaus Schilf liedern ; der Weidenbaum, der gespenstisch 
seine Zweige gen Himmel reckt zu Hebbels „Heideknaben"; der 
schneebedeckte See, eine Bergsilhouette im Hintergrund, ein 
galoppierender Reiter — für die jagende Angst des ,, Reiters über 
den Bodensee" findet er die adäquate Note. Und was hat Speckter 
aus Falks „Die drei Knaben im Walde" — ein verunglücktes 
Nachbild des Erlkönig — gemacht! Wie sind Grausen und 
Einsamkeit durch rein malerische Mittel, durch die Verteilung 
von Schwarz und Weiß ausgedrückt! Durch die Landschaft 
schreitet der Tod, eine großartige Silhouette ragt gegen den Hori- 
zont. Auch die Illustration zu Geibels „Durch tiefe Nacht", das 
der malerischen Phantasie so wenig Handhabe bietet, ist von 
leidenschaftlichem Pathos durchglüht; und wieder ist durch die 
Mittel der Schwarz-Weiß-Kunst allein eine ganz große Wirkung 
erzielt. In einigen der Vignetten tanzender Kinder klingen 
Motive an, die Speckter später in seinen Kiuderfriesen wieder 
verwenden sollte. 

Daß die etwa 60 Illustrationen nicht auf gleicher Höhe 
stehen, daß sich neben dem vielen Schönen auch manches Gleich- 
gültige befindet, ist selbstverständlich. Die schlimmsten Ent- 
gleisungen sind wohl die Illustrationen zu Immermanns „Tristan 
und Isolde" und zu Kemers „Sanct Elsbeth". Beide bleiben im 
Literarischen stecken und werden nicht in ein bildmäßig Gescbautes 
umgesetzt. Der gewählte Text war auch der denkbar ungünstigste. 

Speckters Illustrationen sind von der Presse sehr beifällig 
aufgenommen worden. Es war sein erster größerer Erfolg, und 
er schickt einige Kritiken als ,, Beiträge zum mütterlichen Stolz" 
nach Hause. In einem schönen Briefe dankt er seiner Mutter 
für den Anteil, den sie am Hausbuch hat. Er ist sich dessen 



— 31 — 

bewußt, ,,daB es nur durch den friedlichen Aufenthalt im Eltern- 
hause . . . daß es mit einem Worte nur durch Dich möglich war, 
es zu vollenden." 

Während des Entstehens der Illustrationen hat Speckter viel 
mit Mutlosigkeit zu kämi)fen, und Storm, der im einzelnen scharfe 
Kritik übt, sucht immer wieder ihm Mut zu machen. „Es ist 
meine feste Überzeugung — schreibt er ihm am 7. März 1874 — 
allerdings nur die des Poeten, nicht die des sachverständigen 
Malers, daß Sie an Ihrer Befähigung für die vorliegende Arbeit 
keinen Augenblick zu zweifeln brauchen. Gefaßt müssen sie sich 
natürlich darauf machen, daß je nach Ihrem Innern Verhältnis 
zu den Sachen, das eine mehr aus innerstem Behagen wie von 
selber entstehen wird, ein anderes aber durch Reflexion und 
Arbeit gemacht werden muß. Daher, namentlich Ihnen selbst, 
der Sie der Qual des Entstehens bewußt bleiben, das Letztere in 
der Regel weniger gelungen scheinen wird." — „Ich meine, — 
heißt es am 20. Sept. 1874 — wenn Ihre weitern Arbeiten dem 
Anfang entsprechen, so müssen Sie sich durch die Illustrationen 
aliein, wie einst Ihr seliger Vater durch seine Fabeln, Ihren 
Platz in der Kunst erringen," — Erst zum Schluß der Arbeit 
als die Entwürfe sich zum Ganzen runden, hat Speckter selbst 
Freude an seinem Tun. „Das Hausbuch ist wirklich die an- 
genehmste und erfreulichste Arbeit, die ich bisher gemacht habe" 
(am 20. Juli 1874). 

Das Hausbuch wird heute wenig gelesen. Vielleicht liegt es 
nicht zum wenigsten an Storms Betonen des Hausbacknen, auf 
das er in der Vorrede hinweist, an seiner Vorliebe für episch 
breite, behaglich ausgesponnene Dichtungen, die gerade unserer 
Zeit so wenig liegen. Speckter empfindet „moderner" als Storm 
und schreibt seiner Mutter über das Hausbuch: „Es muß jedoch 
eine schwerere Aufgabe sein, als man denken sollte, eine muster- 
hafte Anthologie zusammenzustellen. Mit der Stormschen bin 
ich auch gar nicht immer einverstanden. Seine Abneigung gegen 
hohles Pathos geht oft etwas reichlich weit und schlägt noch 
öfter in eine bedenkliche Vorliebe für lange, hausbackne Gedichte 
über. Außerdem hat er einen Haufen obskurer Größen auf- 



— 32 — 

genommen, von denen man nicht recht weiß warum (am 30. Ja- 
nuar 1874). 

Ein Jahr nach dem Hausbuch ist Speckters „Guy Mannering" 
erschienen. Die Illustrationen wirken, als Ganzes betrachtet, 
reifer als die Hausbuchblätter; der Künstler ist Herr seiner Mittel 
und handhabt sie mit ruhiger Sicherheit. Die Darstellungen — 
etwa 40 — sind gestimmt auf den Ton der Scottschen Erzäh- 
lung und bilden schon dadurch ein einheitliches Ganzes. Das 
Kostüm aus der Zeit Friedrichs des Großen war gegeben, es 
wechselt mit der Tracht der bäuerlichen Bevölkerung. Es ist 
nicht das Kostüm allein, das einen Vergleich mit Menzels besten 
Blättern, seinen Illustrationen zu Kuglers Geschichte Friedrichs 
des Großen nahelegt. Wie Menzel hat Speckter die Fähigkeit, 
in kleinstem Maßstab Großes zu schaffen, den Eindruck des 
Monumentalen zu erwecken, da die Dinge groß konzipiert und 
nicht von überflüssigem Beiwerk überwuchert sind. Darstellungen 
wie Mannering vor dem Wegweiser (S. 3), auf der Schloßterrasse 
im Mondschein (S. 22), Domine Simson in der geöffneten Tür 
(S. 113), auf der Bücherleiter (S. 159), Rebekka und der Notar 
vor dem Kamin (S. 334) und namentlich das Burgtor mit dem 
mächtigen, weit ausgreifenden Baum im Vordergrund (S. 348) 
gehören zum besten, das damals auf dem Gebiete der Buch- 
illustration geschaffen wurde. Der Roman bot durch seine vielen 
Episoden bei Mondschein, bei Fackellicht oder vor dem Herd- 
feuer im Innenraum, Gelegenheit zu starken Hell-Dunkel-Kon- 
trasten. Die Lichtwirkung ist ausgenützt, und man merkt 
manchen der Blätter an, daß sie konzipiert wurden von jemand, 
der gewohnt ist, den Pinsel zu führen. Auch der Xylograph — 
die meisten Blätter sind wieder wie im Hausbuch von Kaeseberg 
geschnitten — hat seine Aufgabe gut gelöst. 

Speckters Absicht, Goethes „Natürliche Tochter" zu illu- 
strieren, ist nicht über einzelne Versuche hinausgekommen. Die 
wenigen erhaltenen Zeichnungen haben wieder im Lessingschen 
Sinne den „fruchtbaren Moment" herausgegriffen. 

Speckters Begabung für Buchillustration steht außer jedem 
Zweifel. Er selbst hat sich verschieden darüber geäußert. Ihn 



- 33 — 

beherrscht als Sohn seiner Zeit zuviel Respekt vor der Historien- 
malerei, um die Illustration als etwas anderes denn als einen 
Notbehelf zu betrachten, und der Maler ist in ihm lebendig, den 
es drängt, in Farbe und in großem Maßstab zu komponieren. 
Resigniert schreibt er aus München (am 12. Novbr. 1873 : „Ein 
Delaroche werde ich doch nicht und manches andre auch nicht 
Und zehnmal lieber will ich ein tüchtiger lUustriitor sein als ein 
mittelmäßiger und schlechter Maler." Während er am Guy 
Mannering tätig ist, faßt er den Entschluß, mit den Illustrationen 
abzuschließen. „Leider komme ich diesmal wieder nicht /um 
Studienmacben, sondern muß mich mit Macht an die Vollendung 
der Illustrationen halten. Einige sind wieder recht gut geworden, 
glaube ich. Überall Effekt: Mond- oder Lampenlicht. , . . Aber 
im ganzen will ich doch die illustrative Tätigkeit damit ab- 
schließen. Es bezahlt sich nicht gut genug, soviel Mühe ich mir 
dabei gebe, um es als lukratives Geschäft zu betreiben, und das 
Studium nach der Natur muß man denn doch zu sehr dabei ver- 
nachlässigen. Und letzteres macht doch schließlich die meiste 
Freude. Früher dachte ich zwar anders darüber und habe in- 
folgedessen die schönen Studienjahre nicht genug ausgenützt, 
zuviel dummes Zeug kom])oniert, statt Studienköpfe zu malen 
und dergl. Bis zu einem gewissen Grade kann ich's ja aber noch 
nachholen, trotz meiner 2S Jahre. Ich glaube, mit jedem Jahr 
ein Jahr jünger zu werden, und der Himmel hängt mir immer 
noch voller Baßgeigen'^ . . . (aus Weimar am 25. Juli 1876 an 
seinen Bruder Erwin). 

Drei Jahre später heißt es in einem sehr resignierten Briefe 
an seinen Bruder: „Ich habe noch immer nicht meinen eigent- 
lichsten Beruf gefunden, schwanke noch immer hin und her. 
Eigentlich hätte ich überhaupt nicht Maler werden müssen, das 
ist mir aber schon zu lange klar, daß mich das nicht mehr be- 
kümmert. Aber ich hätte doch wohl ganz und gar beim Illu- 
strieren bleiben sollen. Daraus hat mich die italienische Reise 
gerissen, indem sie die alten Neigungen zu größeren dekorativen 
Sachen wieder erweckte, und ein paar schlecht bezahlte und nicht 
besonders ausgefallene Versuche damit haben — vielleicht leider! 

Schapire, Hans Speckters Briefe. ^ 



— 34 — 

— im Publikum gefallen und ein paar ebenso unbedeutende und 
zeitraubende Aufträge im Gefolge gehabt, die nun doch auch 
nicht gut abgewiesen werden können — aber innerlich fühlte ich 
doch, daß dies nicht mein eigentliches Fahrwasser ist. Dazu 
gehört doch mehr Talent als ich habe'' (aus Hamburg, am 26. Juni 
1879). 

Den Buchillustrationen sind die vielen Gelegenheitsblätter 
anzugliedern, die auf hamburgischem Boden nach der italienischen 
Reise entstanden sind. Familienfeste, Feste im Verein für Kunst 
und Wissenschaft, im Künstlerverein boten Anlaß zu jenen zier- 
lichen Programmen, Tanzaufforderungen, Meuukarten, die in 
großer Zahl entstanden sind. Lithographie und Holzschnitt, 
Schwarzweiß- und Farbendruck dienen den Intentionen des 
Künstlers. Speckter, der in übergroßer Bescheidenheit sein eignes 
Können weit unterschätzt, klagt einmal seiner Mutter (aus Weimar, 
am 17. Juli 1876): „Je klarer ich mir darüber bin, daß meine 
eigne Phantasie nicht weit her, und daß ich nur durch langsame 
Verstandsarbeit etwas Leidliches hervorbringe, um so mehr fühle 
ich mich auf die Vermächtnisse von Vater und Onkel hin- 
gewiesen. . . ." Mit anderen Worten: an seiner eigenen Be- 
gabung zweifelnd, fühlt er sich als berufener Hüter des Erbes 
von Vater und Onkel und will deren Entwürfe vollenden. Ja, 
dieser Akt der Pietät genügt noch nicht; auch an Ashers und 
Blombergs Entwürfen will er das gleiche Liebeswerk tun, „wenn 
sich kein anderer finden sollte". Schmerzlich bewegt liest man 
solche Bekenntnisse heute. Speckter soll es an Phantasie gefehlt 
haben? Der Verstand soll in der Hauptsache teil daran haben, 
wenn etwas „Leidliches*' geworden ist? Und daneben stehen 
Gelegenheitsblätter, erfüllt von leichter, spielender Phantasie, die 
wirken wie das Geschenk einer Stunde, wie etwas mühelos Ge- 
wordenes. Hier steht Aussage gegen Aussage. Neben den 
Worten des Künstlers seine Werke, und die sprechen doch die 
beredtere Sprache. Er soll sehr langsam geschaffen haben, er 
selbst klagt darüber, auch jene, die ihm nahe standen, betonen 
es. Wenn dem so war — die Nähte sind nicht stehen geblieben. 

Die Gelegenheitsblätter sind an künstlerischem Wert sehr 



— 35 — 

ungleich; neben graziösem steht Unbedeutendes, aber ein starkes, 
dekoratives Gefühl, ein rhythmischer Sinn für Flächenverteiluug 
eignet den meisten. Auch Otto Speckter hat Gelegenheitsblätter 
geschaffen, aber der stärkste Gegensatz waltet zwischen dem 
SchaÖen von Vater und Sohn. Otto Speckters Blätter stehen 
innerhalb der Tradition der Vergangenheit. Bild und Schrift 
bilden keine Einheit, die literarische Vorstellung spielt wie bei 
Menzels Adressen die Hauptrolle, es sind so viel Finessen hinein- 
geheimnißt, daß die Wirkung darunter leidet, die Komposition fällt 
in Einzelmotive auseinander, das Auge vermag das Blatt nicht 
als ein Ganzes zu übersehen, da es nicht als ein einheitliches 
Ganzes konzipiert ist. 

Aus der großen Anzahl des von Hans Speckter Geschaffenen 
sei nur einiges herausgegriffen. Zur Erinnerung an ein Fest des 
Vereins für Kunst und Wissenschaft entsteht das Blatt „Vivat 
Ulk. Wahrhaftige Conterfeyung derer Personen so diese Comödie 
zum ersten Mal tragiret auf den 25. März 1881". Dem alter- 
tümelnden Deutsch entspricht der Charakter des Blattes. Mit 
gravitätischem Ernst schreiten die Figuren gleich Karteukönigeu ; 
rote Flammengeisterchen zucken und sprühen neben schwarzen 
Gesellen, die durch den Geist der Schwere gebunden sind. Das 
Ganze ist wie ein geöffnetes Kartenspiel komponiert. — Eine 
Einladungskarte zu einem im Hamburger Hof am 31. März 1883 
gegebenen Fest entbehrt des Humors nicht: dienernde Komitee- 
herren stehen schwitzend, opferwillig und bereit auf der breiten 
Treppe; ein Blick in den Ballsaal zeigt Frauen in großer Toi- 
lette. — Besonders gelungen ist das Blatt zu Ehren des Bild- 
hauers Engelbert Peiffer. Der Name wirkt bestimmend auf 
Speckters Phantasie. Der Rattenfänger von Hameln pfeift auf 
seinem Dudelsack zum Tanz; ihm folgen sich überschlagend drei- 
zehn große Ratten, ein Heer kleiner ist im Hintergrunde sichtbar, 
in der Ferne schimmern die Türme der Großstadt. Hier ist aus 
einem etwas billigen Wortwitz ein Farbenholzschnitt — schwarz- 
rot — von großer, dekorativer Wirkung entstanden. — In der 
Formeusprache verwandt, aber nicht ganz so gelungen ist „Vitalien- 
bröder'', ein Holzschnitt zu H. Koppmanns gleichnamigem Gedicht. 

3* 



— 36 — 

Neben Festprogrammen und Einladungskarten entstehen 
Titelblätter, so 1879 im Auftrag der Kellinghusen-Stiftung das 
Titelblatt zum Buche „Die ehemalige Sanct Marienkirche oder 
der Dom zu Hamburg". Es ist nicht frei von Dürerschen Re- 
miniszenzen, während der nicht verwandte erste Entwurf (Original- 
Federzeichnung im Besitze des Museums für Kunst und Gewerbe 
zu Hamburg) viel freier komponiert ist. — Vier Jahre später 
erscheint im Auftrag der gleichen Stiftung das Titelblatt für das 
Buch „Das Kloster St. Johannis in Hamburg". Einzelne Motive 
aus dem Klosterleben: Begrüßung neu aufgenommener Mönche, 
Jungfrauenkonvent, Unterricht in der Klosterschule und die Schutz- 
heiligen des Klosters Johannes der Täufer und Johannes der 
Evangelist sind geschickt um die Schrift, die die Mitte einnimmt, 
verteilt. Die Figuren sind nicht frei von Anklängen an deutsche 
Renaissance, die überhaupt gelegentlich bei Speckters Holz- 
schnitten durchblickt. Aber das Blatt zeigt im Gegensatz zu 
dem eben erwähnten Titelblatt, daß Speckter jetzt seine Einfälle 
aus der gegebenen Situation schöpft und sich nicht mit der Ver- 
wendung dekorativer Putten, die überall und nirgends passen, 
begnügt. 

Eines seiner schönsten Blätter ist anläßlich der Feier des 
50jährigen Bestehens der Schriftgießerei von Genzsch & Heyse 
am 28. Februar 1883 entstanden. Es ist das Titelblatt für die 
bei Tisch gesungenen Lieder. Wieder gestaltet Speckter aus der 
Situation heraus. Eine singende, trinkende, miteinander an- 
stoßende, einschenkende, fröhliche Menschenschar. Typen aus 
dem Volk. An Hand der erhaltenen Skizzen und Studien (im 
Besitz der Familie, in der Kunsthalle und namentlich im Museum 
für Kunst und Gewerbe) kann man einen Einblick in die Werkstatt 
des Künstlers tun. Für jede einzelne der vielen Figuren werden Skizzen 
nach der Natur gemacht. Ein derartiges Vorgehen verlangsamt 
den Schaffensprozeß natürlich außerordentlich, aber nur so konnten 
die Gestalten, trotz des kleinsten Maßstabes, soviel Lebenswahr- 
heit erhalten. Dieses unmittelbar Geschaute, aus der Situation 
heraus Geschaffene gibt den Gelegenheitsblättern Speckters ihren 
großen Reiz. Es eignet seinen besten Blättern wie der Einlaß- 



— 37 — 

karte zur 11, Delegierten versammlunfj des Norddeutscheu Bau- 
gewerkvereins in Hamburg mit zimmernden Baugesellen (der 
Druck wirkt bunt, die farbige Originalzeichuung im Gewerbe- 
museum ist gut abgetönt); oder der Ehrenmitgliedskarte für den 
Ärztlichen Verein mit Äskulap, Hahn und Schlange. Für seine 
Gelegenheitsblätter gilt das Gleiche wie für seine Bilder und 
Zeichnungen: wo er den festen Erdboden unter den Füßen hat, 
schafft er frische, unmittelbare Dinge in großem oder kleinem 
Format, wenn er ihn verläßt, historische Vorstellungen, oder das 
Verlangen nach einer allgemeinen Schönheit über ihn Herr werden, 
entstehen konventionelle Dinge in abgegriffener Formensprache. 
Und doch sind seine vielen Diplome zu Jubiläen usw. nicht nur, 
wie schon von Brinckmann hervorgehoben wurde, „weitaus das 
Beste, was in dieser Art je in Hamburg geschaffen worden ist", 
sondern die besten unter ihnen gehören zum vortrefflichsten, das 
„in derartigen Blättern selbst bei Anlässen von höchster Be- 
deutung geleistet'* wurde. Das Museum für Kunst und Gewerbe 
besitzt Speckters Gelegenheitsblätter nahezu vollständig; ab- 
gesehen von ihrer künstlerischen Bedeutung spiegelt sich ein gut 
Stück hamburgischen Lebens, Wichtiges und Unwichtiges aus den 
70 er und 80 er Jahren darin. 

Das im Zusammenhang betrachtete graphische Werk Speckters, 
bei dem man beobachten kann, wie die Blätter, im Gegensatz zu 
den Illustrationen des Hausbuches und des Guy Mannering, die 
Möglichkeiten des Holzschnitts und der Lithograhie mehr aus- 
nützen, für diese und in dieser Technik gedacht werden, hat uns 
in die Mitte der 80 er Jahre geführt. Wollen wir Speckters 
Schaffen in chronologischem Zusammenhang betrachten, so gilt 
es, sich in die 70er Jahre, in die Weimarer Zeit zurückzuver- 
setzen. 

In Weimar entstehen mehrere Studienköpfe in Ol, von denen 
sich zwei im Besitze der Familie befinden. Der Kopf einer 
älteren Frau im Profil (bei Frau Dir. Duncker) leicht geneigt, 
wirkt stark und gut; an Qualität ihm überlegen ist ein männ- 
licher Studienkopf in voller Face, dem ein großer spitzer Hut 
einen bildmäßigen Abschluß gibt. Der graublaue Rock stimmt 



— 38 — 

gut zum bräunlichen Hintergrund (bei Herrn Erwin Speckter, 
Bergedorf). Namentlich die schwammige untere Gesichtspartie, 
der Anflug von Bartstoppeln auf dem glatt rasierten Gesicht ist 
scharf beobachtet und exakt wiedergegeben, ohne kleinlich zu 
wirken. Etwa der gleichen Zeit gehört an, aber auf hamburgi- 
schem Boden entstanden, eine Olstudie nach dem Bruder Otto, 
nach dessen "fein geschnittenem Kopf auch die Kunsthalle eine 
Zeichnung besitzt. Aus etwas früherer Zeit stammt ein nur in 
üntermalung angelegtes Brustbild des Vaters, das nicht frei von 
Konvention ist. Sehr viel reifer ist das Bildnis der Tante Adel- 
heid, Otto Speckters Schwester, die lange in seinem Hause gelebt 
und die Erziehung der Kinder geleitet hat; geradeaus blickend 
mit übereinander gelegten Händen, im Lehnstuhl sitzend. Ein 
kleines Meisterstück ist das Brustbild der Schwester Ida. Der 
Zug um den Mund, der Blick der Augen sind lebendig und un- 
mittelbar. Der rote Flügel auf dem dunklen Pelzmützchen bringt 
eine pikante Nuance in das von einem warmen Ton beherrschte 
Bild. Alle Farben ordnen sich dem Karnat des Gesichtes unter. 
Hier sind Reize, die sich neben manchem Leiblbildnis halten, 
(sämtliche Bilder bei Herrn Erwin Speckter, Bergedorf). Doch 
scheint das Porträt Speckter wenig gereizt zuhaben. 1879 malt 
er die Kinder seiner Schwester Hans und Anna Duncker, und 
er, der das Wesen des Kindes in der Zeichnung so gut festzu- 
halten weiß, kommt hier zu einer ganz konventionellen Dar- 
stellung, die noch nicht einmal ein gutes Schulbild ist (bei Frau 
Dir. Duncker). 

Die Kunsthalle besitzt ein gutes Bildnis Speckters. Es ist 
das 1890 durch Geschenk von Frau Otto Speckter hingekommene 
Porträt des Malers Porth (abgeb. bei Alfred Lichtwark: Das 
Bildnis in Hamburg, II. Bd. bei S. 200. 1898). Lichtwark erzählt 
vom Entstehen dieses Porträts, über das Aussagen des Künstlers 
nicht erhalten sind. Es ist nicht im Auftrag entstanden ; Speckter 
wünscht Porth, den Urheber der Schillingssammlung für den Bau 
des Nikolaikirchturms, zu malen und sein Bild der Sakristei der 
der Nikolaikirche zu stiften. Da sich der Künstler und der 
Kirchenvorstand über die Auffassung nicht einig waren, ist das 



— 39 — 

Bild nicht an seinen Bestimmungsort gelangt. Porths Freunde 
wünschten ein möglichst verschöntes Porträt, das den alten Herrn 
nicht ganz so hinfällig zeige, Speckter konnte nur das malen, 
was er sah. Und es entstand ein feiner Greisenkopf, in den das 
Alter all jene Linien und Runzeln hineingeschrieben hat, die 
aussagen von einem Leben, das Kampf, Mühe und Arbeit ge- 
wesen ist. Aber im festgeschlossenen Munde, in den hellen, 
scharfblickenden Augen liegt etwas vom schönen Glauben an 
das Ziel, das man erreichen wird trotz aller äußeren Hemmnisse. 
Vor dem Rechnungsbuch sitzend hat Speckter den alten Herrn 
dargestellt, die Linke hält die abgegrifi'ene Sammelbüchse, die 
Rechte führt den Federkiel. Die Faibenskala ist eine andere 
geworden; aus den tiefen brauneu Tönen ist Speckter zu den 
hellen blauen übergegangen, ohne deshalb kalt zu wirken. Mit 
altmeisterlicher Schlichtheit ist ein verinnerlichtes Bildnis ge- 
schafien worden. „Nirgends eine Spur von Routine, alles ist 
Problem, wie die Anordnung, die keinem Schema folgt, wie die 
Darstellung aller Details." 

Der Gang in der alten Anatomie zu Weimar (Hamburger 
Kunsthalle) zeigt Speckter frei von Weimarer Ateliertradition. 
Die vorgeschobene intensiv gelbe Wand, deren Fläche durch eine 
braune Tür rechts unterbrochen wird, während sie links gegen 
eine braune Wand stößt und die leuchtend roten Bodenüießen 
ergeben eine pikante reiche Farbenzusammenstellung. Auch die 
Spiegelung des Gelb im Rot ist gut beobachtet. Durch den 
langen Gang schreitet ein Mann in verschossener grünlicher 
Hos3 und dunklem, grünlich-bräunlichem Rock, der mit Bedacht- 
samkeit seine Pfeife ansteckt. Speckters Krankenwärter in .Jena 
war, wie aus einer Zeichnung ersichtlich, das Modell dafür. 
Speckter hat kein anderes Bild geschaffen von so starker, ge- 
schlossener Farbenwirkung. 

Auf italienischem Boden sind Hunderte von Skizzen ent- 
standen. In Bleistift, farbig angelegt, aquarelliert oder getuscht, 
sind sie der deutlichste Beweis dafür, wie sehr Speckter danach 
gestrebt hat, sich das, was er geschaut hat, zu eigen zu machen. 
Er betrachtet die Dinge in der Hauptsache vom Standpunkt der 



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dekorativen Gesamtwirkung — ein Standpunkt, der auch in den 
Briefen betont wird. Sein vorurteilsloses Werten der Dinge zeigt 
sich auch in seinen Studien. Die Primitiven neben den Cinque- 
centisten, und die Eklektiker des 17. Jahrhunderts fehlen so 
wenig wie Zeichnungen nach Tellern, Vasen, Terrakotten, Staats- 
karossen, Brunnen, Stühlen, Kapitellen, Häuserfassaden, Grab- 
steinen, antiken Statuen, ßroncetüren, pompejanischen Wänden usw. 
Zumeist hat er vor dem Original gezeichnet, aber zuweilen im 
Hause nach dem Gedächtnis; ergeben sich Abweichungen, so 
versäumt er in seiner genauen Art nicht beizufügen: „das Bild 
ganz anders". Niemals sind es kleinliche tüpfelnde Wiedergaben, 
über die in seinen Briefen scharfe Äußerungen nicht fehlen, 
immer gibt es eine malerisch großzügige Übersetzung des Ge- 
sehauten. „Speckter," schreibt mir einer seiner italienischen 
Reisegefährten (Herr Fr. von Thiersch), „schloß sich auch unserer 
Arbeit an, maß und zeichnete wie ein Architekt. Ich erinnere 
mich, daß wir in der Villa Papa Giulio zusammen arbeiteten. 
Er zeichnete ein Stück der Rückwand von der geschwungenen 
Hofhalle und setzte es sehr schön in Farbe. Dabei suchte er 
aber nicht zu restaurieren, sondern er brachte den malerischen 
Reiz des Verfalls mit zu Papier, was ich anfangs nicht begriff.'' 

Daneben entstehen die interessanteren Skizzen nach der 
Natur. Die Mühle in Nimfa, die Villa d'Eate, das trotzig am 
Berg klebende Orvieto, der Monte Cavo, das Dorf des Fra Diavolo, 
der Tiber vom Giardino des Tempio del Sole, der Klostergarten 
von S. Sabina, der deutsche Kirchhof in Rom mit ragenden Zy- 
pressen, San Miniato vom Lung' Arno Torrigiani aus gesehen, 
Sorrent, der Ponte Nomentano über den Anio, Torre d'Astura, 
der Sturm bei Nettuno usw. Das Skizzenbuch verläßt ihn weder 
beim längeren Aufenthalt in Florenz und Rom noch auf den 
kurzen Tagesaustiügen, die er so reizvoll beschreibt. Zur Land- 
schaft tritt das Volksleben, alles wird mit schnellen Strichen 
hingeschrieben, nur das Markanteste festgehalten. 

Das künstlerisch Reifste, das der italienischen Reise un- 
mittelbar sein Entstehen dankt, ist die „Italienische Landschaft^' 
fKunsthalle, Geschenk von Dr. Kellinghusen). Das Motiv ist, wie 



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aus den Zeichnungen in der Kunsthalle ersichtlich, der Gegend 
bei Nettuno entnommen. Das Bild ist wohl erst auf Hamburger 
Boden entstanden, obgleich ihm der Zauber des Geschauten, 
Erlebten eignet. Hier ist nichts von einer ängstlichen Ausführung, 
die den ursprünglichen Reiz verwischt. Hier ist ein Versuch und 
angesichts des Gelösten mehr als nur ein Versuch, der hinweist 
auf die Bestrebungen der Impressionisten, auf jene Errungen- 
schaften, die sich Thomas Herbst und Liebermann, Speckters 
Studieugenossen, damals in Paris zu eigen zu machen suchten. 
Speckter findet diese Anschauungsweise durch selbständige Beob- 
achtung der Natur. Ein Bild entsteht, indem man das Wehen 
des Windes in den bewegten Bäumen spürt, „un coin de nature 
vu ä travers un temp6rament". Aber was für Speckter nicht ein 
bewußt Erworbenes war, sondern das Geschenk einer glücklichen 
Stunde, wird wieder achtlos bei seite geworfen. Er ist diesen 
Weg nicht mehr gegangen. 

Die Kunsthalle besitzt noch ein kleines, auf Hamburger 
Boden enstandenes Ölbild: auf der Galerie des Hamburger Stadt- 
theaters. Speckter hat dasselbe Motiv in der Lessing-Zeitung (Fest- 
blatt vom 8. September 1881) als Holzschnitt veröffentlicht; es 
ist auch als Einzelblatt erschienen. Hier ist Farbe nur ein 
Sekundäres, und der Holzschnitt wirkt in seineu scharfen Gegen- 
sätzen von Hell und Dunkel fast farbiger als das Bild, dessen 
koloristischer Aul bau durch die braun-gelb-graue Holzverkleidung 
der Treppe und der Rampe bestimmt wird. Die Gestalten stehen 
wie dunkle Silhouetten gegen den hellbeschienenen Hintergrund. 
Alles folgt mit gespannter Aul'merksamkeit den Vorgängen auf 
der Bühne, nur die Habitu6s des Hauses: die Kuchenfrau, der 
Bierjunge und die Garderobiere im Vordergrunde gehen ruhig 
ihrer Beschäftigung nach. 

Tafelbilder sind nach der italienischen Reise kaum noch ent- 
standen, Speckter v^endet sich jetzt dekorativen Aufgaben zu. 
„Mein Mäzen — schreibt Speckter am 28. Juni 1878 an B>. v. 
Thiersch — , der erste, dessen ich mich rühmen darf, ist ein ehe- 
maliger Maurer (nicht Meister), spricht ein Deutsch so falsch, daß 
er's womöglich selbst kaum versteht, ist jetzt aber reicher Häuser- 



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Spekulant und läßt sich's was kosten, findet dazu meinen Kinder- 
fries ganz .,wunnerschoin un zu wunnerschoin" und will sein 
nächstes Haus vielleicht sogar außen mit Malereien bedecken. 
Solch einen Kunden lob ich mir! Der ist besser als alle reichen 
Kaufleute aus guter Familie, deren Gesellschaften mich bisher 
nur Handschuhe, Schlipse und Trinkgelder gekostet haben," 

Dies ist die erste Erwähnung des Kinderfrieses, der sich im 
dunklen Treppenhaus des Hauses Mittelweg 40 befindet und im 
Jahre 1878 vollendet wurde. Die beiden Kompositionen sind als 
Gegenstück gedacht; die rechte zeigt ein Erntebild: Kinder tum- 
meln sich bei der Arbeit, die sich unter ihren Händen zum Spiel 
wandelt. Auf der linken sind tanzende Kinder auf blumiger Wiese 
dargestellt. (Der Karton dazu befindet sich bei Frl. Dora Speckter, 
Hamburg.) Rhythmisch bewegen sich die Glieder im Takt der 
Musik. Überflüssig zu betonen, wie sehr sich diese Kinderfriese 
von den üblichen Treppenhausdekorationen unterscheiden, doch 
ist Speckter hier nicht frei von fremden Reminiszenzen. Es ist 
nicht die Szenerie allein, die auf den Süden weist. Besonders 
das Erntebild enthält Anklänge an pompejanische Motive; die 
Casa dei Vetti, an die man vorzugsweise denkt, ist aber erst fast 
20 Jahre nach Speckters Aufenthalt in Italien 1895 aufgedeckt 
worden. Der Komposition fehlt noch die straffe Gliederung, die 
Speckter späteren Darstellungen dieser Art zu geben wußte. Den 
Künstler hat seine eigne Leistung wenig befriedigt. „Meine zwei 
Kinderfriese sitzen und werden bewundert, kommen freilich nicht 
ganz zur Genüge zu sehen, aber das schadet nichts" (an seineu 
Bruder Erwin am 19. Februar 1878). 

Einige Jahre später entstehen die Kompositionen für den 
Dammtorpavillon. Der Fortschritt ist sehr groß: eine strafi"e, 
in sich geschlossene Komposition mit betontem Mittelpunkt, und 
die Art des Kindes kommt aufs glücklichste zu ihrem Recht. 
Vier Kinderfriese waren vorgesehen. Die flotten Ölskizzen bei 
Herrn Erwin Speckter gehören zum Hübschesten, das in den 
achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in dieser Art entstanden 
ist. Dem Blick des Beschauers wurden trotz der bewegten Dar- 
stellung dur^'h die straffe Gliederung bestimmte Bahnen vor- 



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geschrieben. Sitzende Profilfiguren fassen die Tanzenden in der 
Mitte ein. Ob der frische Reiz dem ausgeführten Bilde in dem 
Maße sich erhalten hätte? Jenes durchsonnte Grün, von dem sich 
die kecken Zinnoberstiefelchen des jungen Mädchens so lustig 
abheben und die warmen tiefen Rot in den flatternden Kleidern? 
Wieder schwebt Speckter wie beim Haus am Mittelweg die 
Absicht vor, das Kind bei Spiel und Tan/ und bei der Arbeit 
aufzusuchen. Auf dem einen Fries steht ein heubeladener Wagen, 
dem Ziegen vorgespannt sind. Ein kleiner Knabe spielt den 
Kutscher, Kinder kauern am Boden, hantieren mit Harke und 
Rechen, ein gröberer Knabe trägt ein Kind Huckepack. Auf 
dem nächsten Fries tummelt sich eine Gruppe von zehn Kindern. 
Sie schleppen große Bütten mit Früchten und Blumen, laden sie 
sich auf den Rücken, andre haschen springend nach einer Traube. 
Ausgeführt wurden nur die reizvollen beiden Kompositionen der 
tanzenden und musizierenden K^inder. Dreizehn Kinder musizieren 
im Freien, in den beiden rechts stehenden Knaben klingen 
Reminiszenzen an Lucca della Robbias Orgelbalustrade zu Florenz 
nach. Der bewegte Hintergrund wird durch Bäume gegliedert, 
die die Gruppen zusammenschließen. Auf dem vierten Fries be- 
wegen sich zwei tanzende Paare, die von rechts und links sit- 
zenden Gruppen zusammengehalten werden. Die Gruppierung ist 
leicht und zwanglos, die Bewegung verläuft in sanfter Kurve 
innerhalb des Bildes. Vergleicht mau diese Darstellungen mit 
den vielen Kinderbildern Anselm Feuerbachs, die im Ausgang der 
50er und Beginn der 60er Jahre entstanden sind, so wird 
man Speckters Kinderfriesen den Vorzug geben. Seine Kom- 
position ist bei aller Freiheit in der Anordnung dank dem Auf- 
und Abschwellen der Linie und dem betonten Mittelpunkt ge- 
schlossener als Feuerbachs und doch ebenso bewegt und lebendig. 
Ein Karton (bei Frau Dir. Duncker) zu der letzten Darstellung 
sowie mehrere Bleistiftstudien sind erhalten (bei Frau Dir. Duncker 
und in der Kunsthalle). Für das junge sitzende Mädchen (links 
im Fries) hat Speckter eine Reihe von Studien nach seiner 
Schwester Ida gemacht. Die Rechte greift in die Falten des 
unter der Brust gegürteten Empiregewandes, das die Gestalt 



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weich umtließt, die Linke hält Blumenzweig und Notenrolle. Das 
zierliche Köpfchen mit hängendem Zopf ist leicht gesenkt. Mit 
weichen Bleistiftstrichen sind die Rundungen umschriehen, nur 
das Notwendigste gegeben und mit großer Ökonomie der Mittel 
gearbeitet. 

An die Zeichnungen, Farbenskizzen und den Karton muß 
man sich halten, wenn man das Ganze rekonstruieren will. Die 
beiden Kinderfriese Speckters sind dem Umbau des Daramtor- 
pavillons zum Opfer gefallen, und es hat sich keine Jiand in 
Hamburg gerührt, die diese Kompositionen, die allerdings ziemlich 
beschädigt und übermalt gewesen sein sollen, gerettet hätte. 
Der Raum muß im Schmuck der Speckterschen Friese keinen 
ganz einheitlichen Eindruck gemacht haben, da eine Komposition 
von Krohn, Speckters Weimarer Studiengenossen, mit einer etwas 
pretentiösen Hammonia und eine vierte Darstellung von Duyffke 
wenig zu Speckters anspruchsloser Heiterkeit gepaßt haben. Hätte 
er die ursprünglich beabsichtigten vier Kompositionen ausgeführt, 
so hätte ein Raum, der Erholungs- und geselligen Zwecken dient, 
den angemessenen Schmuck bekommen: Darstellungen, gestellt 
auf heitren Lebensgenuß, ohne jede überHüssige allegorische oder 
patriotische Zutat. 

Der Verkauf des von Speckter sehr geliebten Vaterhauses 
in der Fuhlentwiete mag mit Schuld daran gehabt haben, daß 
die Friese später als vereinbart fertiggestellt wurden. In jenen 
Tagen, wo der Künstler von Abschiedsgedanken beschwert den 
Blick durch die altgewohnten Räume schweifen läßt, entstehen 
hübsche Zeichnungen und Aquarelle: der Ausblick auf die Veranda, 
auf den Garten, die Diele mit dem großen Schrank neben der 
Treppe, der Durchblick vom großen Zimmer in die Hinterstube, 
der Vorplatz der IL Etage usw. Die Räume sollten im Bild er- 
halten bleiben. Im letzten Augenblicke, als die Möbeltransporteure 
sich anschickten, ein Heim zu zerstören, das der Familie 22 Jahre 
gedient, zwingt es Speckter noch einmal zum Schaffen. Zwölf 
kleine Olstudien (bei Frl. Dora Speckter) entstehen, etwas dunkel 
und schwer im Ton, aber von guter Raumwirkung. Das Atelier 
mit dem hängenden grünen Rock, der Ausblick in die Stube, auf 



I 



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die Treppe, ins Freie. Unwillkürlicli rundet sich ihm die Dar- 
stellung zum gesclilossenen Bilde, so wenn er durch die geöffnete 
Tür das Stubenmädchen mit dem Besen in der Hand darstellt, 
oder die Schwester Dora, das stets bereite Modell, am Kaftee- 
tisch. Der ergreifendste Ausdruck dafür, wie schwer es ihm ge- 
fallen ist, das Fuhlentwietehaus zu verlassen, findet sich in einem 
Briefe an Storm: ,,An der Fuhlentwiete bin ich erst ein einziges 
Mal bei Nacht wieder vorbeigegangen. Es kam mir doch un- 
heimlich vor wie die Leiche eines lieben Toten, an der die Ver- 
wesung ihre Arbeit beginnt. Jetzt ist, wie ich höre, nichts mehr 
übrig, auch der alte Apfelbaum schon zerhackt. Ja, so geht's I^' 
(am 23. Juni 1880). 

Um die Wende des Jahres 1879/80 ist Speckter in an- 
gespanntester Tätigkeit, und endlich soll ihm auch die erste öffent- 
liche Anerkennung werden. Der Architektenverein schreibt eine 
Konkurrenz für den Vorhang des Stadttheaters aus; Speckters 
Entwurf wird einstimmig als der beste anerkannt. Von der ruhig 
geschlossenen Wirkung des Kartons, der auf eine dunkle Farben- 
harmonie gestimmt ist, gibt der heute stark übermalte Vorhang, 
der 1881 von Franz Gruber nach Speckters Entwurf ausgeführt 
wurde, eine schwache Vorstellung. Man muß sich schon an die 
Kartons im Gewerbemuseum und die vielen Zeichnungen im Be- 
sitze der Familie halten, um den Vorhang in seiner ursprüng- 
lichen Wirkung zu rekonstruieren. Die Musen der Musik, der 
Tragödie und des Lustspiels heben sich von einem tiefroten Hinter- 
grund ab. Ein früherer Entwurf mit Apoll und den neun Musen 
beweist, abgesehen von den stark raffaelischen Anklängen in der 
Zeichnung, wie sehr es der Entwicklung bedurfte, um zu dieser 
Einfachheit in der Komposition zu kommen. Der Vorhang ist 
als Teppich behandelt unter Berücksichtigung des Zweckes, dem 
er dient. Die Zuschauer sollen nicht durch reiche dekorative 
Pracht geblendet und abgelenkt, sondern auf die Ereignisse vor- 
bereitet werden, die sich vor ihnen auf der Bühne abspielen 
werden. Martin Gensler hat in einer sehr verständigen Kritik 
im Hamburger Korrespondenten (vom 23. Dezember 1879) hervor- 
gehoben, worin sich Speckters Entwurf von den übrigen ein- 



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gereichten unterscheidet: er ist der einzige, der den Vorhang als 
abschließenden Teppich behandelt, die übrigen weisen eine „bunt- 
farbige Anordnung" auf oder „bewegen sich... in architektonischen 
Formen, welche nicht eigentlich den Motiven zu einem Vorhang 
entnommen sind, sondern mehr oder minder ihren Ursprung als 
Plafond- oder Wanddekoration bemerkbar machen. . . . Die Farben- 
stimmung des Speckterschen Vorhanges schließt den Zuschauer- 
raum nach der Hauptseite ruhig und wirkungsvoll ab, sowie nach 
dem Aufziehen des Vorhanges die Bühne in vollem Licht er- 
scheinen wird, während ein zu heller Grundton des Vorhanges 
das Gegenteil bewirkt, indem er diesen nicht allein zu blendend 
erscheinen läßt, sondern auch die Wirkung der Bühnenbeleuchtung 
abschwächt, die unmittelbar nach dem Aufziehen des Vorhanges 
benachteiligt werden wird." 

In Speckters Freundeskreis hat die ihm endlich gezollte 
Anerkennung große Freude hervorgerufen. Storm leiht ihr be- 
redten Ausdruck: „Eins meiner besten Weihnachtsgeschenke war 
die durch Kirchner bestätigte Zeitungsnachricht, daß Sie den 
ersten Preis für die Skizze des neuen Theatervorhangs erhalten 
haben. Sie sind eigentlich ein abtrünniger Mensch, daß Sie mir 
das nicht sogleich geschrieben, da Sie meine Teilnahme an Ihrem 
Leben kennen. Nun die Hauptsache, daß Sie endlich einmal ge- 
siegt, und zwar eben auf dem Punkt, in der Art malerischer 
Konzeption, wo nach meiner Ansicht Ihre Hauptstärke, wenig- 
stens die eine liegt; denn Sie haben nach meiner Ansicht noch 
eine zweite, die Illustration von Dichtungswerken'' (aus Husum 
den 27. Dezember 1879). 

Speckter selbst hat diesen Erfolg weniger hoch veranschlagt 
als jenen andern, der ihm ungefähr um die gleiche Zeit wird: 
der Sieg in der Glasfensterkonkurrenz, die vom Verein für Kunst 
und Wissenschaft ausgeschrieben wurde. Zahlreiche Kartons sind 
erhalten, die in das allmähliche künstlerische Reifen Einsicht 
geben (in der Kunsthalle und namentlich im Gewerbemuseum). 
Der Paradiesesbaum mit weitausgreifender Krone, „das vornehmste 
Symbolum" des Vereins, bildet den Mittelpunkt der Darstellung, 
rechts und links Adam und Eva. In den Seitenflügeln: links der 



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heilige Lukas als Patron der Maler (für seinen Kopf war Valentin 
Ruths das Modell), rechts Pallas Athene. Unter diesen beiden 
Figuren, als Predelle dienend, die Namen der Stifter mit ihren 
Wappen. Unterhalb des Paradiesesbaums die Inschrift: „Bedenke, 
daß die Erkenntnis des Guten und Bösen, wenn sie auch Sünde 
uud Tod in diese Welt gebracht hat, zugleich der Anfang aller 
Tugend und Gesittung ist und jedweder Kunst und Wissenschaft 
Quelle, so wirst Du auch verstehen, weshalb dieser Paradiesesbaum, 
deß goldne Früchte schon unserer Stammutter lieblich zu essen 
dünkten, als dieses Vereins vornehmstes Symbolum hierher in 
seine Mitte gesetzt ist." — Besonders der untere Teil hat Wand- 
lungen durchgemacht, ursprünglich hatte Speckter die Absicht, 
eine lustig tafelnde Gesellschaft, die Stammgäste des Vereins, 
darzustellen. Später verzichtete er auf jede figürliche Dar- 
stellung und fand die heraldisch strenge Lösung von Schrift 
und Wappen. Der Karton ist großzügig komponiert, nur das 
Wesentliche gegeben, der dekorative Standpunkt streng ge- 
wahrt und die Technik der Glasmalerei berücksichtigt. Dieser 
Karton sollte Speckter seinen größten Erfolg außerhalb Hamburgs 
bringen: 1883 hat er ihm die goldne Medaille auf der Münchner 
Ausstellung eingetragen. Es ist für Speckters bescheiden zurück- 
haltende Art bezeichnend, daß er auch diesen Erfolg dem älteren 
Freund in Hademarschen nicht gemeldet hat. Ein Zufall bringt 
die Nachricht ins stille Dichterhaus: ,,Dr. Pollaisch, der augen- 
blicklich seinen Ferieuanfang bei uns genießt, brachte die Nach- 
richt von der Prämiierung Ihres Fensterkartons in München; Sie 
wissen es zwar, aber ich muß es Ihnen doch auch sagen, wie 
wir uns alle darüber gefreut haben. Ein kleiner, selbstsüchtiger 
Triumph ist für mich auch noch dabei, da, wie Sie wissen, ich 
das Fenster schon längst prämiiert hatte. Also frisch auf! Ich 
freue mich schon aufs zweite" (Storm an Speckter am 17. August 
1883 aus Hademarschen). 

Das zweite Fenster, auf das Storm sich freut, sollte nicht 
mehr werden. Zeichnungen dazu befinden sich im Besitz der 
Familie. Die Musik, auf ihrem Thron sitzend, von spielenden 
Amoretten umgeben, sollte dargestellt werden. Die erste An- 



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reguug mögen Pinturicchios Fresken im Appartameuto Borgia zu 
Rom (Saal der sieben freien Künste) gegeben haben. Auch dort 
sitzen thronende Frauengestalten, die Musica, Rhetorica, Arith- 
metica usw. von Putten umspielt, zu ihren Füßen scharen sich 
ihre Anhänger, in etwas allgemeiner Jugendschöne. Von diesem 
Schema entfernt sich Speckter immer mehr, die Komposition wird 
llüssiger, der dreiteilige Entwurf, der durch die Fenstergliederung 
bedingt war, wird zur einheitlichen Szene, die Kinder schließen 
sich immer enger an die Hauptfigur, eine Balustrade gibt den 
bewegten Gestalten einen ruhigen Hintergrund. Vier Entwürfe 
für das Musikfenster sind vorhanden, eine großflächige Kom- 
position entstand, die auf die Erfordernisse der Technik Rück- 
sicht nimmt, das Dekorative betont und das Fenster nicht zum 
Bilde wandelt. 

Einen weiteren Entwurf humoristischen Charakters besitzt 
das Gewerbemuseum. Es trägt den Bleistiftvermerk: „Für das 
dritte Fenster des Vereins für Kunst und Wissenschaft. Die 
heihgeu Patrone, welchen dort gehuldigt wird: Frau Fortuna, 
(Kaufleute) Vater Noah und der heilige Tobak. Mai 1880." Die 
J.Patrone" sind über die Fensterfläche verteilt. 

Speckters ausgeführtes Fenster im Patriotischen Gebäude war 
nicht sein erster Entwurf für Glasmalerei. Brinckmann erwähnt 
ein „im Auftrage des Senats von Hamburg nach Lerwick gestiftetes 
kleines Wappeufenster", doch haben sich Zeichnungen dafür nicht 
erhalten. 

Die letzte größere Arbeit, die Speckter beschäftigt (1884), 
sind die sieben Werke der Barmherzigkeit in der Aula des Rauhen 
Hauses zu Hörn bei Hambarg. Speckter war an Cornelius' Kom- 
positionen, dessen Kartons zu den Predellenbildem für den Campo 
Santo in Berlin, gebunden. Cornelius hat in vier Sockelbildern 
neun Werke der Barmherzigkeit dargestellt: 
I. Gefangene besuchen, . 

Traurige trösten, i 1847. 

Verirrten den Weg weisen ' 
IL Hungrige speisen, 1 ^^^^ 
Durstige tränken j 



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III. Nackte bekleiden, , 



Gäste beherbergen 



} 



IV. Kranke besuchen, 1 ^g^jQ/g^ 
Tote begraben j 
Speckter hat die vorhandene Vorlage ganz frei benutzt, die 
Aufeinanderfolge der Gruppen geändert und sich mit Cornelius' 
akademischen Gestalten sehr gut abzufinden gewußt, indem er 
für alle Figuren, selbst für das Beiwerk unabhängig vom Vor- 
bild Studien nach der Natur gemacht hat. Es wurden nur sieben 
Werke der Barmherzigkeit dargestellt: Traurige trösten und Gäste 
beherbergen fallen aus. Die Reihenfolge der Szenen wird bei 
Speckter eine andere, schon das bedingt ein neues Verhältnis der 
Gruppen zueinander. Nur der eine Fries, über dem Haupteingang, 
wurde von Speckter selbst gemalt, der andere, an der gegenüber- 
liegenden Wand, ist von fremder Hand nach Speckters Zeichnung 
ausgeführt und bildet in seiner kalten Farbengebung, in seinem 
trüben Braun und Blau, im nüchtern akademischen Charakter 
der Figuren die wirksamste Folie für Speckters Komposition. 
Die Figuren sind etwa in halber Lebensgröße. Der von Speckter 
gewählte Fries faßt vier Momente zusammen und setzt ein mit 
dem Besuch der Gefangenen. Es ist die akademischste unter 
den Darstellungen, die sich am engsten an das Vorbild anschließt. 
Dieser Szene folgt die Speisung der Hungrigen, daran schließt 
sich die Tränkung der Durstigen und die Kleidung der Be- 
dürftigen. An Stelle des unerträglichen Schematismus des Vor- 
bildes setzt Beobachtung ein, und selbst jene Gestalten, die wört- 
lich von Cornelius übernommen werden und ihre Abstammung 
von der italienischen Renaissance nicht verleugnen, sind gefühlter, 
lebendiger in ihren Bewegungen. Auch der Hintergrund — die 
Bäume, das klassizistische Motiv des dazwischen gespannten Tuches 
— dient trotz aller Annäherung an das Vorbild in ganz anderm 
Maße, zur rhythmischen Gliederung des Ganzen, zur Heraushebung 
der besonders betonten Gruppen. Daß Speckter, wenn seine 
Phantasie nicht durch das Vorbild gebunden worden wäre, etwas 
viel Besseres hätte gestalten können, unterliegt keinem Zweifel. 
Die Arbeit war dazu angetan, seine Schaffensfreudigkeit zu lähmen. 

ScUapire, Hans Speckters Briefe. 4 



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Er hat sich erstaunlich gut damit abzufinden gewußt. Der Fries 
ist gut erhalten. In E'arbe hat sich Speckter viel Beschränkung 
auferlegt und helle gebrochene Töne bevorzugt: ein bläuliches 
Rosa wird in ein bräunliches Rot, ein mattes Faulgrüu in ein 
oiives Graugrün abgewandelt. Nirgends ein kräftiger, leuchtend- 
farbiger Akzent — doch hätte er zu diesen feierlich getragenen 
Szenen und zum gedämpften Charakter der Bewegungen wenig 
gestimmt. 

Die zu diesem Fries erhaltenen Zeichnungen (in der Kunst- 
halle und im Besitz der Familie) zeigen Speckter auf seiner Höhe. 
Handstudien und Kinderzeichnungen darunter sind von ergreifender 
Schönheit. Der Bleistift gehorcht den Intentionen des Schaffenden, 
gleitet in weichen Rundungen über das Papier, umschreibt eine 
Bewegung, die Verschiebungen im Faltenwurf mit wenigen sichern 
Strichen. Keine sieben Jahre liegen zwischen diesen Studien und 
jenen die in Willingshausen und auf italienischem Boden geworden 
sind. Sie begreifen die Entwicklung des Künstlers. Die Zeich- 
nungen aus Willingshausen sind sorgfältig schraffiert, zuweilen 
ängstlich, Rundungen werden durch viele nebeneinander gesetzte 
Striche erzeugt. In den 80 er Jahren ist Speckter freier und 
zugleich sparsamer in seinen Mitteln. Seine Hand ist leichter 
geworden, er zeichnet sicher, mit wenig Strichen und großer Aus- 
druckskraft, Schraffierungen fallen als etwas Überflüssiges fort, 
Rundungen werden erreicht, die straffer und körperlicher zugleich 
sind. Mit einem Nichts wird ein Kontur heruntergezogen und ist 
voll Leben und Geist. Aus einem Suchenden, der sich schon den 
Dingen nähert, ist ein Reifer geworden, der vom „Objekt das 
Gesetz empfängt*'. 

Diese letzten Zeichen von Speckters Schaffen erfüllen mit 
tiefer Wehmut. Was geworden ist, entstand unter innern 
Kämpfen, in seelischer und geistiger Depression. Hier war ein 
Ringender, der die Energie und Konzentration nicht hatte, um 
auf ein Ziel loszusteuern, den es immer wieder lockt, seine Gaben 
in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen, Kultur zu fördern in 
der geliebten Heimatstadt. Nur ein Geringes au Teilnahme, an 
Förderung, an Anerkennung und ein zehrendes inneres Leiden 



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hätte vielleicht eine größere äußere Widerstandskraft gefunden. 
Keine Eroberernatur und keiner der ganz Großen, aber ein ehr- 
lich Kämpfender — doch wann hätte die Mitwelt je Teilnahme, 
Verständnis, Förderung gehabt für ein stilles, reines Streben, das 
nicht nach dem schnellen Augenblickserfolge hascht? Mit Haus 
Speckter ist einer jener Idealisten untergegangen, denen das Er- 
reichte nie genügt, weil sie selbst am stärksten fühlen, wie weit 
es hinter dem Angestrebten zurückbleibt, wie wenig Wille und 
Tat sich decken. 

Zum Maler gesellt sich der Schriftsteller und Rezensent. Wie 
lebendig er zu schildern weiß, wie weit sein Gesichtskreis ist, 
beweisen seine Italienbriefe. — Seit seiner Rückkehr aus dem 
Süden ist Speckter ständiger Referent des Hamburgischen Korre- 
spondenten über Hamburger Kunstausstellungen gewesen. Er 
sucht tunlichst allen Richtungen und Erscheinungen gerecht zu 
werden und zeigt sich in seinem Urteil über Historienbilder wie 
Franz Adams „Vernichtung der französischen Kavallerie bei 
Sedan'' oder Andreas Achenbachs „Sonnenuntergang" (Korresp. 
16. November 1877) zeitlich befangen. Aber er wird zu gleicher 
Zeit, und darin mag sich die feine Sammlerkultur des Speckterschen 
Hauses bekunden, Chodowiecki gerecht (Korresp. 30. November 
1877), feiert Menzels Holzschnitte (Korresp. 9. Dezember 1877) 
und die Reize des Paysage intime, die ein Theodore Rousseau 
und ein Jules Duprö pflegen. Für Fragen des Kunstgewerbes, 
das im Kampf gegen Gotik und Renaissance sich zu regen be- 
ginnt, hat er feines^ vorahnendes Verständnis. 

Über die Hamburger Maler: Hermann Steinfurth (Korresp. 
21. März, 24. März und 28. März 1880), Christian Morgenstern 
(Korresp. 29. April 1881) und Martin Gensler (Korresp. 14. März 
1882) hat Speckter eingehend geschrieben. Diese Arbeiten, unter 
denen namentlich der Artikel über Gensler über die Grenzen der 
üblichen Feuilletonistik hinausgeht, beweisen, welche Fülle von 
Kenntnissen über Hamburgs Vergangenheit Speckter besessen hat. 
Er war eifriges Mitglied aller künstlerischen Vereinigungen in 
Hamburg und hat 1883 im Hamburger Gewerbe verein einen be- 
merkenswerten Vortrag über „Heraldik und Schutzmarke" ge- 



— 52 — 

halten, der auch als Broschüre erschienen ist. Seine Ausführungen 
gipfeln darin, die Freude am Wappen ins moderne Leben zu über- 
tragen und Schutz- und Handelsmarken heraldisch auszugestalten. 

Ein Jahr darauf gewinnt sein Plan, die Gründung eines 
Museums für Hamburgische Geschichte, greifbare Form, und 
Speckter hat seine ganze Kraft für die Realisierung dieses Pro- 
jekts eingesetzt. Im Verein für Hamburgische Geschichte, im 
Architekten- und Ingenieurverein hat er Vorträge über die 
Museumsgründung gehalten und seine Pläne in einer kleinen Schrift 
auseinandergesetzt. Speckter hat sein ganzes Wollen und seine 
ganze Kraft für diese Museumsgründung eingesetzt; der Sinn für 
die eigne Geschichte, der Wunsch aus der Vergangenheit zu be- 
wahren, zu retten, was noch zu retten war, war noch nicht er- 
wacht. An der Indolenz der Bevölkerung scheiterte das Unter- 
nehmen. 

Übersieht mau die Früchte von Speckters 40 jährigem Leben, 
so mögen sie dem gering erscheinen, der nur die greifbaren Resul- 
tate achtet. Nicht von Speckter dem Künstler soll die Rede sein, 
nur darauf hingewiesen werden, was ihm Hamburg an Kulturtaten 
zu danken hat. Die Gründung des Museums für Hamburgische 
Geschichte, für die er so selbstlos eingetreten ist, hat er nicht 
selbst erlebt, aber was heute im Ausbauen begriffen ist, geht auf seine 
Gedanken und Anregungen zurück. Von Speckter stammt die 
Anregung, die Bilder Hamburger Maler zu sammeln, an ihren 
Werken in der Kunsthalle die Entwicklung Hamburgischer Malerei 
zu zeigen. Was Lichtwark ausgeführt hat, und was den Stolz 
der Hamburger Kunsthalle ausmacht, ist von jemand formuliert 
worden, dem es nicht gegönnt war, die Früchte seines Tuns zu 
ernten. — Keimkräftige Gedanken gedacht zu haben, die sich 
erst Jahrzehnte später verwirklichen — ist das so wenig? 

Speckter weiß Martin Gensler nicht besser zu ehren, denn 
mit nachstehenden Worten: ,,Es sind nicht immer des Tages ge- 
feierte Größen, welchen der wahre Fortschritt der Menschheit 
verdankt wird, sondern viel mehr oft die anspruchslos tüchtigen 
Männer, die, auf den Ruhm ihres Namens wenig bedacht, sich 
nur als ein Glied in der großen Kette fühlen, und in dem Bewußt- 



— Os- 
sein innerer geistiger Übereinstimmung mit den Besten der Ver- 
gangenheit, und im Blick auf die Zukunft, ihr Glück und ihre 
Befriedigung tinden." 

Diese Worte gelten in vollstem Umfang für Speckter selbst. 



Speckters Italienbriefe waren nur für die Familie bestimmt. 
Jeder Gedanke an einen weiteren Kreis, geschweige denn an eine 
Veröfi'entlichung lag ihm fern. Was er in Italien geschaut und 
mit lebendigen Sinnen aufgenommen hatte, wollte er aufzeichnen, 
um seine Angehörigen teilhaben zu lassen an seinen Erlebnissen. 
Auch sollten die Briefe in spätem Jahren dienen, seinem Ge- 
dächtnis verblaßte Bilder wieder wachzurufen. Und doch sind 
die Aufzeichnungen ohne feste Absicht, ohne Plan und System 
gemacht. Sie sind bedingt durch Gunst und Ungunst der Stunde. 
Geschrieben unmittelbar unter dem Eindruck des Erlebnisses 
oder nach Wochen knapp registrierend und zusammenfassend unter 
Zuhilfenahme von ßurckhardts „Cicerone", der Speckter ein treuer 
Begleiter in Italien war, wie frühern Generationen, Goethe z. B. 
Volkmann. 

Ausführliche Schilderung der kleinen so reizvollen Städte in 
Umbrien und der Toskana, Perugia, Assisi, Siena, Arezzo, Cortona, 
Orvieto wechseln mit trockeneren Aufzeichnungen der Kunst- 
schätze von Florenz, Rom, Neapel. Eingestreut sind Natur- 
schilderungen, ausführliche Beschreibungen der Ausflüge nach 
Albano, an den Nemisee, nach Frascati, Tivoli, Camaldoli und 
Capri. Namentlich die letzte ist für Speckters zwanglose Art be- 
zöichuend. Wochen liegen zwischen dem Ausäug und seiner 
Schilderung. Platensche Verse rufen ihm jene Tage wach. Er 
setzt mit behaglich epischer Breite ein, bricht ab, um den Faden 
nach Wochen wieder aufzunehmen, als ihn ein Name, den er zu- 
fällig gelesen, an eine Reisebekanntschaft auf Capri erinnert. 
Und nun schildert er so anschaulich, als wenn die Begebenheiten 
sich eben jetzt abgespielt hätten und nicht durch so viel neue 
Eindrücke verdrängt wären. So sehr bemächtigt sich die Er- 



— 54 — 

inneruüg seiner, daß die Vesuvbesteigung unmittelbar dem Aus- 
äug nach Capri angeschlossen wird. Dabei sieht er die Natur 
verhältnismäßig farblos. Die weichen silbrigen Grau überwiegen 
in seinen Naturschilderungen. Man vergleiche das etwa mit 
der orangefarbenen Glut, die Gauguin auf Tahiti geschaut, 
dem „Sonnigen, Verbrannten, Versengten", dem „leuchtenden 
Schatten wie altes Gold", dem „blauen Erdboden beim blassen 
Sonnenuntergang'', die in van Goghs erregten Briefen durch- 
blitzen, und man kann aus den Naturschilderungen aUein folgern, 
daß die Farbe das Sekundäre für Speckter ist. Prellers heroische 
Landschaften, Oswald Achenbachs Sonnenuntergänge, Böcklins 
Villa am Meer findet er in Italien wieder, das verwandte Bild 
drängt sich ihm in der Natur entgegen — kommen wir heute 
nach Italien, so entdecken wir eine Landschaft, die in ihrer über- 
wältigenden Größe, ihrer Geschlossenheit, ihrem heroischen Stil 
sich keinem dieser Künstler offenbart hat. Feuerbach ist in 
einigen Bildern aus der Campagna der feierlich strengen Einsam- 
keit dieser Landschaft nahe gekommen — aber hier liegen noch 
ungehobene Schätze. 

Zu den Naturschilderungen gesellt sich das Volksleben. Speckter 
empfindet wie jeder, der vorurteilslos nach Italien kommt, den 
wundervollen Zauber dieses Volkes, seine Ursprünglichkeit, seine 
Intelligenz, seinen Takt, aus dem die alte Kultur des Landes 
spricht. Und er empfindet auch, wie sehr die guten Eigenschaften 
der untern Volksklassen dem Mittelstand abhanden gekommen 
sind. Er hat fleißig beobachtet, das Militär so gut wie den 
Klerus, und Schilderungen kirchlicher Zeremonien stehen neben 
dem Palio in Siena und dem römischen Karneval. Das blank- 
geputzte Messinggeschirr in Neapel, die lustig arrangierten Laden- 
fenster in Tivoli — nichts von den kleinen Dingen ist ihm ent- 
gangen. 

Von München aus beginnen Speckters Reiseberichte. Sie 
setzen mit einer Schilderung der Kunstzustände Münchens in den 
70 er Jahren ein. Dieser Auftakt sollte den Briefen aus Italien 
nicht fehlen, da Speckter immer wieder anknüpft an die zeit- 
genössische deutsche Kunst. Er ist als schaffender Zeitgenosse 



— 55 — 

erstaunlich vorurteilsfrei, ganz gleich, ob man sich hält an sein 
absprechendes Urteil über Piloty, Piglhein, Makart, dessen male- 
rische Qualitäten er schätzt, oder an seine Anerkennung Thomas 
und die restlose Bewunderung Böcklins, die freilich in Florenz 
bei seinem Besuch von Böcklins Atelier ins Gegenteil um- 
schlägt. „Der Mann ist fertig," so nimmt Speckter 1877 ein 
Urteil vorweg, zu dem Meier-Graefe etwa 30 Jahre später kommen 
sollte. Um so bedauerlicher ist es, daß Speckter das bedeutendste 
neuere deutsche Werk auf italienischem Boden: Hans von Maries 
Fresken in der zoologischen Station zu Neapel nicht erwähnt. 
Sie sind um 1874 entstanden, da Speckter das zoologische Museum 
eingehend besichtigt hat, einen der dort tätigen deutscheu Herrn 
kennt, ist es wenig wahrscheinlich, daß er die Fresken überhaupt nicht 
gesehen hat, und doch ist es bei seinem starken Interesse an der 
dekorativen Ausschmückung eines Raumes noch unwahrschein- 
licher, daß er sie gesehen und nicht erwähnt hat. Jedenfalls 
fehlt Mar6es Namen. Es ist nicht die einzige Lücke: der avisierte 
ausführliche Bericht über Michelangelos Plastik, die sixtinische 
Kapelle, die Stanzen fehlt und wurde nie geschrieben; Piero della 
Francescas Fresken in Arezzo sind nicht erwähnt, während Vasaris 
Haus ausführlich beschrieben ist; von Jacopo della Quercia ist 
nicht die Rede, obgleich Speckter in Lucca und Bologna war 
und in San Petronio zu Bologna sogar die modernen Glasfenster 
eingehend besichtigt hat; auch Mantegnas Fresken in Mantua 
hat er nicht gesehen. Was Speckter beabsichtigt, ist eben nicht 
eine lückenlose offizielle Berichterstattung, der nichts Wesentliches 
entgeht; dieses vom Zweck Befreite gibt seinen Briefen den Reiz 
des Unmittelbaren, Erlebten, Zwanglosen. 

Speckters Weg führt über Trient und Verona nach Modena, 
Bologna und Florenz. Hier wird die erste längere Rast gemacht. 
Von Florenz aus geht er über Cortona, Arezzo, Perugia und Assisi 
nach Rom. In Rom hatte Speckter zweimal einen längern 
Aufenthalt und hat von dort aus viele Ausflüge in die Campagna 
und au die See gemacht. Neapel, Capri und Pompeji sind die 
südlichsten Punkte, die Speckter erreicht hat. Über Orvieto und 
Siena geht er nach Florenz zurück, und jetzt erst offenbart ihm 



— 56 — 

diese unvergleichliche Stadt ihren ganzen Zauber. Jetzt erst, 
nachdem er so viel gesehen, hat er den Maßstab für das Boden- 
gevs^achsene, Ursprüngliche der Florentiner Kunst, für den hohen 
Reiz dieser Stadt. Von Florenz aus werden Lucca, Pisa, Pistoja 
besucht, dann geht es heimwärts über Venedig. 

Speckter ist mit offenen Sinnen nach Italien gegangen. Er 
hat die vibrierenden Nerven und die fein empfindenden Organe 
des Künstlers; daneben eignet ihm eine Kultur, die jenen mühelos 
in den Schoß fällt, die aufgewachsen sind in einem von künst- 
lerischer Tradition getränkten Milieu. Wohl hat er Geschichts- 
studien gemacht, ist mit dem „Cicerone" beschwert, den er eifrig 
zu Rate zieht, hat Ruskin gelesen, der in den 70 er Jahren wohl 
den meisten Deutschen unbekannt war, ist in der klassischen 
Literatur wohl bewandert, und sein Wissen geht, wenn man nicht 
den Maßstab der Fachgelehrten anlegt, über den Umkreis des 
gebildeten Dilettanten, nicht nur der 70 er Jahre, hinaus. Aber 
alles bloß Grelernte fällt von ihm ab, wenn er vor das Kunstwerk 
tritt, daher das Vorurteilslose seiner Wertungen. Da gebraucht 
er seine guten Maleraugen, und darum kommt er zu Resultaten, 
die überraschend sind für seine Zeit. Er nimmt Urteile vorweg, 
zu denen die kunsthistorische Forschung erst sehr viel später ge- 
kommen ist. Er sieht Dinge, an denen nicht nur die große Masse 
blind vorübergeht. Und da ihm Kunst, auch die Jahrhunderte 
alte, ein Lebendiges ist, scheut er vor Vergleichen mit der 
modernsten Moderne nicht zurück, ist voller Bewunderung für die 
von ihm entdeckten Schönheiten, auch wenn ihnen die offizielle 
Approbation fehlt. Auf klassischem Boden wird er Deutschland 
nicht untreu; erfüllt von der Schönheit der geliebten Vaterstadt, 
wird sie ihm zwar nicht zum Wertmesser für das, was er unter 
italienischem Himmel gesehen, aber gern benutzt er sie als Ver- 
gleich, um seine Schilderungen zu verlebendigen, sie aus einer 
unklaren nebligen Ferne, in eine vorstellbare, greifbare Nähe zu 
bringen. 

Mantuas malerisch dunstige Atmosphäre zaubert ihm Thomas 
Herbsts Bilder vor die Seele; Bolognas Arkadengänge erinnern 
ihn an die Kolonnaden in Hamburg, er erwähnt das Projekt, die 



I 



— 57 — 

Alsterarkaden bis zur Elbe zu fübreu und hat das Verlangen, 
Bolognas großzügige Backsteinarchitektur für Norddeutschland zu 
nützen. Der violette Nebeldunst, der die alte Universitätsstadt 
einhüllt, erinnert ihn an die Heimat. Der Schnee tropft in Rom 
im hellen Sonnenschein so lustig von den Dächern wie „in Papas 
einem Quickborninitial^'. Die kirchlichen Feste in S. Peter mahnen 
ihn an die weihevolleren Zeremonien in der Münchner Frauen- 
kirche, und bei Hadrians in Tivoli aufgespeicherten Schätzen 
denkt er des modernen Mäcens, der unserer Zeit so not tut und 
nicht gerade auf dem Thron seinen Platz haben müßte. Die pon- 
tinischen Sümpfe vergleicht er der heimatlichen Marsch, und im 
Volskergebirge denkt er an Tirol und Lessings Harz- und Rhön- 
landschaften. Gaeta wirkt fast unwirklich auf ihn, wie eine „traum- 
haft romantische Theaterdekoration", und an der See zieht ihm 
die Odyssee beglückend durch die Seele. Die Anlagen in Caserta 
können dem Vergleich mit Nymphenburg und Wilhelmshöhe nicht 
Stand halten; die Statuen an der Chiaja in Neapel erregen ihm 
den Wunsch nach gleichen Anlagen an Elbe und Alster, und der 
Robbia-Fries in Pistoja das Verlangen glasierte Kacheln für die 
Außenarchitektur unserer Zeit zu nützen — ein Wunsch, der 
heute erfüllt ist. Treu geleiten ihn die Geister der Heimat in 
Italien; seine Lektüre bilden neben der einschlägigen Literatur 
Perthes und Runges Schriften. Wenn er Neapel unter den 
italienischen Städten, die er gesehen, den Schönheitspreis erteilen 
möchte, so rangiert doch für ihn, den Hanseaten, Hamburg un- 
mittelbar dahinter. So ist nichts für ihn ein Losgelöstes, Ein- 
zelnes; er sieht Zusammenhänge zwischen Süden und Norden, 
zwischen alter und neuer Kunst. Giulio Romanos Zeichnung in 
Villa Albano ist „naiv wie Schwind und Ludwig Richter", und 
in den Robbiafriesen findet er das heitere Element, das ihn bei 
Schwind beglückt. 

Nirgends ein Gesuchtes, Gewolltes, ein sich Höherschrauben; 
zuweilen blickt fast eine gewisse norddeutsche Nüchternheit durch, 
eine Angst, sich von den Dingen überrumpeln zu lassen. „Nüch- 
terne Reisebriefe aus Italien" schlug ihm eine Münchner Freundin 
als Titel für seine Briefe vor, die entsetzt war über die ruhige, 



— 58 — 

sachliche Gelassenheit, mit der er sich ohne viel Ahes und Ohs 
zu dieser Reise anschickte. Er selbst äußert sich einmal über 
seine Berichte: „Ich schreibe wie ich denke und fühle. Meine 
Phantasie ist nicht weit her, aber war denn nicht Onkel Erwins 
bisweilen etwas krampfhaft? Mir erscheint sie so. Das ist gewiß 
kein Vorwurf gegen ihn, denn wer wäre nicht ein Kind seiner 
Zeit? Unsere Zeit dagegen — von der hohlen Phrasenhaftigkeit 
der Schriftsteller dritten bis siebenten Ranges abgesehen — liebt 
es kühler zu erscheinen, als sie ist, um nur ja nicht unwahr und 
gemacht zu wirken; wenigstens tun es die Schriftsteller, die ich 
am meisten liebe, obenan die englischen und norwegischen. Und 
wie schlicht sagt Goethe: , 

„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn. 
Im dunklen Laub die Goldorangen glühn'*, 
und schöner hat doch niemand Italien gemalt, auch Onkel Erwin 
nicht mit seinen beständigen „Plammenküssen der Sonne" usw. 
Wohl ist das nicht nur geistreich und phantastisch, sondern 
auch mit eigner, wahrer Empfindung gedacht, die man bisweilen 
sehr wohl nachfühlen kann, aber mustergültig ist's doch gewiß 
nicht." 

Und trotz, und vielleicht gerade wegen dieser Verhaltenheit, 
fühlt man Speckters innere Wärme und Begeisterung bei den 
wirklich großen Dingen. 

Speckter hat Sinn für Giottos Monumentalität und schlichte 
Größe, für seine Fähigkeit nur das Wesentliche herauszugreifen 
und verschließt sich dem hohen Reiz des erzählenden, amüsanten 
Quattrocento nicht, für das alles nur Vorwand für Bewegung 
ist. Im Fresko sieht er das Bild nicht als ein Einzelnes, Los- 
gelöstes, sondern betont den dekorativon Zusammenhang, das 
Verhältnis der Figuren zum Raum, zur architektonischen und 
ornamentalen Umrahmung. Darin liegt Raffaels Größe. Nicht in 
seinen Madonnen, und die Farben der Cecilia in Bologna können 
dem vorurteilslosen Blick des Malers natürlich nicht standhalten, 
aber „wie Raffael durch eine große, leere, perspektivisch sich ver- 
kürzende Bodenfläche seine großen figurenreichen Bilder räumlich 
zu machen weiß", das nötigt ihm den unbedingten Respekt und die 



— 59 — 

unbediogte Bewunderung ab. — Wer hat denn solche Dinge, die 
so modern klingen, in den 70 er Jahren gesehen? Die Wissen- 
schaftler und Forscher gewiß nicht, und wieder liegt es an 
diesem vorurteilslosen Betrachten der Kunstwerke, daß er den 
malerischen Reiz der Barockskulptur erkennt und darüber klagt, 
daß diese Epoche in Bausch und Bogen abgetan wird. Er geht 
nicht mit vorgefaßten Meinungen und einem ästhetischen System 
an die Dinge heran, sondern sucht in ihr Wesen einzudringen. 

Jede Zeit sucht sich selbst in der Vergangenheit und spürt 
unbewußt in den Kunstwerken vergangener Epochen jene Ten- 
denzen auf, die sie bestärken in ihrem eignen Ringen und ihrem 
oft noch latenten Wollen. Darum ist auch das Werturteil über 
Werke, von denen uns Jahrhunderte trennen, kein festes, son- 
dern beständigen Schwankungen unterworfen. Die Historie läßt 
im Stich, wenn es gilt, den lebendigen Gehalt eines Kunstwerks 
zu erfassen; sein Geheimnis offenbart es nur nach Maßgabe 
dessen, was ihm der Beschauer entgegenbringt. Das gilt auch 
dann, wenn man im Kunstwerke nicht sucht nach Willkür und 
überhitzter Phantasie, sondern nach Gesetzmäßigkeit, es nicht 
betrachtet als ein bedingungslos Gewordenes, sondern es zeitlich 
einzureihen und zu begreifen sucht aus dem Geist seiner Epoche. 
Die Dinge behalten ihre Größe, auch dann, wenn die Menschen 
achtlos oder nichtachtend an ihnen vorübergehen, aber es kann 
Jahrhunderte dauern bis die Seelen wiederkommen, die auf ihren 
Ton gestimmt sind, die Schönheit der Dinge erkennen, genießen, 
verkünden. 

Die Geschichte des Sehens, die zu den interessantesten 
psychologischen Schlüssen Anlaß gäbe, ist noch nicht geschrieben, 
so wenig wie jene andere, mit ihr in Zusammenhang stehende- 
wie spiegelt sich Italien im Laufe der Jahrhunderte in den Augen 
seiner Betrachter? Von Winckelmann und Goethe bis zu Hans 
Speckter ist der Weg ein weiter. Er führt von einer Epoche, 
die auf italienischem Boden das klassische Altertum allein ge- 
sucht und gefunden, zu jener anderen, die in gefühlsmäßiger 
Ekstase in der vorraifaelischen Periode geschwelgt hat. Die Briefe 
der Nazarener, namentlich auch jene Erv;in Speckters, die Hans, 



— 60 — 

der Neffe, so häufig zitiert und heranzieht, geben nur selten eine 
sachliche Schilderung des Geschauten. Sie bleiben stecken in 
nebelhaft romantischen Betrachtungen, aus denen höchstens er- 
sichtlich ist, wie das Kunstwerk auf den Betrachtenden gefühls- 
mäßiggewirkt hat. — Wenn in den 50er Jahren abermals deutsche 
Maler über die Alpen ziehen, Feuerbach und Hans von Maries, 
so suchen sie nach den ihnen verwandten Erscheinungen und 
finden sie bei den Venezianern und der Kunst der Hochrenais- 
sance. Sie befragen die Dinge nach dem, was sie ihnen nützen 
und bringen ihnen nur selten das „interesselose Wohlgefallen" 
entgegen. 

Darin unterscheidet sich Hans Speckter, der den Dingen 
gerecht zu werden sucht, ohne zu fragen, wie sie ihn fördern, von 
seinen Vorgängern. Aber nicht darin allein. Hat Schnorr 
von Carolsfeld das Verlangen, die „Italiener zum Tempel hinaus- 
zujagen", fühlt er, der Künstler, sich als rechtmäßiger Besitzer 
des italienischen Bodens; „das eigentliche, wahre Rom gehört 
doch zu uns", empfindet Feuerbach trotz aller Klagen Rom „als 
seinen Boden", so ist Speckter sich des Vorübergehenden seines 
Aufenthalts wohl bewußt. Er ist der Moderne, für den der 
Süden und das klassische Land nur die Zwischenstation sind, 
der der nordischen Natur und der nordischen Menschen, mit 
denen er verwachsen ist, bedarf zum Schaffen. Wie Goethe 
drängt es ihm, seinen Fasanenkahn an der heimatlichen Küste 
zu landen, um dort zu nützen, zu wirken. 



München, 30. Oktober 1876. 
Montag Abend. 

Lieber Onkel Heinrich! 

Ich habe fast eine Woche verstreichen lassen, bis ich Deinen 
Brief beantworte! Ich wollte aber nicht eher schreiben als mit 
der Hinzufügung, daß ich jetzt am letzten Blatt arbeite. Das 
kann ich heute. Soeben ist der vorletzte Holzstock abgeschickt 
und wird morgen früh in Hamm sein . . . 

Florenz bleibt doch einmal die Hauptsache; und obendrein 
für mich, dem dort für die kalten Abende ein behagliches deutsch- 
englisches Zimmer winkt, ist es ja doch ohne Frage das Ver- 
nünftigste, dort mein Hauptquartier aufzuschlagen . . . Erst jetzt 
habe ich wirklich rechte Sehnsucht dorthin. 

Bis dahin nahm mich die Arbeit und die Freude an ihr 
(namentlich da die Holzschnitte teilweise so sehr gut geworden 
sind) noch zu sehr in Anspruch. Weniger das hiesige Künstler- 
leben, welches mir ebensowenig gefällt wie damals; von dem 
,, frischen Hauch" desselben spüre ich herzlich wenig. Petersen, 
dessen ernstes Streben ich so hoch schätze, ist meist ganz für 
sich, läßt sich Abends nirgends blicken, wenigstens nicht unter 
den Deutschen, da beide Vereine: die „Allotria" und die 
„Künstlergeuossenschaft" ihm nicht behagen. Und ich kann es 
ihm nicht verdenken. Letztere ist der Versammlungsort von 
meist älteren Herren, unter denen, da sie zum Teil auf einigen 
nicht ganz unverdienten Lorbeeren ruhen, nicht viel frischer 
Hauch zu spüren ist. Anregende Naturen wie Asher oder 
Günther Geusler habe ich noch nicht darunter gefunden. Die 
Allotria nennt diese Gesellschaft nur das Spital. Ich war erst 



— 62 — 

zweimal dort. Schöuleber pflegt dort zu verkehren, den ich in 
seiner stillen Weise ebenso gern habe wie damals in Hamburg 
Nonnenkamp, Schlesinger usw. sind ebenfalls dort vorhanden. 
Die Allotria vertritt das moderne lebendige Element hier. Von 
ihr pflegen die prächtigen Kostümfeste auszugehen, ihr gehören 
die zum Teil ja wirklich genialen .,Jungmünchner" an: Gedon, 
Diez. Seitz, Lenbach usw. Da pflegen auch Piglhein und Neubert 
zu verkehren ... So arg wie ichs erwartete, habe ich das nun 
freilich nicht gefunden, aber recht lustig und witzig auch keines- 
wegs. Die Gesellschaft unterscheidet sich in nichts von der des 
Weimarischen Künstlervereins, als das dort in Weimar an einem 
Tisch mehr wirkliche Bildung und am andern mehr ürwüchsig- 
keit herrschte als hier. So'n gesunder Kerl, als Mensch wie als 
Künstler wie Piltz ist unter all meinen hiesigen Bekannten nicht, 
ausgenommen einzig und allein Schönleber, denn selbst Petersens 
Wollen ist nicht mehr ganz naiv und gesund, sondern, obgleich 
in der guten (die alten Meister studierenden) Eichtung „ange- 
münchnert'*. 

Ein Genrebild wie das Piltz sehe letzte habe ich hier weder 
im Glaspalast noch in der Kunstausstellung gefunden, so wirk- 
lich, im guten Sinne naturalistisch, so studiert in der Farbe. 
Daß man Figuren im Freien malt und nicht im Atelier und 
nachher irgend einen landschaftlichen Hintergrund hinzufügt, 
kommt hier so gut wie gar nicht vor, ist auch bei der ungeheuren 
Ausdehnung der Stadt kaum ausführbar. — Das Ende vom Liede 
ist, daß ich nicht im allermindesten den Wunsch habe, je für 
länger wieder hierher zurückzukehren; mir ist der Volkscharakter, 
die Stadt und das moderne Kunstleben noch heute gerade so 
unsympathisch wie damals, eigentlich noch unsympathischer, da 
ich mehr Selbstgefühl bekommen habe — einige Freunde sagen 
sogar, ich sei arrogant geworden, freilich gerade die, welche mich 
früher am meisten zu größerer Selbständigkeit zu bringen suchten, 
aber nicht glaubten, daß ich mich gerade von ihnen selbst am 
gründlichsten emanzipieren würde. 

Piglhein vermünchnert und verpiglheint immer mehr, als 
Mensch wie als Künstler. Ich fürchte jetzt, es wird nichts aus 



— 63 — 

seinem großen Talent. Schade, daß sein Vater ihm so viel Geld 
hinterlassen hat. Ein Bankerott oder eine ernste Neigung zu 
einem Mädchen, das in jeder Beziehung über ihm steht, könnte 
ihn vielleicht noch einmal gründlich anspornen. Aber er mag 
sich keine Mühe geben. Was er nicht spielend erreichen kann, 
versucht er lieber gar nicht zu erreichen, weil er zu eitel ist, 
um sich einem möglichen Mißlingen auszusetzen. 

Ein durch und durch selbständiger Künstler ist ohne Frage 
Hans Thoma. Den würde ich außerordentlich gern kennen 
lernen, aber er ist nicht hier. Die Jurj des Glaspalastes hat 
mehrere seiner Bilder refüsiert, darunter einen Charon, der mir 
so ziemlich das interessanteste ist, was ich hier überhaupt ge- 
sehen habe. Schönleber und Fritz Kaulbach, die mit in der Jury 
sitzen, sind auch noch heute ganz entrüstet darüber. Aber freilich 
verstehen ,,berühmte Meister" wie Carl Becker aus Berlin (der 
Atlasmaler) so etwas nicht. Pilotj wohl ebenfalls nicht, dessen 
mir stets so unangenehmes „berühmtes Meisterwerk'* Seni an der 
Leiche Wallensteins diesmal zwar den besten Platz und die erste 
Medaille erhalten hat (diesen alten Schimmel produziert er nun 
seit zwölf Jahren immer noch!) aber selbst von seinen Verehrern 
mit Kopfschütteln betrachtet wurde. Es hing zu gut. Man sah 
wie wenig eigentlich selbst in der Mache daran ist. Doch genug 
des Geschimpfs und addio für heut. 

Hans. 

München, Dienstag den 7. November 1876. 

Liebe Mutter! 

Zum 9. November, sende ich Dir einige Probedrucke und 
hoffe Euch allen dadurch Freude zu machen. Es sind mehr als 
die Hälfte, die andern werden auch bald dazu kommen. Dann 
wünsche ich die besten davon in Hamburg auszustellen, aber nach 
eigener Auswahl und Arrangement. 

Der letzte Holzstock ist schHeßlich doch erst Montag Abend 
um 4^/4 auf die Post gekommen. Er war Sonnabend so gut wie 
fertig, als ein guter Freund von mir noch einen vortrefflichen 



— 64 — 

Rat gab, den ich „meiner kritischen Natur" nach nicht umhin 
konnte anzunehmen und alles wieder abzuwaschen. Doch denke 
ich jetzt sagen zu können: Ende gut, alles gut. Wenigstens habe 
ich nichts übers Knie gebrochen und bin jetzt nur neugierig, 
wie sich die Bilder im Text ausnehmen werden. — Donnerstag 
früh Vo? geht's fort, vermutlich nur bis Innsbruck. Ich liebe 
die überstürzten Eisenbahnfahrten nicht, fahre lieber 3. Klasse 
und bleibe an hübschen Orten über Nacht. Innsbruck im Schnee 
denke ich mir nett und behaglich. Dann Freitag bis Trient, 
Sonnabend Nachmittag bis Verona, Sonntag: Hochamt in San Zeno 
dort, Dienstag oder Mittwoch Mantua und ca. Sonnabend in 
Florenz. So das vorläufige Programm. 

Daß Onkel Octavio sich auch auf mein Kommen freut, ist 
mir natürlich äußerst lieb zu hören, ebenso das Lob meiner 
Photographien durch Asher. Ich denke oft an ihn und bin 
recht dankbar, daß er mein Lehrer war und nicht Piloty. 
Richtige Anschauungen über das eigentliche Wesen der Kunst 
sind so viel wert, und die habe ich durch Asher bekommen. Wie 
vielen fehlen sie so ganz! — Heute habe ich mehrere Atelier- 
besuche gemacht, viel schöne Schränke, Krüge, Gobelins, Stoffe usw. 
gesehen, auch manche vorzügliche Studien, talentvolle Köpfe 
oder Stilleben, gute Kopien nach alten Meistern, aber wirklich 
Interessantes, Eigenes, von innen heraus Geschaffenes oder der 
Natur Abgelauschtes fast gar nicht! ,, Leben atme die bildende 
Kunst" usw. hätte ich gern den meisten gesagt, aber man hätte 
mich für einen verrückten, altmodigen Pedanten gehalten. 

Auch war ich im seligen Gefühl meiner Freiheit endlich 
wieder in der alten Pinakothek. Das ist doch wirklich herrlich! 

Morgen wird nun gepackt, Abends mit Förster in der „zwang- 
losen Gesellschaft", was vermutlich höchst langweilig für mich ist, 
aber doch interessant, mal dagewesen zu sein . . . 



65 



Trient, 12. November lö7(3. 
Abends 8 Uhr. 

Da wäre ich also in Trient! und mein Vorsatz, recht aus- 
führliche Reiseberichte zu liefern, sowohl Euret- als auch meiner 
selbst wegen wird durch keinerlei interessante Zerstreuung 
wankend gemacht. . . . 

Wenn ich gründliche Reisebeschreibung leisten will, so muß 
ich eigeutUch vom Dienstag, den 7. ds., beginnen. Bis dahin 
war ich ja noch tätig und eigentlich kein Reisender. Dann aber 
ging das Reisen los. Zunächst beschränkte sich das freilich auf 
das Umherreisen in den Straßen Münchens, die mir diesmal be- 
sonders weitläufig vorkamen. . . . 

Dienstag also machte ich, meist interesselose, Atelierbesuche, 
war in der alten Pinakothek, ließ mich dreimal von Maler Dehn 
matt machen (einem vortrefflichen Schachspieler und höchst über- 
flüssigen Maler) und war abends mit Schönleber zusammen in 
der „Kunstgenossenschaft". Mein Nachbar an der andern Seite 
war Rothbarth, von welchem in demselben Jahrgang der Münchner 
Bilderbogen, in welchem Papas Froschkönig und^Rapunzel, die 
Sternthaler sind, ein freundlicher, stiller Mann schon über 
Fünfzig. 

Bei der Gelegenheit will ich noch etwas von Schönleber er- 
zählen. Sein Atelier ist sehr hübsch eingerichtet. .Alte Schränke 
usw. wie in den meisten anderen, aber außerdem eine Masse von 
interessanten Schiflfsmodelleu, aus allen Gegenden der Welt und 
aus den verschiedensten Zeitaltern stammend. Sein Prachtstück 
wird ein Modell aus dem Ende des 16. oder Anfang des 17. Jahr- 
hunderts werden, prächtig geschnitzt, welches er kürzlich für ein 
Heidengeld (viele hundert Gulden) in Augsburg aufgetrieben hat 
und nun allmählich selbst restauriert. Zurzeit sieht es noch sehr 
unfertig aus, zur Aufrichtung der Mastbäume hofft er selbst jetzt 
schon nicht vor nächstem Winter zu gelangen, aber dann wird 
es einen prachtvollen Anblick geben, mit seinem hochragenden 
Gestell, den originellen Maaten (die zum Teil erhalten sind) und 
den großen seidenen Segeln, auf welche seine Schwestern ihm 

S c h a p i r e , Hans Speckters Briefe. >J 



— 6G — 

nach seiner Angabe farbige Wappen sticken müssen. Das Ge- 
bäude wird schließlich über mannslioch und ebenso lang sein 
und in der ganzen Welt seinesgleichen suchen, das Modell des 
Bucentaur in Venedig natürlich ausgenommen. — Auch allerlei 
alte Segelfetzen, Tauwerke, Fischernetze usw. in malerischer An- 
ordnung geben dem Atelier ein eigenartiges Gepräge. Daß diese 
Ausstattung bei ihm jedoch nicht wie in so vielen anderen die 
Bilder auf der Staffelei vergessen macht, brauche ich nicht hinzu- 
zufügen, obgleich er gegenwärtig nur kleine Sachen in Arbeit hat . . . 
Übrigens hat Seh. auch gezeigt, daß er ganz prächtige Zeichnungen 
zu Mobilien entwerfen kann. Die Einrichtung seiner Schwester 
zwar, die ganz nach Zeichnungen von ihm gemacht worden ist, 
kenne ich nicht, aber die seines eignen Schlafzimmers, worunter 
ein geschnitzter und eingelegter Renaissance-Kleiderschrank, der 
zu dem Allerbesten gehört, was ich in der Art gesehen habe. 
Hätte er ihn im Glaspalast ausgestellt, so hätte er von Rechts 
wegen prämiiert werden müssen, scheint mir. 

Mittwocli war ich u. a. lange in der Glyptothek und Lud- 
wigskirche, besonders der Corneliusschen Fresken wegen. Abends, 
nachdem ich den obenerwähnten Dehn beinahe matt gemacht 
hatte, bei Försters zum Tee, wo ich mich weit mehr zu Hause 
fühlte, als je sonst. Ich sprach sogar mit dem Alten über Cor- 
nelius, lernte manches und drückte mich, ohne doch zu lügen 
oder Bewunderung zu heucheln, wo ich sie nicht fühlte, geschickt 
um alle Kollisionen mit ihm herum. Es freute ihn offenbar, daß 
ich die Fresken ziemlich genau kannte und richtig herausgefunden 
hatte, was Cornelius selbst gemalt hat. Das ist nämlich ohne 
alle Frage das beste, sieht auch in der Farbe meist ganz an- 
ständig aus, namentlich der Fleischton ist bisweilen wirklich schön 
gelungen. Schließlich dedizierte er mir einen Band seiner „Ge- 
schichte der italienischen Malerer* und nach acht gingen wir 
zusammen in die ,. zwanglose Gesellschaft", eine seit 1827 oder 
1837 existierende Vereinigung von Künstlern, Gelehrten usw., die 
wöchentlich zusammenkommen, sich Vorträge halten, kneipen und 
unterhalten. Es war wirklich recht gemütlich dort. Mein Nachbar, 
der alte Dürk, Freund von Onkel Erwin und Asher, läßt letz- 



— 67 — 

teren bestens grüßen, Heyse war leider nicht da. Ich hätte ihn 
gern getroffen, extra zu ihm zu gehen, mochte ich nicht. Don- 
nerstag wurde morgens gepackt, bei den genaueren Freunden 
Abschied genommen und nach Tisch: Galerie Schack, die ich mir 
bis zu allerletzt aufgespart hatte. Und meine Erwartungen, oder 
wie nennt man das — ich kenne sie ja längst — wurden wieder 
gänzlich übertrofi'en. Die Böcklinschen Landschaften sind so 
unendlich schön, so einfach, nobel, echt, wahr und ideal zu- 
gleich, daß wirklich gar nichts darüber geht. Wenn Oswald 
Achenbach uns Italien zeigt wie es ist und Preller wie es, durch 
die klassische Brille gesehen, sein könnte und beide Meister ersten 
Ranges genannt werden müssen, so setze ich Böcklin doch weit 
über beide hinaus, denn das ist ein idealer Realismus oder 
realistischer Idealismus, wie man es nennen will, der die 
ganze Seele erfüllt, so daß nichts zu wünschen und auszusetzen 
übrig bleibt. Daß das aus doktrinärer Voreingenommenheit doch 
immer nur noch von verhältnismäßig wenigen erkannt wird, ist 
geradezu unbegreiflich. Ich wollte nur, Schack könnte vermocht 
werden, die zehn oder zwölf besten im nächsten Jahre nach Paris 
zu schicken, damit die ganze Welt sie einmal zu sehen bekommt. 
Ebenso wünschte ich mir schon zwölf seiner kleinen Schwinds 
dahin. Je öfter ich die Sachen sehe, um so größer, einziger 
erscheint Schwind mir auch als Kolorist. — Doch genug davon. 
Es war der schönste würdigste Abschied, den ich von München 
nehmen konnte! — 

Dann die Koffer nach Florenz expediert, Geld gewechselt, 
mit einigen Freunden zusammen in der Allotria gekneipt, um 
Mitternacht ins Bett, am andern Morgen um ^j^^ auf und richtig 
um ^1^1 abgefahren. In München ist schon seit fast acht 
T.ngen ganz regelrechter Winter. Schnee nicht nur auf den 
Dächern und Bäumen, sondern ganz munter auch auf den Straßen 
liegen bleibend, so daß er morgens früh unter den Füßen knirscht 
und unter den schweren Rädern der Brauwagen quietscht, daß 
es eine Art hat. Rote Nasen und Ohren, kalte Finger und Füße, 
Schneemänner, schlittschuhlaufende Jungens auf dem überfrorenen 
Schnee des Trottoirs, mit einem Wort: richtiger Winter. Daß 



— 68 — 

ich in dem kurzen Sommerüberzieher trotz der hohen Stiefel eine 
frostige Erscheinung bildete, namentlich wenn ich mal neben dem 
dicken Piglhein ging, in seinem opulenten, bis auf die Füße 
reichenden modernen Düffel, bedarf keiner Bestätigung, selbst 
,, stramme Haltung" konnte keinen Ersatz dafür bieten. Für die 
Reise hatte ich mich freilich mit doppeltem Unterzeug . . . ver- 
sehen, außerdem natürlich mein Plaid. Trotzdem war's anfangs 
bitterkalt. Die Fensterscheiben dick gefroren; wenn man mit 
]\Iühe und Aufbietung aller Puste ein Loch verfertigt hatte, sah 
man auch draußen nur eine weite hellgraue Fläche, Himmel und 
Erde ganz uniform, nur die Telegraphenstangen zeichneten sich 
schwarz darauf ab. Der schlechte Tabak der Mitreisenden, 
italienische Arbeiter, erwärmte nicht einmal. Ich schlief viel, 
teils aus Müdigkeit, teils aus Kältigkeit. Hinter Rosenheim wurde 
es besser, die Sonne hatte ihre belebende Kraft bewährt. In 
Kufstein eine halbe Stunde Aufenthalt, durch das Städtchen ge- 
schlendert, mich an den beschneiten Bergen erfreut, zu Mittag 
gegessen und dann sehr fidel nach Innsbruck weiter. Dort gegen 
4 Uhr angelangt . . . sofort in die Franziskanerkirche und so- 
lange es noch hell war, mich an den Figuren des Maximilian- 
grabes erfreut, dann einen längeren Spaziergang gemacht nach 
einem hochgelegenen kleinen Kirchdorf mit Kapelle und Über- 
blick über das dunkelnde Tal und liebe Städtchen. . . . 

Heute morgen, als ich aus dem Gasthof trat, war's wunder- 
schön!!! Die Bergriesen zeigten sich ringsum in vollster Klarheit, 
nur noch von ganz wenigen Nebel wölkchen verhüllt. Der Schnee 
so blendend weiß und die Luft so blendend blau darüber, daß 
ich meine blaue Brille aufsetzen mußte. Bitterkalt natürlich 
dabei, aber man spürt das nicht bei solcher Gelegenheit. Noch 
nie war mir die gewaltige Schönheit des Gebirges so entgegen- 
getreten. 

Ich hatte Zeit, mich noch ein bischen in der Stadt herum- 
zutreiben. Es war Sonnabend, also Markttag, und manche lustige und 
charakteristische Tiroler Erscheinung zu sehen. Die Bauart mit den 
vielen, oft hübsch ornamentierten Erkerchen, mit den überwölbten 
Gängen unten und den vielen, weit in die Gasse hinausragenden 



— 69 — 

schmiedeeisernen Gewerkszeichen und Gasthausausbängeschildern 
kennst Du ja! Auch ein Portemonnaie kaufte ich noch. Das 
ist ja die Gegend der Lederarbeit. — ^2^^ ging's fort. Nette 
Bauern im Coupö, resp. Abschnitt, auch ein ziemlich hübsches 
echt Tiroler Mädchen, das aber bald ausstieg. Rechts das schluchten- 
reiche Tal, alles weiß und hell leuchtend in der Sonne, die Tannen 
alle wie mit Zucker bestreut, links meist die steilen Bergwände, 
von denen kolossale Rieseneiszapfen massenweise herabhängen, 
oft ganze Eiszapfenwände bildend. Dabei gar nicht kalt, wenig- 
stens fühlte man's nicht. Unter Null war's draußen trotzdem, 
denn die Scheiben wollten immer wieder überfrieren, man mußte 
fortwährend mit Tüchern oder den Fenstervorhängeu wischen, 
um Aussicht zu behalten; übrigens wurden schon in Kufsteiu, also 
sobald man österreichisches Gebiet betrat, Wärmer in die Wagen 
getan, sogar bisweilen durch frische ersetzt. 

Mittags waren wir auf dem Brenner. Einen kurzen Gruß 
von dort wirst Du erhalten haben. Die leiblichen Genüsse be- 
standen nur in Wein und Schnaps (ich hielt mich an letzteren) 
und schlechten Dampfwürstchen. Sobald man die Höhe hinter 
sich hat, ändert sich das Tempo des Zuges; so langsam die Loko- 
motive hinaufgekeucht war, so rasch rasselt sie hinunter. Auch 
die Landschaft ändert sich merkwürdig rasch: die beschneiten 
Bäume hören auf, und zeigen ihr buntes, herbstlich gelbbraunes 
oder dunkelgrünes Laub, der Schnee beschränkt sich mehr und 
mehr auf die höheren Gipfel, die Eiszapfen werden zu rieselnden 
Bächlein, und schon nach einer Stunde sieht man keinen Schnee 
mehr liegen, außer in engen Felsenecken, wohin die Sonne nicht 
scheinen kann, oder an nach Norden fallenden Abhängen. In 
Brixen liegt gar kein Schnee mehr, und ich hoffte schon, das 
ginge so weiter, und ich würde die Ebene von Bozen an, wenn 
auch nicht mehr im Altweibersommer, so doch im schönen Spät- 
herbstwetter prangend antreffen. Aber da irrte ich mich: in 
Klausen sah ich plötzlich wieder lange Eiszapfen zum Eisak hin- 
unterhängen, die Schnee -Eckchen nahmen nicht ab, sondern zu, 
auch die Luft wurde, da es zum Abend ging, wieder kühler, und 
in Bozen, wo die Sonne gerade noch die höchsten Gipfel der 



— 70 — 

Roßzähne rotgoldig anstrahlte, war's so unbehaglich kalt, daß es 
fast angenehm war, zu zehn im Coupö zu sitzen. Es waren außer- 
dem nette Leute, großknochige, wohlhabende und schlaue, echt 
Südtirolische Bauern. Als dieselben dann, nicht lange danach, 
ausstiegen, kam eine italienische Bürgerfamilie, sehr anständig 
gekleidet und äußerst liebenswürdig. Ich bemühte mich, ihrer 
Unterhaltung zu folgen, konnte es aber noch nicht recht. Die 
eine Tochter hatte eines der klassischsten vornehmsten Pro- 
file, das ich je gesehen habe. Sehr hübsch war der Verkehr mit 
dem Dienstmädchen, welches fast ganz zur Familie zu gehören 
schien. Diese erste wirklich italienische Bekanntschaft war ge- 
eignet, das günstigste Vorurteil für die ganze Nation zu erwecken, 
wenn es nicht schon vorher der bescheidene, hübsche, vielstimmige 
Gesang der welsch-tiroler Bauern getan hätte. Als ich hier an- 
kam, war's dunkel. . . . Ich trottete etwas durch die Straßen, in 
denen die italienischen Namen und die wenigen Laute, die man 
hörte, zum erstenmal das Gefühl gaben, nicht mehr in Deutsch- 
land zu sein. Auch machte ich meine erste Besorgung auf 
italienisch: una chiavetta d' orologio (Uhrschlüssel). Etwas mußte 
ich doch in Innsbruck, im ersten Gasthaus, das ich seit urdenk- 
lichen Zeiten besuchte, liegen lassen! Jetzt ist's zehn, und ich 
werde zu Bett gehen. 

Dein Hans. 

Verona, 13. November 1876. 
Albergo San Lorenzo. 

Caro Ziol 

Ersiehst Du aus dieser Anrede, wenn Du es nicht etwa 
schon aus dem Poststempel und der „Bulla" gemerkt hast, daß 
ich mich jetzt wirklich in Italien (auch im Königreiche dieses 
Namens) befinde? Und zwar in der Stadt der Scaliger, Romeos 
und Juliens usw. usw. (siehe Gsell Fels oder sonst von der Art) 

Schon auf dem Wege dahin gefiel mir Trient. Es ist be- 
kanntlich die erste italienische Stadt, wenn man vom Norden 
kommt, in vieler Beziehung Bozen sehr ähnlich. Aber dies hat 



— 71 — 

doch noch keine stattlichen alten Pulazzos aufzuweisen mit kräf- 
tigem Untergeschoß und Eckpfeilern, zierlich profilierten Fenstern 
in den oberen Stockwerken und den kleinen Balkons davor, reich 
— auch figürlich — bemalten Wandfiächen und weit vorsprin- 
genden tiefschattenden Dächern, wie man sie aus den Photo- 
graphien venetianischer und florentinischer Paläste ja genugsam 
kennt, aber dergleichen nun wirklich zu sehen, und obendrein 
da, wo man es eigentlich noch nicht vermutete, erfreut und ent- 
zückt doppelt. 

Die Hauptsache ist aber die überaus herrliche Lage der 
Stadt. Das Etschtal ist hier noch viel enger und die schön- 
geformten, schneebedeckten Berge einem noch viel näher als ich 
geglaubt hatte. Der Platz vor dem alten Dom, mit mittelmäßigen 
aber üppigen und stattlichen Neptun- und Tritonenbrunnen und 
kleinen lustig bemalten und profilierten Häusern ringsum, ließ 
mich die trockne Kälte und den Schnee auf dem Pflaster ganz 
vergessen. Der Schnee hatte übrigens dort etwas ziemlich Harm- 
loses, mehr Provisorisches, nicht den definitiven Charakter wie in 
Innsbruck und München. 

Im Dom war ich wohl zwei Stunden! Ich wüßte sechs 
Bilder daraus zu malen. Kirchen müssen entweder voll sein 
(„in voller Tätigkeit") oder ganz leer. Ersteres ist mir das inter- 
essantere, letzteres oft das wirkungsvollere — und jedenfalls viel 
leichter zu malen!! Hier war alles in Arbeit. Die Musik, sehr 
verschieden von dem feierlichen Ernst des deutschen katholi- 
schen Gottesdienstes, an dem ich mich in München wieder so 
erbaut habe, recht munter italienisch, wenig verschieden von der 
großen Hamburger Drehorgel, die ja auch den Troubadour und 
ähnliche italienische oder französische Opern (besonders aber 
immer den Troubadour) mit Vorliebe kultiviert. Aber mir deucht: 
zu dem pomphaften Hokuspokus auf dem Hochaltar paßt diese 
naive, süßlich- kindliche Musik vortrefflich. Man glaubt dabei den 
Himmel offen zu sehen, aber nicht den Himmel Dantes, Raffaels 
usw. usw., voll heiligernster Propheten, Apostel und Märtyrer- 
gestalten, sondern mehr den der Barockzeit, erfüllt von dem 
liebenswürdigsten Durcheinander von Wolken und halbnackten 



— 72 — 

Engelchen, die in seligem Nichtstim (deutsch dolce far niente) 
da oben herumschwimmen und deren heilige Wohligkeit auf jedes 
dafür empfängliche Gemüt ansteckend wirken muß. Dann ent- 
steht jener „negative Zustand", welchem nach Schiller der Spiel- 
trieb entspringt, die Wurzel aller Kunstempfindung und Kunst- 
leistung. 

Immer neue Bilder schuf der Sonnenstrahl, der durch das 
südliche Kreuzschiff eindrang und langsam von Pfeiler zu Pfeiler 
weiterrückte: zuerst vergoldete er den Hochaltar mit seinem 
barocken Überbau, von üppig gewundenen Säulen getragen, und 
die glitzernden Altargeräte und Stolen der fungierenden Geist- 
lichen, während die Gemeinde im Vordergrund und die Versamm- 
lung der Domherren und höheren Geistlichen im Chor dahinter, im 
Schatten verschwand. Dann streifte er das schöne rotmarmorne 
Weihwasserbecken (schlichte Frührenaissance) und die immer 
wechselnde Schar von Bauern, alten Weibern, niedlichen Kindern 
und einzelnen jungen Damen, die das heilige Naß benutzten (von 
hinten in den kleidsam drapierten Schleiern scheinen sie alle 
schön zu sein) — darauf eine Ecke im Seitenschiff, die ich nach- 
her aus der Erinnerung zu skizzieren versuchen will, ferner die 
lustigen beiden Bengels, welche unter den Augen ihres buckligen 
und ebenso wohlgefällig wie sachverständig dreinschauenden Papas 
die Glocken ziehen durften, was den kleinen Mädchen nahebei 
eine ganz besonders andächtige Freude resp. freudige Andacht 
bereitete usw. 

Als das Hochamt alle war und ich mich drücken wollte, 
bestieg ein interessant fanatisch durchgeistigt aussehender Fran- 
ziskaner die Kanzel und predigte über die christliche Demut. 
Gewiß kannte er sie; aber vielleicht den christlichen Hochmut 
noch besser aus eigener Erfahrung. Aber er predigte nicht schlecht 
und sprach so überaus wohllautend und so deutlich, daß ich 
die ganze Zeit dablieb und es als Lektion benutzte. Wohl die 
Hälfte oder mehr verstand ich Wort für Wort; freilich in ge- 
wöhnlicher Unterhaltung noch immer niente parola. — Den 
schönen Passus: ,.im Kaffeehaus" aus meinem kleinen „Deutschen 
in Italien" hätte ich so gern schon in Trient an den Mann ge- 



— 73 — 

bracht und trank deshalb dreimal Kaffee in drei verschiedenen 
Caf^s, aber es wollte mir nicht damit glücken: jedesmal wurde 
auf meine Beorderung nach einer tazza di caffe gleich gefragt: 
„schwarz oder weiß". Die Leute können in den Läden und Caf^s 
dort oben alle noch Deutsch, mit Ausnahme natürlich der ganz 
untergeordneten, in die ich mich, meinen Mammon und meine 
Sprachkenntnis betrachtend, nicht getraute. Ein Barbier war der 
erste, der mir Gelegenheit zum italienisch sprechen gab, aber es 
ging höchst mangelhaft, und infolgedessen wollte er mich beim 
Cambiare (Wechseln) beschuppen. Als ich es merkte, wurde er 
jedoch extra höflich: ,.ja, so sind sie, ja, so sind sie-* — doch 
das schöne Lied kennst Du wohl schwerlich . . . 



Dienstag abend, 14. November. 
Es wird mir heute schwer, in meiner Beschreibung des Sonn- 
tags in Trient fortzufahren, denn ich kenne jetzt Verona und das 
Bessere ist immer der Feind des Guten. Darum fasse ich mich 
kurz: nach Tisch machte ich einen Spaziergang auf die nächsten 
Höhen, holte mir um drei (früher war das Bureau nicht geöffnet) 
die Erlaubnis zur Besichtigung des alten erzbischöflichen Palastes 
(jetzt Kaserne!), sah manche hübsche Wandmalereien daselbst, 
besonders einen sehr schönen Hof, und blieb da bis Dunkel- 
werden . . . Dann retirierte ich mich in mein Hotel, studierte 
Verona im Gsell Fels und Burckhardt und bedauerte schließlich 
doch fast, nicht schon am Abend nach Verona gefahren zu sein. 
Die Morgenbeleuchtung Montag früh hob jedoch alle Keue wieder 
auf. Das war imposant schön! — ^2^ sollte der Zug abgehen, 
es wurde aber fast 10, und erst um 1 Uhr war ich in Verona. 
Die Fahrt war weniger interessant, als ich erwartet hatte. Mit 
Ausnahme der Stromenge (mit Befestigung) der „Veroneser Klause", 
bekannt durch die Rettung des deutschen Heeres vor italienischem 
Hinterhalt von Otto von Witteisbach, den Barbarossa nachher zum 
Lohn dafür mit dem Heinrich dem Löwen abgenommenen Herzog- 
tum Bayern belehnt, früher eins meiner liebsten historischen Fakta, 
von Ernst Förster in den Arkaden zu München verewigt — eine 



— 74 — 

Leistung, die freilich ganz allein schon seinen Übertritt zur Kuiist- 
schriftstellerei rechtfertigt I — 

Also um eins in Verona. Als prattico (ich bin nämlich 
wirklich auf der Reise praktischer, als die meisten mir zutrauen) 
ließ ich mein Gepäck im Deposito der Bahn und bummelte vogel- 
frei in der Stadt herum. Zuerst wurde ich enttäuscht. Die Piazza 
d' Erbe hatte ich mir schöner vorgestellt, den Unterschied der 
hiesigen Palazzos von den Trientiuern, von denen kein Mensch 
spricht, größer, die Scaligergrabmäler enttäuschten mich vollends 
usw. usw. Auch war mir's doch etwas unbehaglich zwischen den 
vielen Menschen, die ich alle nicht verstand, und die in so 
mancher Beziehung, schon in der Kleidung allein, so ganz 
anders waren, als ich's gewohnt war. Ich bin sicherlich keiner 
von den Deutschen, die alles daheim für allein gut und richtig 
halten, aber zuerst ist man doch in Grefahr, es wie jener X 
wunderlich zu finden Brot: pain oder bread, pane oder sonstwie 
zu nennen, anstatt ganz einfach Brot, was es ja doch ist! . . 

Dann bummelte ich ein Weilchen in der Stadt herum. Der 
Blick in den gewaltigen Raum der S. Anastasia — es war 
schon fast dunkel — war einer der überraschendsten Augen- 
blicke meines Lebens. Die Kirchen sehen fast alle von außen 
klein resp. mittelgroß aus, und wenn man eintritt, öffnet sich 
dann eine in der Grundanlage einfache, im einzelnen reich ge- 
schmückte, oft überreiche, weite Halle, daß man ganz baff ist. — 
Bis nach sieben lief ich dann noch in den dunklen Straßen 
umher, verlief mich natürlich ein paarmal, fühlte mich dann 
aber vollständig orientiert, aß in Gesellschaft mit einem lang- 
weiligen Tiroler Knoten, Bierbrauer in Meran, zu Nacht, und 
nachdem derselbe ins Bett gegangen war, schrieb ich den An- 
fang dieses Briefes, schließlich durch den Arger über einen 
Landsmann unterbrochen. . . . 

Der Hauptmeister von Verona ist der Architekt Michele 
Sanmicheli, dem man auch ein schlechtes Marmorstandbild er- 
richtet hat. Seine Hauptforce ist der Festungsbau und die ge- 
waltigen Stadttore. Die kraftvollen Verhältnisse derselben und 
viele Anwendung von Rustika — im Erdgeschoß eigentlich stets — 



— 75 — 

kennzeichueu seine Richtung. Ein Prachtkerl! Zuerst sah ich 
einige Tore von ihm (die Hauptpalazzos liegen in meiner Straße, 
die kannte ich schon) und bewunderte zugleich die schöne Lage 
der Stadt, nicht allzuweit vom Fuß der Alpen (gutes Morgenlicht 
auf deren Gipfeln), dann in der Kirche S. Bernardino seine be- 
rühmte zierliche Cappella Pellegrini, die schönste Renais- 
sance, die ich noch gesehen habe. . . . 

Ich beende meinen Brief mit dem Ausruf: Verona ist wunder- 
suhön, kolossal interessant, alle Zeiten sind hier vertreten, die 
Lage überaus schön und malerisch, die Architekturen zum Teil 
herrlich! An Malereien nicht viel los, aber doch auch einiges 
sehr anregende (Morone z. B.), die Menschen mit all ihren 
Schwächen freundlich und liebenswürdig — und ich kann Dir 
nicht dankbar genug für diese Reise sein. Nächstens mehr von 
Deinem Hans. 



Mantua, 16. November 1876. 

Lieber Onkel! 

Ich fahre fort. 

Wenn Verona am ersten Nachmittag meinen Erwartungen 
nicht ganz entsprochen hatte, so lag das an der Witterung. 
Dienstag und Mittwoch hatte ich den herrlichsten Sonnenschein 
und mittags war's so warm, daß man ganz gern seinen Über- 
zieher auszog. Wenn ich morgens aus der Tür des Gasthauses 
trat, war der Anblick köstlich (mein Zimmer lag leider nach 
hinten): zu den Füßen die grüne Etsch, links die plumpe, rote 
Backsteinmasse des alten Kastells aus der Zeit des großen Sca- 
liger Congrande II (an dessen Hof Dante lebte und dessen Denk- 
mal Dir bekannt sein wird), mit gewaltigen Zinnen gekrönt, in 
derselben Weise die alte Brücke daneben, am jenseitigen Ufer 
Gärten und Wiesen in feinen goldigen Herbsttinten und hinten 
die Alpen in schön geschwungenen Linien, im lichten, klaren 
Morgensonnenschein schwimmend, der höchste (Monte Balbo am 
Gardasee) au seinem Gipfel eine weiße lange Nebelwolke fest- 



— 76 — 

haltend. — Von Sanuiichelis urkräftigen Stadttoren in Rustika 
und seiner zierlichen Rundkapelle aus weißem Marmor, in der 
ich einen deutschen Studiosus traf, habe ich schon berichtet; aus 
derselben Bernhardskirche muß ich aber noch die Fresken von 
Moroue nachholen (im Refektorium des seit 1866 aufgehobenen 
Klosters), die mir in ihrer naiven, noch streng symmetrischen 
Anordnung und dabei so individuellen Köpfen und würdigen Be- 
wegungen ganz besonders gefallen haben. An den Langseiten 
zwischen jedem Fenster je zwei lebensgroße Mönchsgestalten, an 
der schmäleren Hauptwand geradeaus eine thronende Madonna, 
rechts und links steif im Profil kniend der Donator und seine 
Frau, hinter jedem ^2 Dutzend Schutzheilige, meist Mönche, 
alles in einer offenen Halle auf hellem landschaftlichem Hinter- 
grund und hellblauem Himmel vor sich gehend. Noch andere 
mir sehr sympathische Sachen dieses Morone habe ich hier ge- 
sehen. Ich liebe die, auf weite Entfernung hin erkennbare, 
deutlich symmetrische Komposition der älteren Schule überhaupt, 
und er hat oft besonders noble Verhältnisse, auch schöne Farbe 
und Ausdruck der Köpfe. 

S. Zeno ist neben S. Miniato in Florenz eine der wichtigsten 
Kirchen Italiens. Es klingt schon famos altertümlich, und wenn 
man in einem öden Stadtteil plötzlich die imposante Fassade vor 
sich liegen sieht, so wird einem ganz wunderlich zumute. Das 
Portal mit seinen ungeschickten alten Reliefs und seinen unum- 
gänglichen, liegenden, säulentragenden Löwen, alles natürlich aus 
dem prächtigen roten Marmor der Gegend, liegt ganz öde auf 
weitem kahlen Platz, dem sogar die Staffage der alten Bettel- 
weiber fehlt! Das Innere ist großartig, aber schwer zu be- 
schreiben. Der Chor liegt sehr hoch und wird durch die zur 
Krypta hinabführende breite Treppe wie durch eine tiefe Schlucht 
vom Schiff getrennt, was höchst imposant wirkt. Ein berühmtes 
Bild von Mantegna, hinter dem Hochaltar, nicht ganz meinen 
Erwartungen entsprechend. Höchst barbarische alte Bronzetüren 
und das Grab eines Pipin (Sohn Karls des Großen) versetzen in 
-die allerälteste Zeit; der Bau selbst ist dagegen erst vom Ende 
des 12. Jahrhunderts, kommt einem viel älter vor. 



I 



— 77 — 

Neben den römischen ÜbeiTesten (Arena, Theater, zwei alte 
Tore, das eine quer durch eine belebte Straße durchschneidend) 
gibts hier übrigens auch noch einige frühmittelalterliche, nament- 
lich eine kleine Felseukirche mit Malereien aus dem vierten oder 
sechsten Jahrhundert usw. Verona erinnert mich auch hierin, 
wie überhaupt von Anfang an an Trier. Der älteste Teil, das 
Castel S. Pietro, welches die Stadt beherrscht, hat eine wunder- 
schöne Aussicht. Ich stieg, nachdem ich an den Türen einiger 
anderer Kirchen vergeblich gerüttelt hatte, in der Mittagswärme 
hinauf. Teilweise in Ruinen, überwachsen, lag es in der stillen 
"Mittagssonne da, auch die nötigen kletternden Ziegen fehlten 
nicht. Hier war also das Römerkastell gewesen, dann die Burg 
Dietrichs von Bern, hier hatte Rosamunde ihrem Alboin aus dem 
Schädel ihres Vaters zutrinken müssen usw. Jetzt steht das neue 
Kastell dort. 

Aussichten zu beschreiben, ist ein schlechtes Ding. Daß 
Verona zahllose Türme hat, daß die Etsch sich in einem großen 
Bogen (fünf Brücken) durch dieselben schlängelt, daß im Vorder- 
grund links der berühmte, sich an eine steile Felswand lehnende 
Giardino Giusti mit seinen himmelhohen uralten Zypressen- 
gängen das Bild abschließt, möge genügen. Die Aussicht aus 
dem übrigens höchst interessanten Garten selbst ist lange nicht 
so schön. 

Von den vielen anderen Kirchen will ich nur noch S. Gi- 
orgio erwähnen, von Sanmicheli in den kräftigen Formen seiner 
Hochrenaissance umgebaut, dessen Hochaltarbild (in dem ursprüng- 
lichen noblen Marmorrahmen Sanmichelis) ein Martyrium des 
h. Georg von Paolo Veronese eins der schönsten Bilder ist, die 
ich je gesehen habe. Von der Farbe und Verteilung von 
Licht und Schatten gar nicht zu reden, aber auch wie schön und 
nobel und lebendig gezeichnet! Daneben sollte Makart seine 
Sachen einmal stellen! Das „Schwelgen in der Farbe" allein 
macht den Paolo Veronese noch lange nicht! 

Meine Lieblingskirche aber blieb immer die Sta. Anastasia, 
die schon am ersten Abend einen so großartigen Eindruck auf 
mich machte. Die weite von gewaltigen Säulen (nicht mit Pfeilern 



— 78 — 

abwechselnd) getragene Halle, auch wenn die Sonne scheint noch 
feierlich dunkel, aber dann so wärmend und behaglich, daß die 
Großartigkeit nicht kalt abstoßend wirkt! Im einzelnen ist eben- 
falls viel sehr Schönes darin, aus den verschiedensten Zeiten, 
aber ohne unharmonisch zu wirken; sogar einige, besonders eine 
moderne lebendige Marmorbüste von 1788, ist so schön umrahmt 
und so geschickt placiert, daß ihr Platz gar nicht schöner aus- 
gefüllt sein könnte. Es gibt Kirchen, denen ein buntes Durch- 
einander der Möblierung vortrefflich steht, andere, in denen der 
Purismus berechtigter ist (zu letzteren gehört S. Zeno). Kirch- 
liche Bilder wirken doch immer am schönsten in der Kirche, 
zumal wenn sie noch, wie man das hier oft sieht, ihre ursprüng- 
lichen, oft so überaus reizenden Umrahmungen behalten haben. 
So in Sta Anastasia, 

Doch ich komme zu sehr ins Aufzählen! Drum nur noch 
kurz die schönen, kraftvollen Paläste erwähnen und die vielen 
Fassadenmalereien, durch die Verona besonders groß dasteht und 
die mich natürlich sehr interessierten; dann das Museum, in 
welchem einige sehr gute Bilder von Libri, Morone usw. usw., 
und dann noch ein paar Worte über Land und Leute, so weit 
sie mich angingen, denn im allgemeinen hast Du ja schon genug 
von Eingeweihteren gehört und gelesen. Verona macht gleich 
einen echt italienischen Eindruck: da sind die vielen Bettler, 
das lästige Sichaufdrängen von Führern, gegen welche man sofort 
sein Herz verhärtet; zugleich aber auch alle liebenswürdigen 
Seiten: Gefälligkeit, Freude, wenn man was verstanden hat, 
überhaujit viel hübsche, liebenswürdige Gesichter und ein richtiges 
Volksleben; auf dem Gemüsemarkt am Fluß die Wäscherinnen, 
die Kerle mit ihren buntbetroddelten Maultieren vor dem zwei- 
rädrigen Karren, die manchmal sehr schwer bepackt sind, z. B. 
sah ich einen voll Stroh, aus dem nur die vordere Hälfte des 
Pferdes hervorsah und an allen Seiten schleifte es auf dem 
Pflaster. Am Brunnen oft hübsche Gruppen, überall schon die 
großen Kupfergefäße, unter den Kindern zahllose Passinische Er- 
scheinungen, Massen von schwarzen Geistlichen mit den großen 
schwarzen Schlapphüten, viel charakteristische Gesichter darunter. 



— 79 — 

Unter dea Soldaten viel Bersaglieri, mit den großen malerischen 
Hahnenfedern auf den etwas schlappenden Hüten. 

Mit zwei Stuttgarter Architekten, die ich am zweiten Tag 
traf, pflegte ich in einer echten Trattoria zu frühstücken: wir 
brachten uns Salami und Brot mit, gerade wie man es in München 
auf den Kellern macht, und erhielten für billiges Geld einen 
vorzüglichen Valpolicella-Wein, der wächst in der Gegend, nach 
dem Gardasee zu. und ist ein herrlicher, feuriger und nicht 
leichter Stoff. Der Wirt war ein liebenswürdiger, hübscher junger 
Kerl, mit freundlich zugekniffenen Augen. 

Im Theater wurde eine recht gewöhnliche italienische Oper 
gegeben, die Primadonna war hübsch, spielte und sang wunder- 
voll: der Tenor schrie entsetzlich und hatte ein derartiges 
Kümmelkostüm — ebenso der Chor — wie man's in Deutschland 
auch auf kleineren Bühnen nicht häufig mehr finden wird. Auch 
bewegte er sich ohne jede Spur von italienischer Grazie oder 
Noblesse. Eins fiel mir auf: daß das Publikum gerade so auf- 
merksam war wie bei uns. Sonst war nichts Bemerkenswertes 
und wir gingen nach dem zweiten Akt wieder fort. Die Schau- 
spiele in der Arena sind nur im Sommer, im alten Theater 
(Sanmichelis) um Fasten. — Au mich und diese zwei netten 
Schwaben drängte sich noch ein blaubrilliger, kalbskopfartiger 
Commis-voyageur heran, merkte aber schließlich doch, daß wir 
ihn zu schlecht behandelten, um die Freundschaft fortzusetzen. 
Es wimmelt von Deutschen, man kommt kaum dazu, italieniscTi 
zu radebrechen. In der Eisenbahn saß ein Landsmann aus 
Augsburg, ein alter Antiquitätenhändler neben mir, hier in 
Mantua ist ein Berliner Architekt mit polnischem Namen — man 
hat mehr zu tun, die Landsmannfreundschaften sich vom Leibe 
zu halten als sie aufzusuchen. 

1 7. November, Mantua, Vaterstadt Vergils, der Gonzagas und 
Giulio Romanos Wirkungskreis! Gestern ^j^S kam ich hier an, 
schon im leichten Regen, stieg im Leone d'oro ab, studierte Burck- 
hardt und Gsell Fels und schrieb obiges. Um 11 Uhr legte ich 
mich in ein großmächtiges, sauberes Bett, fror erst etwas, schlief 
dann aber ganz herrlich bis heute morgen um 7 und entschloß 



— 80 — 

mich erst gegen 8 aufzustehen, denn es regnete tüchtig und 
war sehr duukeh Zuerst konnte ich denn auch gar nichts sehen, 
als ich in die große Andreaskirche eintrat, das Hauptwerk von 
Alberti, ein großartiger, strengrömischer, einschiffiger Bau mit 
kassettierten Tonnengewölben usw., das Prinzip römischer Thermen 
und Palastbauten auf christliche Kirchen übertragend. Gewiß für 
moderne Architekten ungemein lehrreich! Die enormen Raum- 
Verhältnisse sind hier wunderbar schön überwunden, natürlich 
ohne ihrer Größe Eintrag zu tun. Aber doch ist es eine kalte 
Großartigkeit, im Vergleich z. B. zu Sta Anastasia in Verona. — 
Der Dom ist ganz von Giulio Romano umgebaut und hat eigent- 
lich auch recht schöne noble Verhältnisse, besonders eine sehr 
reizende Verteilung von Weiß und Gold und eine Seitenkapelle, 
deren Flächeneinteilung geradezu meisterhaft ist. In dieser Be- 
ziehung steht mir Giulio Romano überhaupt sehr, sehr groß da. 
Alle Architekten und Maler sollten ihn gründlich studieren. Im 
Palazzo Ducale und Palazzo del Te ist in dieser Hinsicht Un- 
übertreffliches geleistet. Auch in den kleinen Figürchen und 
nach seiner Angabe gearbeiteten ornamentalen Skulpturen ist eine 
unermeßliche Fülle von Grazie und Phantasie enthalten. Onkel 
Erwin hat ihn ja ganz besonders geliebt, studiert und teilweise 
nachgeahmt (teilweise auch wohl noch übertroffen in dem Abend- 
rothschen Eckzimmer, mit Ausnahme der Farbenverteilung frei- 
lich). Seine größeren Fresken Sala di Troja, selbst Sala di 
Psyche (mit Ausnahme einiger Teile) sind aber noch weit manie- 
rierter als ich erwartet hatte und die berüchtigte Sala dei Giganti 
wirklich zu scheußlich brutal! Ich kann das eigentlich nicht 
einmal mehr genial nennen — „unverschämt" tut's auch schon. 

— Der Regen ließ allmählich nach, auch gewöhnt sich das Auge 
ja an das Licht, so habe ich denn viel gesehen und gekritzelt 

— dabei sehe ich wirklich ganz mit aller Aufmerksamkeit — 
zum Aufbewahren ist es fast schon zu flüchtig. 

Mantua macht gar keinen italienischen Eindruck. Schon die 
Leute sind viel ruhiger und „städtischer', obgleich Mantua ja 
viel kleiner ist als Verona. Sie betteln nicht, drängeln sich nicht 
an, sind aber auch lange nicht so interessant. Auf dem Wege 



— 81 — 

zum Palazzo del Te und zurück längs der Festungsmauer vergaß 
ich ganz, daß ich in Italien war. Mantua könnte gerade so gut 
in Holland liegen als in der Lombardei. Deiche, gerade, breite 
Gräben, verkrüppelte Weiden, hohe, halb kahle Ellern und Pap- 
peln u. dgl., rote Ziegelmauem zum Teil mit abfallendem Kalk- 
bewurf darauf, und eine trübe, regnerische, milde Herbstatmo- 
sphäre, im modernen Sinne eminent malerisch; koloristisch das 
Feinste, was ich noch auf der ganzen Reise gesehen habe, an 
die Villevieilles bei Wesselhöft und anderes derart erinnernd, so 
daß ich mehrfach Thomas Herbst herbeiwünschte! 

Gute Nacht! 

Hans. 



Bologna, 19. November 1876. 
Lieber Onkel! 

Mein heute morgen abgeschickter Brief mit Berichten aus 
Verona und Mantua kam mir, als ich ihn zum Schluß noch ein- 
mal durchlas, recht nüchtern vor. Ich hätte ihn fast gar nicht 
abgeschickt. Jedenfalls lag das daran, daß ich nicht täglich frisch 
die Eindrücke der Reise niederschrieb, sondern erst bo lange 
nachher, daß die ReÜexion eintreten konnte. Darum will ich es 
heute anders machen! 

Heute morgen mußte ich mein schönes geräumiges Bett in 
Mantua schon recht früh verlassen, nämlich um 5 Uhr. Es war 
kalt, stockfinster, und man hörte den Regen draußen klappera. 
aber was halfs, ich hatte keine Wahl: zwischen morgens G und 
nachmittags 2 Uhr geht kein Zug von Mantua nach dem Süden. 
Zwar hätte ich gern noch etwas in den beiden Giulio Romano- 
schen Schlössern Raumeinteilung studiert, hätte namentlich gern 
die kleine Seitenkapelle des Doms weiter skizziert — worin mich 
eine beginnende Messe unterbrochen hatte — glaube auch, daß 
der Kastellan mir die eigentlichen Mantegna-Zimmer im Palazzo 
ducale gar nicht gezeigt hat, denn die, welche ich gesehen habe, 
sind so ruiniert, daß ich nicht verstehen würde, wie Burckhardt 
so viel herrliches daraus gesehen haben kann — aber ich reiste 

Schapire, Hans Speckters Briefe. 6 



— 82 — 

trotzdem. . . . Entweder gründliche Dekorationsstudien machen, 
und dazu hatte ich jetzt weder Zeit noch Lust, schon der Kälte 
wegen, die in dem alten Gemäuer herrscht, dann auch der kurzen 
dunklen Tage wegen oder weiter; schließlich hatte ich ja all mein 
Material gleich nach Florenz vorausgeschickt und nicht einmal 
Aquarellfarben bei mir. Für ein flüchtiges Studium hatte ich 
sie mir ja immerhin schon leidlich gründlich angesehen und z.'^B. 
noch an keinem Tag der Reise so viel Seiten meines Skizzenbuches 
vollgeschmiert — also reiste ich! Ich war ziemlich müde und 
die flache Gegend in leichtem Regen und allmählich zunehmender 
Morgendämmerung machte mich nicht munterer. Ich war ganz 
allein im Coup6 und vergaß wieder ganz, daß ich in Italien war. 
Die Namen der Stationen und Haltestellen, die ich im halben 
Schlaf hörte, paßten gar nicht zu dem norddeutschen Flachterrain, 
durch das die Fahrt ging. Auch wäre ich wirklich in der 
größten Verlegenheit, wenn ich den Unterschied zwischen der 
großen Eisenbahnbrücke über den Po und der Wittenberger 
oder sonst einer angeben sollte. Der kann nur in der Kon- 
struktion sein! 

In Modena kam ich gegen ^j^d an, ließ meine Sachen im 
Deposito und hatte den ganzen Tag zur Besichtigung des „freund- 
lichen Residenzstädtchens", wie Burckhardt es nennt. Darin hat 
er recht; wenn die Sonne scheint, wird es natürlich noch viel 
mehr der Fall sein. Aber eigentlich ist's doch recht charakterlos 
und langweilig. Auch die Menschen so gut und anständig und 
fleißig philiströs, daß man ihnen bei so äußerlicher Bekanntschaft 
wenig abzugewinnen weiß. Ich sehnte mich noch mehr als in 
Mantua nach dem lieben alten Verona zurück, wo alles Hand 
und Fuß hat, und von dem ich mir wohl die Behauptung eines 
Italieners erklären könnte: Wenn ich nicht in Rom leben kann, 
bin ich am liebsten in Verona! 

In Modena gibt's zweierlei Interessantes: 1. den alten Dom, 
einen der allerältesten in ganz Italien, 2. den Palazzo ducale der 
Estes (jetzt Reale) mit der Estensischen Bibliothek und Galerie. 

Der Dom liegt mitten in der Stadt, rings umher lebhaftes Ge- 
triebe von Grünwarenhändlerinnen und Schlachtern, viel Geflügel 



— 83 — 

hauptsächlich, auch Fische, darunter einige mir noch ganz un- 
bekannte Formen. Heute, am Sonnabend, war's besonders rege. 
Außer den vielen, teilweise von Deutschen herrührenden, lustig 
barbarischen Reliefs, Fratzen und schönem Ornament interessierten 
mich an der Außenseite des Doms besonders die buntbemalten, 
gedruckten Aufforderungen: Bittet bei Gott für die Seele des 
. . ., gestorben den . . ., womöglich mit prächtigem A\'appenschmuck 
oder mit blauen, roten oder gelben Urnen, Leuchtern, Kränzen 
usw. auf schwarzem Grund, geziert. Vor Modena sah ich das 
noch nicht. Gewiß ist es weiter südwärts überall Sitte. Recht 
barbarisch-kindlich! Aber die bunten, halbabgerissenen Lappen 
wirken überaus malerisch auf dem schwarzen, uralten Mauerwerk. 
Eine schöne Marmorplatte zur Erinnerung an die Modenenser, 
die 1176 in der Schlacht bei Lugano fielen und die italienische 
Freiheit gegen den Imperator „sueviae" Barbarossa verteidigten, 
ist in diesem Jahre eingefügt. Der Turm ist einer der höchsten 
und schönsten Italiens. Innen war's so dunkel, daß ich so gut 
wie gar nichts sah, mich nur über den kunterbunten Aufputz des 
Gebäudes ärgerte, zu dessen simpel -ernsten gedrungenen Ver- 
hältnissen die roten Tuche, Spitzen, Gardinen und brutalen Gold- 
flitter l)esonders schlecht stimmten. 

In der Galerie hat mich manches sehr interessiert, was, will 
ich Dir nicht aufzählen. Doch ist es durchaus eine Galerie 
zweiten Ranges, wie wir sie in Deutschland auch mehrfach auf- 
weisen können. Doch war ich lange da und habe meinen Frank 
Eintrittsgeld gründlich herausgeguckt. Die Aufstellung zeigt von 
guter sorgfältiger Leitung der Anstalt. Die Galerie ist königlich 
— der Veroneser sah man an, daß sie städtisches Eigentum war, 
um welches sich niemand recht zu kümmern den Beruf fühlt. 
Nach dem Essen sah ich dann in zwei (sonst sehr langweiligen) 
Kirchen berühmte und wirklich sehr schöne Skulpturen von 
Begarelli — aus Modena — , spazierte dann etwas in den Wall- 
anlagen, da der Regen aufgehört hatte, und sogar die Sonne ein 
wenig hervorleuchtete und war schließlich nochmals im Dom, wo 
ich von einigen, in meinen Büchern verzeichneten Bildern wenig- 
stens einen ungefähren Begriff bekam. Recht sehen kann man 

6* 



— 84 — 

sie freilich nur bei elektrischem Licht, so dunkel ist's drin, selbst 
bei Sonnenschein und trotzdem blendend durch den kirschroten 
Seideudamast, mit dem alle Säulen und die ganzen Wände des 
Chors ausgeschlagen sind. Es war Messe, die erste wirkliche 
Messe (inkl. Musik), die ich im wirklichen Italien erlebte. Die 
Musik sehr mäßig, nicht nur noch lustiger als in Trient, son- 
dern auch technisch so miserabel, besonders die sechs Streich- 
instrumente! Das sonntägliche Hochamt des Dorfes Sarnthein in 
Tirol war besser ausgestattet und ausgeführt als hier im Dom 
einer Stadt von 56000 Einwohnern. Bezeichnend war es, daß 
die Musiker den liturgischen Gesang des Priesters ganz unver- 
froren zum Stimmen ihrer Instrumente benutzten. 

Nachdem ich auf dem Wege zur Bahn schließlich noch den 
Innenhof des großen herzoglichen Palastes gesehen hatte, u. zw. 
durch das Schlafzimmerfenster des Kastellans, denn die Kadetten 
hatten gerade Exerzierunterricht, und es durfte niemand hinein, 
war ich mit Modena ganz fertig, kam sogar noch eine halbe 
Stunde vor der Zeit im Wartesaal an und konnte mich im Gsell 
Fels auf Bologna präparieren, besonders den Plan der Stadt 
ansehen. 

Endlich kam dann der treno — im Coup6 natürlich wieder 
zwei Deutsche I — um ^j^6 war ich hier in Bologna, im Gast- 
haus zu den tre Re. . . . 

Die schönen Glocken der zwei schiefen Türme läuteten ge- 
rade den Sonntag ein, als ich bummeln ging. Gesehen habe 
ich bis jetzt nichts außer der besondern Eigentümlichkeit Bolognas, 
daß alle größern Straßen an beiden Seiten (oder wenigstens an 
einer) Arkaden haben, sowohl im Sommer wie im Winter höchst 
angenehm. Die neuesten, zum Teil höchst kurios angelegt, von 
gewaltig hohen und weiten Verhältnissen. Das sollte man in 
Hamburg wirklich auch energisch durchführen. Wie oft schon 
sind Projekte der Art gemacht worden, wenigstens die Alster- 
arkaden bis zur Elbe fortzuführen. Aber freilich — — mir 
fallen die Augen zu, drum morgen mehr! 



— 85 — 

Sonntag Abend, den 19. 

Als ich — ziemlich spät leider, da meine Uhr stehen ge- 
blieben war — die Fensterläden öftnete, strahlte mir heller 
Sonnenschein entgegen. Über viele Dächer und Schornsteine weg 
sah ich im Morgenduft die zwei schiefen Türme und noch etliche 
andere in größerer Entfernung aufragen. . . . Als ich auf die Straße 
und besonders als ich auf den Hauptplatz kam, zweifelte ich zu- 
nächst, daß wirklich Sountag sei und fürchtete schon, ich hätte 
mich verrechnet und müßte, um Onkel Octavio nicht warten zu 
lassen, bereits heut Nachmittag wieder abreisen: so unsonntäglich 
war der Lärm vor dem Dom, das Geschrei der Verkäufer, selbst 
mehrere Soldaten sah ich in der „vierten oder fünften Garnitur" 
herumlaufen und Säcke schleppen. Aber es war dennoch Sonntag 
und die Kirchen ziemlich voll. In einigen sehr fidele Musik — 
Einleitung zu einem Straußschen Walzer z. B. — in einer aber 
auch ganz würdige. Den schönsten Eindruck der Art hatte ich 
freilich, als ich am Nachmittag noch einmal wieder in den ge- 
waltig großen Dom trat und von hinten ganz sanft und gedämpft 
eine wundervolle süße Sphärenmusik ertönen hörte. Ich kam 
leise näher, sie wurde immer deutlicher — aber ich begriff doch 
nicht, woher sie kam. Das Rätsel wurde gelöst, als eine Hinter- 
tür geöffnet wurde und man draußen eine IVIilitärkapelle ihre 
sonntägliche Wachtparadenmusik abspielen sah. Gott weiß, was 
für eine Ouvertüre es war, jedenfalls habe ich noch keinen feier- 
licheren musikalischen Eindruck hier gehabt. 

Der Dom von Bologna ist ganz unfertig geblieben. Man 
wollte den Florentiner übertreffen und projektierte ihn deshalb 
in einer ganz kolossalen Größe. Nur das Langschiff und die 
Seitenschiffe sind fertig geworden. Daran sollte sich dann ein 
noch fast ebensogroßes Querschiff, mit Chor und Kapellenkranz, 
Kuppel und vier Türmen anschließen. Doch daraus wurde nichts ! 
Stil: italienische Gotik in Backstein. Die Fassade mit Marmor- 
bekleidung ist nicht weit gediehen. Innen ist der Raum durch 
monotonen, gelbbraunen Anstrich langweilig, reinlich anzusehen, 
und der erste Eindruck lange nicht so packend wie der von 
S. Andrea in Mantua. In den Seitenkapellen manches Schöne, 



— 86 — 

auch farbige Glasfenster, meines Wissens die ersten, die ich in 
Italien gesehen habe. Die Fenster des ganzen Kapellenkranzes 
sollten eigentlich farbig werden. Die schönsten von Jacob von 
Ulm 1450, Aber noch andere altitalienische Glasfenster sind 
wunderbar schön. Namentlich eins von noch ernsterem, har- 
monischerem Gesamtton als das farbenprächtige des deutschen 
Meisters. In zwei anderen Kapellen sind auch moderne italie- 
nische, die mir sehr gut gefielen, eines markig, fast etwas roh, 
das andere bildartig, mit schön gezeichneten Engeln vor dem 
Thron der Madonna, es würde wohl von manchem den Vorwurf 
der Süßlichkeit erhalten, aber mir gefielen beide sehr. Moderne 
Grabmäler von Napoleons I. Schwester Elisa und ihrem Manne, 
dem hiesigen Fürsten oder Grafen Bacciochi gefielen mir eben- 
falls recht gut, soweit ich sie durch das Gitter hindurch sehen 
konnte. Überhaupt habe ich mir heute absichtlich gar nichts 
aufschließen lassen, sondern nur gesehen, was man als gewöhn- 
licher Sterblicher auch zu sehen bekommt, und das ist hier in 
Bologna mehr als genug für so kurzen Aufenthalt. Auf der 
Rückreise muß ich hier entschieden länger Halt machen und 
betrachte die Vj^ Tage jetzt nur als Orientierungsstreifzug. 

Nur in der Dominikanerkirche bin ich durch die Freund- 
lichkeit eines behaglichen alten Dominikaners (weiß und schwarze 
Kutte, reine weiße Strümpfe und gewöhnliches Schuhwerk) hinter 
einige Kulissen, vielmehr Gitter gekommen. Dieses Dominikaner- 
kloster nämlich hat das Glück, das allererste zu sein und den 
wirklichen Leib des Heiligen — t 1220 — zu besitzen. Der 
marmorne Grabschrein desselben (Area di S. Domenico) scheint 
mir in der italienischen Skulptur eine ähnliche Rolle zu spielen 
wie Peter Vischers Selbaldusgrab in der deutschen. An dieser 
Area haben die bedeutendsten Bildhauer von vier Jahrhunderten 
gearbeitet, und trotzdem wirkt sie wunderbar einheitlich! Zu- 
nächst Niccolo Pisano und seine Schüler. Ihm werden der ur- 
sprüngliche Entwurf und die Hauptreliefs zugeschrieben. Wie 
ich soeben gelesen habe, erlaubt Burckhardt dieselben nicht 
sonderlich schön zu finden — ich würde es freilich auch ohne 
seine Erlaubnis gewagt haben! Das ist noch eine arg unselb- 



— 87 — 

ständige Beeinflussung antiker Sarkophagskulpturen. Der reiche 
Deckel mit schönen Statuetten ist von einem andern Nicola, 
der seinen Beinamen dell'Arca sich hier geholt hat; am liebsten 
sind mir die kleinsten Reliefs von Alfonso Lombardi 1532, 
für gewöhnlich durch das geschmackloseste Altargeräte der Welt 
verdeckt! Auf dem Altartisch sodann noch zwei kleine kniende 
Engel in langen Gewändern, Kandelaber tragend, von denen der 
eine allgemein als Jugendwerk Michelangelos gilt. Wenn ich den 
Frate richtig verstanden habe, spricht man ihn ihm jetzt ab, 
was mir nicht ganz überraschend sein sollte; wenigstens hat er 
mit Michelangelos spätem Arbeiten wenig gemein. Einige 
andere Figürchen könnten eher von ihm sein. Die Nische dar- 
über mit Fresken von Guido Reni. 

Die Kirche selbst in der Zopfzeit umgebaut, hat aber unten 
in den Bildern, Gestühlen und dergl. viel Schönes aus frühern 
Zeiten. Die Kirchen, die ich sonst noch gesehen habe, fast alle 
in blühendem Barockstil, schwer voneinander zu unterscheiden, 
aber oft von großartigen Verhältnissen und doch dabei behaglich 
durch den reichen und im einzelnen oft sehr schönen Schmuck. 
Ich kann jener Zeit oft meine hohe Bewunderung nicht versagen. 
Namentlich in den Skulpturen finde ich außer dem Schwung und 
Pathos doch auch manches wirklich empfundene, von der Liebens- 
würdigkeit so mancher Engelchen gar nicht zu reden! Unter 
den Bildern sehr viel Tüchtiges aus der Zeit der Caracci und 
später! 

Am meisten interessierte mich eigentlich ein praktischer Ge- 
sichtspunkt für unsere norddeutschen Architekten: nämlich die 
durchgehende Anwendung von Backsteinen auch für Gliederungen 
und selbst für reiche Ornamentierung der Pilaster usw. Da gibt 
es einige Kirchenfassaden aus der Frührenaissance und mehrere 
Paläste, Palasthöfe namentlich, die ganz wundervoll sind und 
doch, was die Herstellungskosten anlangt, gar keine Umstände 
machen würden. Überhaupt ist das so hübsch hier in Bologna: 
die Stadt ist kein Kadaver und interessant als Ruine — wie doch 
eigentlich ganz Verona und besonders die Schlösser von Mantua 
— sondern in ihr pulsiert frisches, modernes Leben. Auch heute 



— 88 — 

wird hier gebaut und zwar teilweise recht lobenswert, die 
alten Traditionen fortsetzend, in den Säulengängen promenieren 
Menschen, da sind elegante Toiletten, Läden, Schaubuden und 
Equipagen — das einzige, was fehlt, ist eine Pferdebahn, und 
diese sollte womöglich nach dem Campo Santo hinausführen. 
Dahin ging ich gegen Abend. Gsell Fels sagt: Tour von einer 
Stunde, und ich meinte hin und zurück zu Fuß — also warum 
nicht? Besonders wenn er wirklich „einer der schönsten von 
Italien" ist. Aber ich war etwas enttäuscht. Erstlich ist der 
Weg recht weit und immer durch Arkaden! Selbst das Gute 
kann einem zuviel werden. Wenn man als neugieriger Fremd- 
ling in der Stadt umherläuft und das noch nicht gewohnt ist, 
wird man schließlich ganz konfus davon. Auch erhalten die 
Straßen dadurch eine gewisse Ähnlichkeit, so daß man sich, 
zumal da es gar kein Wasser und keine Brücken gibt, nicht 
leicht zurechtfinden kann. Die Lage der Stadt ist überhaupt 
nicht schön, weder mit der Veronas, noch der Hamburgs zu ver- 
gleichen. 

Doch ich wollte vom Campo Santo erzählen. Als ich 
endlich draußen war, schloß mir der Custode, ohne weiter zu 
fragen, was ich wollte, eine eiserne Gittertür auf und zeigte mir 
eine Glocke, um zu läuten, wenn ich wieder hinaus wollte. Ich 
ging also in den Säulengängen umher, sah einige recht hübsche, 
viel mittelmäßige, mehrere unglaublich geschmacklose moderne 
Grabmäler, konnte aber die alten nicht finden. Ich schlug meinen 
Gsell Fels auf: „rechts 14. und 15. Jahrhundert", also rechts in 
den Nebenhof — aber wieder nur modernes Zeug und abermals 
rechts und dann auch mal links, ich lief von einem Hof zum 
andern, um schließlich auf gut Glück zu finden, was ich suchte 
— aber nein, schließlich kehrte ich wieder um und läutete an 
der bezeichneten Glocke, was ich nur konnte. Nach längerm 
Harren kam der Kastellan, der gar nicht erstaunt war, daß ich 
die „antiken" nicht hatte finden können. Das hätte ich sagen 
müssen. Und dann öffnete er mir eine andere Tür, und da war 
denn auch wirklich rechts 14. und 15. Jahrhundert usw. Am 
interessantesten waren mir die ältesten Grabsteinreliefs von Pro- 



— 89 — 

fessoren der Universität, meist sie selbst in der Mitte auf hohem 
Lehnstuhl und zu beiden Seiten je drei Schüler emsig nach- 
schreibend. Aus der Hochrenaissance nicht sehr vieles — da- 
gegen hatte ich in der Dominikanerkirche ein prächtiges Grabmal 
gesehen. Erst im Dunkeln kam ich heim, zweifelte anfangs, ob 
ich nicht in Wagners Rienzi gehen sollte, der hier Tagesgespräch 
ist, zog aber doch Burckhardt und Briefschreiben vor. Morgen 
Abend um acht in Florenz. 

Dein Hans. 

Florenz, 24. November 1876. 
Lieber Onkel Heinrich! 

. . . Vor allen Dingen freut es mich, daß Dir meine Reise- 
briefe Freude gemacht haben, daß sie Dir nicht zu kritisch und 
nüchtern vorkommen. Agnes Förster schlug mir den Titel 
„nüchterne Briefe aus Italien" vor, so erstaunt war sie über die 
unbegeisterte Ruhe, mit der ich dem großen Vorhaben entgegen- 
ging. — Doch ehe es zu spät wird, laß mich heute noch kurz 
den letzten Tag vor meinem (ganz andersartigen) Aufenthalt hier 
in Florenz beschreiben. 

Am Montag Morgen war das schöne Wetter wieder flöten 
gegangen. Schon Sonntag Abend auf dem Heimweg aus dem 
Campo Santo hätte ich es mir denken können. Der violette 
Nebeldunst lag da gerade so dicht in den Straßen, wie *er es in 
Hamburg zu tun pflegt, roch auch ebenso, und die trüb flackern- 
den Ollämpchen der Kastanien-, Brot-, Limonen- usw. Verkäufer 
schienen gerade so rot durch den Dunst hervor, wie sie es bei 
uns in der Markthalle oder auf dem Steinweg tun. Mein erster 
Weg war in die Piuacoteca, und ich blieb wohl zwei Stunden da. 
Raffaels Heilige Cäcilie war mit einem dichten quadratischen 
Netz überzogen, und der unvermeidliche Freund und Kupfer- 
stecher auf stattlichem Gerüste saß mit der Nase dicht davor 
und knuffelte an einer Zeichnung in kleinem Maßstabe. Warum 
immer neue Stiche danach!? und nicht lieber Photographien? 
Doch war ich nicht besonders traurig darüber, denn, daß die 



— 90 — 

Farbe noch unharmonischer ist, als ich erwartet habe, sah ich 
nur allzu deutlich durch die Maschen des Netzes hindurch. Die 
Schönheit des Bildes gibt eine Photographie nach dem Original 
nicht nur ganz wieder, sondern sie hebt sie — für mich — sogar 
noch, weil man sich eine schönere Farbe dazu denkt. Im übrigen 
ist die Pinokothek in Bologna besonders wichtig für Francesco 
Francia. 

Ich bin nun einmal ein aufrichtiger Ketzer! Ich kann mich 
nicht für diesen Meister begeistern, am allerwenigsten für das 
bei Gsell Fels mit zwei dicken Sternen bezeichnete Bild. Diese 
rotäugigen „zipp tuenden" Madonnen mit den schiefen Köpfen 
sind nicht mein Fall. . . . Ein musizierendes Engelchen freilich 
nehme ich aus. Das ist so wunderschön, wie ich selten was 
gesehen habe, geradezu entzückend; wenn Leute von weniger 
kühlem Blut als ich davor aus der Haut fahren, dann verstehe 
ich es vollkommen und beneide sie vielleicht darum. Wenn sie 
es vor den Madonnen tun, dann muß ich mich zusammennehmen, 
keine Zweifel in die Aufrichtigkeit dieser Entzückung zu setzen. 
Hier sah ich ein, daß der große Francia in München wirklich 
eins seiner Chefs d'oeuvre ist. Das hätte ich mir früher nie 
recht denken können. — Um das aber gleich hier zu erwähnen, 
sah ich nachher in einer Kirche noch ein Altarbild, welches 
wirklich sehr schön ist, und daneben in einer Kapelle der 
heiligen Cäcilia Fresken, ihr Leben schildernd, einige von 
ihm, andere von ihm beeinflußt, die mir ebenfalls sehr gefallen 
haben und jedenfalls seinen hohen Ruhm erklären und recht- 
fertigen. 

In der Pinakothek war dagegen ein großer Perugino, der 
mir außerordentlich gefiel. Dessen auch etwas süße Lieblichkeit 
kann ich sehr gut vertragen. Die erscheint mir wirklich naiv. 
Ein Ferrarese Costa und ein anderer noch früherer Ferrarese 
Cossa, namentlich letzterer, waren mir von den altern Herren 
femer von besonderm Interesse. 

Sodann die Schule der Caracci, die Elektiker. Guido Reni 
konnte ich schon immer gut leiden, ohne blind gegen seine 
Schwächen zu sein. Hier sieht man nun besonders viel gute 



— 91 — 

vSachen beieinander. Das schönste freilich ist vielleicht ein 
Christus am Kreuz, lebensgroß, in Modena, um dessentwilleu 
allein schon ich auf der Rückreise doch vielleicht noch einmal 
in Modena aussteigen werde. Hier nun der berühmte bethlehemiti- 
sche Kindermord usw., alles lebensgroß, immer ernst, nobel, ein- 
fach; ein wirklicher voller Nachklang der goldenen Zeit, nicht 
mehr naiv zwar, aber oft bewunderungswürdig und erhebend, 
wenn auch nicht oft wirklich erwärmend. 

Lodovico Caracci, der Gründer der Schule, erscheint in all 
seinen Sachen als der feine, gebildete Mensch und Künstler, ein 
anspornendes Beispiel, wie tüchtiges und erfreuliches, bisweilen ge- 
radezu sehr schönes, was man bei ruhiger, willensstarker Verstandes- 
arbeit erreichen kann, auch wenn man kein Genie ist. Von Anni- 
bale, seinem Neffen (dem bekanntesten und genialsten), ein paar 
sehr schöne Sachen. Guercino gefällt mir ebenfalls zuweilen 
ganz gut, seine Marter des heil. Petrus in Modena ist sogar ein 
Prachtbild, ferner Cavedone! — Zampieri (Domenichino) dagegen 
ist mir in allen Sachen bisher widerwärtig gewesen; wie Hugo 
V. Blomberg (siehe Hausbuch, erste Auflage) ein derartig be- 
geistertes Gedicht über ihn hat machen können, „Fresko von 
St. Gregorio" ist mir bis jetzt unbegreiflich. Vielleicht werde 
ich auch noch zu ihm bekehrt. — Die Galerie ist nicht groß, 
recht gut aufgestellt, nicht fußkalt, sondern mit Strohmatten ver- 
sehen und nicht mit Kopisten überfüllt; alles sehr beachtenswerte 
Vorzüge, nach denen man sich hier in den Uffizien vergebens 
zurücksehnt. . . . 

Trotz des trüben Wetters war die Fahrt (nach Florenz) 
herrlich. Es regnete nicht, sondern nässelte nur ein wenig feucht 
herunter. Die Bahn ist eine der schwierigsten, die je gebaut 
sind, die tunnelreichste, die mir je vorgekommen ist. Zwei 
Tunnels sind horrend lang, durch den einen fährt man etwas 
über fünf Minuten. Die höchste Höhe ist beinahe halb so hoch 
wie der Brenner. Zuerst geht es immer längs des Reno, an dem 
auch Bologna liegt (wovon man aber nichts merkt), ihn Gott weiß 
wie oft auf Viadukten überbrückend. Gerade diese trübe Herbst- 
beleuchtung erschien mir besonders schön. Die Landschaft hat 



— 92 — 

ein Etwas, was sie bei ims nicht hat, und was man wohl oder 
übel mit dem so oft mißverstandenen und mißbrauchten Wort 
Stil bezeichnen muß. Sie ist einfach, aber nie arm, reich aber 
nie überladen, bewahrt stets das edle Maß, welches das eigent- 
liche Wesen des Stils ausmacht. Die Größen- und Höhen- 
verhältnisse sind ja nicht im entferntesten mit denen der Alpen 
zu vergleichen und können natürlich auch nie Eindrücke hervor- 
bringen wie meine Brennerfahrt war, die mir stets unvergeßlich 
bleiben wird, aber alles ist so ausdrucksvoll hier, nichts 
scheinbar überflüssig, sondern alles künstlerisch wohlerwogen und 
wie mit Vorbedacht an seine Stelle gerückt. Man wird gar nicht 
müde aus dem Fenster zu sehen. Ehe wir die Höhe erreichten 
(wo es am allerschönsten sein soll), war's leider Nacht. Das ist 
der Weg, von dem Onkel Erwin in seinen Briefen den schönen 
geistreichen „Bonbon'' hat: wie ein Sommernachtstraum nach 
einem Wintermärchen. Es ist wirklich hübsch gesagt. Hier wars 
nun freilich weder Sommermärchen noch Winternacht. Letztere 
wurde aber doch durch eine zarte, silberne Mondsichel repräsen- 
tiert, die überaus reizvoll in dem dunstigen dunkelblauen Äther 
schwamm. Und man sagte sich dabei fortwährend: jetzt bist du 
in Toskana, und noch eine Stunde, nun noch eine halbe, nun 
noch eine viertel und du bist in Firenze, la bella. Auf der Reise, 
um das noch zu erwähnen, habe ich oft an den alten Koch 
und Preller, besonders aber auch an Ruths denken müssen, der 
das Wesen derartiger Gegenden doch oft besonders fein emp- 
funden wiedergibt. Auch die Farbe war so wunderschön! Das 
graugelbe Flußbett, von dem grüngrauen mäßig schäumenden 
Wasser nur zum vierten Teil ausgefüllt, das graue Gestein, rot- 
braunes Laub, dazwischen einzelne saftige, schwarze und grüne 
Weiden, die edel profilierten Bergverschiebungen, oft (obgleich sie 
nicht hoch sind) von Nebelwolken unterbrochen, nur die Ferne in 
lebhafteren, kräftig ernsten Tönen, blau oder violett, der Himmel 
grau und weiß — was soll alle Beschreibung! ,,Das ist Italia!-' 
sagt Eichendorff. . . . 

Heute habe ich mir den Konsens zum Kopieren in den 
Uffizien und Pitti geben lassen und morgen fange ich an zu 



— 93 — 

arbeiten und zwar hauptsächlich auf Farbe ausgehend, um Dich 
zu beruhigen. Vorläufig mal in Aquarell. Ich muß in der 
Galerie erst gründlich zu Hause sein, ehe ich mich an eine zeit- 
raubende Kopie in Ol begebe. 

Florenz hat mich zuerst geradezu enttäuscht: Stadt, d. h. 
Architektur, Menschen und Leben, sogar die Galerien. Die Lage 
aber und die landschaftliche Umgebung entzückte mich gleich 
ara andern Morgen, als Onkel Octavio nach langer sanfter Nacht- 
ruhe, üppigem Morgenkaffee nebst englischer Unterhaltung mit 
Tante und Baby (ein silbriges, niedliches, kluges, kleines Ding) 
mich mit in einen Giardino nahm, in dem er irgend eine vor- 
nehm und gut zahlende, reiche Fürstin behandelte. So ein Park 
mit seinen dichten dunkeln Lorberhecken, dazwischen die weißen 
Marmortiguren, die Luft wieder klar und tiefblau, mit mächtig 
geballten weißen Wolken, das wenige goldene Laub der Platanen 
dazu, deren dürre Aste mit üppigem Efeu berankt werden, 
unten noch einzelne blühende Rosenhecken, alles so reinlich ge- 
halten und von Jahrhunderte alter Vornehmheit durchweht — das 
ist etwas ganz Köstliches! Ebenso gestern der Boboligarteu, mit 
der Fernsicht über die Stadt hin, auf die, schon etwas beschneiten 
Apenninen, ringsum Villen und abermals Villen und immer wieder 
Villen, alle schön in der Silhouette, mit ihren weit ausladenden 
Dächern und Türmen und Anbauten und Zypressen — man kennt 
es ja aus Bildern und Photographien, aber das Leben gibt's doch 
ganz anders! Der einzige, der es wirklich verstanden hat, im 
Bilde wiederzugeben, bleibt für mich — Böcklin. Morgen will 
ich zu ihm! Hans. 



Florenz, Piazza Cavallegieri 2 bei Dr. Mayor. 
25. Dezember 1876. 
Lieber Onkel! 
An einem schönen sonnigen ersten Weihnachtstag will ich 
endlich nach vierwöcheutlicher Pause, über die Du Dich wahr- 
scheinlich schon gewundert hast, nach all der Redseligkeit der 
ersten 14 Tage, in meinen Reiseberichten fortfahren. 



— 94 — 

Daß mein Aufenthalt in Florenz einen ganz anderen Anstrich 
haben würde als der der übrigen Reise, sah ich voraus. In 
Wirklichkeit ist der Unterschied sogar noch größer als ich's er- 
wartet hatte, und es gibt Momente, wo ich meine beiden schwäbi- 
schen Architekten, die ich in Verona kennen lernte und die jetzt 
auch hier sind, beneiden möchte um ihre absolute Freiheit, um 
ihre Joppen und gänzlichen Mangel an Frack und dergl. Aber 
abgesehen davon, daß man sich stets in das Unvermeidliche fügen 
muß, und daß ich sehr frohe und behagliche Stunden in der 
Familie unseres lieben guten Onkels verlebt habe, die ich nicht 
entbehrt haben möchte, habe ich doch so mancherlei gerade 
durch die geselligen Beziehungen gelernt, bekomme so inter- 
essante Einblicke in mir bisher ganz unbekannte Verhältnisse, 
daß ich es gern verschmerze, wenn sogar das Kunstschwelgen ein 
wenig dadurch beeinträchtigt wird. Außerdem war auch die ver- 
hältnismäßig ungünstigste Zeit dafür: außer den kurzen Tagen 
so unglaublich viel Regen und stellenweis eine solche Dunkelheit, 
daß es in Hamburg nicht schlimmer sein konnte und daß es oft 
das ratsamste war, möglichst nahe dem Fenster sitzend, die Nase 
in irgend ein Buch zu stecken. Ich habe mancherlei gelesen. 
Besonders in Burckhardts Cicerone; aber auch E. Försters „Ge- 
schichte der ital. Malerei** Band III (Florentiner Kunst des 
XV. Jahrhunderts), welchen er mir dediziert hat, habe ich pflicht- 
schuldigst durchgearbeitet und natürlich auch manches daraus 
gelernt — besonders aber mache ich hier Bekanntschaft mit dem 
englischen Kunstschriftsteller Ruskin, dessen Art und Weise mir 
ganz besonders zusagt; er betrachtet alles im Hinblick auf 
unsere Zeit, und kommt dabei zu so interessanten Resultaten, 
erweckt namentlich dadurch so wirklich allgemeines Inter- 
esse aller Gebildeten an den Kunstschätzen der Vergangen- 
heit, wozu sein eigentümlich schlichter Stil wesentlich beiträgt, 
daß ich ganz begeistert für den Mann bin. Icli finde da zum 
Teil in Wirklichkeit vorhanden, was mir als Ideal für die Zukunft 
vorgeschwebt hatte. Besonders sind es kleine dünne Hefte: 
„Mornings in Florence," in welchen er praktischen Rat zur Be- 
sichtigung irgend einer Kirche, oft sogar nur eines oder zweier 



— 95 — 

Bilder darin erteilt, und dann sich in so wunderschöner oft ganz 
allgemein menschlicher Weise (jedenfalls stets ohne viel Wissen 
von Daten und Namen und Zusammenhang von Schulen auszu- 
kramen) über die Arbeit oder den Künstler verbreitet, daß einem 
das Herz dabei aufgehen muß, und die wirklich so warme Freude 
vieler Engländer an Kunst kann man sicherlich wohl zum Teil 
seinem Einfluß zuschreiben. . . . 



Florenz, 19. Januar 1877. 
Via Maggio 30 IL Piano. 

Lieber Onkel Heinrich! 

Endlich ist Dein lange mit Sehnsucht und zuletzt sogar mit 
etwas Bangen erwarteter Brief eingetroffen! Bangen, weil ich 
glaubte, Du würdest schon längst auf eine ausführlichere Be- 
schreibung meines Lebens und der Eindrücke hier ungeduldig 
sein und wenig erbaut von der genauen Schilderung meiner 
hiesigen englischen Geselligkeit. 

Wie viele viele Seiten Reiseberichte ich Dir in Gedanken 
inzwischen geschrieben habe, kann ich freilich nicht sagen, denn 
ich habe mich wirklich schon lange danach gesehnt, endhch 
einmal con amore auskramen zu können. Aber da waren so viel 
Pflichtbriefe zu schreiben . . ., daß ich mir die Freude des ruhigen 
.jKlönens" nicht gönnen wollte, ehe sie absolviert waren. . . . 

Doch nun endlich zu Florenz! Aber freilich wo anfangen? 
— Den ersten entzückenden Eindruck des Torrigiani-Gartens am 
ersten sonnigen Morgen habe ich damals gleich frisch berichtet, 
der zweite, der der Stadt, war geradezu enttäuschend, was man 
freilich später, wenn man alles genau kennt und so liebgewonnen 
hat, kaum noch begreift. Wirklich gefällt Florenz mir immer 
besser und jetzt, wo ich bald Abschied nehmen will, wächst die 
Liebe doppelt und ich begreife es gar wohl, daß so mancher 
gar nicht wieder wegfinden kann, vorausgesetzt, daß er gute 
Freunde gefunden hat und nicht fühlt, daß sein eigentlicher 
Wirkungskreis in der Heimat ist. 



— 96 — 

Also Florenz! Die Führer fangen natürlich immer mit dem 
Dom an. Etwas lieber ist er mir geworden als anfangs, aber 
im ganzen ist da doch der erste ungünstige Eindruck, den er auf 
ziemlich jeden macht, kräftig geblieben. Es ist eben kein recht 
geglücktes Werk, und es bleibt stets unbegreiflich, wie so außer- 
ordentliche Größenverhältnisse so klein wirken können (innen). 

Überhaupt muß man sich ja erst an die italienische Gotik 
gewöhnen, aber stellenweise gewinnt man sie doch mit der Zeit 
unendllich lieb. Die ahnungsreich phantastischen hochragenden 
Pfeilermassen unserer nordischen Dome darf man freilich nicht 
erwarten. Die alten Italiener waren klarer, nüchterner, verstandes- 
schärfer denkende Menschen als unsere Väter. Mit möglichst 
weiten Pfeilern und Gewölben möglichst weite Käume zu über- 
spannen, das war ihr Streben, und wie bewunderungswürdig haben 
sie es oft gelöst! Namentlich auch im Dom, dessen Pfeiler jedes- 
mal 35 meiner Schritte voneinander stehen. 

Die zwei andern gotischen Hauptkirchen von Florenz sind 
Sta Maria Novella und Sta Croce, erstere zum großen Domini- 
kanerkloster gehörig, letztere zum großen Franziskanerkloster, 
beide fast gleichzeitig mit dem Dom am Ende des 13. Jahr- 
hunderts begonnen. Es muß eine herrliche Zeit gewesen sein, 
diese erste jugendliche Blütezeit der Republik. Was will es 
heißen, für eine Stadt von der Einwohnerschaft Altonas, in einem 
Zeitraum von 20 Jahren drei so kolossale Kirchen zu beginnen, 
dazu den gewaltigen Palazzo vecchio „zur Mehrung des Glanzes 
und Ansehens der Signoria", den Palazzo del Podestä usw., usw. 
Wie groß und stolz mußte sich der Staat fühlen, der all das 
unternahm und was für Gemeinsinn unter den Bürgern herrschen! 
Was für Männer lebten aber auch damals! Cinabue und Arnolfo 
(statt da Lapo sagt man jetzt Cambio), beide im reifen Mannes- 
alter, Dante in jugendlicher Manneskraft und, 10 Jahre jünger 
als er, der Hirtensohn Giotto, dieser wahrhaft große Meister, der 
der ganzen Kunst Italiens für hundert Jahre und mehr ihr eigenes 
Gepräge gab, der wahrhafte Wie Jererwecker der Kunst. — Und das 
alles erblühte mitten im heftigen Parteigetriebe unter Kämpfen nach 
außen und innen (die z. B. sogar Dantes Verbannung zur Folge 



— 97 — 

hatten), und auch die religiösen Gegensätze mögen trotz der Einheit 
der Kirche oft heftig genug gewesen sein. Sind doch die vornehmen, 
die Keinheit der Lehre aufrechterhaltenden Dominikaner niemals 
gut Freund gewesen mit den werktätigen, volkstümlichen Söhnen 
des heiligen Franziskus — wieviel mehr damals so bald nach 
dem Tode der beiden großen Stifter, welche ihre ganze Zeit be- 
wegt und beherrscht hatten, wie kaum je zuvor oder nachher 
sonst etwas in der Geschichte der Kirche (St. Dominikus t 1221, 
St. Franziskus t 1226). 

Giotto hielt zu den Franziskanern, Arnolfo baute ihre Kirche, 
und von Dante weiß ich nur, daß die Vermählung des heiligen 
Franz mit der Armut in der Divina Comedia vorkommt (wenig- 
stens in Genellis Umrissen dazu). Sicherlich war auch er eifriger 
Anhänger des heiligen Franziskus, schon weil die Dominikaner 
die allezeit getreuen Anhänger der Kurie gewesen sind, und Dante 
so eifriger Ghibelline war. — Auf dem Platze vor der Kirche 
steht denn auch sein großes Marmorbild, welches „das Vaterland" 
ihm dort 1865 setzte, eine der schlechtesten Arbeiten, die ich 
jemals sah. Noch schlimmer freilich sind die vier sitzenden 
Löwen am Postament, wahrhaft traurige kleine Biester. Hätte 
der betreftende Bildhauer sich doch nur einmal die prächtigen 
Tiere von Rauch ansehen wollen, die knurrend und knirschend 
sich an das Postament Maximilians I. von Bayern schmiegen und 
es halbwegs tragen. — Aber der divina poeta hat leider in seiner 
Vaterstadt immer Unglück, selbst im Tode! Denn sein großes 
Monument in der Kirche Santa Croce ist nicht viel besser, und 
von den Marmorstatuen der 28 großen Florentiner, welche man 
in die Nischen des Säuleuganges unter die Uffizien gesetzt hat, 
und unter denen sich mehrere ganz vortreffliche Figuren be- 
finden, ist Dante ebenfalls eine der mindest gelungenen (da- 
gegen steht in Verona eine außerordentlich feierlich-ernste Statue 
von ihm). 

Dieser Platz von Santa Croce hat außerdem zwei der inter- 
essantesten und mir speziell sympathischsten alten Häuser von 
Florenz aufzuweisen. Eins davon über und über bemalt von 
13 verschiedenen Malern in 27 Tagen vollendet! Das 

Sebapire, Hans Speckters Briefe. * 



— 98 — 

mögen köstliche 27 Tage für die Freunde gewesen sein! (Ist 
doch die gemeinsame Ausmalung unsers Kneipzimmers in Weimar 
immer noch allen Beteiligten eine der hübschesten Erinnerungen!) 
Das betreffende Haus ist architektonisch nicht nur nichts Be- 
sonderes, sondern sogar nur eine ganz simple, lange „Mietskaserne' 
und kann nicht wohl den Anspruch auf den Namen Palazzo 
machen; fensterreich, wie unsere nordischen Häuser sind, und 
die Zwischenräume der Fenster ganz ungleich. Und trotzdem 
ist es noch jetzt in ziemlich verwittertem Zustand eins der 
lustigsten und nettesten, die man sehen kann. Der Gesarat- 
entwurf ist von Giovanni da San Giovanni (1599 — 1636). Es 
gehört zu den Dingen, die ich auf der Rückreise malen muß, — 
jetzt ist's wegen der Kälte nicht möglich. 

Doch wieder zu Santa Croce! Die Fassade ist hagelnagelneu, 
freilich mit Zugrundelegung vorhandener alter Entwürfe, aber 
nicht recht im alten Geist. Aber selbst wenn sie besser wäre, 
würde sie mir nicht gefallen, denn diese ganze italienische Kirchen- 
fassaden-Gotik ist nicht recht mein Fall, weder die Architektur, 
noch auch die bunte Marmorinkrustation. Zumal wenn sie noch 
so blitzblank ist, wie hier, macht es immer einen eisigkalten 
Konditoreindruck auf mich. Wo die Jahrhunderte den weißen 
Marmor „angeraucht" haben, sieht es viel besser aus, namentlich 
an dem berühmten Baptisterium gefällt es mir außerordentlich, 
besonders wenn ich mir statt unsrer schwarzen und grauen Men- 
schen die alten Florentiner in ihren langen roten Gewändern 
davor denke, — Das Figürliche und Ornamentale dieser mo- 
dernen Fassade ist natürlich technisch vorzüglich gearbeitet 
und teilweise recht hübsch komponiert — nur so modern, 
so gar nicht im Geist der Zeit und am allerwenigsten in 
dem des heiligen Franziskus. Doch nun hinein, denn ich 
habe die Kirche unendlich lieb und kenne sie am genauesten 
von allen Kirchen der Welt. Wohl 14 Tage oder mehr war 
ich alle Vormittage dort, sehend und zeichnend, und immer, 
wenn ich in die Gegend komme, zieht es mich aufs neue hinein. 
Ich habe nun einmal die Sympathie — wogegen ich mich 
jedesmal geradezu zwingen muß, in die Ufiizien zu gehen, so 



— 99 — 

unaugenehm ist mir der Kauui durch das Chor der gewerbs- 
mäßigen Kopisten. 

Der Raum von Santa Croce ist sehr, sehr groß, das Mittel- 
schiff fast 30 meiner Schritte breit, die ganze Kirche fast 117m 
laug. Aber alles mit deu einfachsten Mitteln hergestellt: je 
sieben Geckige Pfeiler mit schlichten großblättrigen Kapitellen 
tragen schmucklose, weitgespannte Bogen, aber Gewölbe sind nicht 
da, sondern ein einfaches Holz dach, dessen Konstruktion und 
Sparrenwerk sich deutlich zeigt, deckt Haupt- und Seitenschiffe, 
sowie auch das Querschiff. Nur die Apsis des Chors und die 
vielen kleinen Nebenkapellen sind gewölbt. Der Fußboden ist 
von roten Klinkern. So schufen sich die Brüder des heiligen 
Franz ihrer Ordensregel gemäß ihr Gotteshaus, welches aber 
gerade in dieser absichtlich schlichten, nur fürs Bedürfnis ein- 
gerichteten Grundgestalt von sonderbar ergreifender Wirkung ist. 
Aber kahl sollte es darum doch nicht sein, denn fast alle Glas- 
fenster sind gemalt — und wie! — und die schlichten Wände 
der Kirche und besonders der Kapellen überzog die Giotto- 
sche Schule mit dem reichsten Freskenschmuck, den man sich 
denken kann und von dem immer mehr und mehr wieder zutage 
gefördert wird. Es war nämlich alles oder so gut wie alles durch 
neuen Bewurf und einfarbig graue Übermalung verloren gegangen, 
so daß z. B. Onkel Erwin, wenn er sich hier aufgehalten hätte 
(warum er es nicht getan hat, verstehe ich nicht), nichts davon 
gesehen hätte, besonders auch die besten aller Fresken Giottos 
nicht. — Ich hatte eigentlich kaum gedacht, daß ich soviel 
Interesse an den Bildern dieser Zeit nehmen würde, wie ich es 
denn doch tue. Die Innigkeit und Naivität wirken aber immer 
wohltuender, je länger man sich damit abgibt, und ich lerne bil- 
liger über diejenigen denken, die sich schließlich so ganz dahinein 
gelebt haben, daß sie eigentlich für nichts mehr rechten Sinn 
haben und namentlich über alles Moderne schlankweg den Stab 
brechen. Aber auch vom ausschließlich dekorativen Standpunkt 
aus sind diese Arbeiten bewunderungswürdig und lehrreich im 
höchsten Grade. Vor allen Dingen die Art, die Bilder orna- 
mental teppichartig zu umrahmen und dann vorsichtig in der 

7* 



— 100 — 

Anwendung lebensgroßer und besonders überlebensgroßer Figuren 
vorzugehen, die so oft dem architektonischen Gesamteindruck des 
Raumes schaden, bei alten wie bei modernen Werken, z. B. vor 
allen Dingen bei der hiesigen Domkuppel, dann bei manchen von 
Cornelius Glyptothekbildern, noch mehr bei Schnorrs geschicht- 
lichen Sälen im Schloß (in den Nibelungensälen ist's besser) und 
am meisten bei den Bildern aus der bayrischen Geschichte im 
Nationalmuseum (von Piloty, Ramberg usw. usw.), die, wenn sie 
nicht durch ihre Kolossalität in den verhältnismäßig kleinen 
Räumen von vornherein einen abstoßenden Eindruck machten, 
teilweise gewiß viel mehr beachtet und bewundert werden würden. 
Onkel Erwins Arbeiten, an die ich hier fast überall denken muß, 
zeigen auch wieder sein feines Gefühl für das „göttliche Maß", 
z. B. Simson und Delila, die Fresken bei Abendrot, die Auf- 
erweckung des Lazarus: alles ungefähr Giottos und Fiesoles- 
Maß. Wer wirklich was Gutes und Bedeutendes zu sagen hat. 
braucht nicht immer zu schreien. Das tun nur die schlechten 
Schauspieler. Die guten sparen sich ihr Pathos für die wenigen 
wichtigen Momente auf. So macht es auch Giotto: an einzelnen 
hervorragenden Bogenzirkeln z. B., die sich gegen das Haupt- 
schiff öffnen, da malt er wohl einige übermenschlich große 
Propheten oder Apostelgestalten, die denn von bedeutender 
Wirkung sind, aber wenn er erzählen will, das Leben des 
heiligen Franziskus z. B. oder Johannes des Täufers oder des 
Evangelisten, dann genügen ihm zwei Drittel oder drei Viertel 
Lebensgröße, und er teilt lieber seine Wände in drei, auch 
wohl vier übereinander liegende Streifen (ganz naiv, geradeso 
machen's die Bänkelsänger, wenn sie irgendeine Schauertat, horri- 
bile misfatto, in Farben setzen) und schafft sich dadurch Raum 
zu einer behaglichen verständlichen Geschichtserzählung. Daß 
manches Bild dabei wenig gesehen wurde, weil es zu hoch sitzt, 
kümmerte die damaligen Maler wohl wenig. Malten sie doch 
hauptsächlich zur eignen Befriedigung, zum Preise ihres noch 
lebendigen Glaubens. Auch war das Publikum wohl ein dank- 
bares, hatte vor allen Dingen mehr Zeit als heutzutage und ließ 
sich die Freude am aufmerksamen Besehen nicht dadurch ver- 



- 101 — 

kümmern, daß man sich manches erst mühsam zusammensuchen 
mußte. Heute muß dagegen alles gleich auf den ersten Augen- 
blick klar sein. Zwar nicht mit Unrecht, nur sollte diese Ver- 
ständlichkeit des Ausdruckes nicht so oft mit allzu billiger Flach- 
heit des Inhalts verbunden sein, aber nur zu viele unsrer Poeten 
resp. Künstler sind „heruntergestiegen und Diener der Menge 
geworden", um Platen wieder einmal zu zitieren, Unsre Kunst- 
händlerwirtschaft hat uns nur zu schrecklich auf den Hund ge- 
bracht! So eine Ausstellung moderner italienischer Meister, oder 
in den Schaufenstern die Photographien „in Imperialformat" nach 
den großen Düsseldorfer oder Münchner Meistern ist wirklich 
nicht zu ertragen, und ich glaubte eigentlich in Deutschland, 
widerwärtiger könnte mir diese Art von Kunst gar nicht mehr 
werden. Aber es war doch noch möglich. Wenn ich hier jetzt 
die Grütznerschen Kulturkämpfe oder „Der kleine Liebling'-, „Der 
kleine Übeltäter", „Auch ein Kriegsgefangener!" usw. usw. von 
Hiddemann. Sonderland sehe — auch Ed. Halliers ekelhafter 
fliegenfangender Schusterjunge von Geertz hängt hier aus — , dann 
überkommt mich wohl ein gewisser Stolz, daß ich es noch nicht 
soweit gebracht habe, unter diesen Kollegen zu figurieren. . . . 

Daß Böcklins „Meeresidyll" Dir nicht gefällt, begreife ich 
vollkommen. Ich habe selten eine größere Enttäuschung erlebt 
als bei meinem Besuch hier in Böcklins Atelier. Ich habe das 
Gefühl mitgenommen: er ist fertig! Wie ist das traurig, be- 
sonders wenn man noch gar nicht alt ist. Beim alten Preller ist's 
etwas andres, der hat sein Werk vollbracht, aber von Böckliu, 
so Herrliches er geleistet hat, hoffte man doch immer das Aller- 
beste käme noch. Aber das hofft man jetzt freilich wohl ver- 
gebens! 

Aber wieder zu Giotto zurück! Die interessanteste Kapelle 
ist die zunächst dem Chor, in der er die Geschichte des heiligen 
Franziskus gemalt hat. Auf dem Altar steht ein sehr altes, vom 
Alter gebräuntes Bild des Heiligen, auf Goldgrund, welches als 
Porträt galt. Das ist's nun freilich kaum, aber es macht einen 
sehr ehrfurchteintiößenden Eindruck. Giottos Fresken sind alle sehr 
hell im Ton und bisweilen von einer Farbenschönheit, die alle 



- 102 — 

Erwartungen weit übersteigt. Mit den reizendsten mosaikarti- 
gen Umrahmungen (von denen ich die besten kopiert habe) 
läßt er gern den schönsten blauen Himmel und eine lichte, gelb- 
liche oder rosige Architektur in eine prachtvolle Harmonie zu- 
sammenfließen, zu der dann die blassen Mönche in hellgrauen 
und braunen Kutten, häufig vor schmutziggrünen oder fahlroten 
Zimmerwänden einen wirksamen Kontrast bilden. Die dramatische 
Klarheit der Komposition kann oft gar nicht übertroffen werden. 
Er gehört durchaus zu den right thinkers, auf die Asher, stets 
mit Recht, soviel Wert legt. Manche überdrastische Bewegung 
berührt uns natürlich komisch, andre aber, und besonders der 
einfache große Faltenwurf, sind von unvergleichlicher Feierlich- 
keit. Überall spricht die Überzeugung des Künstlers, von dem 
was er malte, z. B. in der eigentümlichen Darstellung von 
Franziskus' Tod, wo alle seine Schüler sofort über die Leiche 
herstürzen und sich aufs eingehendste von dem wirklichen Vor- 
handensein der Wundenmale überzeugen. Bei den Schülern 
streift manches geradezu an Busch. Besonders der arme Teufel 
spielt oft eine urkomische Rolle. Aber das macht gerade das 
Besehen derartiger Werke so interessant und so wenig ermüdend. 
Ich muß gestehen, daß ich über jeden neuen lustigen Fund derart 
immer ganz besonders erfreut bin. . . . 

Besonders auf den heiligen Nikolaus bin ich jetzt versessen, 
und wo ich irgend etwas Fideles von ihm finde, sammle ich es 
sofort. Denn mit der Ausschmückung unsrer Nikolaikirche muß 
doch gelegentlich mal vorgegangen werden. Im Hinblick darauf 
studiere ich namentlich die hiesigen Glasmalereien, besonders 
an dunklen Tagen, wo alles andere nicht zu sehen ist. Es gibt hier 
sehr schöne. Die im Dom sind von einem gewissen Livi da Gam- 
bassi, der in Lübeck gelernt hatte, nach Entwürfen von Ghiberti 
und Donatello. In Santa Croce sehr schöne gotische, aber ohne 
jene fürchterlichen Türme von Baldachinen mit Fialen und Krabben 
ohne Ende, welche die Figuren ganz erdrücken (wie in unsrer 
Petrikirche), aber auch wunderschöne aus der Frührenaissance, oft 
nach Entwürfen der größten Meister. Sehr zierliche, mit ganz 
lichten Farben, aus der Zeit Raffaels, eignen sich vorzüglich zu 



— 103 — 

Privatwohnungen, die durch farbenprächtige zu dunkel werden 
würden. 

Doch noch einmal wieder zu Santa Crocel Außer diesen 
frühen P'resken ist nämlich noch viel andres Sehenswertes da. 
welches freilich den ursprünglichen Charakter der Kirche be- 
einträchtigt hat. Vasari war der Sünder, der in den Seitenschiffen 
großmächtige Renaissancealtäre errichtete, mit Ölbildern seiner 
Freunde versah (meist Kreuzabnahmen und darunter ganz Tüch- 
tiges) und zwischen jedem Altar Platz für gewaltige Grabmäler 
schuf, so daß Santa Croce jetzt gewissermaßen der Campo Santo 
der großen Florentiner ist. Das beste ist wohl das nach Vasaris 
Entwurf von verschiedenen Bildhauern ausgeführte Grab Michel- 
angelos; ihm gegenüber, schon fast zopfig, Galileis; nicht weit 
davon Macchiavells; tanto nomini non par est elogium, dann 
der moderne große Dichter Alfieri (von Canova); Dante, dessen 
eigentliches Grab jedoch in Ravenna ist, habe ich schon erwähnt; 
modern ist auch das (sehr bedenkliche) große Grabmal, welches 
der letzte aus dem altvornehmen Geschlecht der Alberti seinem 
großen Ahnen Leon Battista Alberti, neben Brunellesco, dem Bahn- 
brecher der Renaissance, errichten ließ; ganz hübsch das Cheru- 
binis; auch der Kupferstecher Raphael Morghen hat hier sein 
Grabmal; besonders scheinen adlige Polen sich hier gern ihre 
Grabstätten gewählt zu haben, darunter einige recht hübsche 
moderne Arbeiten; auch einige Bonapartes (Charlotte und Julie) 
liegen hier, mit der stolzen, aber doppelsinnigen Inschrift: Digne 
de son nom. Diese Kapelle war neulich ganz schwarz verhängt, 
ebenso die Bänke davor, und zu der Trauermesse fand sich die 
ganze hiesige Bonapartistenklique ein, natürlich alle mit Veilchen 
im Knopfloch, meist unangenehme Gesichter, aber sehr interessant 
zu sehen. Eugenie ist wirklich noch immer eine sehr schöne und 
anmutige Erscheinung. Man muß sich Mühe geben, seinen Haß 
nicht in ein gewisses Mitleid mit der gefallenen Größe zu ver- 
kehren. Lulu müde und etwas dumm, aber ganz elegant, wie 
die Photographie ihn zeigt. 

Die alten Florentiner begnügten sich natürlich mit schlich- 
teren marmornen Grabplatten, welche, auf dem Boden liegend. 



— 104 — 

meist gerade so abgetreten sind, wie anderwärts auch. Um manche 
ist es sehr, sehr schade, namentlich um die eines der Vorfahren 
Gahleis aus dem 15. Jahrhundert, eines Professors der Medizin, 
dessen Relieffigur selbst in ihrer jetzigen Gestalt noch etwas 
wunderbar ernst Mildes hat. Ruskin schreibt sehr schön darüber. 
Besser gehalten haben sich die mit schwarzem und rotem Marmor 
eingelegten Ornamente, von denen ich eine ganze Anzahl in 
Pausen mitbringe. Es macht mir oft ganz besondere Freude, 
diese alten Grabsteine zu studieren und mich für kurze Zeit mit 
denen zu beschäftigen, die darunter ruhen. Je älter, desto schöner 
sind meist die Ornamente und desto kürzer und schlichter die 
Worte. Mein besondrer „Freund", möchte ich sagen, ist ein ge- 
wisser Johannes Sandri de Portinaris, „Hier rutt ein recht- 
schaffner Mann, der Kaufmann Joh. S. de P. (vir probus, mer- 
cator). Er starb am 5. Mai 1387 ,requiescat in pace'." Dazu 
ein so schönes, einfach ernstes Ornament, in der Mitte das Wappen- 
schild ganz schwarz, so liegt er vor dem ersten Pfeiler, der 
Giottoschen Kapelle des heiligen Franz zugewendet; man denkt 
sich allerlei bei der Arbeit. — Auch die Familie der Bardi hat 
hier ihre große Kapelle und ihre prächtigen Grabmäler aus Nicolö 
Pisanos Schule. 

Prächtig ist die große Sakristei mit herrlichem, hoch 
hinaufgehendem, eingelegtem Holzgetäfel ringsum. Darüber eben- 
falls Fresken aus der Schule Giottos, trefflich erhalten, und mit 
ihren reichen Umrahmungen, aus denen Propheten mit langen 
Spruchrollen und christliche Tugenden hervorgucken, den voll- 
endetsten teppichartigen Eindruck von allen machend, obgleich 
die Bilder selbst geringer sind. Hier in der Sakristei habe ich 
manchen Tag gesessen und mich neben meiner Arbeit an den 
Geistlichen und deren Tun erfreut. Die Leute sind hier von 
einer unerhörten Liebenswürdigkeit. Fällt auch für einen der 
Frates hier und da einmal ein Trinkgeld ab, so ist's doch 
meist nicht viel, aber stets sind sie freundlich und gefällig und 
lassen einen auf alle Weise gewähren. Es geht in so eiuer 
Sakristei eigentlich ganz zu wie in einer Wachtstube. Einer der 
Frates ist quasi Feldwebel, der Regierer des Ganzen. Die Herren 



— 105 — 

Patres haben nur rechtzeitig zu erscheinen, sich von ihm anziehen 
zu lassen und dann zur vorgeschriebenen Zeit die Messe an diesem 
oder jenem Altar zu lesen. An einem Tag ist viel zu tun, am 
andern weniger. An solchen wird dann gefegt und gesclieuert. 
Eine große und wichtige Rolle spielen die bambini (Chorknaben), 
die viel zu tun haben, aber ein ganz amüsantes Leben führen 
und durch wenige Soldi (ein 5-Centime-Stück heißt allgemein ein 
Soldo) sebr leicht zu begeisterten Freunden zu machen sind, die 
einem den nötigen Stuhl, Wasserglas usw. besorgen und, wenn 
man am Altar vorübergeht, wo sie Dienst tun, vergnügt ver- 
ständnisvoll zugrinsen. — Die Toleranz der Katholiken hier 
ist sehr groß. Die Kirche ist hier wie ein alter kümmerlicher 
Mann, der ganz vom Gefühl seiner Ohnmacht durchdrungen 
ist und sagt: ,,Tu' mir nichts, tu' mir nichts, ich tu' dir ja auch 
ganz gewiß nichts." Traurige, alte, vertrocknete, kleine Priester 
sieht man sehr viel. Aber auch die dicken sehen weder boshaft 
noch üppig aus. Man behandelt die Kirche ja wirklich so schlecht, 
daß es eigentlich ein Jammer ist. Sie kann kaum leben, und 
auch die Erhaltung ihrer Bauten mit den Kunstschätzen mag 
oft schwer fallen. Die Aufdeckung der Giottoschen Fresken 
scheint mir auch aus diesem ganz erklärlichen Grunde jetzt zum 
Stillstand gekommen zu sein. — Wie handwerksmäßig und ge- 
dankenlos die Religion hier betrieben wird, sieht man natürlich 
bei einem derartigen Aufenthalt in der Sakristei besonders deut- 
lich. W^enn z. B. ein Priester, ehe er die Messe liest, sich durch 
Gebet an einem dazu stehenden Pult vorbereitet und zu lange 
macht, so ruft der Bruder Feldwebel, der schon das Meßgewand 
in der Hand hat und nicht länger warten mag: ,,Venga, venga, 
Signore." „Kommen Sie, kommen Sie, Herr, es ist keine Zeit 
mehr." Und dann kommt er sofort ganz gehorsam und läßt sich 
anziehen, zuletzt schon das Heilige in den Händen noch ein 
bißchen zurechtzupfen — wie gesagt, gerade wie wenn ein Ein- 
jähriger auf Posten zieht, von seinem Putzer vorher noch einmal 
„visitiert" wird. — Ein paar schöne jüngere Männer waren auch 
da, die in eifrigen Gesprächen meist an den großen Tisch, der 
in jeder Sakristei in der Mitte steht, sich lehnend, oft die schönsten 



— 106 — 

Paäsinischen Gruppen bilden, besonders wenn so ein alter, 
frierender Herr seine dürren Finger oder großen Handschuhe an 
dem Kohlentopf wärmend, halb teilnahmlos zuhörend, die Gruppe 
vervollkommt. In den dunkelbraunen Schränken die schönsten 
alten Meßbücher, Kelche, Kreuze usw. usw., alles für jedermann 
zu sehen, und mich ließen sie sogar ein paarmal über Mittag 
ganz allein unter all der Kostbarkeit sitzen! 

31. Januar 1877. 
Fertig bin ich mit der Beschreibung von Santa Croce noch 
immer nicht; wenn auch mit der Kirche selbst, so bleibt doch 
noch der Kirchturm und Kreuzgang zu erwähnen. Beifolgende 
Photographie gibt einen Begriff von beiden. Freilich ist der 
Eindruck ungleich anders und geradezu überraschend, wenn man 
dies selbe Bild, umrahmt von den Säulen und Bogen der 
andern schattigen Seite des Kreuzgangs zuerst erblickt. — 
Die Kapelle ist eines der allerfrühesten Werke der Renaissance 
(von Brunellesco), der dekorative Teil, die farbig-glasierten Ton- 
skulpturen von den Robbias. Von derartigem Zusammenarbeiten 
der beiden großen Meister später ausführlicher. Ich kenne diese 
Kapelle noch nicht genau genug, um mehr als einen allgemeinen 
Eindruck von ihr zu haben. Nur von der großen Haupttür und 
Vorhalle weiß ich, daß sie mit Recht als die schönste Tür der 
Frührenaissance gilt. Im alten Refektorium sind ebenfalls noch 
interessante Malereien, darunter ein berühmtes Abendmahl Giottos, 
aber auch hierüber weiß ich wenig zu sagen. Ich war beide 
Male, als ich es sah, nicht in Stimmung dafür. Von Pförtnern 
und dergleichen Leuten herumgeführt zu werden, stört zwar 
immer den Genuß, aber ganz besonders bei den Arbeiten 
jener Zeit. Mit denen muß man ganz allein sein. Aber ich 
bezweifle fast, daß das Bild selbst den Eindruck auf mich 
machen würde, denn das Bessere ist nun einmal der Feind des 
Guten, und man wird nicht umhin können, dabei an Lionardo 
zu denken. Das einzige Abendmahl, das sich mit diesem allen- 
falls vergleichen läßt, ist in einer kleinen Kirche hier vor dem 
Tor von Santa Croce, gemalt von Andrea del Sarto, welches ich 



— 107 — 

heute endlich gesehen habe. Ich werde nächstens eine Photo- 
graphie danach schicken. 

Der Kirchturm von Santa Croce ist mir der liebste von allen, 
die ich bis jetzt in Italien gesehen habe. So einfach, kräftig 
und schlank (in der Photographie legt sich das Querschiff un- 
glücklich davor, so daß es zu kurz erscheint). Meine Wohnung 
Piazza Cavallegieri war dicht bei Santa Croce, und mein Weg 
dahin führte an einem großen Garten vorüber, zwischen dessen 
dunkeln hohen Zypressen, Lorbeeren und Pinien der Turm in 
lichtem silbrigen Morgenduft oft ganz unbeschreiblich schön her- 
übersah und sich frei und klar in den kalten sonnigen Winter- 
himmel hob. Bei den meisten Kirchtürmen hier sieht man 
deutlich die Glocken hängen, was mir ungemein gefällt. — Und 
noch eines habe ich zu erzählen vergessen, nämlich, daß der eine 
der Chorknaben Dante heißt, aber nicht mit Alighieri verwandt 
ist, auch keine Verse macht. Aber es klingt wunderlich, wenn 
durch die Räume derselben Sakristei, die Giotto und sein Freund 
wohl manchmal in Überlegung der auszuführenden Malereien 
auf und ab geschritten sein mögen, wenn eben da heutzutage 
laut und durchdringend Dan-te! Dan-te gerufen wird, und dann 
ein frierender kleiner Bengel mit fidelem, kindlich pfiffigem Spitz- 
bubengesichtchen den scaldino (Kohlentopf) zwischen den ver- 
klammten Händen erscheint, um neue Befehle oder Zurecht- 
weisungen entgegenzunehmen. Ob mir nicht jedesmal, wenn ich 
den Namen Dante höre, zunächst dieser bambino in den Sinn 
kommen wird? 

Doch nun zu Santa Maria Novella. Diese Kirche ist von 
zwei Dominikanern erbaut, und Michelangelo pflegte sie seine 
Braut zu nennen. Ein schöner Bau, eigentlich wohl schöner als 
Santa Croce, aber doch lange nicht so eigenartig und interessant. 
Freilich mag die letzte Restauration in den 50 er Jahren viel 
Schönes zerstört haben. Die neuen Glasfenster im Längsschiff 
sind geradezu störend schlecht. — Auch diese Kirche ist in der 
T-Form gebaut, d. h, an die drei Längsschiffe zieht sich das 
Querschiff als langer Querbalken, und die Apsis, die bei unseren 
nordischen Kathedralen oft eine so außerordentliche Länge hat, 



— 108 — 

schließt ganz kurz ab. Ich liebe das sehr. Dadurch kommt der 
Hauptaltar, der in unseren Kirchen oft den Blicken der Ge- 
meinde beinahe entrückt ist, mitten ins Gotteshaus zu stehen 
und es macht sich an Sonntagen beim Hochamt oft wunderschön, 
wenn bis zu den Stufen des Altars hinan sich die Menge in den 
verschiedenartigsten Stellungen aufbaut; vorn natürlich immer 
einige Kinder, auch wohl ein Hund, denn die Anwesenheit von 
Tieren in der Kirche hält man hier durchaus nicht wie bei uns 
für unpassend oder gar profanierend. Im Dom sind z. B. be- 
ständig zwei schöne große Kater anwesend, die sich wie die eigent- 
lichen Hauseigentümer zu benehmen pflegen und wesentlich zur 
Behaglichkeit beitragen. Neulich war großer Hokuspokus, der 
Erzbischof — ein ekelhaftes Gesicht — in vollem Ornat vor 
Langeweile gähnend, und eine große Schar von gleichgültigen 
Priestern und halbgleichgültigem neugierigen Volk hinterher — da 
saß ich in einer Ecke auf einer Bank, betrachtete die Sache 
von weitem, streichelte meinen schnurrenden Kater und dachte, 
er wäre doch außer mir der allervernünftigste in der ganzen Ge- 
sellschaft! Sollte sich nicht die Einrichtung von Kirchenkatern 
auch für Hamburg empfehlen? S. Nicolai z. B. würde gleich 
zehn Prozent wohnlicher werden. . . . 

Sta Maria Novelia ist die einzige von allen hiesigen Kirchen, 
deren Fassade fertig geworden ist, freilich nicht in der ursprüng- 
lich beabsichtigten Weise, und die beiden Patres, die sie be- 
gonnen haben, hätten sich wohl manchmal im Grabe umgedreht, 
wenn sie gesehen hätten, was Leon Battista Alberti daraus ge- 
macht hat! — Der untere Teil freilich gefällt mir; mir scheint, 
daß das große rundbogige Renaissanceportal sich ganz harmonisch 
den ursprünglichen Spitzbogennischen und gotischen Nebentüren 
einfügt; — nach oben aber wird's fürchterlich!! Dieser schon 
mehrfach erwähnte L. B. Alberti war ein echter großer Floren- 
tiner jener außerordentlichen Zeit, darum laß mich ein wenig 
von ihm erzählen. Er war von vornehmer Familie Sein Palazzo 
steht heute noch und das Wappen: ein Ring von vier Ketten 
gehalten, sieht man gar häufig. Er liebte Waffen und Pferde, 
Musik, Malerei, Bildnerei, studierte in Bologna das Recht, schrieb 



< 



— 109 — 

in seiuem 20. Jahre eine lateinische Komödie, die für echt antik 
gehalten wurde, legte sich dann mehr auf Philosophie und Mathe- 
matik, trat wegen literarischer Arbeiten in enge Beziehungen zu 
Piero di Medici, wurde schließlich geistlich und erst 1447, 
43 Jahre alt, begann seine Tätigkeit als Architekt. Ganz der 
vielseitig unruhige moderne Mensch vom neuen Geist der Re- 
naissance durchdrungen! Und doch nicht 20 Jahre jünger als 
Fra Angelico, der für den beseligenden, friedeatmenden Geist des 
Mittelalters den höchsten Ausdruck fand und seine Madonnen 
malte zur selben Zeit als Alberti, „der italienische Vitruv", dieser 
ganzen christlichen Kunst gern den Garaus gemacht hätte. Denn 
für ihn gab es eben nichts als nur das Altertum, und, wo er 
gotisch begonnene Bauten vollenden sollte, verfuhr er in der- 
selben pietätlosen Weise wie später die Zopfzeit. Er war eben 
ein radikaler Revolutionär. Gewiß tun derartige Persönlichkeiten 
in der Weltgeschichte und in der Wissenschaft manchmal Not, 
aber in der Kunst haben sie, scheint mir, keine Berechtigung. 
Wie ganz anders der so viel größere Brunellesco, der zwar auch 
mit vollster Entschiedenheit den neuen Weg ging und sogar noch 
viel früher als er (Alberti wurde erst nach Brunellescos Tode 
Architekt), aber doch nie in dieser kalten, einseitig verstandes- 
scharfen Weise vorging. Ich kann diesen Alberti nicht recht 
leiden, aber ich bewundere ihn trotzdem. Zum Siege der klassi- 
schen Architektur soll seine schriftstellerische Tätigkeit ganz 
Außerordentliches beigetragen haben, aber seine eigenen Arbeiten 
sind (mit Ausnahme des schönen Palazzo Rucellai hier) meist 
verunglückt. 

Die beiden Obelisken vor derKirche vom Jahre 1608 sind das Ziel 
der großen Wagenwettrennen, die früher am Abend vor St. Johannis 
hier abgehalten wurden; leider keine altrepublikanische Einrich- 
tung, sondern erst von Cosimo I. 1563 gestiftet, also wohl mehr 
Yolksbelustigungsmittel eines sich noch nicht ganz in seiner neuen 
Herrschaft sicher fühlenden Fürsten. 

Die eigentliche Schönheit der Kirche liegt im Querschiff und 
in dessen Kapellen, an beiden Enden desselben ist nämlich je 
eine Kapelle, zu der man (weil darunter Grabgewölbe sind) auf 



— 110 — 

engen hohen Treppen, wohl 10 — 12 Stufen, hinansteigen muß. 
Das macht sich nun sehr malerisch, und der Einblick von diesem 
erhöhten Standpunkt aus, in die Kirche, hat etwas eigentümlich 
Schönes. In der einen dieser Kapellen befindet sich u. a, eine 
große hochberühmte Madonna von Cimabue (Giottos Lehrer), sein 
Hauptwerk, welches die Florentiner von 1270 in solchen Enthu- 
siasmus versetzte, daß „das Bild mit großer Pracht und Trom- 
petenschall in feierlicher Prozession vom Hause des Malers nach 
der Kirche getragen wurde". . . . Wenn wir das Bild ansehen, 
begreifen wir es freilich kaum! Es ist doch noch schrecklich 
steif und leblos und längst nicht so weit von den byzantinischen 
Arbeiten unterschieden als ich erwartet hatte. Für mich beginnt 
die neue Zeit doch erst mit Giotto. Aber was grau vor Alter 
ist, das ist uns heilig und darf es, soll es sein. Wie oft mag 
Dante als Knabe in Gebet und Bewunderung diese steifholdselige 
Himmelskönigin betrachtet haben! Und Beatrices höchster Wunsch 
war vielleicht, diesem Bilde zu gleichen!! 

In der Capella Strozzi gegenüber sind berühmte Fresken 
von Orcagna, Giottos Schüler, das jüngste Gericht, der Himmel 
und die Hölle, Letztere ganz nach Dante, mehrfach übermalt 
und überaus komisch anschaulich, geradezu Bänkelsängerbildern 
zu vergleichen. Der Himmel „bezeichnet den höchsten Grad von 
Lieblichkeit, dessen die Schule fähig war'', sonst eine wunderlich 
militärisch-wohlangerichtete Komposition, aber in den einzelnen 
Köpfen allerdings teilweise sehr holdselig. Lustig finde ich es, 
daß die heiligen Männer im Himmel immer ein niedliches 
Engelbackfischchen zwischen sich haben (bunte Keihe), wo- 
gegen die heiligen Frauen unter sich bleiben. Auch das Altar- 
bild ist von Orcagna, überhaupt die ganze Kapelle wie aus einem 
Guß 

Dann ist noch eine andere Capella Strozzi von Filippino 
Lippi ausgemalt und dazu ein Glasfenster nach seiner Zeichnung, 
welches Burckhardt mit Recht „wohl das schönste von Florenz" 
nennt, und hinter dem Hochaltar endlich der ganze Chor aus- 
gemalt von Domenico Ghirlandajo, dem Lehrer Michelangelos, 
dessen Lehrlingsanteil an der Arbeit noch heute gezeigt wird. 



— 111 — 

Auch hier herrliche Frührenaissance-Glasfenster, die freilich den 
Kaum sehr verdunkeln und überreiche Intarsien an den Chor- 
stühlen, und so könnte ich noch lauge aufzählen, ohne doch ein 
anschauliches Bild zustande zu bringen. — Nur noch einige 
Worte über die beiden gotischen Kreuzgänge, der eine, der 
größte von Florenz, überhaupt der größte, den ich je gesehen 
habe, wird jetzt meist zu Gewehrgrifien benutzt, denn die meisten 
Klöster sind hier ja Kasernen geworden. Er ist ausgemalt wie 
die meisten hiesigen Kreuzgänge mit Heiligen-Geschichten aus 
später Zeit, Ende des 16. und meist 17. Jahrhunderts. Neben 
vielem Faden und Manierierten findet man doch hier und da, 
wenn man sich die Mühe gibt, die Bilder wirklich anzusehen 
(nicht nur die Unterschriften zu lesen und dann weiterzugehen), 
auch schwungvolle graziöse Bewegungen, bisweilen sogar eine 
tiefe echte Empfindung, worüber ich immer ganz besonders er- 
freut bin. Denn ich halte es immer mit den Epigonen — sind 
wir doch selbst welche! — und ich kann nicht leiden, wenn man 
tut, als ob die Zeit bis Raffael für Empfindung und Naivität ein 
Privilegium gehabt hätte und sie den Späteren ganz fehlt. Man 
muß freilich oft lange suchen! Aber bisweilen wird man doch 
glänzend belohnt. Burckhardts Cicerone zeichnet sich auch durch 
besondere Vollständigkeit und Unparteilichkeit aus, während 
Gsell Fels, der doch ein weniger wissenschaftliches Ziel verfolgt 
und mehr für den Durchschnittstouristen bestimmt ist, jeden 
Perugino oder Botticelli gleich mit Sternen und Ausrufungs- 
zeichen .anpreist und viele gute und dem modernen Geist doch 
viel näherstehende nachrafi"aelische Sachen ganz mit Stillschweigen 
übergeht, so daß nur ein sehr selbständiges Laienherz dieselben, 
ohne die schriftliche Sanktion des Reiseführers, wirklich schön 
zu finden sich herausnehmen wird. Die meisten jedoch gehen 
natürlich ganz daran vorbei, denn hier ist ja so viel zu sehen, 
daß auch ich nur durch den langen ruhigen Aufenthalt hier 
dazu gekommen bin, manches herauszufinden. Meine ganz be- 
sonderen Freunde sind die großen Plafondmaler Pietro da 
Cortona und Luca Giordano, an deren üppiger Fidelität und 
Festeslust ich mich gar zu gern erfreue und ihnen manche 



— 112 — 

Flüchtigkeit der Zeiclinung, Häßlichkeiten, fade Allegorien usw. 
usw. ganz gern verzeihe. Es bleiben immerhin höllisch geniale 
Kerle, und ich sollte denken, selbst ein Raffael würde sie bis- 
weilen bewundert haben, wenn er diese liederliche Leichtigkeit 
des Schaffens noch mitangesehen hätte. Bisweilen sind geradezu 
seiner würdige Gestalten darunter zu finden, namentlich bei 
Pietro da Cortona, dessen Plafonds im Palazzo Pitti wohl das 
prächtigste sind, was es überhaupt geben kann: ein unsinniger 
und doch mit kühnster Sicherheit gehandhabter Bau von Orna- 
menten, Pilastern, Wappenschildern, Delphinen, Karyatiden, 
Putten, Festons, Tritonen, Nereiden und eingefügten Bildern; 
ein Zusammenwirken von dekorativer Plastik und Malerei, dabei 
oft ein so feines Gefühl für die Anwendung der Vergoldung, daß 
ich doch eigentlich nicht behaupten kann, die Plafonds wirkten 
protzig überladen, was viele minder reiche aus späterer Zeit tun. 
Zur Nachahmung derartiger Pracht wird man freilich schwerlich 
je Gelegenheit haben, denn, gibt es auch vielleicht noch heutzu- 
tage ähnlicbe Reichtümer, so ist doch die naive Freude am 
Schwelgen in diesen unermeßlichen Besitztümern nicht mehr da; 
man weiß was „Nützlicheres" mit dem Gelde anzufangen, als es 
als totes Kapital zur Vergoldung seiner Wohnungen auszugeben. 
Bis zu einem gewissen Grade mag man da vom nationalökonomi- 
schen Standpunkt Recht haben. Das Übertreiben dieser Theorie 
von der „nützlichen*' Anwendung des Kapitals ist aber sicherlich 
mit schuld an unserer Kalamität jetzt. Die Franzosen waren 
weniger ängstlich darum besorgt, ihre große neue Oper kann 
sich wohl an Pracht mit diesem Medicäerluxus messen — und 
das alte Lied vom Reichtum Frankreichs durch seine Industrie 
wird hier gerade so laut gesungen wie in Deutschland. 

Doch noch einmal zurück zu Santa Maria Novella und zwar 
zum kleineren Kreuzgang, welcher Chiostro verde heißt, weil er 
ganz graugrün in graugrün ausgemalt ist, mit Szenen des Alten 
Testaments in vorratiaelischer naiver Zeit, aber ich habe den 
Bildern noch kein tieferes Interesse abgewonnen. . . . Von diesem 
Kreuzgang aus kommt man in die Cappella degli Spagnuoli, 
den alten Kapitelsaal der Dominikaner, mit ziemlich den 



— 113 — 

interessantesten Fresken von ganz Florenz und also von ganz 
Italien. Auch sachlich sind sie von allerhöchstem Interesse, 
namentlich die beiden sich gegenüberliegenden Hauptwände, auf 
deren einer die streitende und triumphierende Kirche dargestellt 
sind, darunter zahlreiche Porträts (Giotto, Boccaccio, Petrarca, 
Laura, Gaddi, Memmi usw. usw.), auf der anderen eine Verklä- 
rung der rechtgläubigen Theologie, in der Mitte auf goldenem 
Thron Thoraas von Aquino, unter seinen Füßen die besiegten 
Irrlehrer Arius usw., und auf je sieben Stühlen zu seinen beiden 
Seiten die allegorischen Gestalten der Grammatik, Rhetorik, Dia- 
lektik usw., und unter diesen je ein geschichtlicher Repräsentant 
dieser Wissenschaft, so z. B. Justinian, Cicero, Tubalkain (Musik), 
Aristoteles usw. Auch der altheilige Kalauer betreffs des Namens 
der Dominikaner (Domini-canes, des Herrn Hunde, die nämlich 
den eingedrungenen Wölfen und Füchsen [den Irrlehrern] die 
Schafe wieder abjagen) ist hier sehr lebendig und anschaulich 
abgemalt. Es ist ein eigentümlicher, feierlicher Raum, quadra- 
tisch, von einem ziemlich niedrig ansetzenden, aber scheinbar um 
so höher sich wölbenden Kreuzgewölbe bedacht, welches ebenfalls 
reich bemalt ist, aber minder interessant. Auch die farbige Wir- 
kung ist bemerkenswert: im Gewölbe herrschen lebhaftere Farben 
vor, besonders der tiefblaue Grund, während die Wände mehr 
blaß, weißlich, gelblich, grünlich sind, mit einzelnen lebhaft roten 
und schwarzen Stellen darin (Sieneser Schule), aber außerordent- 
lich lebendig und charakteristisch in jeder Hinsicht — z. B. eine 
Szene, wo St. Domenikus mit Ungläubigen, Ketzern und Juden 
disputiert und sie teils bekehrt, teils wenigstens nachdenklich 
macht, während andere, auf das Alte Testament sich berufend, 
auf ihrer Meinung beharren. 

In diesem, den Triumph der Kirche und ihrer Lehre mit 
allem wissenschaftlichen Scharfsinn verherrlichenden, hochgewölbten 
Kapitelsaal der Dominikaner und der kleinen Giottoschen Seiten- 
kapelle in Santa Croce mit dem Leben des heiligen Franziskus 
charakterisieren sich die verschiedenen Richtungen der beiden 
Orden ganz besonders schön und bezeichnend, glaube ich. 

Nun einmal zu etwas anderem, nämlich zum Palazzo Strozzi 

Schapire, Hans Si)eckters Briefe. 8 



— 114 — 

und dessen Galerie, die nur einmal wöchentlich für zwei Stunden 
zugänglich und sehr wenig bekannt ist; sie hat auf mich eigent- 
lich den schönsten Eindruck unter allen Galerien hier gemacht. 
Vom Palazzo Strozzi selbst etwas zu sagen, ist eigentlich untun- 
lich, denn eine ungefähre Idee verbindet wohl jeder mit dem 
Namen und beschreiben läßt sich dergleichen nicht. Ich habe 
keine Photographie da von hier, schicke aber statt dessen den alten 
Medicäerpalast (später Riccardi), den Cosmus der Große auno 
1430 von Michelozzo Michelozzi erbauen ließ, und mit dem der 
50 Jahre später von ßenedetto da Majano, „als letzte und höchste 
Form des Palastbaues der Frührenaissance" entworfene Palazzo 
Strozzi doch immerhin noch manche Ähnlichkeit hat. 

Das ist so schön hier in Florenz, daß viele der alten Ge- 
schlechter noch heute existieren und ihre Paläste bewohnen! Und 
nirgends überkommt einen das ehrfürchtig-wohltätige Gefühl 
dieses engen Zusammenhanges mit der Vergangenheit stärker als 
im Palazzo Strozzi. Wie viele andere Geschlechter sind in den 
400 .Jahren zugrunde gegangen! oder hinaufgegangen und haben 
Throne mächtiger Reiche gewonnen! Aber selbst das imponiert 
kaum so wie eine Familie, die heute nicht mehr ist als damals, 
aber doch noch dasselbe, an deren Felsenhaus im Herzen der 
Stadt keine Veränderungen zu sehen sind! 

Noch zwei andere Privatgalerien sind dem Publikum zu- 
gänglich: Corsini und Torrigiani. Erstere ist sehr reichhaltig, 
ein großer weiter Palast am Arno herrlich gelegen, wo einst 
Macchiavells Landhaus stand, von Papst Clemens XII. (Corsini), 
anno 1610 mit aller Pracht jener Zeit, großen Treppen, riesigen 
Sälen usw. erbaut, aber, da die Familie nie in der Stadt lebt, 
sondern immer auf einer der vielen Villen ringsum, doch etwas 
die Spuren des Verfalls tragend. Im Vergleich mit den vier 
Zimmern mit etwa 40 Bildern, die man bei Strozzis zu sehen 
bekommt, machen die Räume doch einen fast parvenumäßigen 
Eindruck — während man in den Zimmern der Torrigiani- 
Galerie zuviel von ganz modernem Luxus und Komfort findet, 
der auf der anderen Seite freilich auch sehr behaglich stimmt. 
Im Strozzi ist keines von beiden: keine .Spur von Verfall, jeden 



— 115 — 

Augenblick könnte die eleganteste Gesellschaft empfangen werden, 
ohne daß vorher ein Staubkörnchen weggewischt zu werden 
brauchte, aber keine Familienphotographien auf den Tischen oder 
gestickte Straminsofakissen und Nackenrollen oder Schalen mit 
Visitkarten und dergl. Zeichen modernen Luxus stören den Ein- 
druck. Im Palazzo Corsini behält man den Hut auf, bei Torri- 
giano guckt man wohl gelegentlich mal in den Spiegel, ob auch 
die Kravatte gerade sitzt, oder betrachtet seine Handschuhe, weil 
man alle Augenblicke auf das Eintreten irgend eines Familien- 
mitgliedes gefaßt ist — bei Strozzi nimmt man zwar sofort den 
Hut ab, aber nachher denkt man gar nicht mehr an moderne 
Menschen, sondern nur noch an die alten Herren der vergan- 
genen Jahrhunderte, die gemalt oder gemeißelt einen umgeben. 
Meist sind es Familienporträts, aber was für welche! Von Velaz- 
quez ein Kardinal, von Tizian ein kleines Mädchen mit einem 
Hund, dann Bronzinos! Ein paar junge Leute von 15 bis 17 
namentlich! Und von Sustermans, dem großen Niederländer, der 
hier lebte und eigentlich nur hier zu finden ist. Die Mutter des 
Papstes Clemens XII. war eine Strozzi. Hier hängt ihr jugend- 
liches, im Palazzo Corsini ihr späteres Bildnis, beide von Suster- 
mans. In dem größten Zimmer die militärischen Größen der 
Familie: Mar6chal von Frankreich, Kommandant von Malta usw. 
— aber keine Allongeperücken darunter, alles 16. höchstens 
17. Jahrhundert, in den Ecken noch einige Rüstungen. Und 
mitten in der sonst durchgängig vornehmen Rokokoeinrichtung 
einzelne Prachtmöbel aus der alten Zeit, namentlich eine Eiesen- 
truhe, zwei zierliche Stühle und ein prachtvoller „Hochsitz". Das 
ist das einzige entsprechende Wort dafür; „Thron" würde einen 
falschen Begriff geben, „Sofa" einen noch falscheren. Diese 
Sachen gehören zum Schönsten, das man an reinen Renais- 
sance-Schnitzereien sehen kann. Natürlich tadellos erhalten 
und neu vergoldet, aber es stört hier nicht, mag es auch vorher 
malerischer ausgesehen haben. Dann vor allen Dingen die 
alten Marmorbüsten: auf der großen Truhe steht der alte 
Filippo Strozzi, der den Palast bauen ließ, vom Baumeister Bene- 
detto da Majano gemeißelt, ein altes häßlich-kluges, gutmütiges 



— 116 — 

Gesicht, mit kurzgeschorenen Haaren, jede Runzel und Furche 
der lederartigen Haut getreulich nachgeahmt, mit fast Denner- 
scher Treue. In einem anderen Zimmer, auch von den beiden 
besten Bildhauern ihrer Zeit, die Büsten seines Sohnes, mit ener- 
gischem augenehmen Bonvivantgesicht und dessen Frau mit halb- 
geschlossenen Augen, sanft lächelnd niederblickend, wunderhübsch. 
Dann ein bronzener Johannes Baptista von Donatello, eine kleine 
bronzene Wiederholung von Michelangelos Pietä durch Gian da 
Bologna, ein bronzener Löwenkampf (ob antik oder Renaissance, 
weiß ich nicht mehr), der im Motiv mit Kiss' Amazone in Berlin 
verglichen werden kann, ein herrlicher Kandelaber, genug, man 
ist in der gewähltesten Gesellschaft, und daß die Quantität nicht 
übergroß ist, trägt wesentlich zum Genuß bei. Aufs reizendste 
und taktvollste ist stets vom Strozzischen Wappen Gebrauch ge- 
macht. Es besteht aus drei goldenen Halbmonden auf rotem 
Grund; . . . dies W^appen sieht man nächst den sechs oder sieben 
„Pillen" der Medicäer am häufigsten in ganz Florenz. Aber vom 
vollständigen Wappen mit Helm und Helmdecke machten die 
Leute überhaupt selten Gebrauch, am wenigsten an Bilderrahmen; ... 
nur die einzelnen Teile des Wappens wurden ganz ornamental 
bearbeitet, und niemandem als Wappen kenntlich, häufig und 
reizvoll angewandt, so z. B. die Halbmonde als zierliche Friese, 
der Falk, der sich seine Federn ausrupft (im Wappen auf dem 
Helm sitzend), als Füllung einer leeren Kreisfläche, an Ecken des 
Kandelabers usw. Das vollständige Wappen erinnere ich mich 
nur flach in Holz geschnitzt, an zwei Stuhllehnen gefunden zu 
haben, und zwar kleiner als dieser Briefbogen! 

Die schönen venezianischen Kronleuchter, zwei altpersische 
Teppiche als Ottomanen usw. will ich nur erwähnen, um das Bild 
zu vervollständigen und Dir schließlich auch die einzige Dis- 
harmonie nicht schenken: das moderne Porträt der jetzigen 
Marchesa im letzten Zimmer, in lebensgroßer, gelbseidener Kri- 
nolineü Wenn ich mich täglich viele Male glücklich preise, in 
einer Zeit zu leben, in der wenigstens den Frauen erlaubt ist, 
sich schön zu kleiden und in der man hier und da wahrhaft 
herrliche, den schönsten Trachten aller Zeiten zu vergleichende 



— 117 — 

Gestalten zu sehen bekommt — dann tat ich es da erst recht. 
Wie war es möglich?!!! Und kann dergleichen wieder möglich 
werden?!!! . . . 

Wenn Du diesen Brief erhältst, Mittwoch, will ich eigentlich 
in Arezzo sein, und dann Sonntag früh in Rom. 

A reviderla! 

Hans. 



Cortona, 8. Februar 1877. 
Lieber Onkel! 
Ich habe also zunächst zu melden, daß ich Florenz verlassen 
habe, mich bereits im Flußgebiet des Tiber befinde und ein 
Drittel des Weges nach Rom hinter mir habe. Frühmorgens 
machte ich mich auf, mit Zurücklassung eines Koü'ers und aller 
Ölfarben, da ich doch schwerlich zum Malen kommen werde, und 
mit den letzten Resten meines Mammons sowie meines Schnupfens 
ausgestattet, beide für bescheidene Ansprüche vorläufig genügend. 
^j^l ging der Zug ab, und es dauerte nicht lange, so wurde die 
Gegend im Morgengrauen sichtbar. Den ersten Teil des Weges, 
zugleich den schönsten, kannte ich bereits von einem Ausflug her. 
Bis dahin ist das Ufer felsig, und schöne Brücken, auch halb 
zerstörte, schwingen sich über den Arno, der jetzt freilich höchst 
friedlich dahin schleicht und von seiner gelegentlichen Wildheit 
nichts ahnen läßt. Aber man sieht hier allerlei Spuren davon. 
Übrigens gab er uns im Dezember auch in Florenz ein Beispiel 
seines eigentlichen Charakters, indem er sein Bett, welches er 
z. B. meiner damaligen Wohnung gegenüber nur halb ausfüllt, 
bis dicht unter den Brückenbogen hinauf brausend und schäumend 
erfüllte, so daß einem um den alten Ponte vecchio mit all seinen 
Juwelenläden Angst und Bange werden konnte. — Das Land ist 
hier wunderschön, überall Spuren menschlicher Tätigkeit: Städt- 
chen, Dörfer, Villen, Kastelle, Klöster und einzelstehende 
Häuser, wohin man sieht. Das Land mit größter Sorgfalt be- 
baut, die Furchen mit einer so sauberen Akkuratesse gezogen, wie 
ich es sonst nirgends gesehen habe; dazwischen Maulbeerbäume 



— 118 — 

mit Weingeranke daran, jetzt freilich in der dürren Kalilheit ein 
trister Anblick, meist sehen sie aus wie Karikaturen auf den 
Laokoon, der sich den Schlangen zu entwinden sucht, oder, wenn 
man weniger klassisch gestimmt ist, wie ein stämmiger Kerl, 
der von einem dünnen, lebhaften Lackel geprügelt, geschupst, 
geknufft wird, sich aber im Gefühl seiner Kraft ziemlich ruhig 
dagegen verhält; nur selten sieht man ein Ringerpaar, bei welchem 
der dürre Wein durch irgend einen kühnen unverschämten Sprung 
seinen Gegner wirklich zu überwinden oder doch wenigstens ge- 
hörig ..beim Krips'' zu haben scheint. Ihr seht, die Lektüre von 
Onkel Erwins Briefen mit ihrem Bilderreichtum wirkt ansteckend. 
Aber ich verfalle dabei ins Prosaische! 

Die toskanischen Häuser haben eine einfache Grundform, 
das Türmchen dient meist als Taubenschlag, das Erdgeschoß als 
Stallung. Durch An- und Umbauten aller Art entsteht jedoch 
die größte und reizvollste Mannigfaltigkeit, die sich denken läßt, 
keines gleicht dem andern, und unsere norddeutschen Strohdach- 
häuser, so hübsch sie in ihrer Art sind, scheinen im Vergleich 
damit doch höllisch langweilig. Unter den kleinen Kirchtürmen 
mit ihren offenen Glockenstühlen herrscht ebenfalls der größte 
Wechsel. 

Gegen zehn kommt man in Arezzo an, welches bergwärts 
ziemlich steil liegt. Es hat ca. 40000 Einwohner und macht 
einen leidlich lebhaften Eindruck. Jch dachte an Nordhausen, 
was freilich ein schlechtes Komj)liment für Arezzo ist, von dem 
dort herrschenden allgemeinen Branntweinduft ganz abgesehen. 
Es gibt viel Schönes hier zu sehen. Obenan den Dom, „eine der 
schönsten gotischen Kirchen Italiens". Mit Ausnahme der S. Ana- 
stasia in "Verona, jedenfalls die schönste, die ich bisher gesehen 
habe; eine Ähnlichkeit mit S. Maria Novella in Florenz fällt 
sofort auf, aber die Pfeiler stehen dichter und das Gewölbe ist 
höher oder es scheint wenigstens so. Dazu keine Restaurations- 
verpfuschungen wie in fast allen Florentiner Kirchen. Besonders 
interessant die Glasfenster vom Dominikanermönch Wilhelm von 
Marseille, ohne architektonische Umrahmung, wirkliche Bilder 
nachahmend, also ganz modern, aber doch von angenehmer 



— 119 — 

Wirkung. Die Farben scbön und bunt, aber oft große architek- 
tonische Hintergründe wie bei Paolo Veronese. In einigen 
anderen schmäleren Fenstern übrigens auch einzelne große 
Heiligengestalten unter Baldachinen, teilweise von großer Schön- 
heit, alles derartige in Florenz übertreffend. Von demselben 
Wilhelm von Marseille in einer anderen Kirche sehr feine kleine 
Glasfenster, die in der freien schwungvollen Benützung des Orna- 
ments mich au den Münchner Rudolf Seitz erinnerten. — Außer- 
dem im Dom ein überreich geschnitzter Marmoraltar von Gio- 
vanni Pisano, anno 1286 und große und schöne Grabdenkmäler 
eines berühmten ghibellinischen Erzbischofs und eines Papstes 
(Gregor X.) aus ähnlich früher Zeit, einige der schönsten und 
größten Robbias, die ich gesehen habe, und schließlich sehr inter- 
essante Gewölbemalereien, ebenfalls von Dominikanern gemalt, 
gleichzeitig mit den Glasfenstern; Geschichten des Alten Testa- 
ments mit allegorischen Figuren in den Zwickeln, in denen zum 
Teil michelangelesker Einfluß aus der sixtinischen Kapelle zu 
erkennen ist. Zuerst glaubte ich schon Vorbilder Michelangelos 
gefunden zu haben!! Der ganze Raum herrlich einheitlich, 
dunkel, obendrein von nicht gerade unangenehmen Knabenstimmen 
unisono erfüllt. Nur einen Sonnenstrahl hätte ich mir gern er- 
beten, aber damit war's den ganzen Tag nichts, nur am Spät- 
abend auf der Weiterfahrt schob sich die dunkle Wolkenwand 
wie eine Riesenkulisse allmählich beiseite und ließ den goldnen 
Abendhimmel mit vielen rosigen Lämmerwölkchen sehen. Hoffent- 
lich schiebt sie sich über Nacht nicht wieder davor, denn Sonnen- 
schein gehört eigentlich doch dazu, und ich nehme lieber einige 
Grad Kälte mehr dafür in Kauf. Lieber freilich ohne diese. 

Von den vielen anderen Kirchen will ich Dir nichts erzählen, 
da es doch nur auf eine Aufzählung der Xamen herauskäme, die 
obendrein doch immer dieselben sind: S. Domenico, San Fran- 
cesco, Santa Annunziata usw. — Übrigens sah ich hier wenig- 
stens einen schwachen Versuch zum Karneval. In Florenz ist 
nämlich absolut nichts los, weniger vielleicht als in Ham- 
burg. Aber hier durchzogen doch einige maskierte Personen, 
meist in langen weißen Nachthemden, mit bunten Bändern und 



— 120 — 

Schärpen herausgeputzt, die Straßen; wohl meist Landleute, die 
sich in der Stadt „amüsieren" wollten und sich nun wahrschein- 
lich ziemlich hereingefallen vorkamen. Sie wurden nur mit einem 
gewissen höhnischen Mitleid angeguckt und gingen ziemlich trüb- 
selig dahin, oder schrien und piepten etwas, um ihre ungemüt- 
liche Stimmung zu verbergen. Gerade als eine Militärkapelle auf 
einem kleinen Platz am Corso zu spielen begann, was die Sache 
vielleicht etwas tideler gemacht hat, wurde es Zeit für mich, an 
die Bahn zu gehen. 

Arezzo ist die Geburtsstadt vieler großer Leute: Pietro Are- 
tino, Petrarca, Guido von Arezzo, der Erfinder des Notensystems 
(IL Jahrhundert), dem man auch ein Standbild gesetzt hat^ 
welches ich jedoch nicht finden konnte. Ich hatte schon an den 
anderen genug. 

Ferner lebte Vasari hier, baute auch eine recht inter- 
essante Kirche, Kaufmannsloggien usw. Sein Haus ist erhalten, 
und obgleich jetzt anderweitig bewohnt, noch gut in Stand, 
Fresken, Plafonds usw. alles von ihm selbst ausgemalt. Auch 
sein Garten hat damals schwerlich viel anders ausgesehen als heute, 
nur etwas ordentlicher. Aber die symmetrisch angeordneten 
Beete mit den engen Stiegen dazwischen, die kleinen ßosenlauben 
mit steinernen Tischen und Bänken, von denen aus man in die 
steile Straße hinabsehen kann, waren wahrscheinlich vor 300 Jahren 
ebenso angelegte Der große Baum freilich, den er sich in 
Ermangelung wirklicher, an die eine Wand seines Hauses gemalt 
hatte, ist arg verwittert und kaum noch zu erkennen. Ein gut 
Teil Phantasie mag, als er noch „frisch" war, dazu gehört 
haben, um sich an ihm zu erfreuen. Bilder von Vasari sind 
natürlich in ziemlicher Anzahl hier zu sehen, auch außerhalb 
seines Hauses. Sie tragen alle denselben ziemlich nichtssagenden 
Charakter. Sie sind nicht schlecht, aber man vergißt sie sehr 
bald wieder. Viel besser sind seine Porträts, und dann war er 
für seine Zeit doch immerhin einer der tüchtigsten Architekten 
(die Uffizien in Florenz sind von ihm). Als Kunstschriftsteller 
bleibt er jedoch, trotz aller Unrichtigkeiten, unersetzlich. 



— 121 - 

Perugia, 9. Februar 1877. 
Um Y^ö fuhr ich von Arezzo ab und war um sechs in Cor- 
tona. Die Sonne war schon untergegangen, und als ich oben in 
die Stadt ankam, war es Nacht. Cortona ist nämlich ein Felsen- 
uest, eine der alten 12 Städte Etruriens und liegt hoch auf 
einem ÜUO Meter überm Meer aufragenden Berg, also viel viel 
höher als z. B. Marburg. Der Omnibus braucht ca. ^/^ Stunden 
von der Station bis zur Stadt hinauf. Anfangs beobachtete ich 
noch die schönen mannigfaltigen Silhouetten der Ölbäume gegen 
den roten Abendhimmel, dann aber döste ich ein und ging 
schließlich mit meinem vis-ä-vis, einem „Reisenden" (Commis 
voyageur), in den Albergo nazionale, den er mir dringend empfahl, 
indem er behauptete, die „Stella'', die in meinem Führer gerühmt 
war, existiere nicht mehr. Letzteres war freilich nicht wahr, aber 
ich bereute es doch nicht, mit ihm gegangen zu sein. Es war 
ganz gut und ziemlich originell. Zuerst glaubte ich, schrecklich 
hereingefallen zu sein. Das Wirtshaus war nämlich von außen 
vollkommen unkenntlich: man tappte eine enge dunkle Stiege 
hinauf, pochte heftig an eine Tür und wurde dann über einen 
langen dunkeln Korridor in das Wirtszimmer geführt, dessen 
Wände freilich, da die Leute bei dem geringen Fremdenverkehr 
nebenbei auch noch ein Maskenverleihungsgeschäft angefangen 
haben, dicht mit Maskenanzügen garniert waren. Das Abendessen 
war jedoch gut; der Wirtin Töchterlein zwar nicht hübsch, hatte 
vielmehr den hier häufig vorkommenden chinesisch katzenartigen 
Gesichtstypus mit Stumpfnase, hinkte auch ein wenig, war aber 
ganz munter; der Commis voyageur war ein ganz netter Kerl 
und amüsierte sich königlich, die paar Brocken Deutsch, die er 
bei einem Aufenthalt in Wien einmal aufgeschnappt hatte, wieder 
an den Mann zu bringen. Später kam noch einer seiner Freunde, 
ein Schweizer, der sich in Cortona niedergelassen hat, und von 
dessen vorzüglichem Deutsch er mir schon vorher viel vor- 
geschwärmt hatte. Bei Licht besehen, war das denn freilich so 
wenig, daß wir die Unterhaltung doch bald auf italienisch fort- 
setzten. Dieselbe war natürlich nichts weniger als geistreich, 
aber in fremder Sprache ist man stets genügsam, lacht laut über 



— 122 — 

Witze, für die man im Deutschen kaum ein Lächeln oder Achsel- 
zucken übrig gehabt hätte und kommt sich wie ein Voltaire vor, 
wenn mau etwa selbst einen Kalauer geleistet hat, den man in 
der eignen Sprache entweder überhaupt sich verkniffen hätte oder 
doch wenigstens schamrot geworden wäre. — Die Freunde gingen 
dann noch etwas ,,ballare" — wovon mein Freund anderen Tages 
Katzenjammer hatte — ich aber schrieb mit rotlila Tinte vor- 
ausgehendes und verfügte mich vor elf ins herrliche, große und 
prachtvoll gewärmte Bett. 

Anderen Tages war wirklich Sonnenschein und richtiger 
Frühlingstag, zwar stand ich nicht so früh auf wie ich beab- 
sichtigt hatte, aber der Tag war lang genug. Ich wurde ohne- 
dies ganz müde von dem beständigen Treppauf- und Treppab- 
laufen. Die Straßen sind teilweise von unglaublicher Steilheit, 
Fuhrwerk kommt in der Oberstadt denn auch gar nicht vor. 
Nach allen Seiten gibt es Terrassen mit Ausblicken in die Weite 
und Tiefe, zuerst sah man noch ringsumher den weißen Nebel 
liegen, der sogar noch um 1 1 Uhr, als ich die höchste Höhe — 
Santa Margherita, eine jetzt „gründlich" in Restauration begriffene 
Kirche, mit Zypressenhain daneben — erstiegen hatte^ mich nicht 
zum Anblick des Trasimenischen Sees kommen ließ; am Nach- 
mittag dagegen sah ich ihn ganz schön und klar aus geringerer 
Höhe daliegen. Das Städtchen ist sehr arm, besonders die Ober- 
stadt, aber die Leute betteln fast gar nicht. Hier hatte ich 
zuerst den Anblick verschiedener charakteristischer Züge des 
italienischen Volkslebens: alte Frauen mit Spindeln unter dem 
Arm auf den sonnenbeschienenen Haustreppen, Mütter, die ihre 
Kinder lausten, und gegenüber im Schatten, wo übrigens dicker 

Reif lag, irgend ein Söhnchen, welches seine Notdurft verrichtete 

Mir waren die Bilder der lausenden Mütter, mit Ausnahme des 
kleinen Gerard Dou in München, nie angenehm, selbst für den 
großen Murillo dort habe ich die allgemeine Begeisterung nie 
recht teilen können — Lebensgröße ist wohl etwas zu pretentiös 
für den Gegenstand — aber in natura hat die Sache wirklich 
etwas eigenartig Poetisches, ein großes Stück Mutterliebe spricht 
sich darin aus. Die Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf der einen 



— 123 — 

Seite, neben der vertrauensvollen, behaglichen Hingabe des Kindes 
hat etwas so Anziehendes, daß ich die Wahl derartiger Motive 
ganz erklärlich finden muß. 

An Kunst ist nicht arg viel los: zwei hübsche Renaissance- 
kirchen, im Dom Bilder von Luca Signorelli di Cortona, jenem 
ersten, der der Darstellung des Nackten mit Begeisterung anhing^ 
auch überall, wo es gar nicht hinpaßt, auf Madonnen, auf sein 
Selbstporträt wenigstens im Hintergrund einige Nackedeis anzu- 
bringen wußte, und deshalb eine Art Vorgänger Michelangelos 
genannt wird, — Im Dom ist besonders ein sehr schönes Abend- 
mahl sehenswert, bei welchem Signorelli, von der gewöhnhchen 
Darstellung abgehend, den Tisch wegließ, und Christus, durch die 
Reihen der knienden Jünger schreitend, das Brot verteilen läßt. 
Ebenda ein sehr schöner antiker Sarkophag, dessen Reliefs 
schon von Brunellesco und Donatello bewundert und studiert 
wurden. Ferner sind verschiedene Bilder von Fiesole vorhanden, 
der hier die ersten Jahre seines Mönchslebens zubrachte. Eins 
davon ist auch in den Uffizien, ich erkannte es natürlich gleich 
wieder, aber angesehen habe ich es doch erst hier. Was ist das 
doch für ein Unterschied, ob man ein derartiges Bild in Reih 
und Grlied mit allen möglichen andern sehen muß, oder in der 
stillen, friedlichen, kleinen Kapelle oder Sakristei eines einsamen 
Bergstädtchens, wo man den frommen Mönch leben und einher- 
gehen sieht, mit ihm die sonnigen Stiegen hin ab schreitet, mit 
ihm an den Altan sich lehnt und hinausschaut in das weite 
üppige Land, bis zu den Ufern des Trasimenischen Sees, an denen 
Hannibal die Römer schlug. Wie gut kann man sich den stillen, 
den Beato Angelico hier vorstellen! Selbst im Markuskloster zu 
Florenz haben seine Fresken kaum den Eindruck auf mich ge- 
macht wie hier die kleinen Predellen. In seiner Kirche ist ferner 
der vollständigst erhaltene Altar jener Zeit, mit unbedeutenden 
Bildern, aber im ganzen Aufbau aller einzelnen größeren und 
kleineren Bildchen, im prächtig vergoldeten gotischen Rahmenwerk 
macht es doch einen herrlichen Eindruck. Da ich fürchte, daß 
keine Photographien existieren, habe ich's mir flüchtig skizziert, 
bin überhaupt so skizzierlustig in diesen zwei Tagen gewesen wie 



— 124 — 

iu Florenz in Wochen nicht. Das Wetter war aber auch zu 
schön! Der richtige Frühling! Und die ganze belebte Natur 
empfand das, besonders die Menschen; alle Fenster und Türen 
waren offen, und das Leben bewegte sich wirklich halb auf der 
Straße, aus allen Fenstern guckten die Mädchen heraus — 
hübsch freilich eigentlich nicht — und lachten und schwatzten 
mit den Nachbarinnen oder schauten schweigend in die sonnige 
dunstige Weite ihre Kater streichelnd. . . . 

Nachmittags besah ich dann das Museum, ein kleines Zimmer- 
chen, zu welchem der Weg durch verschiedene mäßig stattliche 
Bibliotheksräume führt, lang und schmal . . . aber mit weiter Aussicht 
über viele Schornsteine und Dächer weg, w^eit über Land und Berge 
und den See. In diesem Museum befinden sich allerlei recht 
interessante ägyptische und etruskische Kleinigkeiten. . . . Ich 
interessiere mich, seit ich das herrliche etruskische Museum in 
Florenz gesehen habe, sehr für diese alten Herren. Sie standen 
denn doch auf einer sehr respektablen Bildungs- und Kuuststufe. 
In Florenz sind bronzene Rüstungen und besonders die lebens- 
großen Statuen eines Redners und einer Minerva, die wunder- 
schön sind und ebensogut römisch sein könnten. Die kleineren 
Dinge sind oft höchst komisch, aber stets lebendig und charak- 
teristisch, besonders der Sinn für die Tierwelt sehr ausgebildet. 
— Nach der Besichtigung des Museums ging ich noch etwas 
bummeln, fand in einer garstigen Kirche zu meiner Freude auch 
ein Altarbild, und zwar ein recht schönes und würdiges von dem 
andern berühmten Cortonesen, Pietro nämlich, von dessen be- 
rühmten Plafonds im Palazzo Pitti ich das letztemal geschrieben 
hatte . . . und ging dann den Weg zum Bahnhof hinunter. Mein 
Nachtsack war der einzige Passagier des Omnibus. Dieser Berg- 
abhang im milden Abendsonuenschein war das Alierschönste und 
entzieht sich jeder Beschreibung. Die glühende Wucht italie- 
nischen Kolorits kenne ich ja überhaui)t noch nicht, aber ich 
kann mir kaum denken, daß ich sie diesem sanften Flimmern 
und Schwimmen der Farben vorziehen werde, wo Schatten und 
Licht der Berge, blau und purpurn ganz weich ineinander über- 
gehen, wo das Grüngrau der Oliven, das Graubraun und Grau- 



— 125 — 

gelb der Häuser und Mauern, die einzelnen braunroten dürren 
Büsche dazwischen einen unbeschreiblich wohltuenden Grund- 
akkord bilden, aus dem nur hier und da dunkle Zypressen und 
schneeweiße Häuser (auch die rosaroten sehen oft schön aus) als 
fortos und fortissimos hervorleuchten. Die Oliven sind immer 
charaktervoll, energisch und dabei graziös und lieblich. Der Baum 
hat in der ganzen Welt nicht seinesgleichen, weder in der Pflanzen- 
noch in der Menschenwelt. 

Unterwegs besah ich noch eine interessante Frührenaissance- 
kirche, ließ mir aufschließen von einem hübschen, aber nicht allzu 
freundlichen jungen Menschen, und als ich ihm Geld dafür geben 
wollte, schüttelte er mit liebenswürdig-stolzem Lächeln den Kopf 
und sagte: ,,Ich nehme nichts, wollet es diesen armen Leuten 
geben" — die sich natürlich eingefunden hatten. Selten hat 
mich etwas so erfreut! 

Die Sonne ging rot und trübe unter, ehe ich die Station 
erreichte, und als wir an den Trasimenischen See kamen, war es 
fast Nacht. Von den drei hainbewachsenen Inseln, die aus „dem 
lichtgrünen Seespiegel hervortauchen", war nur wenig zu sehen. 
Das Spiegeln übernahmen die Sterne, die Luft war weich und 
lind, wie Frühlingsabende bei uns im März, und als wir am schil- 
figen Ufer des Sees entlang fuhren, und sogar ein paar Frösche 
leise zu quaken begannen, setzte sich das herrliche, ahnungs- 
reiche Frühlingsgefühl des Tages auch in die Nacht hinein fort, 
Wohl drei Stunden fährt man hart am Ufer des Sees hin. Nach 8 
waren wir an der Station Perugia, gegen 9 in der Stadt, die 
ebenfalls hoch und weitab von der Bahn liegt. . . . 

Assisi, n. Februar. 
Zu Cortona ist noch nachzuholen, um das Bild des Weges 
bergab zur Station zu vervollständigen, daß viele jener, in ganz 
Italien üblichen, zweirädrigen Karren, wie immer rotgestrichen 
und leicht bestaubt, von einem oder zwei Eseln, Maultieren oder 
Pferden gezogen (eins seitwärts vors andre gespannt), ganz lang- 
sam und sacht den trefflich chaussierten Weg hinauffuhren, ohne 
Beschwerden und wie im Traum; die Männer lagen meist platt 



— 126 — 

auf dem Bauch im Karreu und schliefen, die klugen Tiere finden 
den Weg allein. Neben der Kirche, deren junger Küster mich 
durch seine selbstlose Gesinnung so erfreut hatte, spielte eine 
Schar geistlicher Seminaristen eine Art von Diskuswerfen, welches 
man hier viel sieht. Auch das sah schön aus: all die schwarzen 
Gestalten in dem grauen Staub, unter den zierlichen Oliven; die 
meisten jungen Leute auf der Rampe der Straße hockend, wie 
immer, möglichst leise und gesetzt, unterbrachen auch sie die 
feierliche Abendstille nicht durch Schreien und Lärm. 

Doch nun Perugia! Als ich gestern morgen aufwachte, war 
der Himmel wieder bewölkt. Die Schönheit der Stadt kam erst 
heute an einem Sonntagmorgen zur vollen Geltung. Trotzdem 
ist die Lage so einzig schön, daß sie auch ohne Sonnenschein 
schon imponierend genug wirkt. Perugia liegt 100 m minder 
hoch als Cortona, aber 500 m über dem Meer bleibt immerhin 
noch eine ansehnliche Höhe. Es hat 50000 Einwohner und 
macht einen ganz belebten Eindruck, weder kleinstädtisch noch 
arm. Die Hauptstraße, der Corso, mit Rathaus, Dom usw., läuft 
den Rücken des Berges entlang, und die Nebenstraßen fallen wie 
die „Gruben" in Lübeck nach beiden Seiten ab. Aber die 
Steigungen sind hier viel bedeutender und teilweise für Fuhr- 
werk ganz unpassierbar, der „Fahrweg" sogar bisweilen mit 
breiten Stufen versehen, für die guten Esel, die oft hochbepackt 
mit Säcken voll Holzkohle, trockuem Reisig, Körben voll Obst 
oder Geflügel ganz munter hinauf klettern. Und dabei sind sie 
hier nicht, wie in Florenz durchgängig, mit Troddeln und Schellen 
geschmückt. Die Fußwege zu beiden Seiten, ohne Stufen, sind 
sehr schwer zu benutzen. Ich kam sowohl beim Hinauf- wie 
beim Hinabgehen mehrfach ins Rutschen. Übrigens taxiere ich 
die Peruginer für gut bewadet. Dies viele Steigen muß sehr 
günstig darauf wirken. 

Außer der größern Steilheit ist die Bildung des Terrains 
auch viel mannigfaltiger als in Lübeck, durch verschiedene Seiten- 
arme des Hauptstocks, die dann wieder ihre eignen „Gruben" 
haben; es ist, um botanisch zu reden, der Unterschied eines ge- 
fiederten und doppelt gefiederten Blattes. Ich kenne keine schöner 



— 127 — 

gelegene Stadt. Der Reichtum an schönen, sich aufbauenden 
Silhouetten, mit Ausblicken in die Weite ringsum, ist unerschöpf- 
lich. Man sieht oft zugleich über Dächer hinweg, in Häuser 
hinein, andre ragen daneben steil und hoch empor. Dabei ist 
die Bauart im allgemeinen architektonisch wenig bemerkenswert. 
Der Reiz liegt darin, daß das Ganze so „gewachsen" erscheint 
wie ein Naturprodukt. Ich denke mir, daß Ludwig Richter hier 
Studien gemacht hat. — Übrigens gibt's auch allerlei hervor- 
ragende Gebäude, die von der alten Herrlichkeit zeugen. Der 
Dom ist recht groß, seine gleichhohen Schiffe ruhen auf sehr 
schlanken, sechseckigen roten Marmorsäulen mit goldenen Kapi- 
tellen. Leider ist er in der schlimmsten Zeit der neuerwachenden 
Begeisterung für Gotik restauriert; namentlich erfreut er sich 
schauerlicher Glasfenster. Nur eins, wahrscheinlich aus aller- 
jüngster Zeit, gegenüber einem alten, von dem schon mehrfach 
erwähnten Wilhelm von Marseille (Marcillot) ist sehr hübsch ge- 
raten und hat eine milde Kraft der Farben wie gute Peruginos. 
Von außen ist der Dom, wie beinahe alle gotischen Kirchen in 
Italien, die ich gesehen habe, unvollendet und sieht höchst ruppig 
aus. Daran bin ich aber schon gewöhnt. Ob er, wenn man die 
an einer Ecke begonnene Marmoriukrustation (rot und weiß) durch- 
geführt hätte, viel schöner aussähe, möchte ich sogar auch noch 
bezweifeln. Diese Hosenzeugmuster in Marmor sind in der ganzen 
Gegend beliebt. 

An der andern Seite des Platzes liegt das Rathaus, ein herr- 
licher gotischer Bau, nicht so gewaltig wie der Palazzo vecchio 
in Elorenz, aber reicher und liebenswürdiger und doch sehr ernst 
und stattlich. Besonders malerisch ist die Schmalseite mit ihren 
vielen Treppen und, hoch über einer Seitentür, auf weit vor- 
springenden Konsolen, zwei große Bronzebestien, Löwe und Greif, 
die von einem alten Brunnen stammen, aber schon 1358 hier 
angebracht waren; seit diesem Jahre tragen sie an einer langen 
Kette einen Wagenbalken, eine Siegestrophäe aus den Kämpfen 
mit Siena. Auf dem Platz steht ein riesiger dreischaliger Brunnen 
aus dem Jahre 1277, mit reichem Bildwerk von den Pisanos und 
Arnolfo di Cambio, dem Baumeister des Florentiner Doms. Im 



— 128 — 

Erdgeschoß sind die Räume des Bankkollegiums und Wechselgerichts 
der Stadt, das Cambio, ein größerer in der Mitte, ein kleinerer 
und eine Kapelle daneben. Der größere ist Peruginos Werk, und 
dafür sollen ihm all seine süßen Madonnen verziehen sein. Es 
ist das vollendetste, was ich in der Art kenne, ganz dem Bild 
entsprechend, das mir für einen derartigen Raum vorschwebte. 
Beschreiben läßt sich dergleichen nicht gut, besonders da das 
Dargestellte teilweise uns unverständlich gewordene Allegorien 
von Herrschertugenden (in der Luft sitzend, mit Schrifttafeln in 
der Hand) und antike oder alttestamentarische Repräsentanten 
derselben sind, die ohne Gruppierung nebeneinander stehen. 
Dagegen ließe sich wohl vieles einwenden. Aber alles ist so 
herrlich in den Verhältnissen und besonders so reich und satt 
und mild in der Farbe, daß man sich gleich beim Eintreten 
wünscht, Handelsrichter in Perugia zu sein. Da muß gut sitzen 
und Rechtsprechen sein! Auch die Intarsien und Schnitzereien, 
welche an der einen Seite, wo die erhöhten Sitze für die Richter 
sich befinden, bis zur Decke hinaufreichen, sind nach Peruginos 
Zeichnung und sehr berühmt. . . . Überhaupt gibt's viel schönes, 
holzgeschnitztes Stuhlwerk in Perugia. Doch will ich Euch nicht 
wieder mit der Beschreibung aller Kirchen und ihrer Sehens- 
würdigkeiten langweilen. Es kommt doch immer aufs selbe hinaus. 
Hier obendrein immer auf Perugino oder scuola Perugino, die 
man (ich wenigstens) bald satt kriegt, so schön manches ja ohne 
Frage ist. Die Galerie, sehr gut in einer unbenutzten zopfigen 
Kirche aufgestellt, macht zuerst etwa denselben monotonen Eindruck 
wie eine Melbye- Ausstellung, fast noch gleichmäßiger. Sehr wohl ge- 
fielen mir einige Pinturicchios, von besonders schöner Farbe, 
doch am liebsten waren mir auch hier wieder einige Fra Angelicos ! 
Was seine kleinen, einzelstehenden Heiligenfiguren, oft nicht höher 
als ein Briefbogen (ursprünglich Füllungen in den goldenen Um- 
rahmungen größerer Altarbilder), für eine Schönheit, Würde und 
Anmut haben, davon habe ich früher keine Ahnung gehabt. Die 
gewöhnliche Auffassung Frisoles ist ja die, daß er der Maler der 
selig Verklärten und der Süßigkeit des Paradieses ist. Aber daß 
er daneben auch die ernsteste Männlichkeit in strenger Feier- 



— 129 — 

lichkeit zwar, aber auch mit gründlichem Studium der Natur, 
besonders in den Köpfen, darstellen kann, das wird nur zu oft 
übersehen. Und bei Gestalten dieser Art werden auch seine Farbe 
und Zeichnung meist ganz anders: die Falten seiner Engelchen 
haben meist ein sehr allgemeines schablonenhaftes Gepräge (wie 
(Jnkel Erwins in früherer Zeit ja auch), und die Farbe besteht 
in Hellblau, Rosa, Zinnober und Gold, oft in unglaublich naiver 
Geschmacklosigkeit; das ist aber sowohl bei seinen Fresken in 
San Marco, wie auch besonders bei derartigen kleinen Figuren 
ganz anders. Da sind Zeichnung und Farbe oft nicht nur sehr 
ernst, sondern von geradezu hervorragender Schönheit. 

Übrigens war gerade Markttag (Sonnabend) in Perugia, und 
ich konnte an den Typen und Kleidern der Leute merken, daß 
ich Rom näher kam. Die Haut war dunkler, Augen und Haar 
schwärzer als in Florenz, und der Schnitt des Gesichts oft von 
klassisch vornehmer Strenge, besonders bei Frauen von zirka 
40 Jahren; Schönheiten sah ich jedoch nicht, nur ein blondes 
Backtischchen im Typus peruginesker Madonnen könnte ich dazu 
rechnen. Aber ihr süßes Lächeln war so schalkhaft, munter und 
unbewußt, daß ich sie all dem peruginesken Gebimmel bei weitem 
vorzog. — Die Tracht ist in der Form die allgemeine charakter- 
lose europäische Bauerntracht, aber die Farbe wirkt heller und 
bunter, je weiter man nach Süden kommt. Bei uns ist Dunkel- 
blau die Lieblingsfarbe, in Florenz sieht man Halstücher, Blusen 
und Schürzen vorzugsweise Rotgelb und Rotviolett, die Röcke und 
auch wohl die Wämser dagegen meist Braun, Grau und Schwarz. 
Hier sind Rot, Gelb und Weiß schon fast die allgemeinen Farben, 
auch für die Röcke, die oft aus Kattun sind, wie unsere Dienst- 
mädcheukleider, nur größer und bunter gemustert. Ja, ich sah 
Bauerfrauen ganz in Weiß oder Hellgelb, so daß die Hände auf 
solchem Grunde von mohrenartiger Dunkelheit erscheinen. Dabei 
nimmt der Schmuck zu, die Ohrringe werden größer, die Hals- 
ketten länger und dicker, besonders sieht man auch viel große 
rote Korallenketten. . . . 

Heute, Sonntag, morgen war himmlisch schönes Wetter, und 
ich glücklicherweise beizeiten auf. Ich ging gleich bis zum alten, 

Schapire, Haus Speckters Briefe. 9 



- 130 — 

hohen, schwarzen Tor des Augustus, jetzt fast mitten in der 
Stadt, durch welches eine steile Straße zu einem netten kleinen 
Plätzchen hinabführt. Hier war munteres Treiben: man schlug 
Tribünen auf und schmückte sie mit bunten Fetzen, umwand die 
Säulchen über dem alten Tor mit grünen Lorbeergirlanden, 
Kränzen, Fähnchen und wimmelte in fröhlicher Festeserregung 
auf und ab. Sogar die Bettler vertauschten ihr: per la grazia 
della Madonna bisweilen mit per la grazia di Carnevale! Wer 
konnte da widerstehen?! Und in diesem ganzen ärmeren Stadt- 
teil war dieselbe Stimmung: da sah man alte Mütterchen mit 
einem Packen rot-weiß-grüner Fähnchen unter dem Arm einher- 
humpeln, hübsche Mädchen ihr Fenster schmücken, Kerle auf 
langen Leitern stehend, Girlanden mit Papierlaternen über die 
Straßen spannen, oder Tribünen benageln u. dgl. Die Kirchen 
waren für einen Sonntag recht leer. 

Mein Weg führte mich ans äußerste Nordende der Stadt, 
wo, hochgelegen, eine frühchristliche sechzehneckige Kirche mit 
Oberlicht steht, die ich noch besichtigen mußte. Das war bald 
getan. Aber viel schwieriger war es, sich von der Fernsicht zu 
trennen, die ich an der Außenseite der Stadtmauer hatte. Das 
war das schönste Sonntagmorgen -Panorama meines Lebens: die 
Stadt duftig, von hinten beleuchtet, unter mir die Täler noch 
voll Nebel, aber die Bergzüge klar und licht, und manche Giebel 
hellerglänzend von weißem Schnee, besonders gegen Osten zu, 
wo ich am Abend zuvor Assisi ganz deutlich hatte liegen sehen, 
den heiligen Boden, dessen Anblick auch mich mit Ehrfurcht 
erfüllte. Die Sonne schien so wohlig warm, einzelne Fliegen 
summten schon umher, sogar einige noch nicht verspeiste Vögel 
flatterten in der Nähe. Marienblümchen sproßten schon hervor, 
und der Frühling tat sich überall kund. Dazu ab und zu ein 
feierlicher Glockenschlag, und aus der Ferne einzelne fröhliche 
Menschenlaute und ein schlichtes, nur dank der Ferne melo- 
disches Pfeifen — doch ich mußte fort in die Pinakothek, von 
der ich schon gesprochen habe. Ich verschiebe es meist bis zu- 
letzt, die Galerien zu besehen, sie sind mir nun einmal un- 
sympathisch, wie Du weißt. Von allen, die ich noch gesehen, 



— 131 — 

ist freilich die Aufstellung dieser in einer unbenutzten Kirche die 
angenehmste, außerdem das Licht vortrefflich. Viel länger als 
eine Stunde blieb ich aber doch nicht drin, sondern bummelte 
noch etwas herum, zuletzt nochmals im Dom. , . . 

Bald hinter Perugia fährt man zum erstenmal über den 
Tiber, und dann eine Zeitlang neben ihm. Er ist trüb, grau- 
grün, am Ufer standen zu beiden Seiten kahle, dünne Bäume, 
zum Teil von Efeu berankt. Nach einer Stunde ist man in 
Assisi. Sie hat unter all diesen Städten die vornehmste Lage! 
Sie liegt nicht oben auf der Spitze eines Berges wie die andern, 
sondern streckt sich auf halber Höhe, am Abhang eines großen, 
kahlen, oben schneebedeckten Berges, stolz und königlich aus, 
sowie man sich Sparta oder Korinth oder andere alte Königs- 
städte denkt, ganz anders freilich, als ich mir die Heimat des 
demütigen Apostels der Armut vorgestellt hatte. Aber eine weit 
größere Enttäuschung als diese folgt dann: der Kampf mit einem 
halben Dutzend Kutschern, die einem das Gepäck fast mit Ge- 
walt entreißen, um sich der Fahrt zur Stadt hinauf zu versichern. 
Fremde sind hier ein ganz rarer Artikel, ich glaube, ich war der 
einzige im Zug. Sie täuschten sich diesmal alle, denn ich ließ 
mein Gepäck im Deposito an der Station und ging zunächst nach 
S. Maria degli Angeli, einer großen Kuppelkirche, die nahe der 
Bahn im Tal gelegen ist. Hier war es, wo St. Franziskus 1207 
in einer ganz kleinen Kapelle, seinem Lieblingsaufenthalt, die 
Worte vernahm: „Ihr sollt weder Gold noch Silber in euren Gürteln 
tragen, weder Schuhe noch Stab haben!'' und ausrief: „Dies ist, 
was ich suche!" Die kleine Kapelle steht noch mitten unter der 
hohen Kuppel und wirkt nicht größer als ein Altar. In ihrem 
Giebeldreieck malte Overbeck 1829 das bekannte „Rosenwunder 
des heiligen Franziskus'^ (Karton in der Bibliothek zu Lübeck). 
Es war mir stets eine liebe Komposition und sieht hier sehr 
würdig aus. Auch die Farbe, obgleich etwas schwer, ist durch- 
aus nicht unangenehm, nur die stehenden Engel gar zu altjüngfer- 
lich-lübeckisch. Aber ich fühlte mich doch recht stolz auf unsern 
Landsmann, der hier an solcher Stätte ein Werk geschaffen hat, 
welches alles, was ich von moderner Heiligenmalerei sonst hier 



— 132 — 

gesehen habe, so hoch überragt und wenn auch etwas nüchtern 
und ängstlich, sich doch immerhin neben manchem alten sehen 
lassen kann. Die große Kirche ist nobel, aber pomphaft barock, 
da hätte ein Bau wie Santa Croce stehen müssen! Die Zelle, 
in der Franz starb, ist jetzt Kapelle geworden und macht keinen 
rechten Eindruck. Zahllose Bettler lagern hier. Die Ankunft 
eines Fremden betrachten sie wahrscheinlich schon als Erfüllung 
ihrer Gebete und umdrängen ihn mit der größten Zuversichtlich- 
keit und Unverschämtheit. Es ist unmöglich, allen etwas zu 
geben. Es sind wirklich recht Bejammernswürdige unter ihnen. 
Besonders herrscht viel Blindheit und Augenleiden. So ein zer- 
lumpter Alter von einem noch zerlumpteren Jungen geführt, sieht 
oft schrecklich traurig aus ; noch rührender freilich ein blinder Junge 
von 14 Jahren, den sein kleiner Bruder leitete. Da kann einem 
wohl zumute werden wie den großen Aposteln der Menschenliebe, 
„die des Volkes jammerte". — In meiner Kirche der Zukunft 
und am Hochaltar derselben, für den ich die Statuen zu wählen 
hätte, würde ohne Frage dem heiligen Franziskus eine der vor- 
nehmsten Stellen gebühren. Ich weiß gar wenig von ihm, werde 
mich aber später eingehend mit ihm beschäftigen, so sehr ver- 
ehre ich ihn und seine Wirksamkeit. 

Als ich endlich in die Stadt hinaufging, war der Nachmittag 
schon weit vorgeschritten, und die Schatten fingen an lang zu 
werden. Ich eilte und die Sonne brannte auf meinem Rücken. 
Aber der Weg war weiter als ich gedacht hatte, und es war 
nach vier als ich endlich vor S. Francesco anlangte. Dies ist 
die große, ihm geweihte Kirche, die auf kolossalen Substruktionen 
am linken Ende der Stiadt aufragt, die erste großartige gotische 
Kirche Italiens 1228, 2 Jahre nach dem Tode des Heiligen, von 
einem deutschen Meister Jacob begonnen. 

Zuerst kommt man in die Unterkirche, die einen sehr 
ernsten düstern Eindruck macht. Ungeheure kurze Pfeiler tragen 
wuchtige Gewölbe, alles ist von Giotto und seinen Schülern be- 
malt, alle Glasfenster farbig. Erst nachdem man sich Y4 Stunde 
an die Dunkelheit gewöhnt hat, kann man daran denken, das 
Einzelne zu besehen. Als ich gerade so weit war, begann eine 



— 133 — 

Messe, die ich natürlich nicht durch neugieriges Auf- und Ab- 
gehen und Operngucken stören mochte, da viel Volks anwesend 
war. Der monotone Gesang machte sich hier in den niedrigen 
Gewölben übrigens sehr feierlich, einige kniende Mönche, be- 
sonders einer, der beide Hände vors Gesicht gepreßt, an einer 
Treppe lag und betete, sahen wunderschön aus. Die Kerzen des 
Altars erleuchteten die Giottoschen Fresken am Gewölbe besser 
als das Tageslicht, so daß ich wenigstens das Feld mir gegen- 
über deutlich besehen konnte. Aber schließlich wurde mir die 
Sache doch langweilig, und ich drückte mich in die Sakristei, 
wo ebenfalls ein echtes Bild des Heiligen bewahrt wird, und 
durch diese dann in die Oberkirche. Dieselbe wird nicht be- 
nützt, und ist eines der schönsten heitersten gotischen Baudenk- 
mäler, das ich kenne, ebenfalls reich mit Fresken und Glas- 
fenstern geschmückt. Letztere sind die allerschönsten , die ich 
gesehen habe. Ein unerschöpflicher Reichtum von Mustern 
herrscht hier. Aber auch die Farben finde ich prachtvoll har- 
monisch. . . . Die Fresken sind ebenfalls von Giotto und seinen 
Vorgängern. Namentlich sind hier noch Reste Cimabuescher 
Fresken, die sehr interessant sein sollen. Ich war nicht in der 
Laune, mir das unendliche Gewirre von Überresten zu ergänzen 
und Gestalten daraus zu konstruieren, sondern zog es vor, durch 
den schönen vom Abendsonnenschein ganz rotgoldig durchglühten 
Raum auf und ab zu gehen und draußen vor der weit geöffneten, 
aber durch ein Gitter verschlossenen Haupttür einige Kinder auf 
dem grünen Rasen spielen zu sehen. Dann ging ich wieder in 
die ünterkirche, die Messe war bald beendet, und mit dem 
andern Volk ging auch ich ins Freie. Es war der richtige Spät- 
sonntagmittag eines kleinen Städtchen: kein Mensch wußte recht 
wohin mit sich. Man stand in Gruppen und sprach nicht, hockte 
auf den Mauern und sah wie die Sonne ihre letzten Strahlen 
durch eine dichte Wolkenschicht über die weite Ebene warf; 
auch die Spiele der Kinder waren matt und gelangweilt — nur 
einige Geistliche . . . gingen im eifrigen, leisen Gespräch auf 
und ab. 

Eine lange nur wenig ansteigende Straße führt durch die 



— 134 — 

menschenleere Stadt, endlich erweitert sie sich zur Piazza, und 
dort liegt der -Tempel der Minerva, die besterhaltene römi- 
sche Tempelfront Italiens, jetzt Kirche. Hier standen viele 
Menschen umher, ringsum den Brunnen, dessen vier vpasserspeiende 
Löwen so humoristisch gemütlich aussehen, daß es eine Freude 
ist, aber auch diese Versammlung wußte nicht recht was tun. 
Erst um acht begann der große Karnevalball. 

Noch weiter nach Süden verbreitert sich die Hauptstraße 
abermals zu einer großen Terrasse mit herrlichem Ausblick in 
die Ferne, die dämmerig und in tiefen milden Farben sich aus- 
dehnte. Im Westen am Himmel noch ein heller gelber Abend- 
streif. Hier liegt die gotische Kirche Santa Clara, der Freundin 
des heiligen Franz geweiht. Eine ganze Weile ging ich da auf 
und ab, freute mich der schönen Formen und tiefen Farben von 
Stadt, Berg und Ferne und stieg dann endlich zum Dom hinauf, 
der auf einem höheren Absatz liegt als die Hauptstraße. Aber 
ich sah nichts mehr — hinein kam ich gar nicht — als nur die 
große schwarze Silhouette gegen den dunkelblauen Abendhimmel, 
spürte außerdem Hunger und verfügte mich in den sehr emp- 
fohlenen Lione. ... Es war noch finstere Nacht als ich am andern 
Morgen abfuhr, und halb im Schlaf rasselte ich dahin, Rom ent- 
gegen. Davon morgen mehr. 

Hans. 

Rom. 

Von der Reise hierher weiß ich wirklich nicht mehr viel zu 
erzählen! Anfangs wars noch halb Nacht und kalt und ich 
schläfrig; dann war die Gegend ziemlich charakterlos, sowie sie 
in Süddeutschland auch hätte sein können: Bergzüge mit etwas 
Schnee, kahle Bäume, trockne Wiesen, wenig Häuser. Hinter 
Spoleto wurde es schön, und die stets belaubten Oliven auf den 
Abhängen verscheuchten alle Gedanken an den Winter. . . . Erst 
in Orte bekam ich endlich um ^/^lO Uhr etwas in den Magen 
und wurde von da an ein ganz genußfähiger Mensch. In Orte 
treffen sich die beiden Routen von Florenz über Siena und 
Florenz über Perugia, so daß von hier an, dem alten Sprichwort 



1 



— 135 — 

zuwider, nur ein einziger Weg nach Rom führt. Zeitweilig 
geht's dann durch ein enges, brausendes Bergtal, ganz südtiroler 
Alpencharakter. Dann kommt die Ebene. Man fährt am Monte 
Soracte vorüber und erkennt in der Ferne die oft gesehenen 
Linien der Albaner- und Sabinerberge. Aber von S. Peter sah 
man noch nichts. Bald schoben sich wieder langweilige Hügel 
vor, und das Ausschauen wurde so langweilig, daß ich schließlich 
meinen Gsell Fels nahm und darin las. Als icli endlich wieder 
ausguckte, lag die Peterskuppel schon ganz groß und deutlich 
da, vom übrigen Rom aber war noch lange nichts zu sehen. 
Eudlich auf der andern Seite die Aquädukte und antiken Reste, 
alles in schönen, von der Sonne beschienenen, roten Backstein- 
farben, oft von dunklem Gestrüpp bewachsen, ^/^l waren wir da. 
Der Bahnhof ist groß und hell, echt modern; wenig Zudringlich- 
keit von Kojfferträgern, großstädtische Ruhe und Ordnung in den 
Fiakern, und so befand ich mich sehr bald auf dem Weg ins 
Hotel Minerva. Wie anders war eine Ankunft in Rom vor 
vierzig, fünfzig, ja noch vor zwanzig Jahren! Wie anders malt 
man sie sich selbst heute noch aus! 

Nachdem ich mich im Hotel, 4^/2 Treppen hoch, aber trotz- 
dem ohne Aussicht, gewaschen und umgezogen hatte, ging ich 
sofort zu de Boor, den ich auch sehr bald in einer Stube voll 
Sonnenschein fand, unverändert rings von Büchern umgeben. . . . 
Wir hatten uns lange nicht gesehen, waren aber so ganz auf 
demselben Fuß, daß wir uns eigentlich nicht einmal über die 
Erlebnisse der vergangenen Jahre Bericht abstatteten. Um drei 
schlenderten wir dann an den Korso, an dem ich schon vorher 
einige geschmückte Balkons bemerkt hatte. Freilich war dieser 
Schmuck nicht weit her, nicht annähernd mit der Ausstattung 
unserer Häuser in Hamburg beim Einzug der Truppen, beim 
Schillerfest usw. zu vergleichen. Ein paar rote Fetzen oder alte 
Teppiche genügten hier, Girlanden waren ganz selten. Der 
Korso ist eine sehr sehr lange Straße, fast das ganze Rom von 
Norden (Piazza del Popolo) bis Süden (Piazza di Venezia) durch- 
schneidend, aber nicht besonders breit, meist schmäler als 
der „Neue Wall", 11 bis 12 von meinen Schritten — gerade ein 



— 136 — 

Drittel der Breite des Hauptschiffes von St, Peter! Der Boden 
war mit Sand bestreut, aber vorläufig waren wenig Wagen da 
und auch noch nicht viel Fußgänger. Ich sagte schon: „na, so 
ist's in Hamburg denn auch noch." Aber es entwickelte sich 
bald anders; das Hin- und Herlaufen mit Blumensträußen begann 
und wutde bald allgemein. Von den Balkons herab und von 
unten hinauf in die Wagen, die bald in enger Folge, an der 
einen Seite hinauf, an der andern hinabfuhren, oder selbst 
zwischen den Fußgängern, die im langsamen Vorwärtsgewoge, bis 
hart an die Wagenräder und Deichseln gedrängt, fröhlich und 
ohne Gedrängel vorbeischoben. Es gefiel mir bald recht gut, 
und nachdem erst de Boor von einem Balkon aus arg bombar- 
diert worden war, und dann sogar ich, der ich ganz fremd zu 
sein glaubte, von einem Wagen aus einige kräftige Sträuße an 
den Kopf bekommen hatte, als deren Urheberinnen ich, als ich 
meinen Kneifer wieder aufgesetzt hatte, einige Engländerinnen 
erkannte, die ich in Florenz kennen gelernt hatte, fühlte ich mich 
ganz zu Hause. Natürlich mußte ich mich auch mit Blumen 
versehen , um mich zu revanchieren. Und das Vergnügen ist 
viel billiger als man denkt. Erstlich kosten Blumen unter diesem 
gesegneten Himmel überhaupt nicht viel, dann aber wird jeder 
Strauß vier bis fünf mal geworfen, von Jungen wieder gesammelt 
und wieder verkauft, so daß man, wenn man nur recht unver- 
schämt dingt, für zwei bis drei Soldi ganz nette, für fünf bis 
sechs sogar sehr hübsche Sträuße bekommt. Aber das Werfen 
ist nicht leicht, besonders nach oben zu den Balkons hinauf nicht. 
Ich brachte nur selten einen an die richtige Stelle. Die Schön- 
heit der Römerinnen verdient ihren großen Ruf durchaus. Ich 
wenigstens war ganz entzückt davon. Manches Gesicht war 
freilich mit der Maske bedeckt, aber was man sah: Halsansatz, 
Nacken und Busen war fast durchgängig so schön, wie man's 
anderwärts ganz selten sielit. Die schönsten Vornehmeren auf 
den Balkons waren außerdem ja alle unmaskiert und in gewöhn- 
licher Toilette, nur bisweilen Schleier, Schleifen oder Blumen, 
dem Festtag Rechnung tragend. An der Piazza Colonna, einem 
Balkon gegenüber, auf den ich de Boor schon gleich beim ersten 



— 137 — 

Entlanggehen aufmerksam gemacht hatte, fand ich meine ganze 
Architektenklique wieder, welche den Weg über Siena genommen 
hatte und schon einige Tage vorher angekommen war. Sie waren 
im eifrigen Bombardement mit der Schönsten begriffen, auf 
welche die Natur wirklich in hohem Grade alle Schönheit und 
Lieblichkeit ausgegossen hatte, so daß alles ihr huldigen mußte. 
Namentlich unser Thiersch (Enkel des alten Professors in München), 
ein großer, schöner, lieber Mensch, gewissermaßen ein ins Männ- 
liche übersetzter Piglhein, ohne Frage die sympathischste Er- 
scheinung, die ich seit langer Zeit gesehen habe, zeichnete sich 
durch wohlgezieltes Werfen zu dem hohen Balkon hinauf aus, 
sogar ein prachtvoller riesengroßer Strauß mit wohl 20 Kamelien, 
den ich zufällig für einen Frank erstand (der Kerl hatte vier 
verlangt, in Hamimrg würde er leicht 10 Mark gekostet haben), 
wurde von ihm unter allgemeinem Jubel an seine Adresse be- 
fördert. Sie dankte den deutschen Herren sehr huldreich und be- 
festigte den Strauß hoch über sich am Fensterladen, wo er den 
ganzen Nachmittag prangte. Als die Sonne sich neigte, gingen 
de Boor und ich zur Stadt hinaus, wo in den vielen kleinen 
Trattorien rechts und links das denkbar lustigste harmloseste 
Treiben stattfand. Hier war die Mehrzahl maskiert, während am 
Korso höchstens ein Viertel Masken trug. Zu irgend einem ver- 
stimmten Leierkasten wurde da stundenlang nach derselben 
Melodie unter freiem Himmel getanzt, ganz langsam und sittig, 
ohne viel Gelärm und Gejauchze, mit ebenso ernsthaften Mienen 
wie in Deutschland, aber so reizend graziös und harmlos lustig, 
als wäre das goldene Zeitalter zur Wirklichkeit geworden. Da 
war nicht die leiseste Roheit, Unanständigkeit oder Besoffenheit 
— von Mord und Totschlag gar nicht zu reden. Der lichte 
blaue Abendhimmel, besät mit vielen rosigen Lämmerwolken, 
wölbte sich warm und klar darüber; dunkle, klotzige Portale mit 
barocken Vasen und Voluten ragten ernst aus dem Staub der 
Landstraße in die leuchtende flimmernde Höhe; in den belaubten 
Büschen — meist Lorbeeren und Steineichen — rührte sich fast 
kein Blatt, und einzelne hohe Pinien sahen feierlich still von 
weitem in das muntere Vergnügen hinunter. In einer dieser 



— 138 — 

Trattorien fanden wir einen Bekannten de Boors, einen Maler, 
nicht mehr jung, von einem Schwärm allerliebster, gleichgeklei- 
deter kleiner Mädchen umdrängt und gepeinigt. Er sollte durch- 
aus mit ihnen tanzen. Um sich zu retten, hetzte er sie auf uns. 
Nach einigem harmlosen Gebalge erklärten wir uns dazu bereit, 
da hörte die Musik auf, und als sie wieder begann, waren die 
Mädchen fort. Die einzige, die sich für einen Augenblick demas- 
kierte, hatte ein sehr hübsches Gesicht. Witze und Gespräche 
werden gar nicht verlangt. Man begegnet sich einfach, schüttelt 
sich die Hände, sagt etliche Male buona sera, buona sera, „freut 
mich sehr, Sie zu sehen" usw. usw., alles in möglichst hohem, 
piepsendem Ton, macht eine tiefe Verbeugung, und das ist der 
ganze Scherz. Etwa wie in Hamburg das „Prost Neujahr" rufen, 
nur daß dort der Hauptwitz darin liegt, möglichst laut zu brüllen, 
auch ein Viertel der Betreffenden betrunken ist . . ., von Berlin 
nicht zu reden. — Große Verschiedenheit der Kostüme herrscht 
nicht. „Echte" gibt's gar nicht, sie passen auch gar nicht her, 
und würden eine sehr traurige, „unechte" Rolle spielen. Rote 
Teufel, weiße Bajazzos und Matrosen sind für die Männer, 
„Schäferinnen" und italienische Bäuerinnen für die Mädchen das 
gewöhnliche. Da man die wirkliche Volkstracht hier nur ganz 
selten sieht, eigentlich nur bei den Modellen auf der Spanischen 
Treppe, waren mir diese doch mehr oder minder echten Kostüm- 
italienerinnen ein allerliebster Ersatz. Die Tracht ist entzückend 
kleidsam. Und der Wuchs, die stolze Grazie der Römerinnen, 
läßt selbst Maskeuanzüge fast wie echt erscheinen. Bisweilen 
sah man freilich echte Sachen, manchen schönen, halbverschossenen 
Seidenrock, der prachtvoll mit dem dunkelroten Tuch der Ärmel, 
der gelblichen Leinwand und dem Fleisch zusammenstimmte. — 
Die Polizei war so liebenswürdig, wie ich noch nie eine sah. 
Trotzdem war die Ordnung musterhaft. Daß niemand verun- 
glückte, ist ein Wunder; aber man wurde es schließlich ganz 
gewohnt, von den Rädern fast gestreift zu werden, oder plötzlich 
eine Pferdeschnauze am Nacken schnaufen zu fühlen. Die Jungen 
sammelten die Sträuße unter den Rädern auf, die der größern 
Wagen waren meist dicht mit Lorbeeren umwunden. 



— 139 — 

Abends gingen wir auf die Piazza Navona, einen großen 
langen Platz mit drei Brunnen, der mittelste ist von Bernini. 
Auf ungeheuren Felsenstufen ruhen die Kolossalstatuen der vier 
größten Flußgötter, der eine trägt einen hohen Obelisken — ein 
gewaltig tlottes Barockwerk; die Wassermassen, die er nach allen 
Seiten sprüht, waren rot und grün bengalisch beleuchtet, der 
ganze Platz mit bunten Papierlaternen geschmückt, Buden ringsum, 
und mitten im bunten Gewoge wurde auch hier zu den Walzern 
der Militärkapelle auf dem trefflichen Pflaster getanzt, in der- 
selben liebenswürdigen, ich möchte sagen rührenden Lustigkeit 
und Harmlosigkeit. Von 11 bis 3 kneipten wir Freunde, und 
waren auf deutsche Weise gemütlich und fidel. — Immer und 
immer wieder finde ich so liebe Freunde. Es ist doch eine gute 
Welt!! 

„Denn ach: die Menschen lieben lernen, 

Das ist das einz'ge wahre Glück!'' 

Die Wahrheit dieses schönen Platenschen Verses, bei dem 
ich mich freilich jedesmal über das eingeflickte, überflüssige „Ach'< 
ärgere — habe ich so recht wieder hier empfunden! Ich bin 
nie auf neue Bekanntschaften „gelaufen", habe vielmehr schon 
seit Jahren mir gesagt, daß ich eigentlich ganz genug Freunde 
hätte, und es mir fast zum Prinzip gemacht, Fremden gegenüber 
möglichst zurückhaltend zu sein, — und trotzdem fühle ich mich 
so wohl in diesem neuen Kreis, daß es mir eine wirkliche Herzens- 
freude war, nach 14tägiger Trennung allesamt wiederzusehen und 
in noch engerer Bekanntschaft mit ihnen hier weiterzuleben. . . . 
Zuletzt saßen nur de Boor und ich in einem Caf6, welches von 
fröhlich heimkehrenden Masken wimmelte bis nach drei Uhr, und 
sehr müde und befriedigt zog ich nach diesem ersten Tage in 
Rom ins Bett. Daß ich am folgenden Tage nicht ganz früh 
aufstand, versteht sich von selbst. Mein erster Gang nach dem 
Kaffee war ins nahegelegene Pantheon, dessen schlichtes un- 
geheures Kuppelgewölbe wohl auf jeden einen einzig dastehenden 
Eindruck macht. . . . 

Um drei begann der Korso aufs neue in derselben Weise, 



— 140 — 

nur noch munterer und toller als Tags zuvor, auch mehr Masken. 
Auch die Principessa Margheritta fuhr herum, schon von weitem 
an der feuerroten Livröe der Diener zu erkennen. Ihr Wagen 
war bald mit den prächtigsten Sträußen so gefüllt, daß sie 
wirklich nur mit dem Oberkörper daraus hervorsah. Dabei warf 
niemand auf sie, alles wurde ihr ehrerbietig in den Wagen gelegt. 
Sie hatte nichts zu tun als lächelnd sich zu neigen und zu danken. 
Und das ging ganz ohne alle Polizei. Das Volk besitzt hier eben 
mehr Takt als in Deutschland. Dadurch allein ist ein so wahr- 
haft volkstümliches, echt demokratisches Fest möglich. Toller, 
fideler, witziger ist nach allem, was ich gehört habe, jetzt sicher- 
lich der Kölner Karneval. — Noch muß ich erwähnen, daß alle 
Anspielungen auf die Geistlichkeit verboten waren. Auch poli- 
tische Witze: Russen, Türken oder dergl. habe ich nicht gesehen. 
Die großen Wagen, die etwas Besonderes vorstellen wollten, waren 
nicht lustiger oder prächtiger, als wir es in Hamburg gewohnt 
sind. Einige, offenbar von Künstlern arrangierte — ein türki- 
scher und ein indianischer — wirkten trotz der schönen, echten 
Teppiche und Kostüme eigentlich gar nicht. Nur ein paar sehr 
niedliche Türkinnen erregten die Aufmerksamkeit, die schönen, 
ernst langweilig dastehenden, an Spieße gelehnten oder rauchen- 
den Türken sah niemand an. Unter den Fußgängern waren ein- 
zelne fidele Erscheinungen. So ein höchst würdiger, besternter 
Herr mit Eselskopf, der seine Rolle sehr hübsch durchführte, vier 
junge piepsende Vögel in Menschengröße usw. usw. Die Pferde 
alle geschmückt, entweder mit den beliebten Fuchsschwänzen, 
die, wie große Ohrbummel zu beiden Seiten herabhängen (auch 
an gewöhnlichen Tagen) oder mit irgend einem Kopfschmuck: 
Straußen-, Fasanen- oder Reiherfedern, die armem mit einem 
grünen Busch; zwei jämmerliche alte Klepper mit eingetriebenen 
Zylindern usw. — Das Konfettiwerfen findet nur an den ersten 
Tagen statt. Konfetti kommt jedoch kaum vor, alles sind Mehl- 
kugeln. 

Um sechs mußten die Wagen den Korso verlassen und das 
Pferderennen fand statt. Die armen Tiere werden durch kleine 
Stachelkugeln, die man ihnen hinten anbindet, in fürchterliche 



— 141 — 

Angst versetzt; je schneller sie laufen, desto größer ist ihre 
Peiu: so rasen sie denn wie toll den Korso hinab. Man sieht 
sie kaum. Wie man sie unten wieder einlangt und beruhigt, ist 
mir ein Rätsel. 

Gleich darauf beginnt der Moccoli, das hübscheste von allem. 
Schon von Mittag an rannen die Lichterverkäufer schreiend durch 
alle Gassen. Zuerst ist das Spiel nur auf den Balkons. Da 
sieht man wunderhübsche Bewegungen schöner Mädchen, die sich 
weit über den Rand niederbeugen, um ihr Licht zu retten und 
das anmutigste Hin- und Hergebalge. Dazu all die fröhlichen, 
von Lichtern bestrahlten Gesichter, und darüber der flimmernde 
blaue Abendhimmel, von zahllosen Rosa- Wölkchen übersät, wie 
am Abend zuvor. . . . Immer mehr Lichter flimmern auf den 
Balkons, wenn man den Korso entlang sieht. Es ist die reizendste, 
weil wechselreichste Hlumination, die man sich denken kann. 
Dazu sind alle zahllosen kleinen Gasflämmchen mit vier konzen- 
trischen Ringen versehen, was sehr prächtig und zierlich zugleich 
aussieht. Für manche Gelegenheit ziehe ich unsere Weise, große 
sausende Flammen daraus auflodern zu lassen, vor; hier aber 
wirkt das schöner. Der leuchtende Abendhimmel wird nächtlich 
und schwarz. Die Wagen stellen sich wieder ein, und auch in 
ihnen werden schwache Versuche gemacht, Lichter zu entzünden 
und brennend zu erhalten. Aber es ist schwierig. Von allen 
Seiten wird danach geblasen, mit Taschentüchern geschlagen, auf 
die Trittbretter gestiegen, selbst in die Wagen, um sie auszu- 
löschen. . . . Das schönste, was ich sah, war ein kleiner Backfisch, 
welcher, hoch im Sitz stehend, seinen älteren Bruder umschlin- 
gend, mit stolz triumphierenden Augen herabschaute und das 
hochgehaltene Licht lange vor allen Angreifern bewahrte. Meine 
Engländerinnen waren auch da. Ich sah sie in erbittertem 
Kampf mit verschiedenen unserer Klique, erbarmte mich ihrer 
natürlich, verteidigte sie, half ihnen wohl 20 mal ihre Lichter 
wieder anzünden, bis es schUeßlich langweilig wurde und ich 
unter dem Vorwand, neue Zündhölzer zu kaufen, absprang und 
meine Freunde suchte. Leider fand ich sie nicht. Dafür sah 
ich, wie von der Piazza di popolo aus der ,, Karneval", eine 



— 142 — 

Strohpuppe, in der Gondel eines erleuchteten Luftballons zum 
Himmel aufstieg. Langsam schwebte die feurige Kugel hinauf, 
was wunderhübsch aussah. Dazu Feuerwerk auf Monte Pincio, 
kurz aber prächtig wie ich's liebe, zuerst fast fünf Minuten lang 
die schönsten Leuchtkugeln, dann auf einen Schlag eine große 
Raketengarbe, die alles je Gesehene übertraf. . . . 

Aschermittwoch wachte ich erst um V2^^ ^^^'^ ^^8 mich so 
eilig an wie wohl kaum je seit der Militärzeit und eilte ohne 
Kaffee nach S. Peter, wo die geistliche Kapelle singen sollte. 
Die Entfernungen sind hier sehr groß. Trotzdem kam ich noch 
reichlich früh. Sie sangen wirklich recht schön, in einer dunkel- 
braun getäfelten Nebenkapelle, auf deren Grund die alten, 
würdigen Köpfe der vielen anwesenden Geistlichen, in violetten 
Gewändern und grauen Pelzkragen, sehr schön aussahen. Fast 
gar keine andächtigen Laien, aber natürlich viel Fremde, meist 
Deutsche. Man hörte hier fast ebensoviel deutsch reden wie 
italienisch, dagegen wenig englisch, 

S. Peter ist wirklich eine sehr große Kirche und würde ohne 
die großen Figuren und den schauderhaften Altar einen gewaltigen 
Eindruck machen. Der architektonische Gedanke der Kirche und 
besonders der Kuppel ist begeisternd großartig. Kolossal wirkt 
der Platz mit den Berninischen Arkaden und den zwei herr- 
lichen Fontänen. Die Fassade ist schauderhaft. Doch von all 
dem später ausführlicher, bis jetzt kenne ich alles noch nicht 
genug. Gesehen habe ich natürlich schon vieles, das Hauptsäch- 
lichste sogar schon. 

Mein erster Weg am Donnerstag war natürlich in die Stanzen, 
und ich kann nicht leugnen, daß ich mit sehr vollem Herzen die 
Treppe zu ihnen hinaufging. Ich hatte das Gefühl, den liebsten 
Freund nach langer Abwesenheit wiedersehen zu sollen, und 
fürchtete, er würde mir nicht mehr so behagen wie ehemals. 
Denn die Begeisterung für die Disputa war es doch nun einmal, 
die mich zum Maler gemacht hat. Und ich kann sagen: ich bin 
nicht enttäuscht. Erstaunt bin ich über die gute Erhaltung und 
die wundervolle Farbe mancher Sachen, besonders die Messe 
von Bolsena, am wenigsten die Schule von Athen. Gestern war 



— 143 — 

ich auch wieder dort. Es geht wie mit einer Musik, die man 
ganz genau kennt, und ihr doch immer aufs neue zuhört, sie nie 
satt bekommt. Doch von alledem, auch von der Sixtinischen 
Kapelle später mehr. — Über Raffael und Michelangelo habe ich 
absichtlich nicht aus Florenz geschrieben, über alles andere nur 
zufällig nicht, die zwei langen Briefe von dort sollten ja auch 
nichts weniger als erschöpfend sein, sondern nur ein paar Künstler 
besprechen, die mir gerade in den Sinn kamen. Ich hätte gerade 
so gut von Ghirlandajo oder Filippino Lippi, Brunellesco, Ghi- 
herti, Lucca della Robbia usw. schreiben können und behalte mir 
das auch vor. Daß die Antiken mir weitaus das Liebste in 
den ganzen Uffizien sind, glaubte ich übrigens geschrieben zu 
haben. . . . Freilich ist der Schatz daran hier so groß, daß 
ich ganz baff bin und noch nichts darüber zu schreiben ver- 
mag 

Darin gebe ich Dir Recht, daß unsere deutsche Frauenschön- 
heit sich ganz wohl mit der römischen messen kann — mit Aus- 
nahme des Halses freilich! Jeti.t sehe ich gar nicht mehr so viel 
Schönheiten als an den zwei Karnevalstagen. Und selbst da 
hätte man wohl einige Balkons voll deutscher Damen arrangieren 
können, die mindestens den Vergleich ausgehalten hätten. . . . 

Mit herzlichen Grüßen an die Tanten 

Dein müder Hans. 



Rom, 27. Februar 1877. 
Lieber Onkel! 

Um nicht wieder so in Rückstand mit meinen Berichten zu 
kommen wie in Florenz, will ich wenigstens meine Ausflüge 
immer gleich frisch beschreiben, die Eindrücke der Kunstwerke, 
die sich bei öfterem Sehen klären und präzisieren, wo nicht ändern 
werden, für später verschiebend. 

Sonnabend Nachmittag war ich in der Villa Wolkonski ; diese 
Villa liegt in der Nähe des Lateran, also ganz im Süden der 
Stadt. Hier liegt alles auseinander. ... Im Norden die große 
Piazza del Popolo, daneben der berühmte Monte Pincio, wo abends 



— 144 — 

alles promeniert, Musik hört und den unvergleichliclien Anblick 
des Sonnenuntergangs über der großen Stadt, hinter der Peters- 
kuppel, genießt. Vatikan, Lateran, S. Peter, Engelsburg, ganz im 
Westen, jenseits des Tiber, vom eigentlichen Verkehr abgelegen. 
Dieser konzentriert sich um den Korso, der das moderne, leben- 
dige Rom in zwei Teile teilt; in der rechten Hälfte, nahe der 
Fontana Trevi wohne ich, nicht weit davon, in dem höchst 
gleichgültig aussehenden Quirinal, der König. Das Kapitol ragt 
ins moderne lebendige Rom hinein; dicht dahinter rings um die 
Trümmer der alten Herrlichkeit (Forum, Kolosseum) gibt es noch 
ganz kleine ärmhche Vorstadthäuschen; der Lateran, die alte 
Residenz der Päpste, liegt eigentlich außerhalb aller menschlichen 
Wohnungen und gleich ihm noch viele andere große, in früh- 
christlicher Zeit hervorragende Kirchen, die ich meistenteils noch 
nicht kenne. 

Hier also, in der Nähe des Lateran, liegt auch die Villa 
Wolkonski, die zwar kein großes Territorium einschließt (wie 
z. B. Villa Borghese, die, obgleich unmittelbar vor dem Tor der 
Stadt gelegen, eine deutsche Quadratmeile einnimmt), aber eine 
unvergleichlich schöne Lage hat. Mitten darin die Ruinen eines 
der größten Aquädukte; diese, vielleicht staunenswertesten aller 
antiken Bauten, liegen meist in Trümmern; ihr geringer, noch 
tätiger Bruchteil versieht selbst heute die Stadt mit einem solchen 
ÜberHuß des herrlichsten Wassers, daß man gar nicht wagt zu 
hoffen, jemals bei uns etwas Ahnliches zu erleben. Die Fülle 
des in Fontänen und Kaskaden hier verschwendeten Wassers 
übersteigt all meine Erwartungen. Das braust Tag und Nacht 
gleich Wasserfällen die großen Muschelbecken herunter oder stäubt 
ohne Aufhören in üppigsten lieblichsten Strahlen zum Himmel 
hinauf. Ehe man es gesehen hat, macht man sich, glaube ich, 
nie einen rechten Begriff davon, weil alles ähnhche in der ganzen 
Welt 80 unbeschreiblich armselig und winzig dagegen ist. Einen 
ungefähren Maßstab hat man, wenn man hört, daß die Wasser- 
menge, die täglich allein die Fontana Trevi herabströmt, drei 
Viertel dessen ist, was die Stadt Frankfurt mit ihrer neuen 
Wasserleitung täglich konsumiert! 



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Üer Aquädukt, der die Villa Wolkonski durchschneidet, ge- 
hört zu den versiegten. Aber eine solche Fülle Efeu hat sich 
an dem alten ßacksteingemäuer aufgerankt, daß man die Steine 
oft nicht mehr sieht, sondern nur dicke dunkle Laubwände mit 
großen Öffnungen, durch welche man in die sonnige Campagna 
hinausschauen kann. Malerischer sind natürlich die Stellen, wo 
noch etwas Mauerwerk sichtbar geblieben ist, märchenhafter, dorn- 
röschenartiger freilich die andern. In einigen Wochen wird der 
Efeu an der Südseite mit blühendem Kosengeranke durchwoben 
sein. Schon jetzt sahen wir ein paar weiße Röschen vorlaut auf 
schwanken Zweigen herunternicken. Das Haus, ohne irgendwelches 
architektonisches Interesse, ist „auf, durch, hinten, in, über, unter, 
vor und zwischen" einige Bögen des Aquädukts gebaut, der Garten 
an der Nordseite, ein schöner italienischer Garten mit meist 
immergrünen Büschen und Bäumen, namentlich einigen besonders 
großen Pinien. Aber an der niedriger gelegenen Südseite des 
Aquädukts wuchern Kakteen, Aloen und wie das Zeug alles heißt 
so üppig, wie ich's hier noch nicht gesehen habe. Auch Statuen 
und Bruchstücke solcher fehlen natürlich nicht. Neben der Qualität 
ist auch die Quantität der hier vorhandenen Reste aus der Römer- 
zeit ganz erstaunlich, alle meine Erwartungen übertreffend. Und 
wie so oft ein Bild zweiten oder dritten Ranges, an einer ihm 
gemäßen Stelle, ganz anders zu uns spricht als ein vielleicht 
liesseres au einem unpassenden Platz, so ist es in fast noch 
höherem Grade manchmal mit Skulpturen. Ein Minervabild steht 
hier unter hohen dunkeln Steineichen so feierlich einsam und 
wurde durch einen Sonnenstrahl, der das Postament und den 
Saum des Gewandes streifte, so warm und lebendig, daß ihm das 
unmittelbare Gefühl sicherlich den Vorzug vor den berühmteren 
und schöneren des Vatikans und Kapitols geben würde. Gerade 
die besten Sachen sind hier oft in meinen Augen am aller- 
ungönstigsten aufgestellt: man wollte es recht gut machen und 
läßt irgendein grelles scharfes Licht voll auf das Götterbild fallen, 
welches vielleicht für das feierliche Dämmerlicht der Tempelcella 
gedacht war. Die kapitolinische Venus z. B. wird durch ein scharfes 
Oberlicht ganz beeinträchtigt, abgesehen von der sonstigen ge- 

Schapire, Hans Speckters Briefe.^ 10 



— 146 — 

schmacklosen Dekorierung des kleinen Gemaches, welches sie 
allein bewohnt. 

Doch durch diese beständigen Abschweifungen ist aus der 
Beschreibung der Villa Wolkonski schließlich nicht viel geworden ! 
Die Hauptsache freilich, der Blick in die sonnige Campagna mit 
ihren Trümmern und Ruinen und dahinter die schöngeformten 
blauen Albanerberge läßt sich auch eigentlich nicht beschreiben. 
Man muß es sehen oder Oswald Aschenbachs Bilder gut im Ge- 
dächtnis haben. 

Die Wolkenbildungen waren nach den voraufgegangenen 
trüben und regnerischen Tagen herrlich und erinnerten mich oft 
an Prellers Odysseebilder. — Auch Schmetterlinge sahen wir 
schon, Blumen natürlich in Fülle, am auffallendsten die breiten 
üppigen Borten von hellblauem Liebeshain, sodann die schönen 
Stiefmütterchen, von den großen, kräftig duftenden Veilchen gar 
nicht zu reden. ... 

Dann sah ich den Sonnenuntergang vom Monte Pincio aus, 
der diesmal besonders großartig ausfiel. Onkel Erwin hat ihn 
oft beschrieben, und ich will nicht versuchen, mit ihm zu kon- 
kurrieren. Nur das will ich bestätigen, daß so ein Sonnenunter- 
gang über Rom ganz anders ist als alle andern Sonnenuntergänge 
und daß die Peterskuppel einen gewaltigen Zauber ausübt und 
der allein wahre Mittelpunkt der Welt zu sein scheint. Wenn 
so ein riesengroßes, dunkelpurpurnes Wolkengebirge sich über ihr 
auftürmt, das der harrenden Menge den ersehnten Anblick der 
lieben Sonne verbirgt, und ihr Wiedererscheinen währt immer 
länger und länger, sogar die Abendkühle stellt sich schon ein — 
dann liegt es wirklich näher als Ihr in Hamburg glaubt, darin 
ein Abbild „der schweren Prüfungszeit der Kirche" zu sehen, und 
in der majestätischen, dunkelblauen Silhouette der Kuppel eine 
Verkörperung des gläubigen, unbeugsamen Felsens der Kirche, 
„an dem das Narrenschiff dieser Zeit zerschellen wird" (wie Bis- 
marck einst in einer schwachen Stunde gesagt hat). Und blitzt dann, 
wenn man es gar nicht mehr erwartet hat, die Sonne siegreich 
durch das Gewölk, erleuchtet dunkelglühend die Fenster der Kuppel 
und übergießt die ganze Welt noch einmal mit einem Meer von 



— 147 — 

Glanz und Helle, ehe sie, ein feuriger Ball, in die Nacht hinab- 
sinkt, so versteht es sich ganz von selbst, daß dies nichts anderes be- 
deutet als den endlichen Triumph und Sieg der einzig wahren Kirche. 
Ob wohl viele der jungen Geistlichen, die hier immer in Gesell- 
schaft von 10 bis 12, zwei bis zwei gehend, auf und ab zu spazieren 
pflegen, solche Gedanken haben? ... Es sind übrigens viele 
Deutsche unter ihnen; die, am liebsten Gemalten, feuerroten, sind 
sämtlich Deutsche oder Österreicher. Sie sehen wirklich pracht- 
voll malerisch aus, besonders wenn sie nach Sonnenuntergang in 
dem klaren Dämmerlicht, welches alle Lokalfarben in so eigener 
Weise zur Geltung bringt, in leisen Gesprächen dahinschreiten 
über den grauen Boden, längs der grauen Brüstungen und grau- 
grünen Aloen und dann in dunkelgrünen Lorbeergebüschen 
verschwinden. Nach Sonnenuntergang eilt alles heim, Fuß- 
gänger und Equipagen, aber alles in einer gewissen feierlichen 
Stille. . . . 

Sonntag war wieder strahlend helles Wetter. Beim Kaffee 
wurde ein Ausflug nach Frascati beschlossen, und ich übernahm 
es, die beiden „Fleißbolde" (Eisenlohr und Habich), welche schon 
um ^2^ ^^ ^^^ Arbeit auszurücken pflegen, dazu zu überreden. 
Dieselben pflegen in der Villa Papa Giulio zu arbeiten, einem 
wunderschönen edlen Bau der Hochrenaissance von Vignola, nicht 
weit von der Porta del Popolo; jetzt nur bewohnt von einem 
äußerst schmutzigen Kastellan nebst Familie, zwei jungen Hunden, 
einem guten Hammel, und als eine Art Militärmagazin benutzt. 
In den Sälen, wo die beiden — und nachher auch ich — einen 
der schönsten edelsten Plafonds der Welt aufnahmen, stehen 
viele Kanonenräder, in andern werden Siebe^ geteerte Tücher 
und anderes der Art aufbewahrt. Zuerst war ich eine Weile mit 
ihnen fleißig, dann brachte ich sie glücklich mit fort, und als der 
lange Weg zum Bahnhof überwunden war, wir im Wagen saßen, 
verschnauften und durch die herrliche Campagna sausten, waren 
auch sie mit ihrem Unfleiß ganz einverstanden. 

In einer guten halben Stunde, also um ^2^^' waren wir in 
Frascati. Das Nest liegt sehr schön, schon am Abhang des 
Albanergebirges ; von einer großen Terrasse aus sieht man rechts 

10* 



— 148 — 

Rom und links — uns allen überraschend — das Meer daliegen, 
ein breiter, glänzender Silberstreif. Aber wir waren alle mords- 
bungrig und zu langen P^ntzückungen nicht aufgelegt. . . . 

Der Weg führt bergan, zunächst zur Villa Aldobraudini, von 
der man eine Aussicht hat, wie sie auch nachher, wo man viel 
höher hinaufgestiegen ist, nicht wieder vorkommt. In richtigem 
Instinkt lagerten wir uns hier im Gras unter den dunkelschattigen, 
immergrünen Eichen — die eigentlich gar wenig mit unsern 
Eichen gemein haben — warfen uns wie Jungen mit Steinen und 
Pinienäpfeln und genossen in vollen Zügen die wunderbare Aus- 
sicht. Schließlich mußte doch aufgebrochen werden, und nun 
ging es in ziemlich flottem Schritt höher hinauf, zuerst an der 
,.Villa Ciceros" vorüber, einem großen, öden, langweiligen Haus 
aus dem vorigen Jahrhundert, welches jetzt dem König gehört 
und höchstwahrscheinlich wirklich an der Stelle der Ciceroschen 
Villa steht. Noch höher kommt man an die Ruinen von Tus- 
kulum. Bis zur Burg kamen wir nicht mehr, sondern mußten 
uns mit einer kurzen Rast bei den ersten, von einem Amphi- 
theater herrührenden Ruinenrestchen begnügen und den Abstieg 
beginnen. Hier oben sah man das Meer natürlich noch weiter 
und heller hinüberglänzen, sonst war die Aussicht vom ersten 
Lagerplatz aus doch die schönste gewesen. Ich blieb ein Stück 
hinter den andern zurück und setzte mich; in der Abendstille 
lag die unbewohnte, prächtig große Villa mit ihren Treppen und 
Terrassen, ein paar Fontänen sprudelten leise und heimlich dünne 
Wasserstrahlen in die grünbemosten Becken, einige Vögel zwit- 
scherten und jagten sich durch die dichten Zweige der Steineichen, 
ein Franziskaner und ein Weltgeistlicher gingen in einiger Ent- 
fernung langsam auf und ab, hübsche würdige Gestalten, und 
warfen lange Schatten auf den goldgrünen Rasen. Weiter ab- 
wärts traf ich mit Thiersch zusammen, der auch seinen eigenen 
Weg gegangen war. Wir besahen noch den Marktplatz von Fras- 
cati, auf dem eine üppige Barockfassade einer Kirche von noblen 
schönen Proportionen nicht fehlte, ebensowenig wie eine große 
dreifache Fontäne, die, wenn wir sie in Hamburg hätten, von 
vielen als unerhörter Luxus und neuntes Weltwunder ange- 



— 149 — 

staunt werden würde, uud kamen über den Korso schlendernd, 
den Frascati natürlich ebenfalls besitzt . . . noch zur rechten 
Zeit 

Montag abend war etwas ganz Apartes! Wir trennten uns 
gleich nach dem Essen und fanden uns erst um neun im Caf6 wieder, 
um gemeinsam das Pantheon und Kolosseum im Mondschein 
zu besichtigen. Zunächst klopften wir den Pförtner des Pan- 
theons heraus, er ließ uns durch eine Hintertür eintraten, An- 
fangs sah es aus, wie wenn in einem Zimmer mit einer laterna 
magica gespielt werden soll, so hell stand der kreisrunde Mond- 
schein in der schwarzen Finsternis da. Dies einzig dastehende 
antike Wunderwerk empfängt sein ausschließliches Licht durch 
eine Lichtöfihung von 8 m Durchmesser, oben inmitten der rie- 
sigen Kuppel. Diese Kuppel hat 42 m Durchmesser (die Peters- 
kuppel 43). Der Eindruck dieses Raumes ist so eigenartig groß 
und vornehm, daß man ihn wirklich mit keinem andern ver- 
gleichen kann. . . . Anfangs sah man nur die eine große Öffnung, 
durch die das Licht hereinflutet, und einen kreisrunden, Laterna 
magicaartigen Schein an der Wand, welchen ein winziges, rot- 
qualmendes, ewiges Lämpchen vor einem Marienbild, in der Nähe 
von Raffaels Grabstein, noch silberblauer erscheinen ließ. All- 
mählich dämmerten die schlicht großartigen Formen erkennbar 
aus der Dunkelheit hervor. Der Mond stieg schnell. Bald konnte 
man ihn über den Rand des Kuppelauges sehen. Erst im Ver- 
gleich mit ihm wurde einem die Weite der Öffnung recht gegen- 
wärtig. — Von da ging's ins Kolosseum. 

Wenn ich Dich oder sonst jemand Liebes hier in Rom 
herumführen sollte, und es wäre gerade Vollmondszeit, so würde 
jch's sicherlich so einzurichten suchen, daß er den Anblick des 
antiken Roms nicht zuerst bei Tage hätte, sondern in der feier- 
lichen Beleuchtung und Stimmung der Nacht. Selbst das Forum, 
welches bei Tage eigentlich nicht den Eindruck macht, den man 
erwartet, wirkt dann außerordentlich. Freilich stören die modernen 
Gaslampen, die wenigstens bei so hellem Mondschein unangesteckt 
bleiben sollten, sehr. Selbst weiter hinaus, wo keine menschlichen 
Wohnungen mehr sind, stehen einige und scheinen den friedlichen 



— 150 — 

Schlaf der alten Welt durch ihr modernes ^ aberwitziges Flim- 
mern zu stören. Man hat dasselbe unbehagliche Gefühl, wie 
wenn ein guter Freund, über dessen Spaße man sonst gern lacht, 

sie selbst da nicht unterdrücken kann, wo sie nicht hingehören 

Titusbogen, Constantinsbogen mit Gaslampen! — Ich fürchtete 
selbst im Kolosseum würde es ebenso sein, aber nein. Der Ein- 
druck desselben ist vielleicht der großartigste der ganzen Reise, 
besonders wenn man hineintritt und noch unter den hohen 
schwarzen Bogen steht. Das hintere Ende verschwimmt in un- 
bestimmte neblige Tinten. Man glaubt, daß nicht für 90000 
Menschen, sondern für die ganze antike Welt darin Platz ge- 
wesen sein muß. . . . Außer uns kamen natürlich noch mehr 
nächtliche Besucher. Wenn man dieselben bei Fackellicht in 
den oberen Gängen einherkriechen sieht, so gibt das einen noch 
deutlicheren Begriff von der überwältigenden Größe dieses Trümmer- 
haufens. Es ist, wie wenn in einem ungeheuren verkohlten und 
schon erkalteten Ofen noch einige kleine Funken glimmend 
umherlaufen, bald hier bald da auftauchen, bis auch sie er- 
löschen und alles tot und leblos daliegt. Auch wir stiegen 
hinauf, blieben eine lange Weile oben, gingen dann aber 
heim — die weißen Wolken hatten außerdem überhand ge- 
nommen und verdeckten den Mond mehr und mehr — wir 
tranken noch einen vino caldo (Glühwein) und waren bald nach 
Mitternacht im Bett. 

Dienstag wurde morgens gearbeitet und nachmittags zu- 
sammen mit Familie Hausmann in die Villa Albani gegangen, 
welche nicht weit vor der Stadt, gegen Osten, liegt. Sie enthält 
trotz großer Verluste in den französischen Kriegen noch immer 
eine der reichsten Antikensammlungen, „die durch Winckelmanns 
Oberleitung und Werke eine der bedeutendsten Ausgangsstätten 
für das Verständnis der griechisch-römischen Bildnerei wurde*'. 
Auch ihre Lage ist wunderschön. Fast zu viele Büsten, Hermen 
und Marmorbilder stehen in den Laubgängen und beschnittenen 
Taxus-Hecken. Für einen Besuch mit Familie war des Sehens 
zuviel. Gründlich sehe ich eigentlich immer nur ganz allein, 
aber wenigstens bin ich jetzt orientiert und habe auch manchen 



— 151 — 

Genuß gehabt. Einige ganz einzig schöne Sachen sind da 
unter hunderten mittelmäßigen freilich. . . . 

Für heute gute Nacht! 

Hans. 



Rom, Dienstag 13. März 1877. 
Vicolo Avignonesi 25. 

Lieber Onkel! 

Heute bin ich 4 Wochen in Rom und habe bisher nicht viel 
getan, noch nicht einmal alles gesehen. Sind die vier Monate 
meiner italienischen Reise überhaupt gar rasch vergangen, so ist's 
mit diesem letzten noch ärger gewesen: Rom ist eben Rom, das 
Einzige, Unvergleichliche — Unerreichbare. 

Natürlich fühle ich mich bereits vollkommen heimisch, laufe 
täglich einige Male an der Fontana Trevi vorüber, als ob das 
gar nicht anders sein könnte und kann die Peterskuppel ganz 
kaltblütig ansehen, ohne mir irgend etwas Besonderes dabei zu 
denken. Auch manche Entfernungen sind durch die Gewohnheit 
oder durch bessere Kenntnis der Richtwege geringer geworden ; 
außerdem läuft man nicht so unsinnig wie in den ersten Tagen 
von Pontius zu Pilatus, vom Vatikan zum Kolosseum und abends 
auf den Monte Pincio oder gar in irgendeine Villa, sondern teilt 
sich alles hübsch behaglich ein, kennt die Omnibuslinien, genug, 
man ist eingebürgert! 

Es war meine Absicht, im zweiten Monat an einer andern 
Stelle der Stadt zu wohnen, und die Wohnung eines mir be- 
kannten Archäologen auf dem Tarpejischen Felsen mit herrlichster 
Aussicht auf Forum, Kolosseum und Kaiserpaläste usw., welche 
er auf 4 bis 6 Wochen verlassen wollte, um eine Reise nach Neapel 
und Sizilien zu machen, hätte mir so recht gepaßt. Aber die 
Kälte, welche da unten herrscht — die Eisenbahn zwischen 
Palermo und Siena soll im Schnee stecken geblieben und ein 
Mann erfroren sein — hat ihn seine Reise vorläufig aufgeben 
lassen, und so fahre ich denn fort, Vicolo Avignonesi zu hausen, 
was in mancher Beziehung auch bequemer ist. Vielleicht arran- 



— 152 — 

giert es sieb, daß ich nach meiner Rückkehr aus Neapel noch 
8 bis 14 Tage meine Hütte auf klassischem Boden aufschlage. 

Kälte haben wir freilich auch hier gehabt und eigentlich 
immer noch, wenigstens hat die Temperatur noch lange nicht 
die wonnige Milde von Mitte Februar erreicht. Eines Tages war 
sogar der Brunnen Triton auf Piazza Barberini mit ganz an- 
sehnlichen Eiszapfen behängt, Montag morgen lag's weiß auf 
den Dächern und tropfte im hellen Sonnenschein nachher so 
lustig auf die Straßen hinab, wie auf dem einen Quickbom- 
Initial von Papa. Wenn nur die Sonne scheint, dann bin ich 
ganz zufrieden. . . . 

Von neuen Ausflügen kann ich wenig mitteilen. An einem 
Sonntag gehörte ich ausnahmsweise zu denen, die nicht mit- 
machten, sondern in der Villa Papa Giulio arbeiteten, weil wir 
glaubten, es würde regnen, was freilich nicht geschah, so daß die 
Optimisten einen ganz hübschen Nachmittag in der Campagna 
hatten. Am letzten Sonntag fuhren wir per Omnibus nach Monte- 
Molle, im Norden, dem Orte der großen Constantinsschlacht, und 
gingen da auf der Via Flaminia ins Poussintal. Ob wir das 
richtige fanden, bleibt fraglich, jedenfalls kamen wir durch viele 
feuchte Wiesen, über manche Gräben und Hecken und kleine 
Brücken, trieben vielerlei Unsinn und hatten noch von einem 
Hügelrücken aus herrliche Fernblicke ringsum auf Rom an der 
einen, auf die Bergkette an der andern Seite. Letztere wurde 
sogar auf 10 Minuten vom milden rotgoldigen Abendschein an- 
gestrahlt, sonst wars trüber Himmel. . . . 

Beide Sonntage beschlossen wir im Theater, und zwar — 
was wirst Du sagen? — beide in Offenbachiaden, von einer fran- 
zösischen Truppe dargestellt! Es war lustig, billig und wir haben 
viel gelacht. In Rom in den „Orpheus in der Unterwelt" und 
die „Großherzogin von Gerolstein'- zu gehen, klingt zwar wunder- 
lich, war aber ohne Frage das beste, um einen Sonntagabend 
iidel totzuschlagen. Viel lustiger war ein anderes Theater, welches 
wir gestern kennen lernten: das Marionettentheater. Ich habe 
lange nicht so gelacht, und das für 3 Soldi! Ganz neu war mir 
der Genuß freilich nicht, auch in Thüringen existieren sie noch, 



— 153 — 

und im Gasthof zu Oberweimar, wo ich soviel mitteldeutsches 
Volksleben kennen gelernt habe, erlebte ich auch zweimal Mario- 
nettenvorstellungen. Aber es ist lange genug her, um wieder die 
alte Freude daran zu haben. Auch ist so manches anders in 
Deutschland und in Italien. Das Publikum gleich andächtig, be- 
geistert bei der Sache, hier wie dort, aber die römischen Gassen- 
jungenaugen blitzen doch ein ganz Teil feuriger, auch sind sie 
nicht immer unempfänglich, für einzelnes gar zu komische, selbst 
in ernsten Situationen. Die Wahl des Stückes war überaus glück- 
lich: Orlando furioso, il paladino di Francia. Das Gefechts- 
getümmel spielte natürlich eine große Rolle und war urkomisch 
— in Weimar sah ich dagegen, mit derselben feierlichen Be- 
geisterung gespielt, und durch das Schießen noch schauerlicher 
wirkend, Scbiuderhannes. Das Lokal hier weniger charakteristisch, 
auch die Beleuchtung etwas zivilisierter und weniger malerisch, 
aber immerhin noch mangelhaft genug, der Gestank ohne Frage 
hier bedeutender. . . . 

Letzten Sonnabend kam ich zufällig in die Casa Bartholdi, 
was während des Winters sonst sehr schwierig ist. Die Familie 
machte aber zufällig einen Ausflug aufs Land. Die Casa Bar- 
tholdi ist ein ganz gewöhnliches stattliches Haus, was man ja 
hierzulande Palazzo nennt, in der Via Sistina, ehe dieselbe auf 
den Monte Pincio endet. Das berühmte Zimmer mit der Ge- 
schichte Josephs befindet sich im zweiten Stock und ist von ganz 
gewöhnlicher Größe. Onkel Erwin spricht darüber. Überein- 
stimmen kann ich fi-eilich nicht ganz mit ihm. Sein hartes Urteil 
über die beiden Schadowschen Bilder ist zwar nicht unbillig: „ich 
begreife nicht, wie sich diese Bettler in diese Gesellschaft von 
Fürsten schleichen durften." Aber mit den Fürsten ist's denn 
doch nicht ganz so arg, meine ich — mit Ausnahme von Cor- 
nelius, denn dessen „Wiedererkennung Josephs und seiner Brüder" 
(die Hauptgruppe) ist für mich immer eine der königlichsten 
Leistungen der neuen Kunst gewesen, und hier im Original erst 
recht. Das ist ein Schwung, ein Ernst, ein Adel der Zeichnung 
und Komposition, der wahrhaftig nicht ,,konventionell" genannt 
werden kann. Auch sein König Pharao ist eine herrliche Figur 



— 154 — 

und der Joseph, der vor ihm steht und die Träume deutet, ge- 
fällt mir auch wohl. Früher zog ich den Schnorrschen vor, den 
ich heute noch viel schöner finde, aber Cornelius hat ihn — 
wunderlich genug — naiver aufgefaßt: Schnorr ist ein begeisterter 
Prophet, der Buße predigt oder göttliche Strafe voraussagt, ein 
Daniel, der das Menetekel zu lesen versteht; Cornelius hat mehr 
den schüchternen Knaben darstellen wollen, den seine wunder- 
same Gabe vor den König bringt, dessen Träume er mit derselben 
Leichtigkeit, aber ganz schlicht und objektiv zu deuten weiß wie 
80 viele andere. Das sehe ich darin und das gefällt mir, aber 
daß Cornelius das nun wirklich ausgedrückt hat, wie es sein 
könnte und sollte, kann ich nicht behaupten. Die Priester finde 
ich allerdings ,,echt cornelianisch konventionell komponiert'*. — 
Overbecks „Verkauf Josephs" ist gar nicht schön. Die unklare, 
genrehafte Komposition, die zu kurzen Figuren tadelt Onkel 
Erwin mit Recht. Warum er ihm verbieten will, der farbigen 
Wirkung der Ölmalerei im Fresko möglichst nahezukommen, ver- 
stehe ich nicht. Daß Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle 
auch die schwierige Aufgabe des Kolorits meisterhaft gelöst hat, 
ist gewiß richtig, aber ich bewundere die grausilberne matte Farbe 
besonders deshalb, weil sie sowohl dem dekorativ-architektonischen 
Aufbau wie dem grandios feierlichen Inhalt seines Werkes so 
wundervoll entspricht — nicht weil die Freskomalerei es so ver- 
langt. Hat doch auch Rafi"ael in seinen Stanzen einen freudigen 
Ton angeschlagen und in der Stanza d'Eliodoro, besonders in 
der Messe von Bolsena eine große Farbenpracht entwickelt. . . . 
In einem Wohnzimmer, für welches zwar ein biblischer, aber doch 
immerhin idyllisch behaglicher Stoff gewählt wurde, ist die er- 
habene Farblosigkeit Michelangelesker Sibyllen gewiß nicht am 
Platze. Über den beiden Corneliusschen Wandfiächen sind im 
flachen Halbrund „Die 7 fetten und die 7 mageren Jahre" von 
Veit und Overbeck. Dieselben haben nicht den bedeutenden 
Eindruck auf mich gemacht wie auf Onkel Erwin, ja, ich weiß 
nicht einmal mehr recht genau wie sie sind und muß sie mir 
eigentlich noch einmal ansehen. Nur so viel weiß ich, daß mir 
die mageren Jahre lange nicht mager und die 7 fetten Jahre 



— 155 — 

lange nicht fett genug waren. Daran ist der verwünschte Mangel 
an Charakteristik schuld, der jener ganzen Zeit eigentümlich war. 
Man hatte nur ein Ideal des menschlichen Körpers, ein ziemlich 
athletisches. Für die Schönheit weniger robuster Formen scheint 
man wenig Sinn gehabt zu haben. Elegante Beine wie bei 
Antiken, beim Apoll von Belvedere z. B. findet man eigentlich 
nirgends, geschweige denn, daß die schöne Magerkeit eines halb- 
erwachsenen Knaben irgendwo dargestellt wäre. Der verkaufte 
Joseph Overbecks z. B. ist ein ebensolcher dickwadiger Rüpel 
wie all seine Brüder, bei denen sie sogar zum Teil schief oder 
zu tief sitzen. — Joseph und Frau Potiphar — ich weiß nicht 
von wem — sitzt zwischen zwei Fenstern und ist schlecht zu 
sehen; vielleicht mit Absicht, was jedoch kaum nötig wäre, so 
zahm ist die Szene. 

Immerhin ist es ein höchst interessanter, wertvoller Raum, 
der womöglich — man kann Fresken ja jetzt von der Wand ab- 
nehmen — hier entfernt und zu andern Zwecken anderswo her- 
gerichtet werden sollte. Die Bewohner würden ihn schwerlich 
arg vermissen, denn der Gesamteindruck des Zimmers ist einer 
der unbehaglichsten der Welt. Von harmonischem Zusammen- 
gehen mit der Architektur ist keine Rede, jeder Künstler hat 
seine Wand ganz ohne Rücksicht auf das Ganze gemalt: Cor- 
nelius seine Figuren natürlich so groß wie möglich, lebensgroß 
oder über lebensgroß, Overbeck etwa zwei Drittel lebensgroß usw. 
Die Decke, Tonnengewölbe, ist von einer so geschmacklosen Ein- 
fachheit, daß sie heutzutage auch der gewöhnlichste Stubenmaler- 
meister besser ornamentieren würde. Um das Maß der Dis- 
harmonie voll zu machen, befinden sich über den Türen noch 
zwei kleine ägyptische Landschaften (auch Fresko), vermutlich 
aus späterer Zeit, mit dem bekannten modernen Schick, von 
weitem wie Seitzsche Farbendrucke nach Karl Werners Nilbildern 
wirkend — und das Mobiliar ist ganz simpel modern, der Teppich 
buntblumig, aus dem Ende der 50er Jahre!! 

Dieser Mangel an Gefühl für das schöne Verhältnis der 
Malerei zum Raum stört mich hier vielmehr als die Disharmonien 
der Corneliusschen Farbe, an die ich mich bei meinem letzten 



— 156 — 

Aufenthalt iu München so gewöhnt habe, daß ich bei ihm gar 
nicht mehr darauf achte. 

Wie wunderbar groß steht auch darin Ratfael da! Ich 
wundere mich wirklich, daß Onkel Erwins „Hand nicht erlahmte, 
während er es schreiben will", daß nämlich Raffael das, was 
Michelangelo so ungeheuer in seiner Gewalt hatte, etwas abzugehen 
scheint: die architektonische Anordnung oder lieber: das richtige 
Verhältnis und der Zusammenhang der Malerei mit der Architektur. 

Mit feinerem Gefühl, dächte ich, für den Zusammenhang von 
Architektur und Malerei, als dies von ihm in den Stanzen ge- 
schehen ist, ist wohl nie ein Raum geschmückt worden. Ich 
rede nicht von der Überwindung der Schwierigkeiten, welche die 
Wände ihm darboten, in denen die Fenster nicht einmal in 
der Mitte sitzen, sondern ganz allein von dem Größenverhältnis 
seiner Figuren zum Raum. Wie ist das z. B. in der Dis- 
puta gelöst! Man vergißt ganz, in was für einem kleinen Raum 
man sich befindet und ist erstaunt, wenn man ausmißt, wie weit 
unter Lebensgröße die meisten Figuren sind. Nur der eine, 
ganz von rechts, hart am Rahmen des Bildes, und der daneben, 
der sich über die Brüstung vorbeugt, haben natürliche Größe; 
die Hauptgruppe hat er so weit ins Bild hineingebracht und alles 
mit genauster Anwendung der Perspektive so richtig angeordnet, 
daß man gar nicht nach all dem fragt. Cornelius zwängt so 
viele und so große Gestalten wie er irgend kann, in seinen Raum; 
sie scheinen kaum zu atmen, geschweige denn sich bewegen zu 
können. Aber darin beruht das Wesen der hohen Kunst denn 
doch nicht, daß die Figuren mit dem Kopf und den Füßen an 
den Rahmen stoßen! Nein, im „Maß'' allein liegt das eigentliche 
Wesen der Kunst. Wie Raffael durch eine große, leere, per- 
spektivisch sich verkürzende Bodentläche seine großen figuren- 
reichen Bilder räumlich zu machen weiß, ist so bewunderungs- 
würdig wie leicht verständlich und nachahmenswert! und wie 
wenige der Neuen sind ihm darin gefolgt, von Cornelius ganz zu 
schweigen, aber selbst Kaulbach nicht einmal im Reformations- 
bild (eher im Turmbau zu Babel); am meisten von denen, die mir 
gerade einfallen, Paul Delaroche in seinem Hemizycle. . . . 



— 157 — 

Ich war heute Morgen zum erstenmal im Garten der Villa 
Medici, d. h. der französischen Akademie. Daß der Monte Pincio 
seit 1801 den Franzosen gehört, ist bekannt, auch habe ich es 
wohl schon erwähnt. Davon merkt man jedoch nichts, als daß 
die Anlagen mit Sonnenuntergang geschlossen werden, was im 
Sommer recht traurig sein mag, denn in warmen Mondnächten 
von oben auf das schlafende Rom hinzuschauen, ist gewiß ebenso 
schön wie ein Sonnenuntergang. Der Garten der Villa Medici, 
Avohl das allerschönste Stück des Pincio, ist dagegen überhaupt 
nicht öffentlich; doch läßt einen der Portier für ein Trinkgeld 
schon hinein. Ich verdenke das den Franzosen gar nicht, bin 
sogar ganz froh darüber, denn wenn das große Publikum täglich 
Zutritt hätte, würde der köstliche Garten bald seinen Zauber 
verlieren, der hauptsächlich in seiner fast klösterlichen Stille 
beruht. Hier der ganz simple Plan des Gartens: hinter dem 
Hause ein großer freier Platz mit etwa drei Fuß hohen, regel- 
mäßigen Buchsbaumhecken, einigen kleinen Fontänen und Sta- 
tuen, hinten sechs herrliche Pinien und die Aussicht auf die Villa 
Borghese. Der übrige größere Teil besteht in ganz regelmäßig 
angelegten, breitern und schmälern Wegen, aber hier sind die 
Buchsbaumhecken nicht gestutzt, sondern bilden dunkle, wohl 
8 bis 10 Fuß hohe Wände, zwischen denen man spazieren geht, 
über einem wölbt sich das schlanke Gezweig der herrlichsten 
Lorbeerbäume. Ich sage Euch, es ist so schön auf diesen, teil- 
weise mit Moos überzogenen, engen Pfaden auf und ab zu gehen, 
den milden Duft des dunklen Laubes zu atmen, immer irgend 
einen schönen Ausblick vor sich; sei es auf Rom, welches sich 
tiefer im duftigen Morgensonnenflimmer ausstreckt, sei es auf der 
andern »Seite auf die Pinien, Eichen und Lusthäuser der Villa 
Borghese, sei es auf irgendeine schöne Marmorfigur, die am Ende 
der Gänge verteilt sind, daß man sich vorstellt, so etwa müßte 
das Paradies angelegt sein, oder hier wäre der Ort, wo ein großes 
Gedicht entstehen müßte — oder Gott weiß was sonst. Ich 
glaube, ich dachte eigentlich gar nichts als immer nur wie 
wunderschön, und dazwischen fielen mir ein paar schöne Verse 
von Platen ein oder aus Goethes Tasso. Auch gibt's hier in dem 



— 158 — 

dichten Laubgebüsch allerlei Vögel; hier scheint mau sie zu 
schonen. — Mit den schönen Marraorbildern ist's übrigens nicht 
so schlimm; es sind meist nur Gipsabgüsse und noch dazu 
schlechte, gegen die Witterung zum Teil dick mit Ölfarbe ange- 
strichene, aber das schadet nichts. Im Freien und aus der Ferne 
wirken sie wunderschön! Zwei wirklich schöne Antiken stehen 
freilich auch da, ein junger Apoll (?), der hinüberlangt und sich 
einen Pfeil aus seinem Köcher nimmt, eine herrliche, kräftig 
elegante Gestalt und eine Minerva, über einen Brunnen sitzend, 
unter hohen, schlanken Lorbeeren, das allerschönste, das ich an 
Verbindung von Kunst und Natur gesehen habe. 
Für heute genug und gute Nacht! 

Hans. 

15. März 1877. 

. . . Eigentlich hatte ich etwas anderes vorgehabt, ließ mich 
aber sofort von meinen Freunden überreden, mit ihnen die Peters- 
kuppel zu besteigen, was alle Donnerstag Morgen von 8 bis 10 
gestattet ist. Für den Omnibus war's noch zu früh, aber in der 
Kühle war's ganz erwärmend, den weiten Weg zu Fuß zu machen. 
Vorm Peter wurden die großen Fontänen gereinigt und sprangen 
nicht. Was der Platz dadurch für ein seltsam trübseliges An- 
sehen hatte, trotz des hellsten Sonnenscheins, ist gar nicht zu 
sagen. Als wir herunterkamen, war die eine Fontäne glücklicher- 
weise wieder im Gange. Sie sind mir das Liebste auf dem 
ganzen Platz. 

Die Besteigung der Kuppel ist äußerst bequem, natürlich sind 
jedesmal sehr viel Menschen da. Zuerst sieht man die Kuppel 
innen. Dabei macht sie einen erstaunlich kleinen Eindruck. Es 
ist immer dasselbe Lied: die Figuren sind zu kolossal, wenig- 
stens zu durchgängig, gleichmäßig kolossal. Daß oben in den 
16 Rippen der Kuppel riesengroß die Gestalten Christi, Maria, 
Johannes des Täufers und der Apostel thronen, ist sehr schön 
und gewiß im Sinne Michelangelos; aber die ebenso riesig ge- 
bildeten Engel darüber (sogar die kleinen Engelsköpfe mit vier 
Flügeln) und besonders die ebenso großen Halbfiguren von 



— 159 — 

Bischöfen und Päpsten darunter, in den Halbkreisen nehmen 
ihnen alle Wirkung. Wäre es doch Michelangelo noch vergönnt 
gewesen, auch zu dieser innern Ausschmückung alle Entwürfe 
selber zu machen! Hätten wir hier einen Apostelhimmel von 
ihm, als Gegenstück zu seinen Propheten und Sibyllen in der 
Sixtina! Wie ganz anders würde er auch die Farben gewählt 
haben! Gewiß schliclit, grau silberig, mit wenig Gold. Jetzt ist 
alles farbenprächtig und heiter, nicht tief und wuchtig wie alt- 
christliche Mosaiken, sondern von derselben faden, fidelen flotten 
Freskofarbe wie alle derartigen Kirchenausmalungen aus jener 
Zeit. Daß alles alles Mosaik ist, sieht man erst oben. Unten 
siehts aus wie gewöhnliche Dekorationsmalerei. 

Die Fernsicht von oben ist natürlich wunderschön und höchst 
interessant. Die Berggipfel glänzten im herrlichsten, dicken 
Schnee, die Morgennebel hüllten die entfernteren Teile der Stadt 
in Duft, was das Erkennen der hervorragenden Baulichkeiten 
sehr erleichtert. Das Meer war leider nicht zu sehen. Wunder- 
lich ist's, wie dicht hinter der Peterskirche die Stadt mit einem 
Mal aufhört und bestellte Ackerfelder anfangen. In seioer 
künstlich erzeugten Größenausdehnung erinnert Rom mich bis- 
weilen an München. Erst nach 10 Uhr gingen wir wieder hin- 
unter. Es war inzwischen gedrängt voll geworden. Zum Be- 
steigen der höchsten Spitze bildeten die Leute Queue. Wir 
schenkten uns daher letzteres. 

Dann gingen wir zur Galerie Corsini an der Famesina vor- 
über, welche wie immer am 15. d. Mts. geöffnet war; die sonst 
leere Straße wimmelte infolgedessen von Wagen und Bettlern. 
Wir gingen jedoch nicht hinein und sahen statt dessen Santa 
Cecilia, über deren eigentümlich schönes, liegendes Bildnis unter 
dem Hochaltar von einem Schüler Berninis (Maderna) Ihr Onkel 
Erwins Briefe nachlesen mögt. 

xyimählich weiter bummelnd, in noch einige der 369 Kirchen 
Roms hineinguckend, aber gleich wieder herausgehend, kamen wir 
durchs Ghetto endlich wieder in bekanntere Gegenden und trennten 
uns, da ich de Boor, den ich acht Tage nicht gesehen hatte, in 
seinem Restaurant aufsuchen wollte, was auch gelang. Er be- 



— 160 — 

gleitete mich in die Villa Papa Giulio, wo ich immer noch ar- 
beite und freute sich, dieselbe auf diese Weise endlich einmal 
kennen zu lernen. Um fünf Uhr verschwand die Sonne, so daß 
ich nichts mehr tun konnte, und so schlenderte ich denn auf engen 
Feldwegen zur Acqua acetosa, einem Sauerbrunnen am Ufer des 
Tiber, in Öder großartiger Gegend. Die Beleuchtung erhöhte den 
melancholischen Eindruck. Alles graubraun, violett in den feinsten 
Abtönungen: Wasser, Luft, Campagna. Berge. Links ein tief- 
dunkler Eichenhain auf steilem, zerklüfteten Abhang. Ich blieb 
lange da liegen. Als ich bei Ponte Molle ankam, war's ganz 
dunkel, und als ich endlich den langen Weg zur Trattoria ge- 
macht hatte, fehlte nicht mehr viel an ^/^8. Die Freunde 
waren schon fortgegangen. Ich aß also ganz allein, und das 
Essen schmeckte mir nicht; aber das war auch die einzige 
Schattenseite dieses mannigfaltigen Tages. So sind sie nun 
freilich nicht alle, aber das wäre auch nicht einmal schön! 
Gute Nacht für heute. 



Rom, 21. März 1877. 
Vicolo Avignonesi 25. 
Lieber Onkel! 

Heute Morgen von einem mehrtägigen Ausflug zurück- 
gekehrt, fand ich Deinen schon seit einigen Tagen erwarteten 
Brief vor, den ich sogleich mit einer Fortsetzung meiner Be- 
schreibungen beantworten will. . . , 

Mein Fleiß ist jetzt zufriedenstellend. Ich bin etwa ebenso 
fleißig wie die anderen auch. Zurzeit arbeite ich in der Engels- 
burg: Perin del Vagasche Zimmer dekorationen im Raff"aelschen 
Loggienstil. Ob Onkel Erwin dieselben gekannt hat? Schwerlich 
waren sie damals zugänglich. Aber in der oft erwähnten Villa 
Papa Giulio, mit der ich in voriger Woche abgeschlossen habe, 
hat er gewiß auch viel studiert. Fragt Asher doch mal danach. 

Bei meiner Beschreibung der Casa Bartholdi habe ich noch 
vergessen, daß ich auch in dem Zimmer darüber war, welches 
Onkel Erwin nach seiner Rückkehr aus Neapel bewohnte. Der 



— IGl — 

Diener machte große Umstände, aber schließlich ließ er mich 
doch auf einen Augenblick eintreten. Es wird jetzt von zwei 
jungen Engländern bewohnt und ist sehr behaglich eingerichtet; 
überall standen hübsche kleine Schalen voll Veilchen und großen 
Anemonen, nach denen die ganze Stube duftete. Damals hat's 
gewiß ein gut Teil anders ausgesehen, aber mir war doch ganz 
eigen zu Mute. Die Wände und die Decke und besonders die 
weite Fernsicht über die große Stadt, nach zwei Richtungen hin, 
sind doch noch dieselben. Asher wird sich des Zimmers jeden- 
falls noch erinnern. 

Doch nun zur Beschreibung der inhaltreichen Woche! 
Sonntag den 18. war zum erstenmal wieder so recht herrliches, 
mildes, sonniges Wetter und mir gleich am Morgen so sonntäg- 
lich zu Mute, daß ich mich so anständig wie möglich anzog. 
Dasselbe Gefühl hatte auch Eisenlohr gehabt, den ich vorher 
noch nie anders als in seiner Joppe gesehen habe ; infolgedessen 
saßen wir eine ganze Weile im Caf6 zwar nicht nebeneinander, 
aber doch ganz nah, ohne uns zu erkennen; erst als die anderen 
kamen und uns beide begrüßten, merkten wir, wer wir waren. 

Es wurde beschlossen, die Katakomben zu besichtigen. Stolz 
in drei Wagen rollten wir durch die ganze Stadt zur Porta 
Sebastiano. . . . Die Porta Sebastiano liegt im Süden der Stadt 
schon auf der Via Appia. Eine Viertelstunde vor dem Tor sind 
die Callistuskatakomben, „die wichtigsten und interessantesten von 
allen". Im ganzen ist die Einrichtung der Katakomben ja be- 
kannt und keine weitere Beschreibung nötig. Hier befindet sich 
unter andern auch die „Papstgruft" der 146 römischen Bischöfe 
des dritten Jahrhunderts, 1854 wieder entdeckt, daneben die 
Cäcilienkapelle, die alte Grabkammer der Heiligen, der schon sehr 
früh hohe Verehrung zuteil wurde. Alte Freskenreste hier zeigen 
sie in etwa derselben Kleidung, in der Raflfael sie gemalt hat. 
— In einigen wenigen Grabkammern reicher Leute sieht man 
flotte künstlerische Wandmalereien, einige noch durchaus antik, 
obenan der berühmte Christus als guter Hirt, bartlos „einer be- 
kannten Mercurdarstellung sich anlehnend". Letzterer wird sogar 
ins erste Jahrhundert gesetzt. Die meisten Gräber sind völlig 

Scbapire, Hans Speckters Briefe. 11 



— Iü2 — 

schmucklos: einfache in den vulkanischen Tuif gegrabene, seitliche 
lange Löcher, wohl sechs bis acht übereinander, so eng, daß man 
kaum begreift, wie man die Leichen hineinlegen konnte. In den 
Gängen dazwischen kann immer nur ein Mensch gehen; man 
kann sich kaum darin ausweichen. In anderem Erdreich als 
diesem Körnertuff würde die Luft aufs fürchterlichste durch die 
Verwesung verpestet worden sein. . . . 

Von dort ist's nicht mehr weit zur Cäcilia Metella, dem be- 
kannten Riesengrabmal, welches ein reicher Protz, Herr Crassus, 
seiner Frau um 98 vor Christi errichten lies. Teilweise vorzüg- 
lich erhalten, teilweise malerisch zertrümmert, ist's ein Lieblings- 
vorwurf aller Maler und durch Bilder genügend bekannt. Auch 
heute saßen zwei da und malten, was das Zeug halten wollte. 
In Aquarell oder Ol sieht man derartige Ansichten hier zu 
Dutzenden, an allen möglichen Schaufenstern, selten sind sie so 
gut, daß ich nicht eine gute Photographie vorzöge. 

Die Via Appia hebt sich hier ein gutes Stück, und man hat 
einen schönen Fernblick auf Rom und die Campagna, mit ihren 
Aquädukten und den vielen zerstreuten Gräberresten. Im sonnigen 
Morgenduft sah das alles bezaubernd schön aus, und die Wärme 
war so groß, daß ich froh war, meinen Überzieher zu Hause ge- 
lassen zu haben. . . . 

Unmittelbar daneben liegen die Reste des Zirkus Maxentius 
(309 nach Chr.), in denen sich am Ostermontag Rom noch einmal 
wieder zu einem Wagenrennen versammeln wird. Es hat seit 
fünf Jahren nicht stattgefunden. . . . 

Über allerlei Terrain, auf und ab, manches Staket über- 
steigend, kamen wir weiter ostwärts, auf die Via latina, die andere 
große Gräberstraße Roms und zu den beiden, vor acht Jahren 
hier neuentdeckten, unterirdischen Gräbern. Hätte man Geld 
genug, um längs der großen Stadt die Ausgrabungen fortzusetzen, 
so würde man gewiß noch mehr gefunden haben. Beides sind 
viereckige geräumige Grabkammern, weit größer als die größten 
in den Katakomben, das eine mit einem Tonnengewölbe, voll der 
reizendsten Stuckornamente und Figürchen, das andere kleinere, 
noch interessanter durch die Verbindung von Plastik und Malerei, 



— 163 — 

ganz älinlich wie in Raffaels Loggien. ... Es wirkt überaus 
reizend: gemalte p^mpejanische Architekturen, Ornamente und 
dazwischen ganz Hache graziöse Figürchen, zuweilen auf farbigem 
Grund. Alles ist vortreiflich erhalten, weit besser als Raffaels 
Loggien. Mutter Erde bewahrt dergleichen gut, besser als die 
rohen Menschen, deren absichtliche Zerstörung der Loggien 
deutlich genug sichtbar ist. In diesem Grab steht übrigens noch 
ein großer Steinsarkophag in der Mitte. Die Darstellungen sind 
meist heiteren Inhalts: Bacchus, Diana usw. Nichts, das an den 
Tod erinnerte. Es ruht sich gewiß gut in einem so traulich be- 
haglichen Räumchen. . . . 

Am Nachmittag wollten wir mit der Post nach Porto 
d'Anzio fahren, der alten Volskerhauptstadt Antium, am Meer. 
Aber es stellte sich bald heraus, daß alle direkte Postverbindung 
dahin nur itn Gsell Fels existiert, auch früher in Wirklichkeit 
nie existiert hat. Das war nun recht betrübend. Der schöne 
Sonntag war einmal angebrochen, und wir hatten es uns so schön 
gedacht, am folgenden Morgen ganz frisch am Meeresufer aufzu- 
wachen und die Einwohner und Einwohnerinnen des nahegelegenen 
Nettuno, welche wegen ihrer Schönheit und besonderen Fest- 
kleidung berühmt sind, am St. Josephstag, einem ziemlich hohen 
Feiertag, zur Kirche gehen zu sehen. Damit war's nun nichts 
mehr. 

Schließlich machten wir einen Nachmittagsspaziergang vor 
Porta Pia. Porta Pia liegt im Nordosten der Stadt und ist ein 
Spätwerk Michelangelos, „ein verrufenes Gebäude, scheinbar eine 
Caprice; aber ein inneres Gesetz, das der Meister sich selber 
schafft, lebt in den Verhältnissen und in der örtlichen Wirkung 
der an sich ganz willkürlichen Einzelformen. . . . Innerhalb der 
Willkür herrscht eine Entschiedenheit, welche fast Notwendigkeit 
scheint." Entschuldigt dieses lange Zitat aus dem Burchhardt! 
Wenn man das Gebäude kennt, begeistert die Klarheit und 
Richtigkeit dieses Urteils. . . . Der Weg führt wie so viele Land- 
straßen in Italien zwischen Mauern, über die man nur selten 
hinwegsehen kann, was sehr ärgerlich ist und einen ganz nervös 
machen kann, da einzelne Durchblicke zeigen, wieviel man verliert. 

11* 



— 164 — 

Nach einer halbeu Stunde kommt man nach S. Agnese, einer 
der vielen sehr alten Kirchen außerhalb der Tore. Diese 
Kirchen sehen sich im wesentlichen alle gleich: antike Säulen 
und Kapitelle aus heiduischen Tempeln zusammengeholt, byzan- 
tinische oder frühchristliche Mosaiken in der Apsis des Chors, 
mit steifen Figuren nnd feierlich schönen Farben auf Goldgrund, 
alles übrige mehr oder minder schwülstiger hohler Zopf, das 
Beste meistens eine reichgeschnitzte Holzdecke aus dem Ende 
des 16. oder Anfang des 17. Jahrhunderts. Eigentümlicher ist eine 
nahe gelegene Rotunde: S. Costanza, das Mausoleum der Töchter 
Constantins, im vierten Jahrhundert errichtet und sehr gut er- 
halten, ein in jeder Beziehung hochinteressanter Kuppelbau, der 
einen schönen großartigen Eindruck macht; wenn auch die Säulen 
antiken Tempeln entnommen und die Mosaiken der Gewölbe 
ziemlich roh und unselbständig sind, so hat mir das Ganze doch 
einen weit größeren Respekt vor jener Zeit beigebracht (durch 
die harmonischeu Gesamtverhältnisse und die wohltätige Licht- 
wirkung), als ich bisher hatte. . . . 

Nach einer halben Stunde, während welcher uns die Mauern 
nicht mehr an der Aussicht auf die schönen Linien der Sabiner- 
und Albanerberge hinderten, kamen wir an den Anio oder 
Teverone, einen ganz anständigen Nebenfluß des Tiber, über den 
eine höchst malerisch befestigte Brücke führt. Auf beiden Ufern 
ließ sich natürlich die emsige Schar der deutschen Architekten 
nieder, um das Ding zu skizzieren, was von weitem oder aus der 
Vogelperspektive gar kurios aussah. Zwei derselben waren freilich 
zu faul dazu und besonders zu durstig, um nach dem langen 
raschen Marsch einem Wirtshaus, welches am andern Ufer winkte, 
aus dem Wege zu gehen. Der eine war Herr Lauser, der, wie 
schon sein Name andeutet, ein unendlich gutmütiger stets harm- 
los fideler Schwab ist, die will- und unwillkürlich komische 
Person des Kreises, der andere ich. Leider gab's keinen Kaffee, 
was mich sehr enttäuschte, aber Wein und Wasser waren immer- 
hin erquicklich, und in der rauchgeschwärzten kühlen Küche — 
aus weiteren Räumen bestand eigentlich das „Hotel" nicht — 
war's gar behaglich, so daß wir eine ganze Weile sitzen blieben, 



— 165 — 

aus Pflichtgefühl das Interieur zu skizzieren begannen, aber 
schließlich schlief ich dabei ein. Aufgewacht, erklommen wir 
den Hügel hinter dem Wirtshaus, von dem aus wir einen weiten 
Rundblick hatten, auch auf die fleißige Schar unserer Freunde. 
Nachträglich erfuhren wir, daß unser Berg der Mons sacer 
sei. . . . Von halber Höhe des Mons sacer aus habe ich dann den 
alten Brückenturm gezeichnet und blieb sogar noch sitzen als 
die andern den Heimweg antraten, bis es so dunkel war, daß 
ich nichts mehr sehen konnte. Außerdem erhob sich noch ein 
kalter Wind, und der lange Heimweg allein war keine verlockende 
Aussicht. Aber meine Tugend wurde belohnt: einem Omnibus 
fehlte gerade noch eine Person; kaum war ich eingestiegen, so 
jagten die kräftigen Pferde mit einer Energie zur Stadt zurück, 
wie ich selten was erlebt habe, in Italien schon gar nicht. Ich 
war längst mit meinem Abendessen fertig, als die andern, welche 
unterwegs noch einmal eingekehrt waren, ankamen; sie waren 
natürlich hocherstaunt, mich zu finden, den sie schon recht 
herzlich bedauert hatten. . . . 

Montag den 19. März war St. Josephstag. Man stand um 
sechs Uhr auf und fuhr gegen sieben Uhr per Bahn nach Albano. 
Das Wetter war nur so so, keine Sonne, viel Wolken, sogar 
einige Regentropfen, als wir ausstiegen. In Albano setzten wir 
uns in die Post, die durch diesen Zuwachs von sieben Mann 
natürlich recht eng wurde. Außer uns saßen noch zwei schwei- 
gende und meist schlafende Bauern darin und ein Gendarm, 
mit geladenem Gewehr, ein dito auf dem Bock, das erste Zeichen, 
daß man im Vaterlande der Rinaldo Ridalninis ist. — In Rom 
fühlt man sich ganz sicher, sicherer als in deutschen Groß- 
städten. . . . 

Der Weg ist lang und uninteressant. Man fährt 3^2 Stunden, 
meist durch dürren niedrigen Wald, auf schnurgerader Chaussee, 
in Holstein könnte es gerade so sein. Auch ist das junge Laub 
noch sehr weit zurück; die Fruchtbäume ausgenommen, sieht 
man hauptsächlich nur am Brombeergeranke ganz kleine junge 
Blättchen. Der Wald war gerade wie bei uns zu derselben Zeit. 
Das meiste gehört den Borgheses, die es verpachten; meist an 



— 166 — 

Köhler, welche scheinhar recht unharmherzig und unklug hausen. 
Geordnete Forstgesetze giht's hier, wie ich höre, noch nicht. — 
In der Mitte des Weges wurde Halt gemacht. Es war ein Wirts- 
haus und eine Kapelle daneben. Wohl 200 verteufelt wild aus- 
sehende Kerle standen und lagen hier herum. Sie hatten Kirch- 
gang gehalten und vergnügten sich nun. Auf den kurzen, kräf- 
tigen Pferden mit langen Mähnen und Schwanz pflegen sie auf 
hohem Sattel zu sitzen; Ziegenfellüberhosen geben ihnen das 
charakteristische faunartige Aussehen. Der lange stets in schönen 
malerischen Falten über die Schulter geworfene blaue Mantel und 
spitze Hut vollenden den räubermäßigen Anblick. Einige trugen 
auch lange Flinten. Ganz zu trauen ist der Gesellschaft sicher- 
lich nicht. Allein möchte ich nicht fünf Minuten unter ihnen 
sein, so finster und mißtrauisch sahen sie drein. Als wir in die 
Kneipe gingen, folgte der eine Gendarm sofort; ich glaubte, um 
seinen Anteil am Frühschoppen zu empfangen, andere meinten 
zur Bedeckung, und ich glaube fast, sie hatten Eecht. Er trank 
fast gar nichts, wollte durchaus nichts annehmen. Diese Gen- 
darmen sind überhaupt sehr ehrenwerte Kerle, oft sehr schöne, 
noble Erscheinungen von ernstem, feinem Wesen und sicherlich 
nicht mehr — ich glaube weniger — zugänglich für Trinkgelder 
und Getränke als die unserigen. Dasselbe möchte ich von einem 
großen Teil der Unteroffiziere glauben, die zwar weniger stramme 
Soldaten sein mögen, aber moralisch höher zu schätzen sind als 
die preußischen wie ich sie kenne. 

Die letzte halbe Stunde fährt man in einiger Entfernung 
vom Meer dahin. Die Sonne arbeitete sich durch und wir langten 
um elf bei gutem Wetter an. Der Wind blies uns den fri'-chen 
Meerduft kräftig entgegen, die Wellen gingen hoch und spritzten 
ihren weißen Schaum hoch aufwärts. Die lustig beflaggten Schiffe, 
schon mit der einen großen geschwungenen Raae (ich glaube, 
man nennt das ,,lateiner Segel") lagen in festtäglicher Stille, 
schön ausgerichtet, am Molo entlang. Am Ende des Molo, am 
kleinen Leuchtturm, ging die Brandung natürlich am höchsten. 
Man wird gar nicht müde, die schäumenden Wogen heranbrausen 
zu sehen, wie sie schwellen, sich überstürzen, gegen den Stein- 



— 167 — 

dumm prallen und plantschend und spritzend die Vormauer über- 
fluten. Künstlich geformte, große Beton quadern liegen unregel- 
mäßig auf dieser Vormauer, damit sich der Hauptanprall au ihnen 
breche. Wir stiegen natürlich hinauf, erschienen uns sehr kühn 
und stolz, aber zuletzt kamen noch einige extragroße Wogen und 
bespritzten uns so gründlich, daß wir den Rückgang eiligst an- 
traten. Der alte Neptun ist ein gar mächtiger Fürst, der schon 
durch kleine Plänkler, was etwas Schaumgespritze doch nur ist, 
seine Macht beweist. Läßt er erst einmal seine weißmähnigen 
Rosse wirklich los — dann Addio Menschlein! — Ich kannte 
das Meer früher eigentlich gar nicht, denn die Ostsee ist, mit 
Klaus Groth zu reden, ,man 'n Pohl"! Aber auch diejenigen 
unter uns, die längere Zeit am Meer gelebt haiien, waren ganz 
angetan und überrascht von den großartigen Stürmen. 

Dann wurde gegessen — Fische gab's leider nicht, des 
Sturmes und des Festes wegen — und südwärts der Küste ent- 
lang nach Nettuno gegangen. Auf dem Weg dahin liegen mehrere 
stattliche Villen, denen man aber ansieht, daß sie sehr selten be- 
wohnt werden. Gar anders mag es vor 18Ü0 Jahren hier aus- 
gesehen haben, als Nero, der hier geboren war, alle erdenklichen 
Anstrengungen machte, der Stadt ihren alten Glanz wieder zu 
verleihen, große Hafenbauten anlegte, prächtige Tempel erbaute 
und viele reiche Patrizier veranlaßte, sich hier, wo er selbst 
natürlich eine prächtige Besitzung hatte, ebenfalls Villen zu bauen. 
Von all dem ist nichts mehr zu sehen als ein Stück des alten 
Hafendammes, in welchem die See besonders wütend tost und 
sich bricht. Von all den Tempeln und Villen sieht man nur die 
Grundmauern unter dem Wasser. Im Ufersand dagegen findet 
man manches bunte Marmorstück, welches einst die Wände und 
Fußböden jener glänzenden Häuser schmückte, vielleicht gar 
einem herrlichen Götterbild angehörte, aber nun klein und form- 
los . . . sich kaum von den andern Kieseln und den neuen bäuri- 
schen Topfscherben unterscheidet. Früher hat man mehr als 
formlose Stücke hier gefunden, unter anderm in Neros Villa den 
Apoll von Belvedere (zur Zeit Julius IL). . . . 

Das Ufer ist steil und hübsch, aber kaum höher als an der 



— 16» — 

Elbe, wo unsere großen Villen stehen. Überhaupt hat die ganze 
Gegend einen ziemlich nordischen Charakter. Nur das Städtchen 
Nettuno baut sicli so klassisch schön auf, wie man es bei uns 
nirgends finden wird. Von einem besonders schönen Platz, der 
Borghesischen Villa aus, wurde es denn auch allgemein skizziert, 
wir kletterten, um etwas höheren Horizont und Meeresfläche zu 
erlangen, auf die Bäume, was sehr komisch aussah und von 
Thiersch sehr lustig aufgenommen wurde. Der Wind konnte 
oben noch besser ankommen als unten, und daß das Zeichnen im 
Kampf gegen fortwährend flatternde Skizzenbücher gerade ein 
großer Genuß sei, hat wohl noch niemand behauptet. Die meisten 
waren denn auch erstaunlich flink fertig und wieder auf ebener 
Erde. Eisenlohr und ich hielten etwas länger aus und wurden 
dafür durch eine herrliche Entdeckung belohnt: zu unseren Füßen 
lag ein Steinbruch, um den sich niemand gekümmert hatte; wir 
stiegen hinunter, fanden noch ein paar unbedeutende Reste 
früherer Bewolintheit (Säulenfüße. Kapitelle usw.), schließlich eine 
alte, morsche Tür, und als wir diese öftneten, waren wir in einer 
weiten Grotte, die sich unmittelbar aufs Meer öffnete und ofi^enbar 
von Menschenhand erweitert und künstlich ausgeschmückt worden 
war. Wir sind natürlich vorläufig fest davon überzeugt, daß dies 
ein Neronisches Badezimmer gewesen ist, wo er abends, wenn 
die untergehende Sonne den ganzen Raum mit ihren glühenden 
Strahlen erfüllte, von schönen Mädchen umgeben, auf prächtigem 
Lager ruhte und zum Leierklang irgendeinen pomphaften Dithy- 
rambus sang, oder weinlaubbekränzt dem Meer aus goldenen 
Schalen Trankopfer brachte oder nächtliche Orgien feierte. Heute 
war das Meer für all dergleichen nicht geeignet, und nachdem 
wir auf einigen großen Felsblöcken unseren kleinen menschlichen 
Stolzesgefühlen genug getan und uns nasse Füße geholt hatten, 
setzten wir den Weg nach Netuno fort. 

Wir fanden die übrigen natürlich bald auf dem Marktplatz: 
Thiersch, der Maler so gut wie Architekt ist, von Dutzenden von Ein- 
wohnern bewundernd umdrängt, zeichnete einen alten Kerl; die 
Berliner räsonierten über das Wetter, welches wieder ganz trüb 
geworden war, und über den Mangel an interessanter Architektur, 



— 169 — 

die andern beiden saßen im Caf6! Nachdem auch wir unsere 
durchwehten Glieder daselbst erwärmt hatten, spazierten Eisen- 
lohr und ich, da in der Stadt wirklich „gar nischt los war" — 
darin hatten die Berliner ganz recht — zur andern Seite wieder 
heraus und fanden auch bald ein Plätzchen auf einem hohen 
„Knick" (um norddeutsch zu reden), wo wir weich und duftig im 
niedrigen Myrtengesträuch saßen, zum erstenmal vorm Winde 
geschützt waren und eine schöne Aussicht auf die Landstraße, 
das graugrüne Meer und die Stadt hatten, welche sich von dieser 
Seite ähnlich, aber noch schöner aufbaut, als von der Villa Bor- 
ghese aus. Die Luft wurde immer düsterer, das Meer immer 
unheimlicher, farbloser, der weiße Schaumgürtel längs des Ufers 
immer breiter, und immer höher sahen wir die Wogen auf dem 
mächtigen Steinbollwerke des Kastells aufspritzen. Es war ganz 
die großartig sehnsüchtige, pessimistische Stimmung der Böcklin- 
schen „Villa am Meer" in der Schackschen Galerie. Statt der 
einsamen schwarzen Frauengestalt dort, welche man Iphigenie 
getauft hat, bildeten hier freilich besoffen heimkehrende Bauern 
die Staffage, je zwei oder drei, oder auch einzeln, auch wohl zu 
Pferd oder Esel, alle mehr oder minder banditenmäßig aussehend, 
aber in sehr stiller, friedfertiger Rauschstimmung. Einer, der 
besonders gefährlich und blutdürstig aussah, auch eine lange Flinte 
über der Schulter trug, torkelte am allerbedenklichsten von einer 
Seite auf die andere und machte uns große Freude. 

Als wir zurückkehrten, waren die andern schon heimgegangen. 
Ganz Nettuno schien sich zur Feier des heiligen Joseph an- 
getrunken zu haben, was Eisenlohr, als guten Schwaben, mit einer 
gewissen sympathischen Rührung erfüllte. Dabei waren sie aber 
alle ganz harmlos und freundlich, trotz ihrer waldmenschartigen 
Ziegenfellüberhosen. . . . Gar lustige Szenen sahen wir noch auf 
der Landstraße, die man bei uns ähnhch, aber doch weniger naiv 
und harmlos erleben kann. Schließlich kam für fünf Minuten 
noch ein rosigvioletter Sonnenuntergangsschein über den wolkigen 
Himmel und die entfernteren Berge, was wunderschön aussah. 
Unten c4,m Strand war's schon fast nächtlich und von besonderer 
Großartigkeit. Das Abendessen zeichnete sich durch kolossale 



— 170 — 

Mengen frischen Salats aus. . . . Ein angeheiterter Fischer am 
Nebentisch rezitierte halb singend ein langes, wohlklingendes Ge- 
dicht, dessen Inhalt ich jedoch nur halb verstand. Unser Beifall 
animierte ihn und auch die andern Anwesenden, so daß sich 
ein gar gemütliches und charakteristisches Gesinge entwickelte. 
Zwischendurch sangen wir auch einige deutsche Lieder, wobei 
sich freilich die Abwesenheit unseres Hauptsängers und einige 
energische falsche Töne des einen Berliners ziemlich bemerkbar 
machten. Die italienischen Lieder gehen alle in Moll, was ihnen 
einen eigenen Reiz gibt und sehr „gebildet'' klingt. Am besten 
gefiel den Leuten offenbar Lützows „Wilde verwegene Jagd" und 
— „Die Pinzgauer"! Nachdem wir uns die Brandung noch ein- 
mal in stockfinsterer Nacht angesehen hatten, wobei mir die 
wundervollen Sturmakkorde aus Wagners „Fliegendem Holländer" 
in den Ohren klangen, so daß ich kaum erstaunt gewesen wäre, 
wenn plötzlich das Gespenstische Schiff mit den blutroten Segeln 
vorübergesaust wäre — gingen wir zu Bett und schliefen, ohne 
viel Allotria zu treiben, bald ein. . . . 

Dienstag war das alte Meer frühmorgens noch grauer als 
tags zuvor, und der Himmel eine schwere graue Regenwolke. Es 
regnete sogar etwas. Während des Kaffees hellte es sich auf, 
die Sonne kam sogar durch, zwar nur matt und farblos, aber das 
silberne Flimmern auf der weiten Wasserfläche sah wunderschön 
aus. Zuerst gingen wir natürlich wieder auf den Molo. War der 
Anprall der Wogen gestern schon großartig gewesen, so war's 
über Nacht doch noch ganz anders geworden. Die Quadern, von 
denen uns gestern nur einige besonders heftige Wellen durch ihr 
Gespritze vertrieben hatten, wurden heute von jeder, die, in 
langen Intervallen feierlich anschwellend, sich heranwälzte, so ganz 
überflutet, daß ein Mensch gewiß mit heruntergespült worden 
wäre. Die Urkraft des Elements hat etwas so Begeisterndes, daß 
man unwillkürlich im Kampf zwischen ihm und dem Menschen- 
werk Partei für ersteres nimmt und jauchzend mit zusehen könnte, 
wie die Quadern des Molo seiner Gewalt weichen müßten, wie 
der Leuchtturm hinweggespült würde und man selber mit! Man 
möchte mit zu dem starken und frischen Chor der Tritonen und 



— 171 — 

sonstigen Fischmenschen gehören, den Göttern des Olymps untreu 
^s•erden und zur Fahne — vielmehr zum Dreizack des Neptun 

— schwören, aller verfeinernden und verzärtelnden Bildung den 
Krieg erklären mit der Devise: „Es muß alles zerstört werden" 

— denn das ist die Devise des Meerreiches. . . . 

Dann begann die Wanderung nach Torre d' Astura. Dies 
ist ein Turm, der 10 Miglien (2^^ Meilen) von Anzio entfernt an 
der Küste liegt und mancherlei geschichtliche Erinnerungen auf- 
weist: erstlich steht er auf den Mauerresten einer der größten 
Villen Ciceros, und dann war es hier, wohin Konradin von 
Schwaben nach der unglücklichen Schlacht bei Tagliacozza flüch- 
tete, vom Besitzer Jacopo Frangipani aufgenommen, aber als Karl 
von Anjous Reiter kamen, diesen ausgeliefert wurde. Außerdem 
soll man eine herrliche Fernsicht von hier aus haben, nach allen 
Seiten hin, besonders nach Süden aufs Kap der Kirke, welches 
■wir allerdings schon tags zuvor von Antium aus gesehen hatten. 
Essen mußte mitgenommen werden. Der Sohn des Wirts . . . 
trug es und wollte zugleich als Wegweiser figurieren, da der 
Strand teilweise nicht zu passieren war. Hinter Nettuno, von 
dessen schönen Mädchen und Trachten wir auch heute nichts zu 
sehen bekamen, ging's eine Weile landeinwärts, durch Redder 
und ausgerodeten Wald, dann durch feuchte Wiesen wieder zum 
Strand hinunter. Hier, in dem Sand gegen den Wind zu mar- 
schieren, war kein Vergnügen, besonders da der Nebel nicht wich 
und man weder den Turm noch Antium erkennen konnte. Die 
Stimmung: „Un dat sali nu'n Vergnögen sin?!" nahm überhand, 
und eine Revolution war vor der Tür, welche Verzehren des Vor- 
rats und Heimkehr verlangte. Aber die beiden Schwaben, zweite 
Kolumbusse, wollten nichts von rückwärts wissen. Die Entdeckung 
eines einsam stehenden Hauses begeisterte und beruhigte selbst 
die Murrenden. Es war eine Ziegelei. Die Leute waren sehr 
freundlich, gaben uns Brot und ziemlich schmutziges Wasser, 
welches trefflich schmeckte. Wein oder Käse hatten sie nicht 

— wenigstens wollten sie uns nichts davon geben, was man ihnen 
nicht verdenken konnte. Der Strand gleicht dem der Ostsee: 
Sand, Gestrüpp, einige verwehte Bäume usw. Von den Büfi"el- 



— 172 — 

lierden. vor denen man sich zu hüten hat, war nichts zu sehen. 
Einige zahme Ochsen gingen uns höchst bescheiden aus dem 
Wege. Einmal sahen wir ein Rudel Dammwild. Sonst ist außer 
einigen Trümmern antiker Villen und mittelalterlicher Strand- 
burgen^ welche die Sarazenen zerstörten, wenig Bemerkenswertes 
von der Küste zu erzählen. Immer näher kam der Turm, end- 
lich nach vierstündigem angestrengten Marsch traten wir punkt 
1 Uhr in einen kleinen Burggarten, der, schlechtgepflegt und vom 
Wind zerzaust, sich doch durch einen Flor der üppigsten roten 
Levkojen auszeichnete, über eine schmale Brücke, auf der der 
Wind natürlich ganz besonders pfiff, kamen wir in den Turm, 
dessen bescheidene Besatzung hocherfreut und erstaunt über den 
unerwarteten Besuch war. Es kommen nicht viel Fremde hin, 
besonders nicht bei so stürmischem Wetter. Der Feldwebel war 
ein schöner, gebildeter Mann, der die Honneurs mit beneidens- 
wertem Anstand machte. Unser Brot, Eierkuchen und Wein 
schmeckte vortrefflich. Zu sehen ist wirklich nichts: aus Kon- 
radins Zeiten stammen nicht einmal die jetzigen Außenmauern. 
Innen überall kahle Wände. Ein sehr primitives Zimmer ist für 
den Principe Borghese reserviert, wenn er zur Jagd auf Strand- 
vögel herkommt. Ein schön eingebundenes Projekt zur Restau- 
rierung des Turms, mit peinlichster Nettigkeit ausgeführt und dem 
Principe Borghese dediziert, bildet den Hauptschatz, der gezeigt 
wird. Von Fernsicht war keine Rede. Aber die Sonne . . . kam 
wieder und bereitete uns einen schönen Nachmittag. Zunächst 
wurde von den noch am Strand stehenden Ruinen der Cicero- 
schen Villa aus der Turm skizziert, was schnell getan war; dann 
tummelten wir uns auf dem schönen glatten Ufer und ruhten in 
der warmen Sonne. Der alte Cicero hat sich hier wirklich einen 
herrlichen Platz ausgewählt! Das sah man auch ohne Fernsicht. 
Und von ganz bedeutender Ausdehnung muß seine Besitzung ge- 
wesen sein; die meisten Mauerreste liegen jetzt unter dem Wasser- 
spiegel, — oben vom Turm aus konnte man den ganzen Grund- 
riß deutlich erkennen — , aber auch am Strande stehen nocli 
ganz respektable Brocken festen Backsteingemäuers. — Um 4 
brachen wir auf, um 6 waren wir in Nettuno. So rasch ging's 



— 173 — 

ohne den Widerstand des Windes. . . . Auch die Heftigkeit der 
Brandung ließ etwas nach. Da Ebbe eingetreten war, konnten 
wir den ganzen Weg am Strande bleiben, um die vorspringenden 
üferkanten mit Vorsicht und Schnelligkeit herumlaufend, wenn 
die Welle sich gerade zurückgezogen hatte. Aber nasse Füße 
gab's doch, und namentlich eine urkomische Szene, als wir 
auf glitschigen Speckstein gerieten, vor Lachen nicht von der 
Stelle konnten und uns ganz geduldig naß spritzen lassen mußten. 
In Nettuno wurde natürlich eingekneipt, in einer höchst male- 
rischen Wirtschaft, die wieder aus nur einem großen Eaum be- 
stand, der Küche, Wirtschaft, Keller, Durchfahrt, Speisekammer 
usw. vorstellte, und nach dem Abendbrot schleunigst zu Bett ge- 
gangen. Mehr als zwei Stunden Schlaf hatten wir freilich nicht, 
denn um Mitternacht fährt die Post ab — die einzige Verbindung 
mit der Welt!!! Das schlaftrunkene Gerassel im Postwagen war 
nicht gerade genußreich, schien aber weniger lange zu währen 
als die Hinfahrt bei Tag über den langweiligen Waldweg. In 
Albano ausgestiegen, regnete es. Schimpfend öffnete der Bahn- 
hofinspektor den stinkigen Bahnhof, wo wir uns auf die Holz- 
bänke legen oder auf und ab rennen durften. Erst um ^/^ß kam 
der Zug, und gegen 7 waren wir in Rom. Hier fand ich Deinen 
Brief, las ihn rasch, legte mich dann ins Bett, schlief bis 9, traf 
dann Eisenloh r im Cafö und war leidlich fleißig mit ihm in der 
Engelsburg, welche ich heute absolviert habe. Die Perin del 
Vagaschen Zimmer dort sind mir ziemlich das liebste, was ich 
an leichter Zimmerdekorierung kenne, einzelne Figuren von ge- 
radezu raffaelischer Schönheit. Verzeiht die breite Ausführlich- 
keit dieser Beschreibung; ich entschuldige mich mit Cicero: „Zu 
einer kürzeren fehlte mir die Zeit!*' 

Am 22. war Kaisers Geburtstag und Thiersch und ich, wie 
zu erwarten war, aufs Kapitol geladen. Es war recht interessant 
und amüsant für uns. Sehr bunte Gesellschaft, hohe Aristokratie, 
neben Krethi und Plethi aller Art. Was an Deutschen hier ist 
und seine Karte abgibt, wird zu diesem Tag eingeladen. Große 
schöne Räume mit zopfigen Plafonds und nicht allzuviel moderner 
Geschmacklosigkeit eingerichtet. Einzelne Ecken mit hohen 



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Lorbeerzweigeu geziert, machten sich sogar wundervoll. Höchst 
unglücklich freilich war das Arrangement der Kaiserbüste im 
großen Saal: sie stand bis zum Kinn in einem Beet von rosa 
Azaleen!! Von hohem Lorbeer und Palmengcbüsch dahinter 
keine Idee. 

Keudells große Rede war fließend und gut gemeint, aber ent- 
setzlich nüchtern und schwunglos. Sie hätte eigentlich gerade 
so gut auf John Henry Schröder oder sonst jemand gepaßt. Ist's 
denn so schwer, auf dem Kapitol des deutschen Kaisers Hoch 
an seinem 80. Geburtstag auszubringen? Ich bin überzeugt, daß 
in Hamburg an jenem Abend viel viel bessere und begeisterndere 
Trinksprüche gesprochen wurden, selbst die „gebundene Rede", 
die Dr. Hofrat Förster den Tag in München zum besten gegeben 
hat, wird trotz aller Bedenklichkeiten mehr Schwung gehabt haben. 
Ein doppelt besetztes Mänuerquartett, vermutlich des Künstler- 
vereins, sang darauf „Heil Dir im Siegerkranz" mit neuen Worten 
und nachher noch einige deutsche Volkslieder, aber teils so lang- 
weilig, teils so unrein, wie wir das bei unsern Liedervereinlern 
nicht gewohnt sind. 

Zu essen und zu trinken gab's massenhaft und glänzend. 
Dafür ist die deutsche Gesandtschaft hier allgemein berühmt. 
Besonders gut schmeckte nach all dem süßen Zeug, das man 
hier bekommt, ein gutes Glas Rheinwein mit köstlicher Blume. 
Da ich keinen festen Platz mehr gefunden hatte, konnte ich mich 
selbst bedienen und bald hier bald da Posto fassend meine Be- 
obachtungen anstellen. Ein paar sehr schöne Frauen waren da 
— Frau und Tochter eines hiesigen deutschen Malers — , manche 
recht niedliche, aber auch viel garstige und unangenehme: junge, 
blasierte Puppenköpfe, alte fette und alte dürre aufgeblasene 
Berlinerinnen, die sich eigentlich ihrem prächtigen Staat durch- 
aus nicht entsprechend zu benehmen wußten. Die wirklich vor- 
nehme Aristokratie auch hier wieder verhältnismäßig natürlich, 
wenigstens mehrere Damen. Die besternten und meistbebänderten 
Herren machten einen recht unbedeutenden Eindruck. Viele 
schrecklich wichtige und reservierte Mienen fehlten natürlich nicht. 
Im ganzen war der Eindruck für mich weniger der einer deut- 



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sehen als der einer Berliner Gesellschaft — wie ich mir eine 
solche vorstelle. Auch angejüdelte Erscheinungen fehlten nicht, 
waren mir aber durchaus nicht die unangenehmsten. . . . 

Rom, ult. März 1877. 

Für Palmsonntag, den 25. März, war die Wahl schwer zwischen 
der Zeremonie der Palmenweihe in S. Peter und dem berühmten 
Schweinemarkt in Grottaferrata. 

Mein Interesse am katholischen Kultus ist gerade hier in 
Rom sehr gering geworden, so daß ich zur Partei derer gehörte, 
die schon morgens um ^1^9 nach Grottaferrata fahren wollten; 
das Erscheinen der beiden schon erwähnten Berliner jedoch und 
ihre Erklärung, sie wollten sich uns anschließen, ließ mich und 
noch einige andere die Zahl der Andächtigen in S. Peter ver- 
mehren. Die Sache war aber „man sehr schwach". Das Oster- 
fest ist in den Münchner Kirchen überhaupt feierlicher als hier. 
Wenig Publikum, meist Fremde obendrein, kleine winzige Palmen- 
zweiglein, wie man sie auch bei uns hat, meist sogar hellgelb 
gefärbt, kunstreich, aber geschmacklos geflochten und geknotet, 
keine sonderliche Musik, und in der Prozession, die von einer 
Seitenkapelle durchs Hauptportal in die Vorhalle und wieder 
zurückging, lauter unbedeutende, gut dumme Gesichter. Ich er- 
wartete, w^enn auch nicht lauter Apostel- und Propheten köpfe, 
doch einige scharfgeschnittene Gesichter unter den Kardinälen 
zu finden. Der eine Choral von Palestrina klang sehr schön 
durch den gewaltigen Raum. . . . 

Mit dem 12-Uhr-Zuge fuhren wir nach Frascati. Wir kamen 
im schönsten Sonnenschein an und stiegen zusammen mit vielen 
andern Vergnügungszüglern zur Stadt hinauf, die wir schon 
kannten. ... Es ging durch einen schönen deutschen Frühlings- 
wald mit schlanken kahlen Stämmen, frischem Grün und bunten 
Blumen: Anemonen (weiße, blaue und rosa), Butter- und Marien- 
blümchen, Immergrün, Veilchen und viele andere, alle von be- 
sonderer Üppigkeit. . . . Die Sonne schien lustig, aber der Regen 
fiel trotzdem auch ganz lustig in großen Tropfen herunter, so 
daß man den Rockkragen aufklappte, unter die Schirme kroch, 



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und in dem schönen grünen Teppich gar bald die schönsten 
nassen Füße bekam. Daß die Hauptfestlichkeit, die hier immer 
in einer Tombola gipfelt, schon vorüber war und wir eigentlich 
zu spät kamen, merkten wir auch ohne das ausdrückliche, im 
schönsten Berlinisch gemauschelte: Moltotroppo tardo eines Lands- 
manns — der mir nebst seiner wohlgenährten Tochter oder Frau 
noch von Keudells Gesellschaft her in Erinnerung war — , an 
dem ununterbrochenen Zug von Festteilnehmeru, der uns ent- 
gegenkam, teils zu Fuß, teils zu Pferd oder Esel. Die Pferde 
sind hier von der kleinen, kurzen, zähen Rasse, mit langen 
Mähnen und Schwänzen, die fast den Boden berühren, ganz, 
ähnlich denen, welche Josef Brandt und Horschelt auf ihren 
Kaukasusbildern malen. Die Sättel sind außerordentlich hoch, 
scheinen aber sehr bequem. Die Reiter in ihren Sonntagskleidern, 
teilweise zwei Spitzhüte übereinander gestülpt, einen alten und 
einen neuen — gewonnenen oder gekauften — , natürlich den 
Radmantel in schönen Falten über die Schulter zurückgeworfen, 
mit Regenschirmen bewaffnet, einige auch wohl ein schwarzes 
Ferkelchen vor sich im Sattel, einer sogar zwei, und zwar so, 
daß ein Kopf- und ein Schw^anzende an jeder Seite herunterhing, 
was den Tierchen nicht ganz lieblich zu dünken schien. Aber 
daß Tiere auch Gefühl haben, bedenken die italienischen Bauern 
noch weit weniger als unsere deutschen. „Warum hat die Madonna 
es ein Schweincheu werden lassen ?'' Dieser Fatalismus ist frei- 
lich sehr einfach und geeignet, gar manche Frage prompt und 
billig zu lösen. — Andere treiben ihre Schweine zu Fuß heim, 
noch andere trugen gewonnene Speckseiten und Schinken, am 
liebsten zu zweien an einer Stange, allen aber prangte am Hut 
und den Frauen im Haar ein bunter Strauß von ganz geschmack- 
vollen künstlichen Blumen. Wir sahen dank diesem Zuspät- 
kommen so viele charakteristische Erscheinungen an uns vorüber- 
ziehen, daß wir es gar nicht bedauerten, zumal der Festplatz 
und der ganze Ort noch immer so voll waren, daß man kaum 
durchkommen konnte. Die Festwiese, eine sanfte Senkung, bot 
etwa das Bild deutscher Jahrmärkte, nur etwas malerischer in- 
folge der andern Form der Fuhrwerke, Geräte, Gefäße, Tiere und 



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Trachten. Das Hauptgeräusch: Schweinsgequieke und Gegrunze; 
Betrunkenheit verhältnismäßig gering, jedenfalls viel zurück- 
haltenderer Art als in Deutschland. Wie wir zwischen Buden 
* und Laubhütten herumgingen, die Regenschirme abwechselnd auf- 
und zuspannten, im Wirtshaus einen langweiligen Lokalsänger 
mit gutem Quattrocentokopf anhörten, in den schwarzen Gewölben 
der alten Burg vortreft liehen Wein tranken, ist nicht sonderlich 
erzählenswert. 

In der Kirche sind Fresken von Domenichino, die zu seinen 
besten gezälilt werden. Da der Sakristan aber nicht aufzutreiben 
war, konnten wir sie nur schräg durch ein hohes Gitter 
sehen und keinen rechten Eindruck erhalten. Trotz allen guten 
Willens und aller Unparteilichkeit gegen die eklektische Schule 
habe ich noch immer nichts von Domenichino gesehen, was mir 
wirklich gefiel, mit Ausnahme einiger sehr schöner, jugendlicher 
Nymphen, auf dem großen Jagdbild der Diana in der Galerie 
Borghese und dem Hieronymus im Vatikan. . . . 

Kürzlich war ich in S. Maria degli Angeli, einer der größten 
Kirchen Roms; inmitten der riesigen Diokletiansthermen, mit Be- 
nutzung der antiken Mauern und Gewölbe von Michelangelo er- 
baut, aber nachher ganz verunstaltet, so daß jetzt nur die außer- 
ordentlichen Größenverhältnisse zu bewundern sind. Außerdem 
befinden sich hier viele Originale der großen Altarbilder der 
Peterskirche. Letztere sind nämlich alle in Mosaik, aber so vor- 
trefflich gemacht (im Anfang des vorigen Jahrhunderts unter 
Leitung der Cristofani), daß man das anfangs gar nicht bemerkt. . . . 
In S. Maria degli Angeli sind unbedeutendere und spätere Bilder, 
aber vortrefflich beleuchtet, so daß man sie mit Interesse be- 
sieht. . . . Benutzt wird die große Kirche eigentlich gar nicht; 
eine einzige alte Frau betete im gewaltigen Raum, und außer 
meinen hallenden Schritten hörte man nur den Gesang eines 
Buchfinken draußen in der hellen Frühlingssonne. Im riesigen 
Klosterhof stehen vier schöne Zypressen, die, wie man sagt, 
Michelangelo selbst gepflanzt hat, zwischen ihnen ein Brunnen, 
an dem gewaschen wurde. Einige Soldaten schlenderten untätig 
herum, in einem Winkel hüpften Kaninchen zwischen hohem 

Schapire, Hans Speckters Briefe. 12 



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Unkraut und Schutthaufen umher, auf der andern Seite lagen 
rostige Kloakeuröhren. Überall wimmelte es von Eidechsen, man 
hörte keinen Laut als hier und da einen Glockenschlag und den 
Puff einer Lokomotive (der Bahnhof ist in der Nähe). Sic pereat ' 
gloria mundi! 

Mittwoch, Donnerstag und Freitag Nachmittags ist in der 
großen Chorkapelle im St. Peter die Feier, die Onkel Erwin be- 
schreibt: Auf dem Altar ein Leuchter mit 13 Lichtern (Christus 
und die 12 Apostel versinnbildlichend), welche unter Gebeten und 
Singen in langen Zwischenräumen ausgelöscht wurden. Glück- 
licherweise kam ich eine Stunde zu spät: Thiersch, der präzise 
beim Beginn dagewesen war, ging schon gelangweilt fort. Wirk- 
lich hatten sie erst ein Licht heruntergesungen, sangen außerdem 
gar nicht sonderlich, oft unrein und taktlos. Aber die anderen 
Lichter wurden viel schneller ausgelöscht als das erste, in immer 
kürzeren Zwischenräumen. Zwischendurch ging ich in der Kirche 
auf und ab; an ihre Verunstaltungen gewöhnt man sich mit der 
Zeit, so daß man immer mehr E'reude an der großartigen Ge- 
samtanlage hat. Besonders bei Abendbeleuchtung war die Kuppel 
wunderschön: die goldigen Sonnenstrahlen, welche durch die 
hellen Tambourfenster eindringen, machen sie so licht und hoch, 
daß Augen und Gedanken in seligem Wohlbehagen zur hohen 
Kuppel hinaufschweben, deren Gestalten in goldigem Duft traum- 
haft verschwimmen. In den Pfeilerzwickeln sitzen die vier Evan- 
gelisten, in farbiger Mosaik, wohl fünfmal über Lebensgröße. 
Mir waren sie anfangs zu groß erschienen, aber ich habe mich 
ganz an sie gewöhnt und möchte sie gar nicht anders haben. 
Zwei von ihnen, Matthäus und Johannes, sind wirklich groß- 
artig. . . . 

Das Publikum in St. Peter besteht mindestens zur Hälfte 
immer aus Fremden; naiv Andächtige, Bauern aus der Cam- 
pagna usw. sieht man nur ganz selten. Bei solchen Feierlich- 
keiten sind wohl alle anderen Nationen ebenso stark vertreten 
wie die italienische. Das ist ein Hin- und Herdrängen vor dieser 
Kapelle und leises Schwatzen in allen Sprachen, das nicht schön, 
ist. Als nur noch ein Licht brannte, wurde es allmählich still 



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und nach dem Verlöschen dieses letzten beim Miserere, welches 
wundervoll gesungen wurde, herrschte Totenstille, so daß es 
wirklich sehr schön und ergreifend wirkte. Die Sonne war in- 
zwischen untergegangen, und in der lichten Dämmerung erschien 
die Kirche größer als je, auch die zahlreichen Menschen trugen 
dazu bei, sie in ihrer ganzen Kolossalität zu zeigen. 

Gründonnerstag gings nach Tivoli, acht Mann in einem 
eigenen Wagen, zu Postpreisen, . . . Um sechs fuhren wir ab, 
ohne Sonnenschein, im feuchten Nebel, der auch erst nach 
27., Stunden wich und die Sonnenstrahlen durchkommen ließ. 
Die Fahrt geht nach Osten durch die Campagna, von der nicht 
viel zu erzählen ist. Großartig ist sie freilich beinahe immer. 
Immer näher kommt man den blauen Sabinerbergen, endlich 
sieht man Tivoli deutlich liegen über einem graugrünen, oliven- 
bewachsenen Abhang. Noch nirgends sah ich so große, phan- 
tastisch geformte Oliven wie hier. Gildemeister und ich setzten 
uns hinten aufs Wagenbrett wie Eichendorfis Taugenichts, und 
hatten von da aus die allerschönste Aussicht. Langsam geht's 
bergan, und trotz der schönen Aussicht nickte einer nach dem 
andern auf Augenblicke ein in der schönen Vormittagshitze. 
Gegen ^l^ll fuhren wir im Gasthof zur Face vor, einem alten 
echten Gasthaus mit sehr billigen Preisen und ganz vortreff- 
lichem Wein. Wir waren sehr hungrig, und die riesige Macca- 
ronischüssel, welche wir mit Hohngelächter empfangen hatten, 
wurde ziemlich leer gegessen. Danach war unser erster Weg in 
die Villa d'Este, die aber am folgenden Tage noch schöner war. 
Dreierlei ist's, was Tivoli auszeichnet: 1. seine Lage und die zahl- 
reichen großen Wasserfälle, 2. die Villa Adriana am Fuße des 
Berges, 3. die Villa d'Este. Die Stadt liegt auf einem Hügel- 
rücken, welcher überall von natürlichen und künstlichen Wasser- 
fällen des Anio durchbrochen wird. Der größte Wasserfall ist 
erst 1826 bis 1835 etwas entfernt angelegt, da man befürchtete, 
die volle Wucht des Stromes könne die Felsen unterwühlen und 
dem ganzen Stadtteil, mit dem so oft gemalten Rundtempelchen 
der Sibylla, gefährlich werden. Aber der ursprüngliche Fall 
bleibt immer noch der schönste, auch nachdem die heruuter- 

12* 



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stürzende Wassermenge so viel geringer geworden ist. Da sind 
Schluchten, Höhlen und Felsbildungen von ganz unbeschreib- 
licher phantastischer Schaurigkeit. Preller hat hier viel studiert, 
und man wird oft an seinen Tartarus und anderes erinnert. Der 
Zauber des ewig beweglichen brausenden Wassers ist fast ebenso 
groß wie am Meeresufer. Wunderschön spricht Onkel Erwin 
darüber: „Welcher Reiz ist es nicht, in des Feuers lockende 
Flammen zu sehen, der türmenden Wolken Spiel zu beobachten! 
Aber viel reizender, fesselnder noch ist der Anblick solcher 
stürzenden, donnernden Wasserwelt. Wirklich eine neue Welt 
geht hier dem Staunenden auf; wie der Druck der Luft, der 
dadurch aufgeregte, kalte Zugwind, der in nassen kalten Wolken 
aufspritzende Wasserstaub ihn einhüllt und ihm den Atem nimmt, 
wie die furchtbar donnernde Wassermusik der Stimme den Klang 
raubt, so schwinden dem Auge und der Seele hier auch alle be- 
kannten Bilder und Formen. Nach dem Takt der weißen 
schäumenden Wasser stürzen auch sie und verschwinden in Staub. 
Das ist die wahre Lethe! Unwiderstehlich zieht es uns, ihrem 
Ruf zu folgen; mag über uns die Sonne leuchten, gern vergessen 
wir sie und die von ihr freundlich belächelte Welt, wo wir durch 
Leid und Freud, Nacht und Tag, wie der Fluß durch Felsen- 
bette und Blumenauen, ruhig unsere vorgeschriebene Bahn voll- 
enden müssen. Hier scheint die Welt aus ihren Fugen, so auch 
wir. Herrlich und leicht müßte hier zu sterben sein, und wohl 
recht taten die Alten, hier sich Villen zu bauen, um so bei ihrer 
Lust am Leben sich Furchtlosigkeit und Freude am Tode zu 
bewahren. Ja, in dieser Grotte muß Neptun, wenn irgendwo er 
wohnt, hausen; dieser dumpfe Donner, dieser kalte Zug „ist wohl 
sein tiefes wassergöttliches Atemholen". 

Das ist so schön und wahr empfunden und ausgesprochen, 
daß ich nichts hinzuzusetzen weiß! 

Von den antiken Villen am andern Abhang des Tals ist 
kaum noch etwas zu sehen. Die Aussicht von da aus, auf das 
Städtchen und die Wasserfälle, besonders bei Sonnenuntergang, 
ist unbeschreiblich schön. Alle, alle bauten sich hier an: Dichter, 
Philosophen, Feldherren, Gelehrte: Catull, Properz, Horaz, Quin- 



— 181 — 

tilius, Varus usw. Auch der Blick in die Ebene ist von hier aus 
herrlich, die Campagna weit und klar und ganz deutlich im 
Hintergrund die Peterskuppel, „gleichsam als Schlußstein zwischen 
Erde und Himmel". Im Tal zu unseren Füßen, zwischen Himmel 
und Wasser überall ganz sauber gefurchte B^'elder, wohl meist 
für Gemüse bestimmt, und zwischen dem schönen, rötlichen Erd- 
reich zierliche Fruchtbäumchen mit weißen oder rosa Blüten im 
lichtgrünen zarten Frühlingslaub. . . . 

Abends war Prozession, sehr glänzend, alles in roten Ka- 
puzen, aus denen nur die Augen hervorsahen, im Schnitt der 
Florentiner Leichenträger. Neben jedem Kerzenträger lief ein 
zerlumpter Straßenjunge und ließ sich das heiße Wachs in die 
Hand tröpfeln. Viel bunter Firlefanz, illuminierte Kreuze, große 
P^ahnen, zuletzt auf einer kolossalen Bahre ein großes Kruzifix 
unter einem Baldachin, von Blumen, Lampen, Engeln und Gott 
weiß was umgeben. Alles kniete davor nieder; sobald es vorbei 
war, standen sie aber auf, und die sechs Träger am hinteren 
Ende der Bahre scherzten nach rechts und nach links mit den 
Mädchen nach Herzenslust. Die ganze Sache war überhaupt 
mehr ein fideler Mummenscherz als eine ernste Zeremonie, aber 
äußerst malerisch, besonders in den ganz engen Straßen und 
unter einem mit bunten Lampen verzierten alten Tor. Bengali- 
sches Feuer wurde nach Kräften verknallt, um die Feierlichkeit 
zu erhöhen. Nachher besahen wir uns noch das Tal und den 
Tempel der Sibylla, und um 10 ühr war alles zu Bett. 

Am andern Morgen um acht gingen wir zur Villa Adriana 
herunter, eine kleine halbe Stunde entfernt. Für so großartige 
Anlagen wäre da oben freilich kaum Platz gewesen; außerdem 
verzichtete der Kaiser vielleicht gern auf die ernst milden Todes- 
gedanken, welche die Wasserfälle jedem bringen. 

Natürlich kann es mir nicht einfallen, all die zahllosen 
Ruinen aufzuzählen (allein drei Theater), die noch vorhanden sind 
und unter der Leitung Rosas mehr und mehr aufgedeckt werden. 
Das Gelände ist höchst interessant, von hohen Bäumen bewachsen, 
von mannigfaltiger Schönheit, besonders wo der Blick aufs Ge- 
birge hinzukommt. . . . Die interessanteste Anlage ist wohl ein 



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kürzlich bloßgelegtes, rundes Schwimmbassin, mit Rundgängen 
und einer Insel in der Mitte, Bibliotheken an den Seiten usw. usw. 
Die Leute verstanden die Kunst des Lebens wirklich vortrefflich! 
Ein nobler, großartiger Luxus für gleichmäßige harmonische Aus- 
bildung von Körper und Geist, wie wir ihn gar nicht kennen und 
in unserm Klima wohl auch schwerlich kennen lernen werden. 
Am meisten hat wohl die englische Erziehung davon angenommen. 

Hadrian war ohne Frage eine für die Kunst sehr verdienst- 
volle Persönlichkeit. Wenn auch persönliche Eitelkeit eine große 
Rolle dabei spielte und fürchterlicher Dilettantismus bisweilen 
störend eingrifi', so entstand doch unter ihm eine glänzende herr- 
liche Nachblüte der Kunst, und auf diesem Landgut, auf das er 
sich nach seiner großen Kunstreise durch Griechenland und 
Ägypten zurückzog, ließ er mit feinem Geschmack das Beste, das 
er unterwegs gesehen hatte, in trefflichen Kopien zusammen- 
stellen. Viele der vorzüglichsten Bildwerke des Kapitols und 
Vatikans wurden hier ausgegraben, unter andern der schöne 
Antinous (sein Liebling), auch viele der idealisierten ägyptischen 
Figuren, z. B, die schöne Isispriesterin. Hätten wir nur in 
Deutschland recht viele Hadriane! Sie brauchten nicht gerade 
auf dem Kaiserthron zu sitzen; ein Fürstenthron oder eine präch- 
tige Villa in Baden-Baden oder Blankenese würde für bescheidene 
Ansprüche auch schon genügen. . . . 

Nach dem Kaffee gings dann wieder in die Villa d'Este. 
Diese ist für mich von allen Schönheiten Tivolis die allerschönste. 
Charakteristisch ist das Urteil des englischen Baedekers (Murray), 
dem ich im übrigen oft vor dem deutschen den Vorzug geben 
muß: „Das Symmetrische der Anpflanzung und die geschorenen 
Hecken finden wenig Bewunderer nach den Naturschönheiten der 
Umgebung, und die Wasserkünste werden mit Recht heutzutage 
als eine wunderliche Geschmacksverirrung betrachtet, in der 
Nachbarschaft der großen Wasserfälle." Das ist echt engHsch 
gedacht! Wenn es überhaupt nötig ist, etwas dagegen zu sagen, 
so kann ich es nicht besser tun als mit Onkel Erwins Worten. 
Seine Beschreibung der Villa und des Gartens ist dagegen nicht 
recht anschaulich; wenigstens hatte ich mir danach ein ganz 



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anderes Bild gemacht. Ob ich es deutlicher machen kann, ist 
freilich die Frage! Die Villa selbst ist ein schmaler und langer 
Bau, der mit seiner Schmalseite auf die Campagna uud Rom 
hinuntersieht, während sich an der Längsfront eine vornehme 
breite Terrasse hinzieht, von hier aus führen symmetrische Wege, 
von geschorenen Buchsbaumhecken eingefaßt, steil zu den niedri- 
geren Teilen des Parkes hinab, der in Absätzen bergab steigt und 
unten wohl 50 Meter unter der Terrasse liegt. Die Zypressen, 
die hier stehen, sind von riesiger Höhe und die schönsten, die 
ich je gesehen habe. Sie müssen 70 bis 80 Meter hoch sein. 
Kein Baum kann sich ihnen vergleichen in ihrer feierlich stilvollen 
abgerundeten Form. Das stete leise Hin- und Herwiegen der 
Kronen nimmt ihnen alle Steifheit und üngelenkigkeit. . . . Die 
Zypresse erscheint mir immer wie ein Hofmann in des Wortes 
bestem Sinn. Sie ist von Natur gemessen, würdevoll und aristo- 
kratisch. Das schönste an ihr ist vielleicht ihre Farbe. Dieser 
goldig warme Saftton von immer sanftem, ernstem Glühen, selbst 
lange nach Sonnenuntergang, wenn alles andere Laub farblos und 
schwarz erscheint, hat etwas Adeliges, Echtes. Daß doch die 
Gelehrten der Gartenzucht es fertig brächten, sie auch in Deutsch- 
land einzubürgern! Ohne sie ist ein wirklich vornehmer Garten 
kaum denkbar. Unsere Tannen sind die reinen Bauern dagegen. 
Neben dieser Senkung des Terrains von Süd nach Nord 
existiert noch eine zweite von Ost nach West. Im Osten des 
Gartens etwas niedriger als die Terrasse befinden sich zwei große 
farrenüberwachsene Grotten aus Stuck und Tuffstein, mit phan- 
tastisch üppigen, jetzt halb zerbröckelten Figuren von Nixen, 
Nymphen, Wassergöttern und Untieren, welche in Kaskaden aller 
Art ihre nicht besonders großen Wassermassen herabrieseln 
lassen, die dann von Bassin zu Bassin, von Fontäne zu Fontäne 
weiterrinnen und sprudeln und schließUch Gott weiß wo enden. 
Leider gehen die Wasserkünste nur Sonntags. . . , Mancher Adler, 
mancher Delphin und Löwenkopf wird freilich auch Sonntags un- 
tätig bleiben müssen, so zerstört ist alles durch die Zeit. Und 
das ist eigentlich kein Wunder, da alles aus Stuck modelliert 
ist, über einem Backsteinkern oder Eisenstangengerüst, welches 



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an vielen Stellen gar melancholiscli zutage tritt. Wie muß das 
aber herrlich gewesen sein, als alles frisch im Stande war, als 
überall geputzte, Geist und Vergnügen sprühende Menschen auf- 
iind abwandelten und die höchsten Gedanken in anmutige, liebens- 
würdige Spiele und Scherze kleideten! Heute nehmen die guten 
Gedanken nur zu gern eine philiströse, sauertöpfische Miene an 
und unsere Vergnügungen werden fad oder frivol. Überall breitet 
das unglückselige Prinzip der Arbeitsteilung seine Herrschaft! 
Aber für einen harmonischen Menschen, für eine harmonische 
Geselligkeit gehören Ernst und Scherz zusammen und ebenso 
Wissenschaft und Kunst, Kunst und Spiel, Kunst und Natur, 
Kunst und Toilette, Kunst und Schönheit allüberall ins Leben, 
es durchdringend, gleich der wahren Religion. 

Auch so, schweigend und verödet, wenn auch seit Kardinal 
Hohenlohe dort residiert, anständig instand erhalten, ist der 
Park unsäglich schön . . . und wenn die Schatten immer höher 
au den dichtbelaubten Zypressen aufsteigen und schließlich nur 
ihre Wipfel erglühen, die Campagna in allen Tönen schwimmt, 
über St. Peter die rosigen Wolken feierlich aufsteigen, dann ist 
dieser Sonnenuntergang vielleicht noch schöner, als der von den 
antiken Villen aus. 

Rom, Samstag Abend, 
7. April 1877. 

Montag früh, vielleicht schon morgen Mittag, verlassen wir 
Rom; manche für immer, ich für etwa drei Wochen. Und da 
habe ich vorher noch vielerlei nachzuholen. 

Zunächst noch von Tivoli, z. B. darf ich nicht unerwähnt 
lassen, wie wunderhübsch die Läden der Viktualienhändler zur 
Feier des Festes geschmückt waren: die runden Käse in herr- 
lichster Ordnung ringsum an den W^änden, in den Zwischen- 
räumen je ein Ei, oder sonst irgend ein zierlicher Schmuck, in 
Augenhöhe lief wohl ein breiter Fries von blanken Sardinen- 
büchsen, darüber folgten Schinken und Würste symmetrisch, eng 
aneinander gereiht, mit Lorbeerbüscheln dazwischen. Auch von 
der Decke herunter hing allerlei Geräuchertes, aufs geschmack- 



— 185 — 

vollste mit Lorbeeren geschmückt, die Gasröhren mit kunst- 
reichem bunten Seidenpapier zierlich umwunden; keine unserer 
Damen hätte sich dessen zu schämen brauchen, auf den Butter- 
fässern prächtige Ornamente aus Lorbeerblättern und rotem 
Papier auf hellem Grunde; zu beiden Seiten der Tür hohe 
ßustikasäulen aus blanken Käsen aufgebaut. Kein Künstler 
würde mit dem Material etwas lustig-sinnreicheres und wirklich 
bis zu einem gewissen Grade stilvolleres arrangieren können. — 
Auch in Rom gibt es derartige Läden, aber doch keinen so 
„liebevoll durchgeführt'* wie dort. 

Dann darf ich nicht vergessen, daß am Charfreitagmorgen 
zwei Chorknaben in ihrer feuerroten Montur mit einem eisernen 
Bett, welches drei Klappen hat und einer großen. Klapper, die, 
wie eine Drehorgel umgehängt und gedreht wird, durch die 
Straßen rennen und einen Heidenlärm machen, die ganze Jugend 
natürlich hinterdrein; es ist ein Hauptgaudium, besonders wenn 
die betreffenden müde werden und ihr heiliges Amt eine Zeit- 
laug an jemand anders abtreten. Am Charfreitag werden nämlich 
die Glocken nicht geläutet, und dies ist der Ersatz dafür. 
Mittags geht's ebenso. 

Abends war dieselbe Prozession wie am Gründonnerstag, 
nur noch feierlicher, und statt der roten Kapuzen diesmal die 
ganze Gesellschaft schwarz, mit unverhülltem Kopf und großen 
gestickten weißen Bäffchen, statt des Kruzifixes ein Leichnam 
Christi, ganz in Blumen begraben, was wirklich feierlich aussah 
und hinterher ganz kleine Knaben und Mädchen in buntem 
Flitterstaat mit dicken Kränzen von gemachten Blumen auf den 
Köpfen, welche die Insignien des Martyriums trugen. Geißel, 
Rute, Lanzen, ungenähter Rock, Essigschwamm usw., alles ganz 
en miniature, aus Pappe und Silberpapier, was denn doch gar zu 
naiv aussieht. . . . 

Ostersonntag ging's natürlich nach S. Peter, der sich nach 
und nach füllte und schließlich einen gewissermaßen vollen Ein- 
druck machte; die Mehrzahl waren, wie immer, Fremde, man 
bemerkte einige Campagnolen in ihren bekannten Trachten, aber 
sie fühlten sich fremd unter den städtischen Toiletten. Kardinal 



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Borromeo las die Mes8e im Namen des Papstes; wie er in seiner 
langen rosa seidnen Schleppe daherstolzierte, sah er ganz stattlich 
aus, aber doch lange nicht so schön und lange nicht die Pracht- 
entfaltung, wie ich sie von der Münchner Frauenkirche her ge- 
wohnt bin. Die Auferstehungsfeier dort — und das freut 
mich eigentlich — bleibt weitaus die schönste kirchliche Zere- 
monie, die ich kenne; vom Gesang ganz abgesehen. Die Messe 
war teilweise recht hübsch aber lang. Der Kastratengesang — 
mag es Einbildung sein oder nicht — hat ein gewisses Etwas, 
das mir nicht gefällt. Der eine sieht aus wie ein altes abgesun- 
genes Huhn, der zweite ist ein dickliches, lächelndes Herrchen 
mitwohlgepÜegtem Schnurrbart, Locken köpf und patschigen Händen, 
der dritte ein ernstes, mageres, jugendliches Gesicht mit etwas 
dummem Ausdruck. Das Gedränge vor der Kapelle war ärger 
als je; da ich mich nicht mit vordrängen ließ, sondern meinen 
Platz behauptete, so gut es ging, hatte ich fortwährend andere 
Nachbarn und konnte dieselben belohnen oder bestrafen, je nach- 
dem sie mir gefielen, indem ich sie vorließ oder nicht. — Nachher 
wurde vom Balkon des einen großen Kuppelpfeilers aus mit ver- 
schiedenen Reliquien gesegnet, wahrscheinlich mit den vier Haupt- 
schätzen der Kirche: dem Schweißtuch der h. Veronika, der 
Lanzenspitze des Longinus und Partikeln der Kreuze Christi und 
Andreas. In der großen Entfernung und Schnelligkeit konnte 
man aber nichts erkennen, zumal alles natürlich in reichen 
goldnen Kapseln steckte. Dies war früher sicherlich einer der 
feierlichsten Momente, aber jetzt knieten nur die Allerwenigsten 
nieder. — „Es ist aus mit der Kirche" — dies Gefühl hat man 
in Italien und speziell in Rom gar oft. Wie anders ist es z. B. 
noch in Tivoli und München, wo man sich zusammen nimmt, um 
als Protestant kein Ärgernis zu erregen und unliebsame Erfah- 
rungen zu machen, oder doch wenigstens Andächtigen kein 
Ärgernis zu geben. Daran denkt man hier nur ganz selten. — 
Der Kardinal trug eine Brille und glatt gescheitelte Haare, er 
hätte genau so gut ein protestantischer Konsistorialrat sein 
können. 

Beim Hinausgehen verlor ich meine Freunde absichtlich 



— 187 — 

und trieb mich iu Straßen und auf Plätzen herum, wo Landvolk 
zu sein pflegt. Wirklich war auch eine ganze Zahl vorhanden, 
alle im Sonntagsstaat, auch hübsche Mädchen darunter, besonders 
Backfische, oft in unbewußt graziösen Stellungen auf dem sonn- 
täglich reinen Straßenpflaster hockend, die Männer lagen zum 
Teil der Länge nach auf dem Boden und schliefen. Worin das 
große Ostersonntagsvergnügen für sie bestand, ist mir unklar; in 
der Peterskirche war höchstens der zehnte Teil gewesen, Sie 
machten einen recht gelangweilten Eindruck, als ob sie nicht mit 
sich hinwüßten. Um sich von der Sonne bescheinen zu lassen, 
brauchten sie doch nicht den weiten Weg zur Stadt zu machen! . . . 
Gegen Abend landete ich in der Kirche San Gregorio Magno, 
eine der vielen großen, einstmals bedeutenden Bauten, die jetzt 
einsam draußen liegen, ohne Gemeinden. . . . Von der alten 
Kirche, welche da erbaut war, wo Gregor der Große 580 sein 
Haus zu einem Benediktinerkloster umgewandelt hatte, ist gar 
nichts mehr übrig. Der Mosaikboden . . . aus dem frühen Mittel- 
alter, sonst alles zopfig aber gut und so viel zopfige Altarbilder 
wie ich hier selten fand, außerdem noch einige schöne ßenaissance- 
Grabmäler. Aus Gregors Zeit stammt nur sein marmorner 
Bischofsstuhl (ursprünglich wohl der Wagen einer antiken Qua- 
driga) und der Tisch, an dem er die Armen selbst bewirtete 
(ebenfalls antik). Seit jener Zeit datiert die Armenspeisung am 
Gründonnerstag, bei der der Papst selbst bedienen soll. Ur- 
sprünglich waren es zwölf, da sah Gregor, wie sich einmal als 
Dreizehnter ein Engel dazwischen setzte, seitdem sind es drei- 
zehn. — Besonders wollte ich zwei berühmte Fresken von 
Guido Reni und Domenichino sehen. . . . Sie befinden sich in 
einer Kapelle neben der Kirche, die kahl und unbenutzt daliegt, 
aber durch den breiten Abendsonnenstrahl, der zur off'enen Tür 
hereinfiel, in goldenem Lichte schwamm und sehr traulich und 
behaglich wurde. Ich blieb lange darin, so daß der Küster 
schließlich erstaunt wegging und in seinem davor liegenden Gärt- 
chen zu wirtschaften begann. Die beiden Bilder befinden sich 
einander gegenüber und haben das Martyrium des Andreas zum 
Gegenstand. . . . Domenichinos Bild ist nicht nur langweilig wie 



— 188 — 

die meisten seiner Sachen, sondern eine ekelhafte rohe Marter- 
szene, während er sich gewöhnlich doch durch einen gewissen 
kalten Idealismus auszeichnet; Guido Reni hat den viel schöneren 
Moment gewählt, wie der alte Mann auf dem Weg zum Richt- 
platz das Kreuz erblickt und betend niedersinkt. Das ist wirklich 
sehr schön; die Hauptfigur würdig und ohne falsches Pathos, die 
anderen E'iguren, die Landschaft usw. sehr frisch komponiert und 
bewunderungswürdig flott gemalt. . . . 

Es war wunderschön, ganz einsam und ungestört, erst der 
Sonnenuntergang ließ mich im Skizzieren aufhören, und als ich 
an all den alten Ruinen vorbei zur Stadt kam, war's ganz 
dunkel. . . . 

Ostermontag war das schon erwähnte Wagenrennen im Zirkus 
des Maxentius an der Via Appia. . . . Das Terrain und der Hinter- 
grund der Cäcilia Metella an der einen, die Campagna und der 
Albaner Berg an der andern Seite machten das Ganze sehr male- 
risch, besonders an der schattigen Langseite lag und stand alles 
in prächtig aufgebauten Gruppen in dem sonnegedörrten, von Ge- 
mäuer unterbrochenem Gras. Dazwischen die Zeitungs-, Wasser- 
und Apfelsinenverkäufer in behendem unermüdlichen Auf- und 
Abklettern und Ausrufen ihrer Waren. Volkstrachten so gut wie 
gar nicht, überhaupt der Unterschied mit einem Rennen bei uns 
eigentlich nicht groß. Das Wagenrennen selbst ist weit lang- 
weiliger als das Pferderennen. Interessante Kämpfe um den Preis 
kamen nicht vor; wer zu Anfang vorn war, blieb jedesmal Sieger. 
Im ersten Rennen stürzte ein Wagen, und der Mann flog heraus, 
ohne sich zu verletzen. Zuletzt kam noch ein Wettrennen der 
Campagnolen. Das war wirklich hübsch, wie sie schreiend, ohne 
Steigbügel, wild auf den elastischen Tieren mit weitflatternden 
Mähnen und Schwänzen vorübersausten; auch ein halbwüchsiger 
Bengel dazwischen, der freilich der vorletzte wurde. Den letzten 
auszupfeifen, bildete das Hauptvergnügen des Publikums. Es war 
ein toller Lärm. Sonst ist die Begeisterung und Aufregung in Ham- 
burg viel größer. Der Sieger fährt oder reitet grüßend noch 
einmal durch die Bahn. Der Campagnole, seine Siegesfahne 
schwingend, war wie berauscht vor Freude über den Triumph 



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und sah wunderhübsch aus. — Um dem allgemeineu Staub zu ent- 
gehen, wählten wir den weiteren Heimweg durch Porta S. Gio- 
vanni über die Egeria-Grotte, welche in Abendbeleuchtung wunder- 
bar schön dalag. Einer der Herren, der den Weg schon mehrfach 
gemacht haben wollte, führte uns direkt auf die zugemauerte 
Porta Latina, so daß wir die Freude hatten, über eine halbe 
Stunde längs der Stadtmauer zu spazieren. So weit liegen die 
Tore hier auseinander. Schön war's freilich auch da, wie überall 
bei hereinbrechender Dunkelheit nach schönem Sonnenuntergang. 
Da mag man sein, wo man will, wer Sinn dafür hat, wird sich 
stets feierlich angeregt fühlen, nur muß nicht irgendein Quidam 
sich verpflichtet glauben, einen zu unterhalten! Ich hielt mich 
schließlich zu einem Hauptmann a. D., der sich hier scheint nieder- 
lassen zu wollen und wenigstens nicht über Malerei sprach. . . . 

Am Dienstag war ich in der Villa Madama, die ich noch 
nicht kannte. Giulio Romano hat sie gebaut, vielleicht nach Ent- 
würfen Raifaels für Kardinal Giulio di Medici, später Clemens VIT. 
Dann gehörte sie Margaretha von Osterreich, der Tochter Karls V., 
der Gemahlin Alessandro von Medicis, des ersten Herzogs von 
Florenz, und erhielt von ihr diesen Namen. Sie wurde nie voll- 
endet und bewohnt, der ungesunden Luft wegen, sagt man. Sie 
liegt schön vor Porta Popolo (Norden) am Abhang eines Hügels, 
unten der Tiber, schöne Aussicht auf Rom. Besonders berühmt 
ist eine große Vorhalle oder Loggia, die sich auf den terassen- 
förmig projektierten Garten öffnet und deren drei hohe Wölbungen 
eine Fülle der zierlichsten und edelsten Renaissanceornamente in 
Stuck und Malerei enthalten. Sie sind alle in Stichen erschienen, 
und die Tätigkeit meiner Freunde bestand eigentlich nur darin, 
diese nach der Natur zu kolorieren. Aber die ursprüngliche Farbe 
herauszuklügeln, ist nicht leicht. Erst spät abends kehrten wir zurück. 

Mittwoch besah ich mehrere große Kirchen gründlich, 
zunächst Santa Maria Maggiore, die allererste Marienkirche 
Roms und eine der schönsten und wichtigsten der Stadt. Dies 
ihre Gründungsgescliichte : Papst Liberius und ein reicher römischer 
Patrizier Johannes hatten in der Nacht des 4. August 352 beide 
denselben Traum: ihnen erschien die Jungfrau Maria und befahl 



— 190 — 

ihnen, ihr da eine Kirche zu bauen, wo sie am folgenden Morgen 
frischgefallenen Schnee finden würden. Sie suchten und fanden ihn 
auf der Hölie des Esquilin. Der Papst zeichnete in den Schnee 
den Grundriß der Kirche, der reiche Herr Johannes durfte die 
Banknoten bezahlen. Diese Geschichte ist in vielen Skulpturen 
und Bildern in der Kirche verherrlicht. Von der alten Kirche 
steht noch vieles: die 36 wundervollen, schneeweißen, ionischen 
Säulen, welche überaus heiter und vornehm festlich aussehen und 
gerade so gut das Gebälk eines Juno- oder Venustempels tragen 
könnten; sodann alte Mosaiken, die längs der ganzen Kirche als 
Fries hinlaufend, mit ihrem Goldgrund und satten Farbenglanz 
herrlich zu den Marmorsäulen stimmen. Die Darstellungen selbst 
sind ebenso uninteressant wie garstig. Auch der Triumphbogen 
und die Apsis haben noch ihre alten Mosaiken, und der Fuß- 
boden ist der schönste von allen. Die Holzdecke, weiß und gold, 
ist schön und außerdem dadurch interessant, daß dies das erste 
Gold ist, das aus Amerika kam — unter Alexander Borgia. Daß 
im einzelnen vieles verzopft ist, versteht sich in Rom leider von 
selbst, besonders störend ist hier der große Aufbau über dem 
Hochaltar, mit riesengroßen, kostbaren gewundenen Säulen wie in 
S. Peter. Im übrigen ist der Totaleindruck der Kirche wunder- 
schön, heiter, großartig, und ich kann es Pio nono nicht ver- 
denken, daß er hier begraben sein will. Zwei überaus pracht- 
volle Kapellen, mit einem unendlichen Aufwand von Gold und 
seltenstem Marmor enthalten die Gräber einiger Päpste. In der 
einen werden außerdem als höchstes Heiligtum die Überreste des 
Krippleins Christi, in der andern ein „sehr seltener Meister", 
nämlich ein echter Lucas! das Originalporträt der Madonna, be- 
wahrt. Oben im Altar von riesigen Säulen und goldenen Engeln 
umgeben kann man es sehen, oder zu sehen versuchen, denn es 
ist so schwarzgelb vom Alter, daß man eigenthch nichts erkennt. 
In derselben Kapelle sind noble Fresken von Guido Reni und 
eine außerordentlich schön arrangierte, liebenswürdige Glorifikation 
der Jungfrau in der Kuppel von Cigoli; als ich skizzieren wollte, 
wurde mir bedeutet, daß Prinz Borghese, dem die Kapelle ge- 
hört, dies nicht haben will. Dann ging ich weiter zum Lateran. 



— 191 — 

Der Lateran, bis zum Exil von Avignon die Residenz der Päpste, 
liegt jetzt öde und verlassen. Ein gewisses Anstandszeremoniell 
wird ihm zwar noch immer gegönnt, er ist die zweite Basilika 
Roms (Maria Maggiore die dritte), und die Päpste des letzten 
Jahrhunderts haben ihn fast noch mehr verzopft als alle andern 
Basiliken, aber trotzdem macht er den Eindruck einer gefallenen 
Größe. Besonders heute, wo ein abscheulicher Schirokko haus- 
hohe Staubwolken über die menschenleeren Plätze zu beiden 
Seiten wirbelte und einem ganz saharaartig zumute werden konnte, 
lag der Steinkoloß so finster und so leblos da wie eine ägyptische 
Pyramide. Die zopfige Hauptfassade ist übrigens großartig, weit 
schöner als die von S. Peter, und selbst die ofi'enbar viel zu 
großen Figuren obendrauf lasse ich mir gefallen. Das ganze Ge- 
bäude bekommt dadurch etwas Eigenartiges. Man kann es mit 
keinem andern verwechseln, was bei Zopf bauten immer schon was 
heißen will. Auch steht hier der höchste aller Obelisken Roms. 
Doch weiß ich nichts sonderlich Beschreibenswertes hervorzuheben, 
habe ich doch heute schon genug im Aufzählen von Kunstwerken 
geleistet, ohne ein anschauliches Bild hinzugefügt zu haben. In 
der Galerie des Lateranpalastes sind schöne Antiken, z. B. der 
Sophokles und der tanzende Faun nach Myron. Zu den Bildern 
kam ich nicht mehr. Es wurde geschlossen. 

Dann noch in Santa Croce, einer furchtbar zopfigen, noch 
einsamer gelegenen Kirche (ich zählte sechs armselige Hüttchen, 
die allenfalls das Kirchspiel ausmachen könnten) vor Porta Maggiore, 
zwischen Aquädukten erbaut; dicht davor ein kurioses Grabmal 
eines antiken Bäckers, in der Ruine des Tempels der Minerva 
Medica (einer Backsteinrotunde, welche einstmals eine dem Pan- 
theon ähnlich große Kuppel mit Oberlicht gehabt haben muß) und 
allmählich durch Kohlbeete und Heideland, an verfallenem Ge- 
mäuer, in welchem Menschen wohnen und modern angelegten 
breiten Straßen ohne Häuser vorbei, in leichtem Regen zu be- 
wohnteren Teilen der Stadt zurück. . . . 

Am Donnerstag in der Galerie Corsini zum erstenmal. Sie 
besitzt neben viel Mittelmäßigem einige sehr gute Sachen, auch 
einige altdeutsche, deren Anblick mich immer besonders sym- 



— 192 — 

pathiscli berührt. So ein Holbeinsches Porträt uimmt's schließ- 
lich doch mit allem andern auf! Auch einige interessante Skulp- 
turen sind da, ein prachtvoller junger Herkules (?), der einen Stier 
auf dem Rücken trägt, ein Fuß hoch, und ein etruskischer reich 
ornamentierter Marmorsessel, auf den man sich ganz fidel hin- 
setzen darf und der unendlich bequem ist. Die Leute ver- 
standen den Zweck eines Stuhles weit besser als unsere modernen 
Gotiker! — 

Dann per Omnibus nach St. Paul, die Kirche liegt ziemlich 
weit vor dem Tore. 1823 brannte diese größte und schönst er- 
haltene aller alten Basiliken Roms, welche an Größe selbst den 
alten S. Peter übertraf, ab, sie ist seitdem wieder aufgebaut, hat 
freilich ein ziemhch modernes salonmäßiges Aussehen erhalten, 
mit faden, langweiligen Fresken, grellen Glasfenstern, viel zu 
großen Figuren, einem fürchterlich langweiligen Fries von Papst- 
porträts in Medaillons (moderne Mosaiken) u. dgl. Aber die Ge- 
samtanlage, der ,, Säulenwald", 80 riesige korinthische Säulen, 
bleibt immerhin noch sehenswert. Der Klosterhof mit zierlichen, 
gewundenen, mosaizierten Doppelsäulchen ist erhalten und duftet 
nach Rosen, die ihn in regelmäßigen Hecken durchschneiden und 
voller Knospen waren. Auf dem Heimweg, den ich zu Fuß unter- 
nahm, stieß ich auf eine kleine unscheinbare Kapelle am Wege, 
über deren Tür ein altes, ungeschicktes Relief sitzt, Petrus und 
Paulus sich küssend, und darunter steht: „Dies ist die Stelle, 
wo S. Petrus und S. Paulus, als sie zum Martyrium geführt 
wurden, Abschied voneinander nahmen." . . . Warum soll das 
nicht wirklich die Stelle sein? Und warum, falls sie es nicht 
wirklich ist, soll man es nicht trotzdem glauben? Das schlichte 
Häuschen und das rohe Bildwerk mit der dünnen frischen Buchs- 
baumgirlande darüber in der feierlichen Abendsonne haben einen 
schönen Eindruck auf mich gemacht. 

Um das Tagebuch noch schnell zu vollenden: Freitag mor- 
gens: Vatikan, Sala regia, nachmittags zu Hause, einige dekorative 
Arbeiten Eisenlohrs kopiert; Sonnabend morgens: San Lorenzo 
fuori le mura, die mir bis dahin noch unbekannte, jetzt fast 
allersympathischste aller alten Kirchen Roms ist, mit wirklich 



— 193 — 

schönen modernen Fresken von Fracassini. . . . Nächstens mehr 
aus Neapel, wo ich Briefe poste restante zu finden hoÖ'e. 

Hans. 



Von Rom nach Neapel. 
13. April 1877. 

Am Montag früh gegen sieben Uhr fuhr ich im schönsten 
Frühlingswetter von Rom ab, nur mit dem allernötigsten, in mein 
Plaid geschnürt, ausgerüstet und meinen Nachtsack nach Neapel 
voraussendend. Die übrige Gesellschaft war schon tags zuvor 
nach Albano und Nemi vorausgefahren; aber ich hatte es vor- 
gezogen, mir die Tour für später aufzuheben, wo ich mir in 
größerer Muße mehr Genuß davon verspreche. Die Ausflüge und 
rasch sich folgenden Eindrücke häufen sich jetzt ohnedies. In 
Albano stiegen die anderen sieben ein, deren Zahl sich durch 
einen altern Maler vermehrt hatte, ein überaus unschlüssiges 
Herrchen, das eigentlich für drei Tage nach „Neapel und Um- 
gebung" (!!) wollte, nun aber Lust zu bekommen schien, sich uns 
anzuschließen. Schon in Velletri (16000 Einwohner) hielt ihn 
der Mangel eines neunten Platzes im Postwagen glückhcherweise 
zurück. Bis der Wagen instand gesetzt wurde, besahen wir rasch 
die Stadt, die malerisch auf mäßiger Höhe liegt, mit engen 
Straßen, worin einzelne stattliche alte Häuser, Schweine, Esel, 
Hühner, zufriedene fleißige Menschen an den offenen Haustüren, 
nur wenig bettelnde Kinder und Krüppel, ein hübscher großer 
Renaissancebrunnen, waschende Frauen und Mädchen usw. Das 
hübscheste war ein großer Palazzo — Pal. Ginetti (Lancellotti) 
von Mart. Lunghi — am Ausgang der Stadt, mit terrassenförmig 
absteigendem Garten dahinter und weiter Aussicht über die 
sonnige Ebene, von der breiten luftigen Loggia aus, welche sich 
die ganze Gartenfront entlang zieht. Zwar hatte dieselbe mit 
Ausnahme der schönen offenen Treppe architektonisch kein her- 
vorragendes Interesse, aber es machte einen ganz ungewohnten, 
erfreulichen Eindruck auf mich, daß wir die Besitzer, wohl- 
habende fröhliche Menschen, ungezwungen scherzend und lachend? 

Schapire, Hans Speckters Briefe. 13 



— 194 — 

darin auf und ab gehen sahen — am anderen Ende stand noch 
der Frühstückstisch. Sie kamen mir recht glücklich vor, und wie 
sehr die Italiener die „verzogenen Sclioßkinder der Natur" sind, 
im Vergleich mit uns Deutschen, fühlte ich hier so recht und 
nicht ganz neidlos. Aber meistens hat ja alles Herrliche, das 
man hier sieht, die Zeit seines Blühens und Lebens hinter sich, 
ist in irgend einem Sinne Ruine! Die menschliche Staffage wirkt 
oft nur poetisch durch den Gegensatz zwischen ihrer Armut 
und Heruntergekommenheit und den Reichtum der Natur oder 
der einstigen Herrlichkeit der Monumente. Das gibt zwar gran- 
diose, feierlich melancholische Gedankenklänge, aber immer in 
Moll, wie die Volkslieder auch — ,,Roma, Roma, non e piu, 
come era prima", sagt Onkel Erwin so oft — hier war endlich 
ein frischer, fröhlicher, sonniger Frühlingsmorgenakkord in Dur! 

Etwa um neun Uhr fuhren wir mit vortrefflichen Pferden 
auf guter Landstraße ins Volskergebirge hinein. Daß wir so eng 
saßen, daß aus Platzerspamis immer einige Beine zu den Fenstern 
hinausgehängt werden mußten, vermehrte die Fidelität. Der Weg 
war hübsch, aber nicht besonders interessant und von ganz 
deutschem Charakter. Pinien und Zypressen haben wir im ganzen 
Volskergebirge nicht gesehen. Bald wurde man mehr an öde 
Spessart-, Rhön- und Harzlandschaften Lessings, bald an fruchtbare 
hessisch-thüringische Gegenden mit ihren sanften Wellenlinien, 
bald an flachere Partien Tirols erinnert. 

Das Hauptinteresse bieten die Städte und Dörfer, welche 
meist sehr malerisch, oft — die größeren sämtlich — hoch und 
steil gelegen sind. Die Schweinezucht der Gegend ist berühmt. 
Es sind muntere, zierliche Tiere, schwarz und borstenlos, die im 
Vergleich zu unseren einen geradezu „gebildeten" Eindruck 
machen. Halberwachsene Ferkelchen sieht man manchmal, mit 
einem bunten Band oder Glöckchen um den Hals und kleinen 
Schellen in den Ohrenspitzen!! wie Hunde hinter den Kindern 
herlaufen, auch bis in die Wohnzimmer. Das ganze Volsker- 
gebirge steht in hohem Ruf wegen seiner Räuber. In neuerer 
Zeit ist zwar nicht viel passiert, aber allein oder zu zweien hätte 
ich die Tour doch nicht unternommen. Unsere große Zahl und 



— 195 — 

unser Aufzug wirkten aber so „bandenmäßig", daß unser Einzug 
in ein Nest jedesmal allgemeines Staunen hervorrief, und wir 
hier denn nun auch glücklich von einem hohen Magistrat als 
eine solche interniert worden sind; doch davon später! 

Cori, wo wir um ^2^2 anlangten, ist eine der allerältesten 
Städte des Landes, weit älter als Rom und hat noch mancherlei 
interessante, alte Reste aufzuweisen, namentlich vortreffliche Bei- 
spiele von Zyklopenmauern verschiedener Perioden, auch aus den 
allerfrühesten, wo man die riesigen Blöcke ganz unbehauen ohne 
Mörtel aufeinandertürmte. Seine steile Lage auf der Spitze eines 
Bergkegels und das abscheuliche Pflaster der steilen Straßen er- 
innerten mich einigermaßen an Cortona. Doch ist Cori wesent- 
lich kleiner und macht mehr den Eindruck eines sehr großen 
Dorfes. An malerischen Ecken, Winkeln und Treppen ist's aber 
wohl noch reicher, und der kräftige, schöne Menschenschlag, be- 
sonders die üppigen, stolzen Volskerfrauen in der schönen Volks- 
tracht, die hier viel allgemeiner ist als ich erwartet hatte, ließen 
mich auf Schritt und Tritt bedauern, daß wir uns, w^ie richtige 
Reisende, von einem Führer zu allen Sehenswürdigkeiten schleppen 
ließen und nicht w-euigstens eine Woche dablieben und Studien 
machten. Aber es war doch besser so. Wozu Studien, die man 
doch nicht verwertet?! — Von hier an sieht man die Frauen 
überall mit der einfachen uralten Spindel vor der Tür sitzen, 
und die Jagd auf Ungeziefer verschiedener Art, die ich in der 
Umgebung Roms verhältnismäßig selten beobachtet habe, nimmt 
zu. In die Esel, hier wie überall die liebenswürdigsten, ge- 
duldigsten, geschicktesten und trotz schlechter Behandlung stets 
unverdrossenen Lastträger, habe ich'mich geradezu verliebt. Daß 
man ihren Namen zu einem Schimpfwort gemacht hat, ist ein 
glänzendes Zeugnis für unsern menschlichen Unverstand und 
unsere Undankbarkeit. Es sollte vielmehr ein Ehrenname sein! 
Wenn wir Menschen alle wären wie diese Esel, so gäb's keinen 
Krieg und keine Armut, trotzdem wär's nicht langweilig auf der 
Welt, denn sie sind nicht ohne Humor, 

Auf der höchsten Höhe ragt die wohlerhaltene Front eines 
mittelgroßen dorischen Herkulestempels, aus der Zeit Sullas, ins 

13' 



— 196 — 

Land hinaus^ das wichtigste Beispiel römiscli-dorischen Stils. 
Von sonstigen Temi^elresten sind nur geringere Bruchstücke er- 
halten: zwei korinthische Säulen von einem Kastor- und Pollux- 
tempel usw. Dann kamen wir aus einem zweistöckigen Kreuz- 
gang, mit schönen mannigfaltigen Frührenaissancekapitellen zu- 
fallig in die „Schlafstunde'' einer Kleinkinderschule, — ein mir 
von Weimar her (wo Piltz es malen wollte) zwar gewohnter, aber 
doch immer aufs neue komisch-rührender Anblick, zumal die 
kleine Lehrerin hier recht hübsch und über den unerwarteten 
Besuch sehr anmutig-verlegen war. Übrigens hätte ich Euch 
Pädagogen alle herbei gewünscht, um Euer Erstaunen über die 
Vortrefflichkeit und Reichhaltigkeit des Lehrmaterials an den 
Wänden ringsum mit anzusehen. Ich glaube kaum, daß die 
Rechenmaschinen und kolorierten Tafeln für Anschauungsunter- 
richt und Naturgeschichte irgendwo besser sein können als in 
diesem kleinen äußerlich so malerisch schmutzigen Nest. Es gibt 
viel Ölpressen oder -mühlen in Cori, überaus malerische goldig- 
schwarz geräucherte Gewölbe, meist nur durch ein oder zwei 
kleine hochsitzeude Fenster erhellt, so daß ganz Rembrandtsche 
oder Dousche Lichteffekte entstehen. Vor den Türen hängen oder 
lehnen die vollen Schläuche in den possierlichsten, das ganze 
Schwein noch deutlich zeigenden Stellungen — ganz wie vor 
2000 Jahren und früher auch schon. 

Viel Zeit hatten wir, wie schon erwähnt, für Cori nicht übrig. 
Nachdem wir zu Mittag gegessen und die Stadt etwa 1^2 — 2 Stunden 
besehen hatten, verließen wir sie gegen ^2^» über eine kleine, 
sehr alte Römerbrücke, um zu Fuß nach Norma zu gehen. 
Zuerst ging's durch Olivengärten, in denen geruht wurde, bergan ; 
dann auf schmalem Fußsteig, am westlichen Abhang des Gebirgs 
entlang, der baumlos und steinig ist, und sich von öden, ein- 
förmigen Bergabhängen bei uns nur durch die blaugrünen Büschel 
einer Zwiebelpflanze, die leider nicht blühte, unterscheidet, und 
durch ein hohes, gelbgrünes Kraut, welches mir in die Familie 
unserer Wolfsmilch zu gehören scheint. 

Rechts in der Ferne sah man das Meer als schmalen Streifen, 
zunächst die wohlbekannte Bucht von Porto d'Anzio und Nettuno, 



— 197 — 

heute durch zahlreiche kleine Fischerboote belebt, dann den 
Turm von Astura und noch weiter die schöne Silhouette des 
„Kaps der Kirke" (Monte Circaeo), welches wunderlich isoliert am 
Rande der breiten Fläche aufsteigt und heut ganz klar zu sehen 
war. Der Weg war nicht unbeschwerlich und dauerte länger als 
wir gedacht hatten. Einige stürmten aber so gewaltig voraus, 
daß wir anderen wohl oder übel mitkommen mußten. Gilde- 
meister und ich, die zwei Hanseaten, waren die allerletzten und 
hatten die übrigen gerade ganz aus dem Gesicht verloren, als 
plötzlich drei wild aussehende Hirten auftauchten und mit lang 
ausholenden Schritten uns den Weg abschnitten, was uns im 
ersten Augenblick gar unbehaglich war. Ihren Gesprächen nach 
schienen sie freilich harmlose Leute zu sein, aber wir waren 
doch froh, als die nächste Kreuzung des Weges uns und ihnen 
das Gros unserer Gesellschaft wieder zeigte. 

Endlich sahen wir Norma vor uns und rechts davon auf einer 
andern Höhe die Ruinen des alten Norba, dessen Einwohner sich, 
um sich Marias, der sie belagerte, nicht zu ergeben, selbst getötet 
und ihre Stadt verbrannt hatten. Nur die ausgedehnten Zyklopen- 
mauerreste sind übrig geblieben, und diese sind so trotzig kühn 
wie der Sinn ihrer Erbauer. Hier rasteten wir; als wir auf- 
brechen wollten, kam die Sonne, die seit mehreren Stunden ver- 
schwunden war, noch einmal durch, so daß wir liegen blieben, 
bis sie ganz in silbern flammenden Schuppenwölkchen unter- 
gegangen war; erst in später Dämmerung zogen wir mit schallen- 
dem Schritt durch die breite Hauptstraße in das erstaunte Norma 
ein. Ein Schwärm von Kindern und Neugierigen folgte uns bis 
vor die Tür des Gasthauses, in dem wir übrigens bessere Ver- 
pflegung fanden als sein Äußeres versprach. (Bei dieser Gelegen- 
heit muß ich doch noch erwähnen, daß man selbst in den 
kleinsten Gasthäusern Italiens so gute Eßgeräte findet, wie in 
Deutschland kaum in guten Bürgerfamilien, geschweige denn in 
kleinen Kneipen. Löffel und Gabeln sind stets aus Neusilber und 
die kleinen stählernen Forken mit verbogenen 2^2 Stacheln oder 
Messer, die sich bei jedem Versuch, damit zu schneiden, im Griff 
umdrehen und sonstige Freuden der Art, die ich namentlich in 



— 198 — 

Thüringen reichlich gekostet habe, fallen in Italien ganz weg.) 
Betten waren jedoch nur für vier vorhanden — der Wirt war eigent- 
lich Schuster, nur nebenbei „Hotelier" — , die übrigen vier mußten 
ausquartiert werden. Ganz geheuer fühlten wir uns in dem Nest 
nicht, schon die unfreundlichen lauernden Gesichter hatten uns 
nicht gefallen, besonders aber das Benehmen unseres Führers 
war geeignet, Mißtrauen zu erregen. Wir hatten denselben eigent- 
lich schon in Norba verabschieden wollen, aber er war nicht ge- 
gangen, mit der Erklärung, er wolle erst in Norma was essen, 
dort bei einem guten „Cristiano", den er kenne, übernachten und 
uns begleiten. Da er einem der unsern seinen schweren Ranzen 
trug, ließen wir ihn gewähren. Aber beim Einmarsch in die 
Stadt bemerkten einige, wie er den jungen Kerlen Winke gab 
und leise Bemerkungen über uns zuflüsterte : wir hätten gut 
Bajocchi und dergl., und sein Benehmen beim Abendessen, zu 
dem er sich, nachdem wir ihm ein Glas Wein gegeben hatten, 
selbst einlud, war ein so widerwärtiges Gemisch von Dreistigkeit 
und Kriechen, sein Gesicht so wechselnd schlau und künstlich 
dumm, sobald er sich beobachtet sah, daß einem wirklich un- 
heimlich zu Mute werden konnte. Namentlich einige Reserve- 
leutnants, die den Krieg mitgemacht hatten, nahmen die Sache 
ernst und waren dafür, daß wir uns nicht trennen, sondern 
ein gemeinsames Strohlager verlangen sollten, ein anderer schlug 
sogar vor, abwechselnd zu wachen, was einen ganz nibelungen- 
haften Anstrich gehabt hätte, während ich z. B. zu den — gewiß 
nicht Mutigeren — aber Sorgloseren gehörte, die das nicht für 
nötig hielten. Allmählich legte sich die mißtrauische Stimmung 
auch wieder etwas und vier ließen sich ausquartieren. Als ich 
meine Wirtsleute gesehen hatte, verging mir die letzte Spur von 
Argwohn, so gut sahen sie aus, und ich schlief gerade so schnell 
ein wie gewöhnlich. — Am folgenden Morgen fanden wir uus 
sämtlich unermordet beim schlechten Kaffee zusammen und stiegen 
— freilich in der sicheren Voraussicht eines Regentages — von 
dem „Räubernest" auf steilem Olivenabhang mit schauderhaft 
spitzen Steinen ins Tal hinunter nach Ninfa, einer verlassenen, 
überwachsenen Stadt, die wir schon am Abend vorher, von den 



— 199 — 

Ruinen Norbas aus, zu unseren Füßen hatten liegen sehen, in 
deutlicher Vogelperspektive, wie in alten Chroniken Städte- 
ansichten dargestellt zu werden pliegen. 

Ich hatte in Rom soviel von der versunkenen Stadt Ninfa, 
„dem Pompeji des Mittelalters'', gehört, daß die Wirklichkeit mich 
einigermaßen enttäuschte, die andern übrigens auch. Interessant 
ist es freihch, einen solchen Ruinenkomplex beisammen und von 
Dornen, Ginster und Brombeergestrüpp so dicht bewachsen zu 
sehen, daß man selbst jetzt im Frühling, wo die jungen Blätter 
noch klein und neue Schößlinge noch nicht vorhanden waren, nur 
an wenig Stellen durchdringen kann; aber meine Phantasie 
hatte ein Dornröschenschloß inmitten einer schweigenden Wald- 
einsamkeit erwartet und davon ist nichts zu sehen. Dicht 
am Fuße des kahlen öden Volskergebirges, wo die glatte Fläche 
der pontiuischen Sümpfe beginnt, liegt das Städtchen so überaus 
ungeschickt, daß man nur annehmen kann, irgendein besonderer 
Akt der Pietät hätte gerade diese Stelle zu seiner Gründung aus- 
gewählt. Sowohl vom militärischen als sanitären Gesichtspunkt 
aus ist's sonst unerklärlich. Die ungesunde Lage war's denn 
auch, welche die Einwohner veranlaßte, den Ort im 13. oder 
14. Jahrhundert zu verlassen. Jetzt befindet sich eine große 
Ölmühle mit Stallungen und Nebengebäuden an einem den Bergen 
zugekehrten Ende und hat ziemlich lebhaften Verkehr mit den 
am Bergabhang zerstreut liegenden Häusern. Wenigstens heute 
herrschte ein ganz munteres Treiben: beladene Esel kamen und 
gingen, und immer stand eine ganz beträchtiche Anzahl wartend 
unter dem großen dunkeln Vordach, Schutz gegen den leicht 
niedertröpfelnden Regen suchend. Ziegen, Schweine, Hühner und 
Gänse trieben sich zahlreich umher, in der Nähe der Mühle 
sowohl wie in den Ruinen selbst, so daß von weltabgeschiedener 
Einsamkeit keine Rede war. Ja, an einem heißen Sommermittag, 
wo brütende Schwüle fieberatmend über der Ebene ruht, wo 
Mensch und Tier untätig und schlaff den Schatten suchen, und 
nur prächtige Falter, Libellen, grüne Eidechsen und Schlangen 
lautlos über das von keinem Windhauch bewegte Schlingwerk 
und Sumpfwasser gaukeln und gleiten, dann mag man hier einen 



— 200 — 

eigenartigen unheimlich -poetischen Eindruck bekommen — bei 
diesem Wetter nicht. Da sind mir z. B. die großen Kyff häuserruinen, 
ganz abgesehen von ihrem historisch-sagenhaften Reiz, hundertmal 
lieber! Selbst die Silhouetten der einzelnen, efeuüberwucherten 
Ruinen sind nicht ungewöhnlich schön; ich wählte zum Skizzieren 
die Mühle, von zartbelaubten Weiden und Erlen umgeben und 
von Norma auf steiler Felswand überragt — ein ganz deutsches 
Bild, Fertig wurde ich nicht recht, denn der Regen fiel immer 
dichter, und ein so kalter Wind blies, daß mir die Hände ver- 
klammten, was seit Wochen nicht geschehen war. In der Mühle 
bekamen wir etwas schlechten Wein, Brot und vorzüglich ge- 
räucherte Speckseiten; als das verzehrt war, hatte der Regen 
nachgelassen und wir konnten, wenn auch bei trübem Wetter, 
unsern Marsch fortsetzen. Sermoneta hieß das Nest, welches 
ebenfalls auf einem Felsen gelegen, schon am Abend zuvor von 
den Ruinen Norbas aus deutlich zu sehen war, aber nicht so 
schnell erreicht wurde, wie wir gehofft hatten. Die Chaussee 
war aber gut, und der Weg, wenn auch nicht besonders inter- 
essant, recht hübsch. Er führte meist an Olivengärten entlang, 
deren Boden von jungen, noch unentrollten Adlerfarren dicht 
bedeckt war. Eine große gotische Kirche am Wege enthielt ein 
paar ganz gute Bilder und ein vortreffliches aus Caravaggios 
Schule, welches ich gern noch länger betrachtet hätte, aber die 
anderen holten so fürchterlich aus, daß es schwer war, ihnen 
nachzukommen. Der Aufstieg nach Sermoneta war sehr schön 
und auf der guten Chaussee ganz unbeschwerlich. Schöne große 
Bäume wuchsen am Abhang, darunter viel deutsche Eichen, einige 
schon mit jungem Laub und Blüten bedeckt, auch gewaltige 
dunkle Steineichen. Aber der Regen stellte sich wieder ein und 
wurde immer heftiger, so daß wir unsern Schritt beschleunigten. 
Kaum in ein dunkles, sehr primitives Gasthaus eingekehrt, ent- 
wickelte er sich zu einem richtigen Platzregen, den wir ohne 
die anspornenden Schnelläufer noch auf der schutzlosen Ebene 
bekommen hätten und bis auf die Haut naß geworden wären. 
So freuten wir uns der Trockenheit, der hübschen, freundlich- 
energischen Wirtin, ihrer guten Küche und beratschlagten: was 



— 201 — 

tun? Die Meinungen gingen sehr auseinander. Einige wünschten 
bis Terracina im Volskergebirge zu bleiben, die berühmten Räuber- 
nester Piperno und Sonnino aufzusuchen und sehr anstrengende 
Märsche nicht zu scheuen, andere so schnell wie möglich die von 
Velletri bis Terracina in gerader Linie die Sümpfe durchschneidende 
Poststraße zu erreichen (die alte Via Appia) und mit der ersten 
besten Fahrgelegenheit nach Terracina zu gelangen. Vorläufig 
freilich waren all diese Beratungen überflüssig, denn der Regen 
schien uns zwingen zu wollen, den ganzen Tag und die Nacht 
in dieser dunklen Kneipe zu bleiben, was recht unerfreulich ge- 
wesen wäre. Einige unternahmen es schließlich, unter Regen- 
schirmen wenigstens das Kastell zu besehen, welches von weitem 
recht stattlich ausgesehen hatte. Wir amüsierten uns sehr gut 
dabei, freilich mehr des Regens als besonderer architektonischen 
Schönheiten wegen. Die unermüdliche Pförtnerin ruhte nicht, bis 
sie uns den „weiten Fernblick" vom Dach gezeigt hatte, der denn 
auch wirklich sehr schön war, freilich nicht der Fernsicht wegen, 
sondern weil man um sich und unter sich nur ein Meer von 
grauen Nebel- und Regenwolken sah. Auf dem Rückweg in die 
Kneipe kamen wir an einer ganz hübschen offenen Loggia vorbei, 
die Schutz gegen den Regen bot und zugleich den Postschalter 
enthielt, was einige zur Absendung von Korrespondenzkarten ver- 
anlaßte — eigentlich aus reiner Langeweile. Vielleicht habt Ihr 
meine erhalten? — Kaum war sie geschrieben, so bemerkten wir, 
daß der Regen aufgehört hatte, und kehrten schnell ins Wirts- 
haus zurück. Die dort zurückgeblieben waren, hatten inzwischen 
die Bekanntschaft eines Kaufmanns gemacht, der sich, da er mehrere 
tausend Lire bei sich trug, von zwei Carabinieri nach Sezze begleiten 
ließ und uns aufforderte, uns ihm anzuschließen. Er wüßte einen 
Richtweg durchs Gebirge, der nicht länger wäre als der nach der 
nächsten Poststation in der Ebene, femer gäbe es dort ein gutes 
Wirtshaus und jedenfalls auch Fahrgelegenheit nach Terracina. 
Wir müßten uns aber schnell entschließen, es sei die höchste 
Zeit, wenn wir noch vor Sonnenuntergang ankommen wollten. 

Wir teilten uns, fünf gingen mit ihm, drei führten ihren Vor- 
satz, direkt nach Tre ponte an der Poststraße zu gehen, aus. 



— 202 — 

Wir fünf haben ohne Frage das bessere Teil erwählt. Zu- 
erst freilich ging's höllisch steil und steinig bergan, die fette, 
nasse Lehmerde ballte sich in großen Klumpen an die Füße und 
war stellenweise verteufelt glitschig, dazu begann der Regen aufs 
neue sauft aber dicht niederzurieseln, und da das Pferd des Kauf- 
manns alle Schwierigkeiten mit erstaunlicher Geschicklichkeit über- 
wand und die Carabinieri ihm folgen mußten, blieb auch uns 
nichts übrig als mit unserem Gepäck hinterherzukeucheu so gut 
es ging, mit Hilfe einiger Seufzer und Flüche ging es denn auch 
halbwegs. Stellenweise war's aber wunderschön: wenn plötzlich 
das Tal unter uns durch die zerreißende Nebelwolke hindurch 
deutlich sichtbar war, nach wenigen Minuten von einer neuen 
verhüllt wurde, oder wenn wir eine Nebelwolke auf uns zukommen 
und unsern langen Zug einhüllen sahen, so daß die vordersten 
wie hellgraue Nebelbilder erschienen. Voran ritt der Kaufmann 
in der üblichen italienischen Bürgertracht: Spitzhut und Rad- 
mantel, seine Pistolen im Gürtel und ein junges Zicklein, an 
Vorder- und Hinterfüßen geknebelt, hinten aufs Pferd gebunden. Für 
gewöhnlich war es ganz still und geduldig, bei größeren Unebenheiten 
des Weges meckerte und bähte es aber doch ganz erbärmlich. Ihm 
folgte der eine der Carabinieri, in der hübschen eleganten Uniform: 
Dreimaster und Frack (schwarz, silber mit roten Aufschlägen, und 
breiten Streifen an der Hose), die geladene Büchse auf der Schulter. 
Mit ihm im Gespräch meist einer der beiden Schwaben: Eisenlohr 
oder Lauser, immer die vordersten. Dann der andere der Cara- 
binieri, Friedrich mit seinem übergroßen Gepäck, für welches er 
an den voraufgehenden Tagen meist einen Träger engagiert hatte, 
Gildemeister und ich und zum Schluß der Sohn des Kaufmanns, 
ebenfalls eine Flinte auf der Schulter. Das Gespräch drehte sich 
natürlich meist um das Räuberwesen, welches die Einheimischen 
doch nicht so ganz leicht nehmen und es jedenfalls unbegreiflich 
gefunden haben würden, wie wir ohne alle Waffen zu reisen. — 
Nach einer Stunde ward uns die Freudenbotschaft, der halbe und 
beschwerlichere Weg sei jetzt überstanden; bald darauf ging's 
bergab, und plötzlich schimmerte durch die dünner gewordenen 
Nebelwolken hindurch ein seltsamer, gelbgrüner Schein, den ich 



— 203 — 

mir für einige Augenblicke gar nicht zu erklären wußte; aber 
dann flogen auch die letzten Nebelgebilde vorüber, zerflossen in 
Nichts, die Ebene lag wieder zu unsern Füßen in lachendem 
Sonnenschein, der freilich gleich darauf verschwand. Das 
war einer der schönsten Momente, die ich im Gebirge erlebt 
habe! Immer weiter ging's bergab, und der sogenannte Weg 
blieb immer gleich pfadlos und spitzsteiuig. Man sah wieder be- 
baute Felder, menschliche Wohnungen und dann das Ziel unserer 
Wanderung Sezze selbst, sich stattlich auf einer Höhe hinstreckend. 
Die Gegend war ganz thüringisch geworden und erinnerte mich 
in ihren sanften, tiefen, von milder Abendsonne beleuchteten Tinten 
lebhaft an die schöne Landschaft von Ruths, welche Kollmann 
besitzt. Noch einmal mußten wir wieder bergan, aber, so nah am 
Ziel, empfanden wir die Beschwerde nicht. In einer kleinen 
Trattoria, welche auf luftiger Höhe die schönste Aussicht auf 
Sezze, die Ebene, die Meeresbuchten und das immer näherrückende 
Kap Circello gewährte, wurde Rast gemacht und ein Trunk mit 
unsern freundlichen Reisegenossen gehalten, denen die Gesellschaft 
so ganz Fremder offenbar sehr interessant war. . . . Besonders 
die Entdeckung, daß wir Cristiani seien, aber nichts vom Papst 
wissen wollten und nicht zur Madonna beteten, machte den einen 
Gendarm sehr nachdenklich. Man konnte ihm nicht genug Auf- 
schluß darüber geben, denn wenn auch verhältnismäßig aufgeklärt, 
war ihm die Sache doch außerordentlich neu. — Ehe wir in die 
Stadt einzogen, kam die untergehende Sonne noch einmal in voller 
Glut hervor, und die feuchte Erde, die Felder und Bäume ent- 
falteten eine solche Wucht harmonischen Farbenschmelzes, wie 
ich es so selten oder nie gesehen habe. Gleich darauf war alles 
grau, farblos und nächtlich. Der Übergang von Tag und Nacht 
ist hier weit plötzlicher als bei uns. Freilich war's noch hell 
genug, uns an den schönen Menschen zu freuen, welche nichts 
vom räuberhaft-mißtrauischen Aussehen der Normaner hatten und 
ebenso schön, aber wohlhabender aussahen als die Corianer. Es 
waren die schönsten stolzesten Gestalten, die ich in Italien ge- 
sehen hatte, und die malerischsten Kostüme. Während wir uns 
in einem großen, stattlichen Zimmer des guten Wirtshauses 



— 204 — 

häuslich niederließen, . . . konnten wir am Brunnen vor den Fen- 
stern die hübschesten Gruppen beobachten. Statt der großen 
Kupfergefäße sahen wir hier zuerst große Tonkrüge, in denen 
das Wasser geholt und auf dem Kopf getragen wird. Das gibt 
die herrlichsten karyatidenartigen Figuren! . . . Die ganze Nacht 
regnete es, zuweilen so stark, daß wir es, halbwach, hörten; auch 
gegen Morgen sah es noch sehr unerfreulich aus ... als wir aber 
um sieben Uhr aufwachten, hatte es sich aufgeklärt, und während 
wir uns anzogen, kam sogar die Sonne durch! Rechte Glückspilze ! 
Der Bruder des Wirts hatte uns versprochen, sich nach einer 
Fahrgelegenheit für uns umzusehen. Einen geschlossenen Post- 
wagen zu bekommen, schien ihm unmöglich, aber uns war ein 
,,Baroccio" (zweiräderiger Karren) auch viel lieber, schon des 
Preises wegen. Der Besitzer eines solchen verlangte jedoch 
50 Franken! Als wir ihn auslachten und erklärten, lieber zu 
Fuß zu gehen, kehrte er bald darauf mit dem Gebot von 22 Franken 
zurück. Das Fuhrwerk lehnte an der Wand, mit einigen großen 
Körben beladen und sah weder besser noch schlechter aus als 
alle anderen Karren. Die zwei versprochenen Pferde reduzierten 
sich aber, als wir sie vorher einmal anzusehen verlangten, auf 
eines; infolgedessen der Preis auch noch etwas — aber weniger 
als 20 Franken, Trinkgeld inbegriffen, war nicht zu erreichen. 
Nachdem das abgemacht war, machten wir einen Rundgang durch 
die Stadt, in deren engen Gassen wir wunderschöne Bilder sahen. 
Mle Parzen saßen die Alten in den Türen und spannen, und die 
jungen Mädchen, welche Wasser holten oder auf dem Markt Ein- 
käufe machten, waren, wie gesagt, die schönsten, vornehm gra- 
ziösesten, die ich in Italien gesehen hatte. Wenn man die Italiener 
wirklich kennen lernen will, so muß man sie in ihren Dörfern 
und kleinen Städten aufsuchen. Was man in Rom heutzutage 
sieht, ist nichts Echtes. Die Modelle, die dort an der spanischen 
Ecke hocken, sind zwar zum Teil wirklich schöne Menschen, aber 
wie ihre zwar echte und schöne, aber so absichtliche und rein- 
liche Tracht, so bekommen auch ihre Gesichter mit der Zeit einen 
salonartigen, unwahren Ausdruck, und Zeppenfeld hat ganz recht: 
..Es is 'n büschen Thiatakram," 



— 205 — 

Wir mußten natürlich in ein paar Kirchen hineinsehen, von 
denen die eine, außerhalb der Stadt, mit von Steineichen be- 
schatteter Treppe, sehr schön lag, sowie den viereckigen Quadrat- 
unterbau eines antiken Tempels, auf dem jetzt ein Kornfeld 
ist, betrachten, dann ging es gegen zehn Uhr zum Wagen zurück. 
Zu unserem Erstaunen hatte der Besitzer und Kutscher die fünf 
Körbe nicht heruntergenommen und durch Sitzbänke ersetzt und 
war auch durchaus nicht geneigt, dies nachzuholen. Im Laufe 
des Gesprächs stellte es sich heraus, daß er ohnedies nach Terra- 
cina gefahren wäre, um Fische zu holen. Wir hätten uns den 
Wagen ja vorher angesehen und für gut befunden, erklärte er, 
wenn wir nun nicht wollten, so sei ihm das einerlei. Die voraus- 
bezahlten 5 Franken gäbe er natürlich nicht wieder her. Alle 
Verhandlungen führten zu nichts, und selbst Gildemeister, der 
als bester Italiener das Wort zu führen pflegt, meist auch sehr 
gut mit den Leuten fertig wird, konnte nichts erreichen. Natürlich 
stiegen wir nicht gleich auf — die Einwohnerschaft war zahlreich 
zusammengelaufen und hätte uns ohne Frage herzlich ausgelacht 
— sondern erwarteten das Fuhrwerk am Fuße des Berges. . . . 
Das Aufsteigen machte viel Umstände, unter Lachen und Fluchen 
brachten wir's aber doch zuwege. Der Anblick war ohne Frage 
urkomisch. Alle fünf saßen rittlings, ganz dicht hintereinander 
wie die Haimonskinder, und die Körbe waren so breit, daß es 
für die Schenkel eine arge Qual war, zumal die wenigsten Füße 
irgendeine Unterlage erreichen konnten, sondern frei in der Luft 
baumelten. Aber es ging schließlich doch besser als wir gedacht 
hatten, und später trafen wir ein bequemeres, zum Aussehen 
freilich weniger komisches Arrangement. So hatten wir dem 
Volskergebirge nach zweitägigem Besuch und mancherlei Erleb- 
nissen den Rücken gekehrt und trabten nun in die pontinischen 
Sümpfe. Der Himmel war voll schöngeballter Wolken, in der 
Ferne sahen wir es strichweise regnen; und da der Wind auf 
uns zukam, machten wir uns darauf gefaßt, ebenfalls abkühlende 
Schauer zu bekommen. Aber die Furcht war überflüssig, es blieb 
trocken und klärte sich im Laufe des Tages immer mehr 
auf. Nach einer halben Stunde erreichten wir die Via Appia 



— 206 — 

und fuhren nun schnurstracks gegen Südost gerade auf Terra- 
cina los. 

Von den pontinischen Sümpfen hatte ich eine ganz verkehrte 
Vorstellung. Ihr wahrscheinlich ebenfalls. Sie erinnern nämlich 
ganz lebhaft an unsere Marschen. Die Landstraße ist zu beiden 
Seiten von einer doppelten Reihe von Ulmen bepflanzt, zum Teil 
schöne, hohe Bäume, andere zu sehr gekappt. Vereinzelt kommen 
auch Eichen und Weiden vor. Rechts läuft ein breiter Graben 
wie bei uns im Hammerbrook, und jenseits zu beiden Seiten er- 
strecken sich üppige Weiden, auch Felder und ein lieblicher, 
parkartiger, junger Wald, der ebenfalls ganz gut in der Umgebung 
Hamburgs stehen könnte. Das Vieh ist üppig und schön wie bei 
uns; Pferde und Ochsen grasen nebeneinander, letztere mit den 
großen Hörnern, die mir nachgerade so zur Gewohnheit geworden 
sind, daß sie mir bei unserem Vieh im Norden fehlen werden. 
Auf einer großen Weide grasten Büffel, übrigens ganz gute, liebe, 
dumme Tiere, die bei guter Behandlung gewiß ganz harmlos und 
gemütlich sein würden. Aber man legt solche Klötze von höl- 
zernen Jochen auf ihren starken Nacken, daß die Haut ganz 
wund gescheuert wird und stößt und haut sie mit eisenbeschlagenen 
Stöcken, wenn sie nicht noch mehr leisten als ihre enormen Kräfte 
vermögen, aufs unbarmherzigste; dann ist's freilich kein Wunder, 
wenn sie wütend und wild werden, sobald sie sich frei fühlen. 
Hier, in Freiheit grasend, waren sie ganz sanft und harmlos. Um 
bis au den Kopf im Wasser zu stehen, wie man sie sich im 
Sommer als Staffage der pontinischen Sümpfe zu denken hat, 
war's noch nicht warm genug. Im Gegenteil, eine echt deutsche, 
milde, kühle Frühlingsluft wehte; mit den dunklen Blättern des 
Efeus, der die Stämme reichlich berankte, mischte sich das zarte, 
helle Frühlingsgrün der Bäume und das Gras wuchs so glänzend 
grün und war von denselben Blumen geschmückt wie bei uns. 
Daß die Gegend so ungesund ist, sieht ihr kein Mensch an, und 
ich hoffe, daß die neuesten Bestrebungen zu ihrer Hebung, an 
deren Spitze Garibaldi steht, mit der Zeit Erfolg haben werden. 
Standen hier doch früher 33 blühende Städte und Ortschaften. 
Aber schon Cäsar und Pompejus mußten Anstrengungen machen, 



— 207 — 

das entvölkerte und heruntergekommene Land zu Leben, später 
Theodorich und viele Päpste — bisher alles vergeblich. 

Fast fünf Stunden dauerte die Fahrt und wurde mir eigent- 
lich nicht langweilig, nur das unbequeme Sitzen und das be- 
ständige Aufpassen, mit den Füßen nicht zwischen die Räder- 
spitzen zu geraten, erregte einige Sehnsucht nach Beendigung der 
Fahrt. Endlich kamen Häuser, links auf der Höhe baute sich 
die Stadt malerisch auf, einige schlanke Palmen ragten in die 
Höhe, Kakteen und Aloen wucherten blaugrün an weißen Wänden, 
und in Hülle und Fülle glühten Goldorangen zwischen dunklem 
Laub: man war mit einem Schlage wieder in Italien und sogar 
noch ein Stück südlicher als früher. Vor uns lag das Meer, 
dunkelblau. . . . Der kleinere Teil der Stadt liegt unten am 
Meeresufer, darunter eine große Kirche vom Jahre 1816, von 
einer gewissen kalten Großartigkeit, die ich bisweilen ganz gern 
habe. Pius VI. hat sie erbauen lassen. . . . Bis unser Essen 
fertig war, gingen wir an den Strand und sahen hier ein hübsches 
Bild: mehrere Mädchen wollten in ihren irdenen Krügen Wasser 
holen und begaben sich zu diesem Zwecke hochaufgeschürzt in 
die ziemlich bewegte Brandung, das Nahen einer Welle erwartend, 
damit diese ihren Topf, den sie zwischen den Füßen festhielten, 
fülle. Beim Zurücktreten der Welle trugen sie ihn ans Land. 
Das geschah natürlich unter dem Jubel der halbnackten Jungen, 
welche unsere Aufmerksamkeit durch verdoppelten Ulk zu er- 
regen suchten. Plötzlich kam, als die Mädchen wieder in der 
Brandung standen, eine unerwartet große Welle herangebraust, 
der sie wohl oder übel standhalten mußten, aber ihre Röcke 
wurden bedenklich naß, und in der Angst ließ die eine ihren 
Topf los, der nun vom Wasser weit mit hinausgetragen wurde. 
Sie schrie und lachte, ein munterer Bengel lief der Welle nach, 
weit hinaus, und brachte ihn auch glücklich zurück, ehe die zweite 
Welle ihn überraschte. Als wir zum Essen gehen wollten . . , 
kamen plötzlich die drei anderen anspaziert, die wir längst in 
Terracina glaubten. ... Sie hatten noch mehr Regen gehabt als 
wir, auf Heu schlafen müssen, sich tüchtig gelangweilt und waren 
erst um zwölf mit der Post von Tre ponte abgefahren, aller- 



- 208 — 

dings in rascherem Tempo und mit mehr Bequemlichkeit als 
wir. . . . 

Inzwischen war's vier geworden, und war begaben uns darum 
schleunigst in die obere Stadt und auf den Marktplatz, der male- 
risch und altertümlich aussieht. Die ganze Breitseite nimmt der 
Dom ein, zu dessen von antiken Säulen getragenen Vorhalle viele 
Stufen hinanführen. Der Architrav dieser Säulen ist mit reichsten 
Mosaikornamenten aus Theodorichs Zeit geschmückt, wunderbar 
schön in der Farbe, etwa mit prächtigem chinesischen Email zu 
vergleichen. Auch innen hat die Kirche noch viel von ihrer ur- 
sprünglichen Gestalt behalten, besonders schöne Mosaiken mit 
phantastischem Tierornament, die Farben reicher als in Rom. 
An der äußeren Rückseite der Kirche sind sogar noch hohe korin- 
thische Säulen eingemauert und ein berühmter Ornamentstreifen 
dazwischen — genug, es ist ein höchst interessanter malerischer 
Bau, an dem fast 20U0 Jahre in ihren wechselnden Kunstepochen 
vertreten und durch die Zeit zu einer unerklärlichen Harmonie 
verbunden sind; daneben in der engen Straße, unter dem dunkeln 
Torbogen herrscht lebendiges Getriebe, Geschrei und Markten, 
und das alles macht einen überaus angenehmen Eindruck. Übrigens 
hat Terracina kaum 7000 Einwohner, aber alles Leben konzen- 
triert sich an diesem einen Punkt, so daß es einen größeren Ein- 
druck macht. Durch einige enge dunkle Gassen, mit malerischen 
Durchblicken, stiegen wir allmählich den Berg hinan, der die 
Stadt überragt. Auf dem ersten Absatz, dicht über der Stadt, 
liegt ein Kloster, davor stehen zwei Palmen, die sanft und leise 
in der stillen Abendluft schwankten. Von hier aus hat man 
einen sehr schönen Blick: vorn ein alter Turm, Mauern, Dächer, 
im Hintergrund das herrliche blaue Meer und das Kap der Kirke, 
dessen Gestalt von allen Seiten schön ist. Aber zum Skizzieren 
war keine Zeit, wir mußten noch höher hinauf! Nach 20 Minuten, 
steil bergan steigend, zwischen Felsstücken und einer reich da- 
zwischen wuchernden Vegetation, kamen wir bei den Ruinen der 
Theodorichsburg an. Der alte Held hat sich hier einen herr- 
lichen Punkt ausgesucht ; nach rechts und links buchtet das Meer 
sanft und schön ins Land hinein, und bei klarer Luft soll man 



— 209 — 

in der Ferne viele der lueeln und sogar den Vesuv sehen können. 
Wohl ist das ein Platz, um in süßem Nichtstun Zeit und Pflicht 
zu vergessen, aber er ließ sich nicht wie Odysscus an d».-m nahen 
Ufer der Kirke von der verlockenden Zauberin besiegen und 
halten, sondern er bezwang sie, die Zauberin Italien, und was 
noch von seinem Palast übrig ist, sieht so reckenhaft wuchtig 
ins Meer hinaus, daß man hier kein Gefühl der Wehmut über 
die Vergänglichkeit aller irdischen Größe und Herrlichkeit emp- 
findet, wie bei den meisten andern Ruinen , sondern eher 
ein Triumphlied zu Ehren des kraftvollen alten ^\'eiöen an- 
stimmen möchte. Oben in der mächtigen Kundbogeiihalle ruhten 
wir auf einem Polster von Kräutern, und eine blaß rötliche, 
schlanke Blume, halb Lilie, halb Hyazinthe, mit der ich noch 
zwei Tage viel geneckt wurde, blühte zu meinen Füßen und hob 
sich in wundersamer märchenhafter Farbenmelodie von dem tief 
blaugrün-violetten dämmrigen Meer und den Bergen dahinter ab. 
Die Sonne stand noch am Himmel, aber hinter einer undurch- 
sichtigen Wolkenwand. Zu unsern Füßen dirigierte ein Hirt seine 
Ziegen auf den richtigen Weg, indem er mit Steinen nach ihnen 
warf; ein großer Raubvogel kreiste kreischend umher, vielleicht 
hatte er oben sein Nest und fürchtete uns Eindringlinge — sonst 
hörte man nichts als die Brandung, die zwar nicht so großartig 
wie neulich in Porto d'Anzio war, aber doch gewaltig an die 
Felsen schlug und hochaufspritzend donnerte und brauste. . . . 

Wir stiegen durch einen Mauerspalt in die lange dunkle 
Halle. Durch eine große Öffnung in der Schmalwand gegen- 
über blitzte uns noch ein feuerroter Streif der untergehenden 
Sonne unheimhch großartig hinter dunkeln Wolken entgegen. 
Die Längswand hat viele kleine Rundbogenfenster und Türen, 
die auf die offene Vorhalle hinausgehen, aber nicht sehr viel 
Licht einlassen. Das Mauerwerk ist meist noch vortrefflich 
erhalten und sieht so frisch aus, als wenn es erst kürzlich fertig 
geworden wäre. Bildnerischer Schmuck fehlt, ein paar früh- 
christliche, halb verblichene Heilige ausgenommen, die ich nicht 
gesehen habe. Die zunehmende Dunkelheit erlaubte uns nicht, 
lange zu verweilen, sonst hätten wir den schmalen Fußpfad leicht 

Schapire, Hans Speekters Briefe. !■* 



— 210 — 

verfehlen können. Als wir zwei Drittel oder drei Viertel des 
Abstiegs glücklich hinter uns hatten, stand uns jedoch noch die 
größte Überraschung bevor: eine riesige Höhlenöffnung, in der eine 
große Ziegenherde sich gelagert hatte, im Hintergrunde saß um 
ein Kohlenfeuer eine ganze Familie und kochte ihre Abendsuppe. 
Der Qualm schlich an der hohen Wölbung hin und wirbelte in 
dünnen Wölkchen in die blaue Abendluft. Die Leute gaben 
uns von ihrer vortrefflich schmeckenden Ziegenmilch, und er- 
zählten uns, daß sie das ganze Jahr hier wohnen, nur in der 
allerheißesten Zeit nicht. Je mehr sich die Augen an die Dunkel- 
heit gewöhnten, desto schöner und phantastischer erschien die 
große Felsenstruktur, desto mehr ebensolcher kleiner Behausungen, 
jede von einer Reisighecke umzäunt, wurden sichtbar, und ein 
Feuer nach dem andern entzündete sich. Alles friedlich und 
still, so daß man das Schmatzen und Gnurschen der Schweine 
deutlich hören konnte und das Gekletter der Ziegen auf den großen 
Felsblöcken, welche sich vorn in der Höhle auftürmten. — Jeder, 
der sie sieht, wird die Höhle des Polyphem in ihr entdecken. 
Selbst die großen Felsstücke, die der wütende Zyklop ins Meer 
schleuderte, um das Schiff zu treffen, liegen heute noch da, und 
die Brandung wird sie manches Jahrhundert umschäumen, ehe sie 
zerbröckelt und weggewaschen sind. Eigentlich hätte ich bei den 
Hirten oben übernachten mögen! . . . 

Am andern Morgen standen wir um sechs auf und saßen 
um sieben beim lecker bereiteten Kaffee, aber die Ausführung 
des Vorschlags, uns für unser Gepäck einen Esel zu leisten, 
kostete so viel Zeit, daß wir erst um halb neun aufbrachen. De 
Boor hatte uns diesen Weg als einen der allerschönsten Italiens 
geschildert, doch können wir dies nicht unterschreiben. Freilich 
hat man die schönen Berge in einiger Entfernung neben und vor 
sich, und das wohlbebaute Land zu beiden Seiten macht einen 
sehr fruchtbaren Eindruck und wird in vorgerückter Jahreszeit 
durch den schwellenden Reichtum seiner Weintrauben, Feigen 
und aller andern Produkte gewiß wie das Land aussehen „wo 
Milch und Honig fließt". Aber jetzt im Frühling war nicht viel 
damit los, ja, wir stimmten darin überein, daß wir gerade so gut 



— 211 — 

glauben könnten, in Deutschland zu sein, in den fruchtbaren 
Ebenen des Mosel-, Rhein- oder Main -Landes. Denn auch das 
Meer verliert man schon nach der ersten halben Stunde aus den 
Augen, dafür entschädigt anfangs freilich eine Art Binnensee, 
sumpfige Lagunen, auf die man ein paarmal einen sehr schönen 
Blick hat, aber später bilden die Hauptabwechslung kleine Türme, 
welche vielleicht von den Römern gegen die Piraten erbaut wurden, 
jedenfalls im Mittelalter gegen die Sarazenen, Korsaren, und wie 
immer sich im Laufe der Zeit das wilde Volk der Strandräuber 
nannte, deren Einfällen die ganze Küste immer sehr ausgesetzt 
war. Nach zweistündigem, sehr strammen Marsch sahen wir den 
ersten größern Ort. malerisch auf einem Felsen liegend, erfuhren 
aber, daß es noch nicht Fondi war, wie wir gehofft hatten. Dahin 
war's noch eine Stunde weiter. Wenigstens brauchten wir nicht 
den steilen Berg hinaufzuklimmen. Vorher passierten wir die 
ehemalige neapolitanische Grenze, die durch einen ganz ansehn- 
lichen Quader bau an der Landstraße bezeichnet wird. ... Im 
Weitergehen fanden wir noch mehrere, offenbar römische Grab- 
monumente. . . . Die zerschossenen, mit Kugelspuren übersäten, 
ehemaligen Chaussee- oder Zoll wach terhäuser erinnern an die 
blutige Neuzeit. Auch jenseits Gaeta, bis zur Eisenbahnstation, 
setzen sie sich fort. 

Genau um zwölf waren wir in Fondi, welches ausnahmsweise 
nicht auf der Höhe liegt und ein ziemlich lebhafter Ort zu sein 

scheint In Fondi gibt's allerlei zu sehen : eine große Kirchtür in 

Frührenaissance, einen alten Dom mit alten Grabmälern und Bildern 
auf Goldgrund, von denen das eine, das freilich sehr schön ist, 
als Raffael ausgegeben wird, die stattlichen Reste eines Schlosses 
mit zinnengekrönten Ecktürmchen, überreich gotisch ornamentierten 
Fenstern, einem alten Hof usw. Wir besahen das alles im Trab, 
unter Regenschirmen, die plötzlich notwendig wurden, von einem 
Schwärm von Fondianern eskortiert. . . . 

Der Weg nach Itri entwickelte sich noch immer nicht zu 
„einem der schönsten Italiens'', war aber kürzer als wir gedacht 
hatten. Das Nest liegt prächtig, auf einem mitten im Tal auf- 
steigenden Bergkegel, es erinnerte mich an Schwarzburg, zwar 

14* 



— 212 — 

lange uicht so hoch und romantisch, dafür aber baut es sich 
architektonisch weit schöner auf. Es ist die Vaterstadt Fra 
Diavolos, mit dessen Lied wir natürlich einrückten. . . . Hinter 
Itri wird der Weg schöner, der Charakter der Landschaft merk- 
lich südlicher, und als das Meer wieder sichtbar wurde, vergaßen 
wir alle voraufgehende Unbefriedigung. Ganz mild hellgrün-violett 
lag es da, und vom letzten Abendlicht beschienen Gaeta, sich 
hoch und phantastisch über einen eigenartig geformten Berg- 
vorsprung ausdehnend. Es erschien mir zuerst wie eine traum- 
haft romantische Theaterdekoration, in Wirklichkeit hatte ich noch 
nichts derartiges gesehen. Ein altes, turmartiges Gemäuer, von 
Gebüsch und Efeu berankt, heißt das Grabmal des Cicero, rechts 
und links vom Wege sollen Villen gestanden haben, die ihm ge- 
hörten. Das Ufer ist ein einziger duftender Zitronen- und Orangen- 
wald. Vor uns lag Formio. . . . Formio hat eigentlich nur eine 
einzige Straße, eng, mit großen Quadern gepflastert, sich langsam 
bergab senkend. Ein abendliches, in den brillantesten Farben 
der Oswald Acheubachschea Palette strahlendes Wolkengebirge 
türmte sich vor uns auf, und die weißgrauen Wände der schmalen, 
hohen Häuser, alle schon kalt -schattig und dunkel, gegen dies 
reiche Meer von goldiger Farbenglut am Himmel bildeten den 
herrlichsten Farbeneindruck der ganzen Reise. Ein ganz energisch 
rot gestrichenes Haus, mit dunkeln, schlanken Zypressen dahinter, 
vollendete den südlichen P^indruck. Wieder folgte uns ein 
Schwärm von Menschen, der, als wir am Ufer unten ankamen, 
wo die Wirtshäuser stehen, geradezu zu einem Auflauf ange- 
schwollen war. Als wir auf den Balkon hinaustraten, stand unten 
alles Kopf an Kopf wie am Jungfernstieg vor dem Hotel de 
l'Europe, wenn der Kaiser von Rußland oder sonst wer dort ab- 
gestiegen ist. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und 
das prachtvolle Farbenkonzert der Wolken verstummt. Ich ging 
hinaus durch die neugierig gafiende Volksmenge hindurch, lehnte 
mich über die Brüstung, sog den frischen Meeresduft ein, 
wurde aber von allen Seiten angeglotzt wie ein wildes Tier auf 
einem Jahrmarkt. Als ich ins Hotel zurückkehrte, war die Staats- 
aktion schon in vollem Gange: der Unterpräfekt mit zwei andern 



— 213 — 

Herren in Zivil und der Hauptmann der Carabinieri mit drei 
Mann, zusammen sieben Personen, standen höchst feierlich im 
Zimmer und revidierten unsere Pässe, was bisher noch keinem 
von uns passiert war. Wir waren alle damit versehen, aber die 
Herren sahen sie kaum an, fragten dann allerlei über den Zweck 
unserer Reise, Wohnung in Rom usw., und wir amüsierten uns 
sehr ü'oer dies hochinteressante Erlebnis. Der Unterpräfekt nahm 
die Sache offenbar sehr ernst und hätte uns am liebsten sofort 
gefesselt ins Gefängnis abführen lassen. Der Hauptmann der 
Carabinieri war aber ein vernünftiger Mann, der den Zusammen- 
hang richtiger erkannte; er versicherte uns, er sei von der Richtig- 
keit unserer Angaben völlig überzeugt, aber „gewisse Kom- 
binationen" und „strenge Befehle von oben" machten es ihm zur 
Pilicht, vorläufig das Verlassen der Gastwirtschaft zu untersagen, 
doch hoffe er, daß in einigen Stunden, spätestens am andern 
Morgen alles im reinen sein würde. Es sollte sofort nach Caserta 
an die Oberpräfektur telegraphiert werden. — Sehr fidel aßen 
wir zu Abend, und die Beobachtung, daß zwei Carabinieri mit 
geladenem Gewehr unten Wache hielten, vermehrte das wohl- 
tuende Gefühl unserer Wichtigkeit. Wir gingen ohne näheren 
Bescheid zu Bett, standen auch auf, ohne daß etwas gekommen 
wäre, die Post, die wir benutzen wollten, fuhr ohne uns fort, und 
allmählich wurde uns die Sache langweilig. Zwar war buntes, 
lustiges Marktgewimmel vor dem Hause: viel Fische, üppiges 
Gemüse, besonders riesiger Blumenkohl, wurden von bunten, 
schreienden, lebhaft gestikulierenden Menschen verkauft und ein- 
gehandelt; Kerle mit roten oder grauen Schifiermützen, kräftigen, 
rotgebrannten, bloßen Beinen bewiesen, daß Neapel nicht mehr 
fern war. Kinder in den lustigsten Lumpen, besonders in arg 
zerrissenen und durchlöcherten Hosen spielten ungeniert, mutig 
und gelenkig auf den breiten Quadern; während die Mädchen 
und Frauen, mit rundgeringelten Flechten an den Schläfen, und 
das Haar des Hinterkopfes mit bunten Bändern durchflochten, 
etwas außerordentlich Sittsames, Stilles hatten, das von dem flotten 
Aussehen und Gebaren der Schiffer sehr abstach. Esel, mit 
trockenem Reisig beladen, sahen von oben herab aus wie vorüber- 



— 214 — 

raschelnde Riesenigel. All das sahen wir zwar etwas ^.us der 
Vogelperspektive, aber doch mit größter Bequemlichkeit, da das 
Hotel geräumige Balkons hat. Die Aussicht aufs Meer war natürlich 
längst nicht so schön wie am Abend und eigentlich wenig anders 
als ein Blick frühmorgens auf die Außenalster. Dieselben ge- 
kappten, dünubelaubten Bäume im Vordergrund und ein in Dunst 
verschwimmendes, grauweißes, glattes, glitzerndes Wasser, freilich 
statt der Ulilenhorst — Gaeta und statt des Alsterglacis und der 
Lombardsbrücke eine schön geformte ferne Bergliuie. 

Die einen schrieben Briefe, ich skizzierte das Menschen- 
gewühl, Thiersch die Aussicht, andere taten gar nichts und ärgerten 
sich nur über die schlechte Behandlung und den Zeitverlust, um 
zehn Uhr telegraphierten wir an Keudell nach Rom, was uns 
nach längerem Zaudern erlaubt wurde, und das war sehr not- 
wendig, denn die Herren vom Magistrat kümmerten sich gar nicht 
um uns; besonders verdroß es uns, daß der Hauptmann, der am 
Abend zuvor sehr liebenswürdig gewesen war, uns nicht wenig- 
stens seine Aufwartung machte und irgendeine Erklärung gab. 
Aus der Zeitung kombinierten wir schließlich, daß wir für einen 
Trupp internationaler Räuber gehalten wurden, was sich denn auch 
mehr und mehr bestätigte. So kam das Mittagessen heran; die 
Freude an dem „interessanten Erlebnis" hatte sich wesentlich 
verringert, besonders da niemand wissen konnte, ob wir nicht 
noch einen zweiten Tag durch die Geschichte verlieren würden. 
So ließen wir den Hauptmann bitten, mal zu uns zu kommen. 
Antwort: er würde sich in einer halben Stunde einstellen. Nach 
einer Stunde schickten wir abermals zu ihm. Antwort: er sei 
nach Gaeta gegangen. Nun wurden wir wild und verlangten den 
ünterpräfekten zu sprechen. Dieser kam nicht, aber unser Ver- 
langen, einen Spaziergang machen zu dürfen, wurde gegen 
Deponierung unserer Pässe bewilligt. Also endlich, nach drei 
Uhr, fühlten wir uns wieder frei, wenigstens halbwegs, und gingen 
sofort zu Schiff. Auf dem Wege dahin sahen wir lange der 
urfidelen Makkaronifabrikation zu, die folgendermaßen betrieben 
wird: Drei Kerle mit bloßen Beinen und auch sonst ganz leicht 
und hell gekleidet, sitzen auf einem bew^eglichen Hebelarm, springen 



— 215 — 

sitzend mit demselben auf und ab und zugleich vor- und rück- 
wärts, einen Halbkreis besehreibend, wodurch der Mehlteig ganz 
außerordentlich durchgeknetet wird. Fidele, hübsche, junge Kerle, 
lachend, singend und fortwährend mit ihren kräftigen Beinen in 
dieser elastischen Hüpfbewegung machten sie einen überaus 
lustigen Eindruck. Andere rollten die Makkaroni usw. usw., was 
aber weniger Interesse hatte. Die Meerfahrt war hübsch. Vier 
braune Schiffer ruderten die große, ziemlich unbeholfene Barke 
und strengten sich wenig dabei an, so daß wir nicht weit kamen, 
was auch nicht nötig war, denn das Ufer ist überall gleich schön: 
ein großer, fruchtbarer Garten ringsum an sanften Abhängen, und 
den ganzen Golf entlang zwischen Gaeta und Formio ein Kranz 
weißer und blaßroter Häuser. Das einzige, was mir fehlte, waren 
einige Palmen. Sie hätten so gut hergepaßt! — Als wir nach 
einer Stunde zurückkehrten, empfing uns der Oberkellner schon 
am Ufer mit einem lauten: Ewiva la libertä! Oben erwartete 
uns der Sergeant, um uns mitzuteilen, daß wir zufolge einer 
soeben aus Caserta eingetroffenen Depesche wieder auf freiem 
Fuße seien. Der Doppelposten war bereits abgezogen. Aber 
keinerlei Entschuldigung von Seiten des Präfekten oder Haupt- 
manns, was sich doch gewiß gehört hätte! — Nach Gaeta zu 
gehen, war's zu spät geworden, so ging jeder seineu eigenen 
Weg: einige badeten, ich begab mich mit einigen andern in Ciceros 
Villa, deren duftende Orangen- und Zitronenpflanzungen, von 
hohen geschorenen Buchsbaum- und Rosenhecken durchschnitten, 
herrliche Durchblicke aufs blaue Meer und Gaeta im Abend- 
sonnenschein gewährten. Daß die Orangen zu gleicher Zeit 
Blüten und Früchte tragen, ist bekannt, ich hatte es aber vorher 
noch nie gesehen. Ebenso sah ich hier zum erstenmal einen 
Pfefferbaum mit spinnwebartigem, zarten Laub. Der Garten senkt 
sich in Terrassen zum Meer hinab; auf der obersten standen 
damals die Batterien, die gegen Gaeta operierten. Darunter sind 
noch wohl erhaltene Reste antiker Bäder, namentlich ein sehr 
stattliches, in dessen Hauptraum dorische Säulen das kassettierte 
Stuck-Tonnengewölbe tragen. 

Aber das Bewußtsein, die Luft des wonnigen, lauen, ge- 



— 216 — 

segneten Südens zu atmen, war doch das allerschönste! Das 
Meer ])lätscherte immer sanfter ans Ufer, ich dachte an nichts 
Bestimmtes, aber mir klang es wie femer Hexameter-Wohllaut 
in den ()hren. Zwar wollte mir kein Stückchen Odyssee in den 
Sinn kommen — alles ist vergessen — aber sie zog beglückend 
durch meine Seele wie ein schöner Traum, auf den man sich 
nicht recht besinnen kann, der aber einem ganzen Morgen eine 
beseligende Stimmung verleiht. 

Eigentlich hatten wir unsere Reise zu Schiff beschließen 
wollen und schon in der Vorstellung unseres Einlaufens in den 
Hafen von Neapel geschwelgt. Es war aber schwieriger als wir 
gedacht hatten, ein Schiff zu bekommen und die Leute forderten 
zu viel. Außerdem war es zu unbestimmt, wie lange die Fahrt 
dauern würde. Bei der Windstille, die am folgenden Tag herrschte, 
wären wir wohl kaum vom Fleck gekommen, und im andern 
Falle hätte die Seekrankheit den Genuß vielleicht sehr gemäßigt. 
So entschlossen wir uns zur üblichen Postkutsche und fuhren 
morgens um halb acht Uhr los. Der Weg hatte anfangs sehr 
südlichen Charakter — Hecken von Aloen — später wieder ganz 
deutschen und war nicht gerade interessant. Das Bemerkens- 
werteste waren jedenfalls die Ruinen von Minturnae, einst einer 
großen Stadt, die sich wie Rom ihr Wasser per Aquädukt vom 
fernen Gebirge kommen ließ — jetzt drei armselige Hirtenhütten, 
die sich in die Überreste dieses großen Amphitheaters verkriechen, 
Ziegen und Schweine bevölkern die Sitzreihen. — Dicht dahinter 
überschreitet man den Garigliano. — An der ^Eisenbahnstation 
Sparanise kamen wir zeitig genug an, um noch zu Mittag zu 
essen, gegen zwei Uhr fuhren wir ab. Sehr bald sieht man den 
Vesuv aufragen, den Gipfel in seinen eignen Wolken verhüllt. 
Im ganzen habe ich aber mehr geschlafen als ausgeguckt. 

Um vier Uhr in Neapel, was ich Euch per Korrespondenz- 
karte anzeigte. Das lärmende Getriebe der Großstadt entzückte 
mich schon auf dem Wege ins Hotel. Die mit blühendem Ginster- 
kraut und Zitronen geschmückten Limonadenschänken an den 
Straßenecken, mit ihren buntbemalten oder blanken messingnen 
Aufsätzen, die Mäste der Schiffe, das blaue Meer, schreiende 



— 217 — 

Menschen und ein dichtes, rasches Hin- und Herfahren von Droschken, 
Lastwagen, Omnibu'^sen, Tramways, zwischendurch Ziegenherden 
Kühe, Bettler, Stiefelputzer, Stock- und Schwefelholzverkäufer 
bildeten einen prächtigen Kontrast gegen das Stilleben der letzten 
Woche. Doch hat Onkel Erwin das alles ja so ausführlich und 
vortreftlich geschildert, daß ich mich darüber kurz fassen kann 
und auf ihn verweise; ich wüßte wirklich nichts hinzuzusetzen. 
Höchstens noch ein paar Worte über die Freude der Neapolitaner 
an glänzendem Metallschmuck, nicht nur an Gold und Silber, 
sondern namentlich auch an blank geputztem Messingbeschlag. 
Das fiel mir vom ersten Augenblick an auf. In den Wirtschaften 
ist alles so spiegelblank geputzt, wie es in Holland nicht blanker 
sein kann — nb. nur das Metall von außen, für alles andere 
übernehme ich keine Garantie. Besonders leisten die Kutscher 
Großes darin: keine Stange oder Schnalle am Wagen und kein 
Stück des reichverzierten Sattel/.eugs, das nicht spiegelblank wäre. 
Auf den Rückenriemen der Droschkenpferde sitzt meist hübscher 
Zierat: ein Delphin, ein Hirschkopf mit Geweih, Erzengel Michael, 
Fortuna, Leier, Kanonenlauf usw. usw., am häufigsten ein 
springendes Pferdchen. Die großen Lastwagensättel haben sogar 
einen prächtigen, turmhohen Aufbau, mit Glöckchen und einem 
beweglichen P'ähnchen obendrauf, was überaus prächtig phan- 
tastisch aussieht und noch von den Mauren oder Goten herrühren 
mag. — Ferner fiel mir die zahlreiche Anwendung von glasierten 
Kacheln oder Fliesen auf, sowohl an Fußböden wie am unteren 
Teil der Wände wie in Holland. Sonst gehören Ordnung und 
Sauberkeit bekanntlich nicht zu den Haupttugenden dieser 
Gegend. — Also lest Onkel Erwins „Volksleben in Neapel''. Das 
ist so brillant, daß die Wirklichkeit oft dahinter zurückbleibt, da 
er die Eindrücke und Bilder mehrerer Tage in einen knappen 
Rahmen zusammendrängt. Auch den Unterschied zwischen den 
hiesigen und römischen Frauen charakterisiert er vortreff- 
lich, aber man darf nicht herauslesen, daß es hier nur wenig 
Schönheiten gibt. Im Verhältnis zu Rom freilich aber sonst 
noch eine ganze Menge, namentlich in den höheren Klassen, wie 
ich das gleich am ersten Sonntag auf dem Korso, dann mehrfach 



— 218 — 

in der Ausstellung und im Theater beobacliten konnte. Die 
Toiletten sind oft sehr reich und recht geschmackvoll, aber wenn 
eine große schlanke Figur in etwas einfacherer, aber nicht minder 
gewählter Toilette, stolz und wirklich vornehm daherkommt, so 
ist's meist doch eine Engländerin, und das freut mich als Ger- 
mauen denn fast so, als wenn sie eine Deutsche wäre. — Im 
ganzen mag der Unterschied mit Rom damals überhaupt größer 
gewesen sein. 45 Jahre tun viel, um die Physiognomien großer 
Städte zu verwischen. Und wie hat Rom sich seit sieben Jahren 
verändert! . . . 

Die ganze Woche war's trüb, kalt und regnerisch, was mich 
aber nicht sehr betrübte, so verliebt bin ich ins Museum und so 
augeregt durch die große moderne Kunstausstellung, die größte, 
die je in Italien war. Von den glänzenden Eröffnungsfeierlich- 
keiten habt Ihr jedenfalls in den Zeitungen gelesen. Meine, frei- 
lich sehr geringen, Erwartungen sind so weit übertroffen, ich habe 
einen so gründlichen Respekt vor den modernen Italienern be- 
kommen, daß ich vielleicht etwas darüber im „Correspondenten" 
schreiben werde. 

Gleich nach unserer Ankunft . . . gingen wir natürlich — 
aber nicht mehr in einem Trupp — ans Ufer, am stattlichen 
Palazzo Reale vorbei nach Santa Lucia und der Chiaja, den kürz- 
lich verbreiterten Anlagen am Ufer. Die Aussicht über den 
ganzen Golf: die Stadt, die vielen kleinen Orte, die sich in un- 
unterbrochener Kette, gleich einer großen Vorstadt am Fuße des 
Vesuv entlang ziehen, dann er selbst, der schöne Koloß, feierlich 
langsam seine große, blendend weiße Rauchwolke ausatmend, die 
Linie der kleineren Berge, im Hintergrund das unerreicht schöne 
Capri usw. ist aus zahlreichen Bildern bekannt. Was soll ich 
versuchen, sie zu beschreiben?! . . . Die Farbe des Golfs war 
zauberhaft, fast möchte ich sagen unnatürlich und theatralisch. 
Immer höher stiegen die Schatten am Bergkegel empor. Zuletzt 
erglänzte nur die Wolke wie ein mächtiger, gold weißer Riesen- 
ball 

Vom Museum nur so viel, daß es die Krone aller bisher ge- 
sehenen Museen für mich ist, und wenn ich in Blorenz mehrfach, 



— 219 — 

wenn die Engländer sich verpflichtet fühlten, mir als Maler von 
der Galerie Pitti und den Uffizien vorzuschwärmen, behauptete: 
,,I hate Museums" — teils freilich, um sie abzukühlen und 
einen interessanten Schnack zu machen, aber doch nicht ganz 
ohne Wahrheit — so ist das hier ganz anders. Die Reste 
einer herrlichen, untergegangenen Zeit geh()ren in einen ihrer 
würdigen Raum, in ein großes Totonhaus, wo sie vor aller 
Unbill bewahrt, späteren Generationen als Vorbild aufgestellt 
werden können. Die Werke der Lebenden aber gehören ins 
Leben. Denn jedes Ding hat in der Welt einen Zweck und die 
Redensart, daß „die Kunst sich selbst Zweck sei", habe ich nie 
verstehen können. Das eben ist der große Unterschied zwischen 
der Jetztzeit und früheren wahren Blüteepochen: daß man die 
Kunst als etwas Zweckloses, außerhalb der Sphäre des gewöhn- 
lichen Stehendes ansieht und ansehen mag und kann. Sie ist, 
um mit Onkel Erwin zu reden, Treibhauspflanze geworden, als 
Rarität von einzelnen Gourmands hoch verehrt, aber nicht mehr 
das tägliche Brot der Gesamtheit, ohne das man nicht leben und 
sein mag. Doch zurück zum Museum. Da ist mir noch nie die 
Zeit lang geworden, während ich in vielen andern oft nur aus 
einer Art von Pflichtgefühl bis zum Schluß aushielt. Aber hier 
gibt's so viel Wechsel, daß ich monatelang dableiben könnte ; die 
herrlichsten Skulpturen, Götterbilder, Porträts, Reliefs, Bronzen 
aller Art, pompejanische Wandmalereien, rein ornamentale 
oder graziöse Figürchen, Stilleben, Landschaften, Lustiges und 
Ernstes, Witze, selbst Zoten, alles durcheinander, ferner Vasen 
in allen Formen und Größen, dann alle möglichen Geräte aus 
Marmor und Bronze: Tische, Vasen, Stühle, Betten, Kandelaber, 
Ampeln, Teemaschinen, Töpfe, Kessel usw. Schließlich sogar eine gute 
Bildergalerie, die einige ganz vorzügliche Sachen aufzuweisen hat, 
namentlich Altdeutsche und Niederländer. Und besonders kann 
ich eins nicht unerwähnt lassen, was Onkel Erwin bei seinem 
Schelten über die schlechte Aufstellung ganz übersieht: die An- 
tiken sind so wundervoll beleuchtet, wie ich es noch nirgends 
gefunden habe, nämlich durch ganz hohes Seitenlicht, ähn- 
lich wie in der Glyptothek in München. Die drei Hauptsäle, 



— 220 — 

enorm hohe, geräumige Gänge rings um einen großen Lichthof, 
sind nicht sehr ordentlich instand gehalten und machen einen 
etwas provisorischen Eindruck, aber die Sachen darin kommen 
alle zur Geltung, schon darum, weil sie nicht so entsetzlich eng 
aufeinander sitzen, wie z. B. im Vatikan. Und was sind hier für 
Sachen! In dem einen Saal fast nur Meisterwerke! Nebenein- 
ander z. B. der schönste griechische Bacchustorso, die berühmte 
sitzende Agrippina, der junge Faun mit dem kleinen auf dem 
Rücken, die Venus Kallypigos, der schönste Homerkopf, die herr- 
liche, herunterblickende Psyche, die Aristidesstatue, der x\donis, 
die Venus von Capua, die beiden archaischen Statuen Harmodius 
und Aristogeiton usw. — was nützt das Aufzählen? — Hier 
bekommt man die rechte Lust zum Zeichnen nach der Antike 
wieder! Schon deshalb, weil der Schwärm von Fremden nicht 
so groß ist wie in ßom und Florenz. Dabei keine Schererei: 
man bekommt seine Permessi zum Zeichnen und freien Eintritt 
sofort gratis und allüberall steht angeschlagen: es ist verboten, 
dem Personal Trinkgelder anzubieten. Was will man mehr? 
Und das in Italien! — Soll ich, wie Onkel Erwin, einzelnes zu 
beschreiben versuchen? Ich glaube, das ist sehr langweilig für 
solche, die die Sachen nicht kennen; für mich hier an Ort und 
Stelle nachzulesen, was er gesagt hat, ist natürlich sehr inter- 
essant, und ich stimme ihm meistens völlig zu. Besonders lieb 
war mir's, ihn so begeistert für die bronzenen vStatuen von fünf 
Schauspielerinnen und Tänzerinnen zu finden, die ich gleich den 
zweiten Tag, ehe ich gelesen hatte, was er darüber sagt, skizziert 
hatte, so „deutlich wurde mir bei jenen Figuren, was Stil ist.'* 
Nach Burckhardt sind es freilich keine echt-griechischen, sondern 
nur „altertümlich behandelte" Arbeiten, und die Ausführung er- 
hebt sich nicht über die „rohe Dekoration". Aber das ist schließ- 
lich ganz schnuppe: der Geist, den sie atmen, ist jedenfalls streng 
und feierlich hellenisch, sei es nun, daß ein Künstler der Spätzeit 
noch einmal gefühlt hat wie die Alten — das kommt ja auch in 
unserer Zeit bisweilen vor — sei es, daß griechische Originale 
zugrunde liegen. — Neben ihnen steht der Platokopf, zu dem 
man sich eine sitzende Figur hinzuzudenken hat. Was würde 



— 221 — 

das für ein Gegenstück zum Moses von Michelangelo geben! Der 
eine ganz antikes heiter ernstes Sinnen, der andere ganz eiserner 
Wille; hier alle Kraftl'ülle in vornehmer Ruhe, dort in höchster 
Anspannung. . . . 

Gestern, Sonntag, fuhren wir zu viert nach Pozzuoli, jenseits 
des Posihp, ein wunderschöner Golf, an dessen rechter Seite das 
berühmte Kap Misenum vorspringt und dahinter Ischia. In 
Pozzuoli ist viel zu sehen: Reste eines großen Amphitheaters 
und Serapistempels usw. Es muß früher eine bedeutende Stadt 
gewesen sein, die große Handelsverbindungen hatte und ein Haupt- 
mittelpunkt der Juden war. Daß Paulus hier landete, wird in 
der Apostelgeschichte erzählt. Jetzt hat es immerhin noch 
14 000 Einwohner und die Gräber von Pergolese und Leopardi, die 
wir eigentlich hätten aufsuchen sollen! Besonders interessant ist 
es freilich dadurch, daß die ganze Gegend sehr vulkanisch ist 
und teilweise aus erloschenen Kratern besteht, die mit dem Vesuv 
noch in Verbindung stehen. Einen solchen Krater, die Solfatara, 
besichtigten wir. Es wächst jetzt junges Buschwerk darin, aber 
wenn man einen großen Stein kräftig auf den Boden wirft, so 
dröhnt es hohl und unheimlich. Aus einer Spalte qualmen fort- 
während heiße Schwefeldämpfe in dicker Wolke und in ihrer 
Nähe dampft es überall zwischen dem Gestein. Der Sand ist 
schon in der Tiefe von einem Fuß so heiß, daß man ihn mit Mühe 
in der Hand behält. An einer Stelle quillt heißes, brodelndes 
Wasser aus dem Boden. 

Unser Führer war ein netter Mann, der sehr gut enghsch 
und französisch sprach, auch ein wenig deutsch, und das alles 
nur durch den Verkehr mit Fremden. Auch in anderer Be- 
ziehung ein überaus aufgeweckter und talentvoller Mann, der 
dabei sehr bescheiden und nichts weniger als geldschneidrig war, 
d. h uns gegenüber; von reichen Engländern oder Amerikanern 
ließ er sich tüchtig bezahlen, versicherte er uns selbst. Das Volk 
ist nicht nur unendlich begabt, sondern auch so gut und taktvoll, 
daß man kaum begreift, wie es zum Teil hat so herunterkommen 
können. Aber es hebt sich, wie alle sagen, mit Macht, fast zu- 
sehends. Er führte uns zu Leuten, bei denen wir Wein be- 



— 222 — 

kommen konnten, die aber eigentlich keine Wirtschaft haben, 
nnd da fanden wir es wunderhübsch, die Mädchen hübsch, klug, 
sittsam, die Alte fein in ihrem Wesen und alles so ordentlich 
und sauber, wie wir es nicht in Italien und am wenigsten 
bei Neapel erwartet hätten. Freilich sei diese Familie eine Aus- 
nahme, versicherte uns der Führer. 

Für die „Hundegrotte" wurde es zu spät und zu kalt! Ich 
war froh, mein Plaid mitgenommen zu haben. Das Laub der 
Bäume hat seit acht Tagen gar keine Fortschritte gemacht! 
Hoffentlich wird's nun anders. Im Laufe der Woche gehe ich 
jedenfalls nach Pompeji und Pästum und wahrscheinlich auf den 
Vesuv. Briefe sendet bitte ausschließlich hierher und zwar poste 
restaute. 

Mit vielen Grüßen an die Tanten 

Hans. 



Pompeji, den 3L April. 
. . . Am Mittwoch, den 25. leuchtete zum erstenmal wieder 
ein strahlend schöner Morgen, und es wurde der schönste Tag, 
den ich in Neapel hatte. Schon am Abend zuvor war's herrlich 
gewesen, Gildemeister und ich hatten einen langen Spaziergang 
am PosiKp entlang gemacht, ein Weg, der mit seinen Villen und 
der sich allmählich hebenden Chaussee an das Eibufer bei Oth- 
marschen erinnert. Freilich ist die felsige Küste unten, an der 
das blaue Meer sich schäumend bricht, ein ganz Teil schöner als 
unser sanfter Strand, und das jenseitige Ufer mit seinen schönen 
Berglinien, dem Vesuv in der Mitte nicht mit unsern mattherzigen 
Marschinseln und den Harburger Bergen zu vergleichen. Wir 
waren reichlich spät fortgegangen, erreichten das äußerste Ende 
des Vorgebirges daher nicht, da es bereits ganz dunkel war und 
hatten auf dem Rückweg den Genuß des flimmernden Mondlichtes 
auf den zierlich gekräuselten Wellen, alles licht und zart, wie 
wenn man durch einen weißen Schleier sähe, und wie selige 
Tränen zogen weiße durchsichtige Wölkchen langsam feierlich 
dahin . . . Am nächsten Morgen hatte ich zum erstenmal keine 



— 223 — 

rechte Lust ins Museum zu gehen und ließ mich gern bestimmen, 
mit Friedrich nach S. Martine hinaufzusteigen. San Martino 
ist das große Camaldulenserkloster oberhalb der Stadt, zu Füßen 
des gewaltigen Kastell St. Elmo, welches die ganze Gegend be- 
herrscht und der schönste berühmteste Aussichtspunkt ist. Das 
Kloster ist aufgehoben und in Museumsräume umgewandelt. 
Soldaten machen, wie überall hier, die Führer und Custoden. 
Wie leicht die Italiener sich ihre schlechten Angewohnheiten ab- 
gewöhnen lassen, sah ich auch hier. Ich habe wohl schon er- 
wähnt, daß in den Museen hier per Anschlag bekannt gemacht 
wird, die Angestellten dürfen keine Trinkgelder annehmen. 
Bisher hatte ich auch nie Veranlassung gehabt, trotzdem eins 
anzubieten. Heute hielten wir es doch für passend, unserm 
freundlichen Führer an einer unbelauschten Stelle eins zuzustecken, 
aber er nahm es absolut nicht an — nur eine Zigarre. Würden 
unsere Soldaten, namentlich unsere Unteroffiziere ebenso heikel 
sein? und wenn sie es ausnahmsweise wären, würden sie bei aller 
Entschiedenheit des Zurückweisens so natürlich und freundlich 
bleiben, ohne im mindesten mit ihrer Gewissenhaftigkeit zu 
protzen? — Überhaupt gefällt mir das italienische Soldatenleben. 
Im Hof des Castel nuovo — welches trotz seines Namens den 
ältesten, ßchwarzgeräuchertsten Eindruck von allen Bauten Neapels 
macht, auch von Carl von Anjou erbaut ist — habe ich eines 
abends die Soldaten mit Vergnügen beobachtet. Da waren keine 
Strafapells und dergl. Schindereien wie bei uns, und sonst alles 
öde, weil die Leute gleich nach beendeter Dienstzeit ihrem Kerker 
entfliehen, sondern in bescheidener Fröhlichkeit bewegten sie sich 
in ihren weißen DriUichanzügen, turnten, spielten Ball, besonders 
auch Boccia, manche saßen unter einem schönen Renaissance- 
Portal und lasen, einer überhörte den andern — genug, es 
herrschte ein ganz anderer Ton als ich erwartet hatte. Die 
Offiziere dagegen gefallen mir hier nicht; überall sitzen sie 
herum, spielen Karten und machen einen recht langweiligen 
Eindruck. 

Doch zurück zu S. Martino. Die Aussicht ist wirklich über- 
raschend schön. Durch zahllose Höfe und Gänge geführt, wird 



— 224 — 

man von seinem Führer mit einiger Geheimnistuerei in eine 
dunkle Ecke postiert, bis er beide Fensterflügel weit geöfinet hat; 
aber tritt man dann vor und auf den Balkon hinaus, so hat man 
ein Panorama vor und unter sich, welches sicherlich seines- 
gleichen nicht hat. — Hier Mönch zu werden, hat gewiß etwas 
Verführerisches für solche, die den Trubel der Stadt unten satt 
haben. In vornehmer, behaglicher Ruhe fließt einem hier das 
Leben hin. Von Kasteiung des Leibes und der Seele ist keine 
Rede, denn die Kreuzgänge schimmern von schneeweißem Marmor 
wie ein Feenschloß, und Kirche, Sakristei und Kapitelsaal haben 
die reichste Vergoldung, Holzvertäfelung, die prächtigste farbige 
Marmorinkrustation, die ich gesehen habe. Die Malereien sind 
von Ribera und anderen Meistern jener Zeit, und in Terrassen 
umgibt das Ganze ein Labyrinth schattiger Gänge, zwischen 
Wein-, Orangen-, Feigen- und Rosenlauben. Auch die Ab- 
geschiedenheit von der Welt ist nicht groß. Man sieht die 
Menschen zu seinen Füßen ganz deutlich markten, laufen und 
fahren und kann das Ein- und Auslaufen der Schiffe besser kon- 
trollieren als irgend einer unten im Hafen. Sogar das Getöse 
der großen Stadt hallt ganz deutlich herauf, nicht wie dumpfes, 
undeutliches Gemurmel, sondern wie lebensfrohes, mannigfaltiges, 
ich möchte sagen farbiges Geschrei. . . . 

Im Museum ist viel Sehenswertes: goldne Prachtkarossen, 
Sänften, Ruderboote, prachtvolle Stühle und Stickereien, alles 
aus dem 17. oder Anfang des 18. Jahrhunderts, wie der ganze 
Bau, alles überaus kostbar und reich, aber trotzdem von feinem 
edlem Gefühl, nicht unwürdig-pomphaft, sondern der prangenden, 
verschwenderischen Natur entsprechend. Ferner gute Samm- 
lungen von venezianischem Glas, Porzellan und Majoliken, meist 
Abruzzer Ware. . . . 

Neben dem Kloster ist eine Kneipe, in der man in ofi'ener 
Rosenlaube guten Wein und kalte Küche bekommen und dabei 
ziemlich dieselbe Aussicht wie vom Kloster genießen kann. Als 
Abwechslung liebe ich die fast schattenlosen Städteansichten in 
voller ]VIittagsglut. Neapel lag da wie ein leuchtendes blendendes 
Meer, alle Häuser sind weiß, rosa oder gelb gestrichen, schöne 



— 225 — 

architektonische Formen sind so gut wie gar nicht vorhanden, 
die zahlreichen Kuppeln alle gleichartig, oft von farbigen glasierten 
Kacheln bunt erglänzend; das Meer spiegelglatt und blendend 
schön blau; ein größeres Schiff, welches auslief, hinterließ eine, 
noch ^i\ Stunde deutlich erkennbare, glänzende Furche, der Vesuv 
qualmte seine weiße Wolke leise in die Höhe, wie halb im Schlaf, 
auch der Lärm in den Straßen verstummte, und selbst der 
dumpfe Ton einiger Salutschüsse von der großen englischen Fre- 
gatte, die hier ankert, stimmte zu dem prächtigen Mittagsakkord, 
in dem alles zusammenklang. . . . 

Sehr nett sitzt es sich Abends vor der Tür der Cafes, wo 
ein buntes Treiben herrscht, vis avis das große Theater San Carlo, 
in stattlichen Verhältnissen im Empirestil erbaut und ringsum 
ein Gewirr von Equipagen, Omnibussen, Fiakern und Verkäufern 
aller Art. Vor dem Cafö eine dichte Reihe von Neugierigen und 
Lungerern aller Art: Zeitungs-, Zigarren-, Zündhölzer-, Orangen- 
verkäufer, Blumenmädchen in seidnen Kleidern und zierlichen 
Schürzen usw. . . . Von Zeit zu Zeit huscht dann ein ganz zer- 
lumpter, barfüßiger Bengel, leise wie ein Geist, ins Caf6 hinein, 
um unter Tischen und Bänken Zigarrenstummel aufzusuchen, wie 
ein scheues wildes Tier duckt er sich, sobald einer der schön- 
frisierten Kellner kommt, um ihn an die Luft zu setzen, sonst 
kümmert sich niemand um ihn, noch er sich um irgendeinen. 
Selten sah ich den Gegensatz zwischen reich und arm so schroff 
nebeneinander, aber in der schönen Natur beleidigen sie weniger 
als bei uns. 

Nachholen muß ich noch, daß ich zweimal im Theater war. 
San Carlo ist meines Wissens das größte der Welt und erinnert 
am meisten au das Münchner. Es hat keinen Kronleuchter, nur 
Seitenlicht, was sehr schön ist. Der Stil ist der, mir nicht un- 
angenehme, aus dem Anfang des Jahrhunderts, kalt und ungraziös, 
aber reich und vornehm; der Vorhang sogar ganz gut kompo- 
niert, die einzelnen Figuren freilich herzlich schlecht. — Es war 
ganz voll, und ehe die Ouvertüre begann, eine so feierliche Stille, 
als ob die goldnen, märchenhaften Anfangsakkorde der Lohengrin- 
Ouvertüre erklingen sollten. Aber es war nur Robert der Teufel, 

Schapire, Hans Speckters Briefe. 15 



— 226 — 

ein schrecklich langweiliges Machwerk, ohne eine Melodie oder 
Situation, die das Herz wirklich ergreifen könnte. Außerdem 
wurde noch herzlich falsch gesungen, so falsch, daß es selbst mir 
oft in der unerfreulichsten Weise auffiel; die Italiener mit ihren 
sehr empfindlichen Ohren, die im Theater nichts anderes als 
fehlerlosen Wohlklang wollen, gerieten ganz außer sich und voll- 
führten stellenweise einen solchen Höllenlärm des Entsetzens und 
Unwillens, wie ich ihn ähnlich nie gehört habe. Besonders der 
arme Teufel kam schlecht weg und wußte vor Verlegenheit oft 
nichts anzufangen. Die Primadonna dagegen sang und spielte 
vorzüglich, war sehr hübsch und graziös, namentlich auch in der 
Art wie sie den Mund öffnete, was man selten sieht. Deko- 
rationen glänzend und malerisch, Kostüme prächtig aber dumm, 
teilweise Ritter ä la Motte-Fouqu6. Im ganzen amüsierte mich 
das Publikum mehr als die Vorstellung, zuletzt wurde ich sehr 
müde und harrte nur deshalb bis zum Schluß aus, weil ich er- 
wartete, daß Robert mit vielem Jux zur Hölle fahren würde. — 
Das nächste Mal feierte ich einen rechten nationalen Triumph: 
Alda: Denn kann man mehr verlangen, als daß der Haupt- 
musiker Italiens sich in seinen alten Tagen zum Wagnerianer 
bekehrt hat und so verjüngt noch einmal in ganz Europa und 
besonders in seinem eigenen Vaterlande Lorbeeren erntet. Die 
Vorstellung war vorzüglich, die Ausstattung überaus glänzend, 
geschmackvoll und von A bis Z ein großer, reiner Genuß , . . 

Am Donnerstag war wieder trübes regnerisches Wetter, und 
ich den ganzen Tag in Kirchen, Museum usw. Abends ^/^l 
fuhren wir drei nach Pompeji. Das dauert etwa so lange wie 
von Hamburg nach Bergedorf aber mit drei oder vier Unter- 
brechungen in Portici, Torre del Greco und anderen kleinen 
Nestern. Der Weg führt am Ufer entlang und ist bei jedem 
Wetter schön. Als wir in Pompeji ankamen, war es Nacht; ein 
kalter Wind pfiff über die staubige Chaussee, die vom Bahnhof 
zu II Sole führt. Pompeji besteht eigentlich nur aus drei Wirts- 
häusern, von denen II Sole am weitesten entfernt liegt und 
einigen kleinen Läden für Tabak, Kolonialwaren usw., die sich 
allmählich dort niedergelassen haben. . . . 



— 227 — 

Am nächsten Morgen trieb es uns nach Pompeji und am 
folgenden Tag sollten wir nach Pästum. — Was soll ich über 
Pompeji schreiben? Ihr wißt ja durch hunderterlei Beschrei- 
bungen wie es ist. Nur so viel, daß Künstler auch hier freien 
Eintritt haben und ohne Führer in den öden Straßen und leeren 
Häusern umherstreifen dürfen wie sie wollen. Die Ausdehnung 
der Stadt überraschte mich und zuerst findet man sich schwer 
zurecht. Bald aber erscheint es einem so selbstverständlich von 
der Strada decumana wieder in die Strada anguillara einzu- 
}>iegen und den alten Rufus zu besuchen — als wenn man in 
Hamburg auf den Neuenwall zu Murck & Co. ginge! Von Tag 
zu Tag wird es interessanter und das Leben der früheren Ein- 
wohner gestaltet sich deutlicher und lustiger. Die Phantasie 
empfängt fortwährend neuen Stofi"; ich glaube freilich, mancher 
Fremde sieht nur das, was noch da ist, während das was nicht 
mehr da ist, doch das Interessantere ist. Gewiß sind auch die 
vorhandenen Überreste noch zahlreich und herrlich, und meine 
Neigung zu dekorativer Ausschmückung wächst täglich. 

Am Sonnabend morgen fuhren wir mit der Bahn nach Eboli 
und von hier in zwei Wagen nach Pästum. Wir waren, da sich 
noch zwei andere Architekten, ebenfalls Schwaben, uns an- 
geschlossen hatten, neun Personen. Die Gegend ist lieblich, aber 
hat wiederum ziemlich allgemeinen (deutschen) Charakter, und durch 
nichts als die Landkarte wurden wir daran gemahnt, daß dies 
der südlichste Punkt unserer Reise auf dem italienischen Fest- 
land war, vielleicht der südlichste Punkt, den ich überhaupt in 
meinem Leben erreicht habe. Längs der Bahn stellenweise wilde 
Rosenbüsche in voller Blüte. . . . Bei Salerno und Vietri sieht 
man das Meer v^deder in vollster Schöne. . . . Von Eboli ist nichts 
weiter zu erwähnen, als daß wir nach längerem Handeln zwei 
gute Zweispänner nach Pästum mieteten. Ich saß auf dem Bock; 
des Weges Reize bestanden hauptsächlich im Sonnenschein und 
üppigem Frühlingsgrün des hohen Gebüsches. Nachher wird's 
flach, große Disteln, auch Akanthus bedecken den Rand des 
Weges. Nach zwei- bis dreistündiger Fahrt ist man endlich 
angelangt. Die Gegend entsprach meinen Erwartungen nicht. 

15* 



— 228 — 

Es ist weniger einsam als ich geglaubt hatte; einige ziemlich 
moderne kleine Häuser, grell bemalt, beeinträchtigen die Land- 
schaft sehr. Überhaupt dürfte keine Chaussee nach Pästum führen, 
geschweige denn ein Portierhäuschen dastehen, bei dem man 
Entree bezahlt, resp. seinen Permesso vorzeigt. Platens Hexa- 
meter schildern alles weit großartiger als es sich jetzt zeigt; das 
Meer kommt weniger zur Geltung. Wie herrlich klingt das: 

„Mitten im Heidegefild und zunächst an des Meers Einöde'* 

Nur das eine stimmte „flatternde Raben" ziehen geschart jetzt 
über das offene Dach laut kreischend. 

Der Tempel selbst ist durch Photographien und Bilder ge- 
nügend bekannt. Es bleibt aber ein eigenartig anziehendes Ge- 
fühl, wirklich zwischen diesen kolossalen Säulenschäften herum- 
zuklettern, die vor fast 2500 Jahren hier errichtet wurden und 
heute noch fest stehen, als ob sie bis an den jüngsten Tag aus- 
dauern würden. Der Tempel hat sich inzwischen unter die Meeres- 
fläche gesenkt und wieder emporgehoben (Bohrmuscheln finden 
sich bekanntlich bis oben hinauf) — das alles hat dem Bau nichts 
getan. Und die goldigbraune Farbe des Gesteins! die durch 
Oxydieren der Metall teile des Lavatuffs (aus dem er errichtet ist 
erklärt wird. Die beiden andern Tempel daneben sind lange 
nicht so schön und gewaltig, weder in Farbe noch in Form. 

Der Boden war mit üppigem Gras bedeckt, voll schöner 
bunter Blumen, von denen die meisten auch bei uns vorkommen. 
Im Sommer, wenn das alles verdorrt ist, ist's gewiß malerischer. 
Außer uns waren ziemlich viel Fremde da; jeder pflegt sich etwas zum 
Essen und Trinken mitzunehmen, Eier- und Orangenschalen, 
Butterbrotpapiere, leere Flaschen und Scherben bedecken infolge- 
dessen den heiligen Boden und seine nächste Umgebung! . . . 

Dann ging's, da man nur P/a bis 2 Stunden Zeit hat, in die 
Wagen und an die etwas nähere Station Battipaglia. Von hier 
nach Salerno, der alten Hauptstadt von Robert Guiscards Nor- 
mannenreich, mit der ältesten und berühmtesten aller Universitäten. 
Es zählt jetzt noch 30000 Einwohner und liegt herrlich am Meer, 
„wie ein kleines Genua*' meinten die, die letzteres kannten. Die 



— 229 — 

breite Hauptpromenade längs des Meeres war belebt, und eine 
Militärkapelle spielte lustige Weisen. Boote nach Amalti gingen 
nicht mehr; überall herrschte schon Sabbatruhe, das Kaufen und 
Markten war verstummt oder ebbte ab. . . . Am Abend gingen 
wir lange am Strande auf und ab; der Mond war herrlich auf- 
gegangen, versteckte sich freilich später hinter dunklen Wolken; 
schließlich gingen wir noch durch allerlei dunkle, nach Orangen- 
bliiten duftende, steile Straßen in die Stadt, um uns über die 
Lage des Doms zu orientieren, , . . 

Nachdem wir noch lange auf unserem Balkon gesessen und 
die himmlisch stille, milde Abendstimmung eingesogen hatten — 
auch der Mond hatte sich wieder durch die Wolken hindurch- 
gekämpft — schliefen wir in den prächtigen Himmelbetten vor- 
züglich und waren auch am audern Morgen früh und frisch zu- 
gange. Als ich ins Speisezimmer trat, saß Thiersch am Klavier 
und spielte bei offenen Fenstern deutsche Volkslieder in seiner 
talentvollen empfundenen Weise, die mich mehr erfreut hat als 
viele, vielleicht besser geschulte Leistungen. . . , Erst halb acht 
gingen wir aus dem Hotel fort, nicht ganz einig, ob erst der Dom 
besehen oder gleich nach Amalti aufgebrochen werden sollte. , , . 
Thiersch, Gildemeister und ich besichtigten erst den Dom; vieles 
von seiner alten Grundform ist erhalten, manche römische Sarkophage 
und Säulenschäfte, maurisch überragte Rundbögen usw. Das Grab 
Gregors VII,, der hier auf der Flucht vor Kaiser Heinrich starb 
und begraben wurde, ist durch Pius IX. renoviert worden, mit 
all dem süßlichen Pomp des modernen Katholizismus. Ob es 
dem starren, eiserneu Hildebrandt wohl gefallen würde, wenn er 
es sähe? . . . 

Rom, 15. Mai 1877. 
Liebe Mutter! 

Da wäre ich also wieder in Rom und sogar wieder in Vicolo 
Avignonesi bei meiner freundlichen Signora Stefanini mit dem 
edlen matronenhaften Kopf und den leuchtenden blauen Augen ! . . . 

Rom macht einen recht herzlich langweiligen kleinstädtischen 
Eindruck, wenn man aus dem großen Neapel kommt. Obendrein 
herrscht noch brütender Schirokko ohne Wind, selbst ohne wirk- 



— 230 — 

liehen hellen Sonnenschein. Ich empfinde Reue, daß ich nicht 
noch länger in Neapel geblieben bin, so gründliche Sehnsucht 
habe ich danach. . . . Die fünf Wochen waren wie ein seliger 
Rausch, dem der Katzenjammer notwendig folgen mußte. Wirk- 
lich, man redet noch lange nicht genug von Neapels Schönheit! 
wenigstens nicht im Vergleich zu Rom und Florenz: 

„Florenz, dir fehlt das, was Rom hat, und diesem just, was du 

besitzest, 
Wäret ihr beide vereint, wär's für die Erde zu schön." 

Dieser und ähnliche etwas minder schlechte Verse scheinen ganz 
zu vergessen, daß es auch noch einen Golf von Neapel auf der 
Welt gibt! Für mich ist die Wahl ganz leicht, und der Streit 
zwischen Pallas (Elorenz) und Juno (Rom) um den Preis der 
Schönheit im Nu entschieden, sobald Frau Venus, dem Meer ent- 
stiegen, auf den Kampfplatz tritt. Da können die beiden andern 
nur gleich einpacken. Wasser! Wasser! schreit mein Auge hier. 
Was nutzt es, daß der Triton auf der Piazza Barberini seinen 
Strahl heute ebenso hoch und schlank in die Luft speit wie 
sonst? was selbst die Fontana Trevi, aus deren mächtigen Stein- 
muscheln es schäumend herabtrieft, weithin Kühlung verbreitend? 
Das scheint mir nur armselige, kleine Menschenspielerei, nachdem 
ich jetzt vier Wochen lang täglich das ewige Meer gesehen und 
seinen Duft geatmet habe. Wirklich, ich freue mich schon jetzt 
auf das viele Wasser bei uns! ... Zu dem großen Hauptrennen 
um den höchsten Schönheitspreis können überhaupt nur die Städte 
am Meer zugelassen werden, dächte ich: Genua, Venedig, Stock- 
holm, New York, Rio, Konstantinopel usw. — sie alle kenne ich 
nicht, so wird mir die Wahl leicht. Aber gleich hinter Neapel 
kommt für mich Hamburg. 

Sehr oft wurde ich an die Heimat erinnert. Die breite, platz- 
artige Straße vor unserem Hotel Milano kann ich z. B. gar nicht 
besser beschreiben, als indem ich sie mit unserem Spielbudenplatz 
vergleiche. Nicht so lang und nicht so breit, aber Tag für Tag 
von morgens bis spät in die Nacht hinein ein Treiben wie auf 
St. Pauli an schönen Sonntagnachmittagen. Die eine Schmalseite 



_ 231 — 

öffnet sich gegen das Meer und geht in den oft genannten Molo 
über, jenen großen Steindamm, der sich weit ins Meer hinaus- 
schiebt, damit sich die Wellen an ihm brechen und die Schiffe 
vor der Brandung geschützt sind. An seinem Ende steht der 
Leuchtturm, leuchtendrot angestrichen. Das Treiben der Schiffe 
um den Molo entsprach meinen Erwartungen nicht ganz, über- 
haupt kann sich der Hafen nicht annähernd mit unserem messen. 
Die meisten Fahrzeuge hier sind doch nur mittelgroße Dinger 
— etwa Schoner. Als wir ankamen, lag noch die italienische 
KriegsHotte vor Anker, wenigstens ein großer Teil derselben, 
später eine englische Fregatte, zuletzt ein großer deutscher Dampfer, 
neben diesem fiel die Mehrzahl der Schiffe sehr ab. — Die Vor- 
leser auf dem Molo schildert Onkel Erwin ja ausführlich — er 
hat es sogar gezeichnet. Ich sah immer nur einen, der seiner 
Schilderung am meisten entspricht. Die malerische Gruppierung 
auf der Brüstung hat aufgehört, die Zuhörer sitzen jetzt auf 
Bänken, ganz langsveilig anständig, in Reih und Glied, andere 
stehen dahinter. Das Lesen ist wohl noch dasselbe wohllautende 
und schöuakzentuierte, zwischendurch schnelle, klanglose Er- 
klärungen in Prosa. Das Buch alt und schwierig und immer 
noch Orlando Furioso. Auch die schweigende Aufmerksamkeit 
der Versammlung hat sich nicht verändert. Ich weiß nicht, spricht 
es mehr für die Gewalt der Poesie oder für den idealen Grund- 
charakter des Volkes, daß diese wilden Gesellen, die manche für 
den Auswurf der Menschheit erklärt haben, stundenlang ohne zu 
mucken, den Versen Ariosts zuhören — ohne dabei Tabak zu 
kauen oder Bier und Schnaps zu saufen. Versuche man das 
einmal bei uns! Das bißchen Lesen- und Schreibenlernen, um 
das unsere Nation den übrigen überlegen ist, tut's doch wahrhaftig 
nicht. Die wahre Bildung liegt ganz wo anders, und trotz aller 
jahrhundertelanger Verwahrlosung erscheint mir das italienische 
Volk doch immer noch als das zivilisierte und das unsere als die 
Barbaren. In den höheren Klassen stellt sich dann freilich das 
Verhältnis ganz anders: der Unterschied der Stände ist in Italien 
äußerlich wie innerlich weit geringer als bei uns. 

Einen Ort freilich weiß ich, wo auch bei uns die Poesie ihre 



— 232 — 

Macht über die unteren Klassen zeigen würde: die Kaserne. 
Läse man dort am Abend den Leuten aus Schiller oder Körner 
vor, statt ihnen von brutalen Unteroffizieren alberne Ordens- 
unterschiede u. dgl. eintrichtern zu lassen, gewiß viele Avürden 
ebenso begeistert mit leuchtenden Augen zuhören, wie die neapoli- 
tanischen Schiffer am Molo — aber ein derartiger Vorschlag 
würde au maßgebender Stelle mit Achselzucken in das Gebiet 
des sentimentalen Blödsinns verwiesen werden! 

Ich las eben Onkel Erwins Beschreibung des Molo wieder. 
Wirklich, die ist vortrefflich! so anschaulich und wahr und reicher 
als ich die Wirklichkeit sah! Noch genialer fast und treffender 
zeichnet er den Vesuv: „Ich glaubte wirklich jetzt zum erstenmal 
einen Berg zu sehen. Wahrhaft idealisch könnte man diesen 
Berg nennen ; in einfachen großen Formen, wie eine schöne kühne 
Phantasie sich einen Berg erschaffen würde, wo alle Zufälligkeiten, 
die der Zeitenwechsel hervorgebracht hat, wegfallen, so steht 
dieser ewig dampfende Altar da." 

Ja, ja, die Krone von allem Gesehenen bleibt eben Neapel 
selbst, so schön alles andere, Amalfi, Sorrent, Capri usw. usw. 
auch war; obgleich ich es schon gut genug kannte, erschien es 
mir wieder wie eine Steigerung, als wir, zurückgekehrt, abends 
am Ufer von Santa Lucia auf und ab gingen, den kühlen Meeres- 
duft atmeten, der tolle Großstadttrubel rings umher Auge und 
Ohr verwirrte, und hinten der Vesuv sein riesig aufgetürmtes 
W^olkengebirge feierlich schweigend in den klaren lichten Äther 
hinaufqualmte, nur er noch von der Sonne dunkelpurpurn an- 
gestrahlt, und seine Wolke so blendend goldigrot, daß man nicht 
lange hineinsehen konnte! 

Und doch war das Allerherrlichste noch zurück: Camaldoli, 
und ich fühlte mich abermals als rechter Glückspilz, daß das 
zweifelhafte Wetter uns gehindert hatte, den Ausflug früher zu 
machen als am vorletzten Abend. Wir, Gildemeister und ich, 
waren am Morgen im Museum gewesen, stiegen erst gegen Mittag 
in ziemlicher Gluthitze nach San Martino hinauf . . . und früh- 
stückten lange in der nahegelegeneu, malerischen kleinen Kneipe. 
Ich hatte noch mancherlei da oben skizzieren wollen, aber dazu 



— 233 — 

war keine Zeit mehr: wir konnten nur noch einmal alles durch- 
gehen und repetieren, und trotzdem war es zirka \ .,5 als wir 
nach Camaldoli aufbrachen, nach ^2*^ ^^^ ^^'^^' ^^^ berühmte 
Kloster über uns aus dem lichten Grün hervorblicken sahen. Der 
Weg führt langsam bergan. . . . Junge, zartbelaubte, schlanke 
Bäumchen, meist Kastanien, Hecken von Weißdorn und goldenem 
Ginster und Frühlingsblumen aller Art zwischen dem üppigen 
Gras, 80 daß uns ganz deutsch-pfingstlich zumute war. Auch der 
Duft von frischem Moos und frischgcf älltem Holz, vor allen Dingen 
der ungewohnte fröhliche Gesang zahlreicher Vögel, Finken und 
Nachtigallen vermehrte diesen Eindruck. Oben muß man an 
verschiedenen Pforten verschiedene Trinkgelder zahlen, an der 
dritten wird man endlich von dem Camaldulenserbruder in seiner 
weißen Kutte in Empfang genommen und ist nun am Ziel. Das 
Kirchlein und die regelmäßig angelegten Häuschen der Mönche, 
jedes mit einem Gärtchen davor, sahen wir kaum, sondern gingen 
sogleich zu dem berühmten Aussichtsplatz und von dort auch 
nicht wieder weg, bis die Sonne untergegangen war. Diesen 
schönsten Platz der Welt zu beschreiben, ist eigentlich kaum 
möglich. Was man von dort aus sieht, könnt ihr in Onkel Er- 
wins Briefen nachlesen; aber man fragt eigentlich gar nicht 
nach dem Namen und der Bedeutung der Dinge da unten, man 
sieht wie Christus auf dem Berge der Versuchung: die Welt in 
all ihrer Herrlichkeit. Das geht weit über die idealste Ideal- 
landschaft, die sicli ein Claude Lorrain oder Gott weiß wer sonst 
ersinnen könnte und ist doch Wirklichkeit! Man begreift es 
kaum, wie der Schöpfer, der hier etwas so Vollkommenes gemacht 
hat, andere Strecken mit so liebloser Nonchalance behandeln 
konnte. Dagegen tritt jedes Menschenwerk bescheiden zurück! 
Ich glaube fast, wenn hier die schönsten Antiken stünden, man 
würde sie kaum beachten, vielleicht würden sie sogar stören; das 
schlichte Holzkreuz, welches hier zwischen dunklen Eichen und 
Lorbeeren aufragt, wirkt ebenso schön. Das ist nämlich das 
Herrliche dieses Ortes, daß man hier nicht nur Fernsicht hat, 
sondern daß der Vordergrund derselben völlig ebenbürtig ist. 
Da steht zunächst eine große Steinbank, üach, halbkreisförmig, 



— 234 — 

drei Stufen führen hinan. Hier pflegten die Mönche zweimal 
wöchentlich, wenn ihnen gestattet war, zu reden, sich zu ver- 
sammeln. Einige hohe, dichtbelaubte Steineichen stehen dahinter 
und beschatten sie von der Westseite, so daß die Abendsonnen- 
strahlen zwar die Herrlichkeit zu ihren Füßen bescheinen können, 
sie selbst aber nicht belästigen. Vor dieser Bank ein freier, 
luftiger Platz und dann am Abhang mittelgroße, schlanke Lorbeer- 
bäume und Steineichen, Sträucher und Bäume, in so wunderbar 
schönen Silhouetten, so raffiniert komponierte Durchblicke auf 
die Ferne gewährend, als ob Preller oder Schirmer und nicht 
die Natur selbst das so angeordnet hätte. Die lange Linie von 
Castellamare — Sorrent — Kap Campanello wird aufs geschick- 
teste unterbrochen, dann kommt ein weiter, freier Blick in die 
ewige Meeresflut, aus der Oapri wie die Insel der Seligen auf- 
taucht, noch weiter nach rechts die mannigfach ausgebuchteten 
Küsten von Pozzuoli mit Ischia, Nisida, Kap Misenum da- 
hinter usw., ganz fern aufdämmernd Gaeta — doch das gibt 
nur eine Namenaufzählung, bei der Ihr Euch nicht recht was 
denken könnt! — mir aber war das von so ganz besonderem 
Reiz, daß ich fast alles, was ich da tief unten sah, schon kannte ; 
all die Wege war ich gefahren oder gegangen, hatte hier dies, 
dort jenes erlebt, jeder einzelne Punkt war mir lieb und inter- 
essant geworden, und nun zum Schluß blickte ich noch einmal 
von seliger, vornehmer Höhe darauf herunter; alles einzelne ver- 
schwamm — ohne doch ganz unterzugehen — in dem einen 
großen Gesamtbild, wie in dem Schlußsatz einer Symphonie die 
Einzelmotive zu einer Gesamtmelodie ineinander klingen, wie die 
Erinnerung das Bild eines geliebten Menschen schön und ein- 
heitlich verklärt und alle störenden Einzelheiten und Zufällig- 
keiten zurücktreten. Hier zu sterben, muß gar leicht sein! Aber 
anders als in Tivoli denkt man hier an den Tod. Das Rauschen 
des Wassers dort erweckt die Sehnsucht nach dem stillen Frieden 
der Nacht, den unterweltlichen Flüssen der Vergessenheit und Ruhe; 
während man hier zu neuen, immer lichtem Höhen aufschweben 
möchte, der ewigen Klarheit entgegen. Mir fiel der Schlußvers 
von Geibels Herbstlied hier ein, in dem er dem Freunde wünscht: 



— 235 — 

Daß, wenn nach Lust und Leide 
Dies Herz einst brechen will, 
Wie dieser Herbst es scheide, 
So heiter, groß und still. 

Heiter, ^roß und still! Still war's hier oben auch. Kein 
Lüftchen regte sich, man hörte nur das helle Gebimmel der 
kleinen Osterglocke und den Gesang der Nachtigallen, die immer 
lauter schmetterten je später es wurde. Der Mönch war fort- 
gegangen, um uns Kaffee zu kochen, wir schwiegen meistens auch. 
Der eine lag im Gras, der andere auf der Bank und jeder war 
allein mit seinen Gedanken, Das Skizzenbuch herauszuholen, 
wäre ein recht geschmackloser Biereifer gewesen. — Als ich eine 
Weile über die Wipfel des waldigen Abhangs gegen Westen ge- 
sehen hatte und zur großen Steinbank zurückkehrte, war plötzlich 
der alte Bruder wieder da, den Kaffee neben sich und machte 
mir Zeichen des Stillschweigens: Gildemeister war eingeschlafen. 
Ich beneidete ihn recht um sein Erwachen. Aber die Schatten 
nahmen rasch zu, die Sonne sank ins Meer hinab; ehe der letzte 
Lichthauch vom Gipfel des Vesuv geschwunden war, gingen wir 
bergab, um uns das herrliche Abendbild nicht zu zerstören. Wir 
kamen natürlich im Dunkeln unten an, in einer Gegend der Stadt, 
die wir noch gar nicht kannten, so daß wir der Einfachheit halber 
einen Wagen nahmen, von dem aus uns das Treiben noch viel 
lustiger erschien. In dieser Straße existierte das Trottoir einfach 
gar nicht mehr für die Fußgänger, sondern nur noch für die 
Verkäufer, die ihre Tonnen mit Butter, Käse, Fischen, Äpfeln, 
Orangen, ihre Säcke mit Mehl und Gemüse, sogar bis in den 
Rinnstein und auf den Fahrweg aufgestellt hatten, und dabei war 
die Straße gar nicht breit und so belebt, daß oft zwei Wagen- 
reihen fuhren, die dann nicht durchkommen konnten, so daß es 
heftiges Schimpfen gab, aber nirgends Tätlichkeiten, und die 
Gendarmen immer gleich zur Stelle und niemals grob. . . . 

Abscheulich ist in Neapel alles, was mit Tod und Begräbnis 
zusammenhängt. Die Leichenwagen sind aus Gold; in diesen 
geschmacklosen, von plumpen Ornamenten strotzenden Omnibussen 



— 236 — 

steht der Sarg in der Mitte (oft eine simple Butterkiste), rings 
umher Sitze für die Geistlichen und die Angehörigen. Kräftige 
Pferde, vier bis sechs, meist schwarz und bisweilen prächtig mit 
weißen Federbüschen und kanariengelbem Netzbehang geziert, 
ziehen diesen bunten Flitterkasten in möglichst raschem Tempo, 
sobald sie vor dem Tor angelangt sind^ sogar in scharfem Trab 
hinaus. Draußen habe ich beobachtet, wie die Särge „abgeladen" 
wurden. Etwas Widerwärtigeres, in dem Maße aller Pietät 
höhnendes, habe ich nie gesehen. Echt Hogarthsch — freilich 
war es keine Leichenfeier, die finden vermutlich morgens 
statt, sondern nur die Fortschaffung der Leiche am abend. 
Viele dieser goldenen Wagen begegneten uns, alle gleicli fidel, 
namentlich die begleitenden Mönche, höchst unwürdige Schlingel 

— der Straßenjunge, der sich auf jeden Wagen hinten aufschwingt, 
noch das Beste. Vorher hatten wir den „Kirchhof der Armen" 
gesehen, das ist ein kahler, baumloser, viereckiger Platz, mit 
365 mäßig großen Grabplatten, die jeweilig nur eine Nummer 
tragen. Jeden Tag wird eine dieser Platten geöffnet und alles, 
was an jenem Tag in Neapel gestorben ist, gemeinsam ohne 
Sarg, hineingeworfen. Das geschieht abends um ^j^l. Der 
Küster forderte uns sehr freundlich auf, doch in einer Stunde 
wiederzukommen und es uns mit anzusehen. Heute seien es 
18 Stück. Sie werden in Bretterverschlägen aufbewahrt. Wir 
hatten aber schon genug am Transport der ,,reichen'' Leichen 
gehabt und schenkten uns diesen Anblick. Ist es nicht fürchter- 
lich geschmacklos und herzlos, eine solche Massenabfertigung zu 
dulden? Halb wilde, zerlumpte Kinder umstanden in schreck- 
licher Neugier die Kirchhofspforte. . . . Wie viel schöner wäre da 
Leichenverbrennung! Für große Städte ist es sicherlich das 
Richtige, sie einzuführen. Die Poesie des Erdgrabes geht leicht 
dahin, wenn die Entfernung des Friedhofs von der Stadt zu groß 
ist oder der Gräber zu viele werden. Der neue Kirclihof in Neapel 
ist berühmt wegen seiner Lage und schön angelegt, aber da sind 
ganze Straßen von kleinen Mausoleen entstanden, gleich bilUgen 
kleinen Villen in verschiedenen Teilen der Umgebung Hamburgs 

— ägyptische, griechische, am schlimmsten die gotischen, alle 



— 237 — 

mit Laternen, womöglicli mit Klingelzügen und „allem Komfort 
der Neuzeit" versehen — nein, macht das einen widerwärtigen 
Eindruck! — Zugleich will ich erwähnen, daß ich heute zufällig 
einem Requiem in der Academia di San Lucca heigewohnt habe, 
wahrscheinlich zu Ehren eines Professors der Akademie, und daß 
die Feier sehr schön war; der große, einfache, braune Marmor- 
katafalk, vier Dreifüße mit flackernden Kandelabern an den Ecken, 
wenig Hokuspokus der Geistlichen, sehr schöner Gesang und eine 
ernste, würdige Stimmung unter allen Anwesenden, zum erstenmal 
seit langer Zeit, daß mich die Formen der katholischen Kirche 
wieder erfreut haben. 

Einmal sah ich in Neapel auch einen Leichenzug zu Fuß. 
Da war eine riesengroße schwarze Decke über den Sarg gebreitet, 
reich mit ordinären, grellen Mustern bestickt, die bis tief auf die 
Erde hing, so daß man die Träger darunter nicht sehen konnte. 
Die Zipfel dieses Tuches wurden von weißen, vermummten Kerlen 
mit großen, hellgelben Panamahüten auf dem Kopf und Wachs- 
kerzen in den Händen getragen. Andere in derselben lächerlich- 
schauerlichen Uniform gingen hinterher. Die gleichen Leichen- 
wagen, die ich bereits erwähnte, haben meist bunte Laternen an 
den Ecken, um den kindisch widerwärtigen Eindruck zu vervoll- 
ständigen. 

Soviel davon! Zum Schluß wieder ein angenehmes kirch- 
liches Bild: Monte Cassino. Wir reisten am Montag früh um 
sechs von Neapel ab, bei herrlichstem frischen Morgensonnen- 
schein. Es herrschte ein so reges Treiben in den Straßen, 
daß wir ganz beschämt waren, es zum erstenmal so früh zu be- 
obachten. Wir waren nie vor sieben Uhr aufgestanden, da wir 
nie vor Mitternacht, oft weit später, zu Bett gekommen waren. 
Noch ein Blick auf das spiegelglatte, hellblaue Meer und die 
duftige Bergkette dahinter, dann verschwand der Wagen in den 
Gassen, die zum Bahnhof führten, und von der Bahn aus hat man 
keinen Bhck mehr auf die Herrlichkeit. Nur der Vesuv bleibt 
einem noch lange zur Seite und qualmt behaglich weiter. In 
Caserta stiegen wir aus, ^4 nach sieben. Caserta ist das Ver- 
sailles, das Nymphenburg Neapels: ein enormes Schloß, mit großen 



— 238 — 

zopfigen Parkanlagen dahinter, die Entfernungen so kolossal, daß 
wir ohne Wagen nicht alles gesehen hätten. . . . Von dem Park 
und Schloß zu Caserta kann ich nur sagen: ich habe es gesehen. 
Eindruck hat beides nicht auf mich gemacht, was ich auch nicht 
erwartet hatte. Der Park von Nymphenburg — von Wilhelms- 
höhe ganz zu schweigen — ist weit großartiger und schöner. 
Das Schloß ist von außen ganz schön und hat pompöse Hof- 
und Treppenanlagen, aber die Zimmer sind langweilig vornehm, 
aus dem Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts; eigent- 
lich war ich ganz froh darüber, denn ich habe das Besehen satt. 
Nur nach Monte Cassino stand noch mein Sinn. Der Weg dahin 
ist fruchtbar, ein förmlicher Garten! Korn, Maulbeerbäume, 
zwischen denen sich Wein rankt; von dieser dreifältigen Frucht- 
barkeit des Bodens ist ja schon oft die Rede gewesen. Um halb 
zwei Uhr waren wir in San Germano. Hoch zur Linken thront 
das berühmte Kloster. Wir hielten uns beim Essen und Hinauf- 
steigen länger auf als richtig war. Aber der Weg war hübsch 
und beschwerlich und zum mehrmaligen Rasten gar verführerisch. 
Erst um halb fünf waren wir oben. Durch schöne, eigentümliche 
Renaissancehöfe gelangt man in die Kirche, einen prächtigen, ganz 
guten Bau des 17. Jahrhunderts, voll farbigen Marmorschmucks 
und tüchtiger aber uninteressanter Bilder von Solimena, Luca 
Giordano usw. Ein freundlicher deutscher Bruder führte uns 
in allerlei Säle und Gänge zu verschiedenen „schönen Aussichts- 
punkten", die freilich nach Neapel und Camaldoli nicht recht 
schmecken wollten, und schließlich in's Archiv. Da gabs Urkunden 
aller Art, Autographen von Hildebrandt und der großen Mathilde, 
von allen mögUchen deutschen Kaisern, Fürsten und großen 
Kirchenlehrern. Dann wurden wir in die Druckerei geführt, jetzt 
eine Haupteinnahmequelle des Klosters, denn seine Einkünfte 
sind ihm genommen wie alle andern, und es muß sich selbst 
erhalten. Hier werden die handschriftlichen Schätze des Klosters 
gedruckt, z. B. die berühmte Danteausgabe. Auch die mittel- 
alterlichen Urkunden edieren sie in treuen Kopien (Farbendruck) 
und erhalten auf allen Weltausstellungen Preise dafür. Hier 
lernten wir auch einen deutschen Pater, einen Professor der 



— 239 — 

Philosophie kennen, der sich in liebenswürdigster Weise mit uns 
unterhielt. Er ist Rheinländer, Prussiano also, und sehr stolz 
darauf. Von Verbitterung gegen die Regierung keine Spur zu 
bemerken, ja er sagte ganz frei und ungeniert, daß es durchaus 
notwendig gewesen sei, viele Klöster aufzuheben, sie hätten nichts 
mehr getaugt. Er geriet bald mit Gildemeister in ein Gespräch 
über Schinkel und zeigte sich in dessen Werken ungemein be- 
wandert. Mit ihm gingen wir in die „Galerie des Klosters", die 
einige ganz gute Sachen enthält, aber davon sah ich nichts. Es 
war teils schon dunkel, teils interessierte mich anderes: hier 
wurden große Kartons gezeichnet, die in den unteren Räumen 
demnächst ausgeführt werden sollten, die Maler w^aren ebenfalls 
Deutsche: Pater Gregorius, Herr Lenz (noch nicht Pater aber 
schon das geistliche Gewand tragend) und einige Gehilfen, alle 
aus Bayern und Schwaben und zuletzt in Sigmaringen tätig, bis 
sie in ihren Arbeiten durch die Ausweisung unterbrochen wurden. 
Lenz, etwa 48 Jahre alt, hat lange in München gelebt und wußte 
sofort, wer ich war: Ottos Sohn und Erwins Neffe. Seine Sachen 
interessierten mich aufs höchste; besonders die kleinern Sachen, 
die uns der Gehilfe, ein guter schlichter, glücklicher Mensch von 
etwa 25 Jahren, der schon vor acht Jahren die Gelübde abgelegt 
hatte, zeigte, gehören zum allerschönsten, was ich von moderner 
Kunst gesehen habe. Eine großartige Einfachheit, eine Deutlich- 
keit in der Komposition und Silhouettierung! Ob die Aus- 
führung in Lebensgröße ohne Naturstudien, den Entwürfen ent- 
sprechen wird, ist eine andere Frage. Aber ich war ganz be- 
geistert von diesem wahrhaft ernsten Künstlerstreben, welches 
mit dem tiefsten und heiligsten Wollen des ganzen Menschen 
zusammenhängt. Und dabei ist der Mann ohne jede Affektation 
und Süßlichkeit! Auch nichts weniger als einseitig. Drei 
deutsche Künstler nannte er als die für ihn größten und das 
waren nicht etwa Overbeck, Steinle usw., sondern: Cornelius, 
Schwind, Ludwig Richter. Selten hat mich etw^as so erfreut, als 
dieser Ausspruch aus diesem Munde. Nachher, als wir im großen 
Refektorium zu Abend aßen, setzten die beiden Maler sich auch 
zu uns und schwatzten weiter. Vom Museum in Neapel waren 



— 240 — 

es wieder die schwarzen stilvollen Tänzerinnen aus dem Theater 
von Herculanum, die er als das Vorzüglichste allen jungen Malern 
zunächst zum Studium empfahl, und überhaupt seien in den 
frühen Epochen jeglicher Kunst, der ägyptischen, der griechischen, 
der christlichen die G-rundprinzipien der Schönheit am reinsten 
erkennbar. Ist es nicht traurig, daß das neue deutsche Reich 
solche Kräfte, solche Charaktere nicht brauchen kann, während 
charakterlose Schwätzer und Kriecher zu Ansehen kommen? 
Dieser Herr Lenz ist so ein echter, ganzer Kerndeutscher wie 
nur einer. Politisiert habe ich nicht mit ihm, etwas Verbitterung 
gegen die neue Wendung der Dinge wird ihm sicherlich inne 
wohnen. — Gar nicht ungern würde ich seinen Vorschlag, ihm 
später bei der Arbeit zu helfen, annehmen. 1880 soll alles fertig 
sein. Goldene Berge sind natürlich nicht dabei zu holen, denn 
sie, als Mönche, verdienen nichts dabei, nur ihrem Stammkloster 
muß Monte Cassino dafür bezahlen. Dieser Kommunismus des 
Klosterlebens, ohne daß doch irgendwie eine langweilige Gleich- 
heit oder ein Aufheben aller Standesunterschiede dadurch ent- 
stände, begeistert mich jedesmal aufs neue, und ich bin überzeugt, 
daß die Zukunft in ausgedehnter Weise darauf zurückkommen 
wird. Wie ganz anders würde man oft schaffen und arbeiten, 
wenn man aller Nebenrücksichten auf Erwerb und tägliches Brot 
enthoben wäre, wenn man sich ganz eins wüßte mit anderen 
gleichgesinnten Freunden, einem großen heiligen Zweck dienstbar. 
Freilich, nur die Kirche kann in dieser Weise alle Kräfte für 
sich in Anspruch nehmen und wir, die wir keine Kirche mehr 
haben, sind übel daran. Daher verstehe ich's auch ganz gut, 
daß so viele, die die Schäden der Kirche ganz wohl einsehen, 
sich doch krampfhaft an sie klammern und alles in Bewegung 
setzen, um ihren Zusammenbruch aufzuhalten. Trotzdem wird 
ihnen das schwerlich viel nützen. 

Ganz deutsch wird einem hier in Monte Cassino zumute. 
Lauter deutsche Mönche, deutsche Urkunden, auch die Gegend 
ganz deutsch; der Abend bedeckt aber mild, die fernen Berge 
im dunkelblauen Duft, darüber der Himmel schwefelgelb, sonst 
alles grau, braun und friedlich dämmerig. Auf einigen Höhen 



— 241 — 

noch Schnee. Viel Schwalben schwirrten kreischend vor unseren 
Fenstern hin und her, in der Ferne schlug eine Nachtigall. An 
einer Stelle konnte man das Meer von Gaeta blitzen sehen. Es 
war zehn Uhr, als wir endlich mit Laternen hinausgeleitet wurden. 
Die Einhidung, zur Nacht dort zu bleiben, schlugen wir aus, um 
unserem Keiseplan treu zu bleiben. Bei hellem Sternenflimmer, 
von vielen (ylühwürmchen umschwärmt, zogen wir den steinigen 
Bergpfad hinab; unten lag das Städtchen so friedlich mit seinen 
freundlichen Lichtern wie ein Nest im Schwarzwald oder in 
Thüringen. Eine alte Ruine überragt es schwarz und ernst, 
etwa in halber Höhe des Klosters. Das Kloster selbst steht auf 
den Fundamenten eines Apollotempels. . . . 
Doch nun gute Nacht. 

Dein Hans. 



Eom, den 17. Mai 1877. 
Lieber Onkel Heinrich! 
. . . Ich bin jetzt wieder ganz ausgesöhnt mit Rom, und freue 
mich der Innern und äußern Ruhe, zu der ich in Neapel doch 
nicht leicht gekommen wäre. Abgesehen davon lebt sich's hier 
denn auch ein gut Teil billiger. In Neapel lebt man ganz von 
selbst gut, würde sich als philiströsen, engherzigen Wicht ver- 
achten, wenn man dort knausern würde, nicht bisweilen in der 
Barke führe oder sich einen Wagen leistete, wenn man nicht 
einmal Austern äße oder Erdbeeren, nicht abends ins Theater 
ginge oder wenigstens im Caf6 davor säße. All dies ist zwar in 
Neapel unglaublich billig, kostet teilweise die Hälfte von dem, 
was es hier kosten würde, aber es läppert sich schließlich doch 
zusammen. Das Billigste sind die Droschken. Die Taxe ist 
70 Centimes per Fahrt, für 50, bisweilen sogar für 40 fährt aber 
jeder mit Vergnügen, wenn der Weg nicht gar zu weit ist, so 
daß man zu zweien oft billiger in einer Droschke fährt als im 
Omnibus, welche verhältnismäßig teuer sind und sehr langsam vor- 
wärts kommen. Vom Volksleben habe ich noch nachzuholen: die 
Chiaja, die Hauptpromenade längs des Golfs, wo jeden Nachmittag 

Schapire, Hans Speckters Briefe. J" 



— 242 — 

Militärkonzert ist, und viel schöne Welt, die nichts anzufangen 
weiß, sich versammelt, d. h. die ganz Vornehmen fahren in ihren 
Equijiagen auf und ab und gehen höchstens einmal die Prome- 
nade durch. Hier steht, die Aussicht aufs Meer versperrend, 
auch das Aquarium, die Statione zoologica, wie Du weißt, Deutsche 
Reichsinbtitution. . . . Damit kann sich unser Hamburger freilich 
nicht messen, überhaupt wohl keines auf der Welt. Du bist als 
Fachmann gewiß von der Reichhaltigkeit und Größe seiner Be- 
wohner unterrichtet. Neben den abenteuerlichen großen Fischen 
interessieren ohne Frage doch am meisten die großen Tinten- 
fische, die komischst ekelhaftesten Biester, die ich je sah. . . . 

Die Chiaja ist ein breiter Weg mit zwei bis drei Reihen 
von Bäumen an jeder Seite. Nicht hoch, die beiden Reihen an 
der Wasserseite (Steineichen) sogar ziemlich krüppelhaft und 
schief geweht, die dritte Reihe (Akazien) aber schon ganz gerade 
und munter. Die Bäume blühten gerade weiß (Akazien) lila 
(Tulpenbaum) und dunkelrosa, was zwischen dem dunkeln Laub 
der Eichen und dem hellgrünen der anderen Bäume geradezu 
elegant aussah. Unser blühendes Gebüsch mit violetten Syringen, 
gelbem Goldregen und rot und weißem Dorn zwischen dem leb- 
haft grasgrünen Laub hat dagegen doch etwas bäurisch Brutales: 
Hier ist die Natur auch in der Farbe stets durch und durch 
aristokratisch. 

Daß auch die elegante Welt sich hier geschmackvoll anzu- 
ziehen versteht, brauche ich kaum zu sagen. Am ersten Tage 
fiel mir die Menge der hellseidenen Kleider besonders auf: hell 
lila, rosa, himmelblau, kanariengelb, wie man sie bei uns nur in 
großen Gesellschaften, nie auf der Straße tragen würde. Man 
sieht auch viel Damen in Trauer. Neapel ist bekanntlich keine 
gesunde Stadt. Aber das Schwarz steht vielen Gesichtern hier 
besonders gut: die interessante, gelbgraue Hautfarbe wird dadurch 
gehoben. Im ganzen fand ich die Neapolitauerinnen je länger 
desto hübscher, und jetzt nach Rom zurückgekehrt, seheint mir 
aufs neue, daß Onkel Erwin sie im Vergleich mit den Römer- 
innen viel zu geringschätzig behandelt hat. Es ist wahr, jene 
stol/.e, verachtende, großartige Schönheit, die man hier bisweilen 



— 243 — 

sieht — aber auch nur ausnahmsweise — kommt in Neapel fast 
gar nicht vor, aber anmutige, muntere, freundliche, lebenslustige, 
freilich auch frivole Gesichter in Hülle und P'üUe; auch viel 
Blondinen, ich glaube mehr als hier. Berühmt sind die Blumen- 
mädchen, die einen jeden Abend einige vSoldi kosten, es sei denn, 
daß man als echter deutscher Bär das Sträußchen, das sie einem 
ins Knopfloch zu stecken wissen, mit Konsequenz wieder zurück- 
gibt. Zwei dieser Blumenmädchen gehören wirklich zu den größten 
Schönheiten, die ich je sah, die römischen dagegen sind fürchter- 
lich, und ich markiere hier immer den deutschen Bär. 

Von der Chiaja muß ich ferner nachholen, daß zwischen den 
Baumreihen zu beiden Seiten, meist inmitten kleiner Bassins 
marmorne Kopien der berühmtesten Antiken und einiger guter 
Renaissancewerke aufgestellt sind. Onkel Erwin macht dieselben 
schlecht. Ich muß gestehen, daß ich mich ihrer sehr gefreut 
habe und sie für den dekorativen Zweck durchaus nicht schlecht 
finden kann. Licht und Schatten gibt ihnen oft einen Reiz, den 
selbst die Originale bisweilen entbehren. Dazu werden sie von 
den schönsten Sumpfpflanzen umwuchert, blühende Iris, blühende 
Kallas usw., und ein paar dünne Wasserstrahlen unterbrechen die 
Stille und Schwüle mit leisem Geplätscher. Ob man das nicht 
ohne große Schwierigkeiten nachahmen könnte? Der geschickten 
Bildhauer sind hier so viele und ihre Ansprüche teilweise so ge- 
ring — manche betrachten sich wie im Mittelalter nur als höhere 
Handwerker — daß es verhältnismäßig gar nicht so teuer sein 
könnte. Oder man nehme Bronzegüsse, für unser schwarzes 
Klima vielleicht noch besser, wenn auch freilich lange nicht so 
schön. Diese weißen schimmernden Gestalten auf dem dunklen 
Laub wirken großartig. Hätten wir nur Zypressen, Lorbeeren 
und Steineichen bei uns! Die Pinien will ich den Italienern 
schenken, obgleich bisweilen auch sie herrlich sind. Für gewöhn- 
lich ziehe ich ihnen, glaube ich, unsere Kiefer vor, die im ganzen 
viel zu wenig beachtet wird. Hier in Neapel in der Chiaja steht 
eine schöne Kieferngruppe (darunter Gian da Bolognas Raub der 
Sabinerinnen) und sieht so vornehm und schön aus, daß ich ganz 
erstaunt zuerst den seltenen Baum betrachtete. In unseren 

16* 



— 244 — 

neuen Anlagen ist sie gar nicht verwendet, so viel ich mich 
erinnere. — Jenseits des Aquariums und Musikplatzes verdichtet 
sich die Anlage noch etwas und enthält ein Rundtempelchen für 
Tasso, einen jonischen Tempel für Virgil, davor einige schlanke 
Palmen, die prächtig gegeu den leuchtenden Abendhimmel aus- 
seben, einige andere moderne Denkmäler usw., im ganzen aber 
entspricht die Anlage nicht den Erwartungen, die man an den 
Hauptspaziergang Neapels am Meeresufer stellen darf. Manche 
Anlage in deutschen Städten kann sich sehr wohl mit der Chiaja 
messen, trotz des geringeren „Materials'^ jeder Art, mit dem wir 
wirken müssen. 

Außer im Carlo war ich noch in zwei anderen Theatern, im 
Carlino, wo mit Vorliebe Parodien auf die Stücke des Carlo ge- 
geben werden und so echt neapolitanischer Dialekt gesprochen 
wird, daß ich nur sehr wenig verstanden habe. Ich sah eine 
jgraziosissima parodia" der Alda, ein fideler, urdummer Ulk, der 
mich zwei Akte lang sehr amüsierte, dann hatte ich genug. Die 
Masken (moderne Menschen) waren vorzüglich, das Theater sehr 
primitiv und dreckig. Gerade so billig, aber sehr elegant ist das 
zweite Theater Neapels Fondo, neben unserem Hotel. Hier 
hörten wir Macbeth von Verdi, wohl aus seiner früheren Zeit, 
vortrefflich gespielt und gesungen. Was Kostüme und Ausstattung 
anlangt, sind wir in Deutschland doch recht verwöhnt und äußer- 
lich! Die Italiener wenigstens sind unendlich anspruchslos darin. 
Die schottischen Kostüme waren schlimm genug, namentlich der 
Chor, aber auch einige Solisten, obenan Banquo, und seine Er- 
scheinung als Geist wirkte so urkomisch, wie man sie wohl im 
Uraniatheater auf St. Pauli erwarten dürfte, aber das ganze gut- 
besetzte Haus blieb dabei ernsthaft und schien damit ganz ein- 
verstanden zu sein. 

Von den Kirchen Neapels redet man lange nicht geoug. 
Sie sind mir eigentlich gerade so lieb wie die Roms, wo nicht 
lieber. In Rom gibt's eigentlich nur zwei Arten: frühchristliche 
Basiliken, mehr oder minder verzopft, und Kopien der Peters- 
kirche in allen Formaten. Gotik gibt's bekanntlich in ganz Rom 
nicht. In den wenigen Kirchen, deren Anlage ursprünglich gotisch 



— 245 — 

war, muß man sie suchen, und Sta. Marie sopra Minerva, die 
beste, ist arg modern restauriert. 

Von außen ist freilich aucli in Neapel an keiner etwas zu 
sehen. Stehen sie doch noch mehr als in Rom in Reih und 
Glied mit den übrigen Häusern, sogar der Dom. Das einzige, 
das sich schmücken ließe, wäre die Fassade und die ist nirgends 
schön, abgesehen von einigen Portalen in Gotik und Frührenais- 
sance und einem lieblichen und glücklichen Gemisch von beidem. 
Innen sind die Kirchen oft gotisch, eine sogar mit schlank über- 
höhtem Mittelschiff, was in Italien besonders selten vorkommt. 
Entweder alle drei Schilfe sind gleich hoch, oder das Mittelschiff 
überragt die beiden anderen doch nur wenig, so daß etwa noch 
ein Rundfenster Platz hat. Außer Santa Croce in Florenz sah 
ich das nur noch in Neapel. Eine andere Kirche hat einen herr- 
lichen Chorumgang, der freilich nicht mehr benutzt wird und in 
Schmutz und Verwahrlosung verkommt. Das war ohne Frage 
das malerischste Architekturbild, ganz im Sinne Martin Genslers, 
das ich auf der ganzen Reise sah. Sehr stattlich sind sodann 
die großen gotischen Grabdenkmäler von Königen und Königinnen 
aus dem Hause der Anjous, obenan Robert der Weise und 
mehrere liederliche Johannas. Die Verbindung mit Frankreich 
durch dies Königshaus war ohne Frage von Einfluß auf die 
Kunst, die spätere Verbindung mit Spanien in jeder Beziehung 
verhängnisvoll. Neben diesen gotischen Grabdenkmälern auf 
mächtigen Löwen ruhend, von karyati den artigen Engeln und 
christlichen Tugenden getragen, überreich skulptiert, oft zu 
enormer Höhe aufragend, gibt's eine Menge der schönsten Früh- 
renaissance-Grabmäler, mit einem ganz unerwarteten Schmuck 
feinster Ornamente, ferner prächtige Holzschnitzereien an Chor- 
stühlen und Intarsien, wie ich sie fast nirgends schöner gefunden 
habe. An Bildern verhältnismäßig weniger Interessantes als an 
Skulpturen, unter letzteren eine marmorne Orgelbrüstung aus 
dem 14. Jahrhundert — Lebensgeschichte der heiligen Katherina 
— die mit Recht ein „plastischer Fiesole" genannt wird. 

Neapel ganz eigentümlich ist die Anwendung kleiner gla- 
sierter Fliesen oder vielmehr Kacheln, auch als Fußböden der 



— 246 — 

Kirchen. Große barocke Muster, in blau, gelb, lila und grün, 
die gerade so gut aus Holland stammen könnten, überziehen den 
ganzen Fußboden auf rotem unglasierten Klinkergrund. Das 
sieht sehr gut aus, geschmückt, aber gewissermaßen einfach 
bürgerlich behaglich. Um so opulenter pflegen die Altartische 
mit farbigem Marmor eingelegt zu sein, in halbnaturalistischen 
aber symmetrisch angeordneten Blumenmustern, oft recht schön 
und stilvoll aber mehr für wirkliche Stickereien geeignet. Bis- 
weilen ist die ganze Kirche mit solch farbiger Marmorinkrustation 
überzogen. ... So wenig ich mich für diesen Stil begeistere, so 
imponiert er mir zuweilen doch; auch bewundere ich die Maler 
in dekorativer Hinsicht, daß sie es fertig brachten, mit ihren 
Bildern der farbigen Unruhe dieser überprächtigen Rahmen Trotz 
zu bieten. Um das zu können, schlugen sie jene unendliche tiefe 
Farbenskala an, die durch Nachdunkeln oft fast schwarz ge- 
worden ist, so daß nur einzelne blendend beleuchtete und trefflich 
modellierte Köpfe, Arme und Gewandpartien grell hervorleuchten. 
Nur so konnten in dem farbigen Gekribbcl die Marmorumrah- 
mungen das Gleichgewicht halten. Bei einigen besonders gut er- 
haltenen sieht man auch heute noch, daß diese große schwarze 
Pechsauce nicht ursprünglich ist, sondern daß ein reiches, herr- 
liches Kolorit vorhanden war, wie bei frischen Makarts, die nach 
200 Jahren womöglich noch schwärzer sein werden als die 
allerschwärzesten Alten. — In San Martino befindet sich auch das 
Hauptbild Spagnolettos, vorzüglich erhalten, in einer prächtigen 
von Gold und Getäfel prangenden kleinen Kapelle, wundervoll 
beleuchtet. In keiner Galerie der Welt kann ein Bild günstiger 
hängen und so großen Genuß gewähren wie hier, wo man meist 
ganz allein und ungestört ist. Aber meine alte Antipathie gegen 
Spagnoletto ist auch hier nicht geschwunden und wird es nun 
wohl auch nicht mehr. Sobald er über einen Studienkopf hinaus 
will, zeigt er sich in seiner ganzen Flachheit. Was er vor sich 
sieht, malt er mit genialer Breite und Flottheit, einer Wucht der 
Modellierung und Farbe gegen die z, B. Raffael — vom Mal- 
klassenstandpunkt aus gesprochen — als reiner Stümper erscheint. 
Aber über das Modell kommt Spagnoletto auch nie hinaus! 



— 247 — 

Nicht nur wo er wie hier (Kreuzabnahme) Seele und Empfindung 
geben soll, schon in ganz realen, unheiligen Szenen (Silen und 
Faune usw.) versteht er es nicht, mir das unerfreuliche Gefühl 
des Modellsitzens zu nehmen und seine Gedanken wirklich zu 
beleben. Darin erinnert er mich an Gussow und andere Mo- 
derne, nur hat seine Verteilung von Licht und Schatten meist 
einen groBartigen Zuschnitt und seine Farbe — namentlich auch 
in diesem Bilde — etwas feierlich Ernstes. 

Ja ja, es gibt entsetzlich viel Sehenswertes in Italien! Nur 
für die Kirchen Neapels brauchte man. um sie gründlich zu stu- 
dieren, wohl vier Wochen, und ich gönnte ihnen kaum zwei bis 
drei Tage, habe freilich auch den berühmten Freskenzyklus gar 
nicht gesehen, wie ich zu meiner großen Trauer und Beschämung 
gestern aus dem Burckhardt ersah. Mich trieb es eben immer 
von neuem ins Museum und meine Begeisterung für dasselbe ist 
auch hier in Rom nicht geringer geworden. Nirgends kommt 
man wie dort zum vollen GenuB, wo in den schön beleuchteten 
Hauptsälen Meisterwerk neben Meisterwerk steht, ohne sich zu 
drängen und zu beeinträchtigen. In anderen Zimmern stehen 
mittelmäßige und geringe Sachen und wirken teilweise mehr 
durch Quantität. Da stehen z. B. sechs oder sieben Exemplare 
der kapitolinischen Venus, alle von untergeordnetem Wert in 
Reih und Glied nebeneinander, als ob sie auf Kommando in einer 
weiblichen Exerzier- und Anstandsschule soeben die bekannte 
Verschämtheitspose angenommen hätten. — Über die Bronzen 
hat Onkel Erwin genug geschrieben. Dieser Saal war eigentlich 
auch mir der liebste von allen. Meine Skizze der ofterwähnten 
stilvollen Tänzerinnen füge ich bei, damit Ihr Euch keinen 
falschen Begriff von ihnen bildet. Übrigens sind sie kaum lebens- 
groß: auch die meisten anderen griechischen Bronzen, die ich 
kenne, bleiben etwas hinter Lebensgröße zurück, die meisten 
etwa ^/^, diese Tänzerinnen sind wohl etwas größer. Die Porträt - 
husten dagegen sind alle mindestens lebensgroß und eigentlich 
das Allerschönste. . . . Erst hier ist es mir so recht klar ge- 
worden, was es heißt, ein Porträt nicht zu „idealisieren", im land- 
läufigen mit Recht in Verruf gekommenen Sinne, sondern es zu 



— 248 — 

idealisieren, ohne die Individualität abzuschwächen, vielmehr diese 
zu steigern, indem man nicht ein Quantum eines allgemeinen 
Schönheitsideals dem Dargestellten aufpfropft, sondern das Schön- 
heitsideal, welches für jeden Kopf ein anderes ist (ebenso wie 
nach Paul Heyse für jedes Individuum ein anderes Lebensideal 
existiert) daraus entwickelt. Das verstanden doch nur die 
Griechen! Die Römer sind dagegen mehr Naturalisten im Sinne 
von uns Modernen. Unter ihren Büsten entdeckt man immer 
neue Ähnlichkeiten mit guten Freunden, unter den Griechen 
kaum. . . . 

Manches ist seit Onkel Erwins Zeiten hinzugekommen, der 
tanzende Faun aber noch immer die Krone der kleineren Sachen. 
Ich liebte ihn schon lange; in Weimar existiert der Abguß, den 
Goethe, ganz entzückt, mitgebracht hat. Den bekannten Narciss 
und den Silen, der die Lampe hochhält, die zwei anderen Haupt- 
stücke unter den kleineren Figuren scheint Onkel Erwin nicht 
gekannt zu haben. Seine steife kleine Fortuna steht sehr schlecht 
unter vielem Schund; eine kolossal schwungvolle Viktoria erwähnt 
er gar nicht, und doch ist es kaum anzunehmen, daß Rauch die- 
selbe nicht gekannt hat, als er seine Walhalla- Viktorien schuf. 
Freilich geschah das wohl auch erst nach Onkel Erwins Zeit! 

Von den pompejanischen Malereien sage ich nichts. Ihr 
kennt sie ja, soweit man sie kennen kann, wenn man die Originale 
nicht gesehen hat. Das mir Sympathischste sagt Onkel Erwin 
darüber. 

Von den Bildern muß ich noch einiges sagen. Unter vielem 
Mittelmäßigen sind Perlen ersten, allerersten Ranges da, ja in 
das eine Bild bin ich so verliebt wie in kaum eines in Italien 
und zwar in einen Mantegna, der noch vor einigen Jahren in der 
Rumpelkammer stand und auch ziemlich arg ramponiert ist. Du 
fragtest mich in Florenz einmal nach Mantegna: In den Uftizien 
ist zwar ein sehr berühmtes dreiteiliges Bild von ihm, mit vielen 
kleinen überaus graziösen und schim durchgeführten Figürchen, 
aber rechten Eindruck hat es doch nicht auf mich gemacht, 
ebensowenig wie eines seiner Hauptwerke auf dem Hochaltar 
von S. Zeno in Verona. Außer diesen beiden hatte ich noch 



— 249 — 

keine Originale von ihm gesehen, seine Hauptwirksamkeit war in 
Padua. Aber hier im schlecht beleuchteten Saal der Venezianer 
fiel mir plötzlich ein Bild auf, welches ganz anders war als alle 
übrigen, von feierlicher Schlichtheit und Größe; wie bei den 
Tänzerinnen sagte ich mir: „das ist Stil!'' Wie die Figur in 
ihrer architektonischen Umrahmung steht, sich unterordnend, aber 
doch ganz frei nach der einen Seite fortschreitend, dazu die tiefe 
feierliche Farbe, die vornehme Bewegung und der milde, heilig- 
strenge Ausdruck des Kopfes! — hätte ich nur meine Ölfarben 
da gehabt! von diesem Bilde hätte ich gar zu gern eine Kopie 
gemacht. Aber freilich hätte es viel Zeit gekostet und wäre 
schließlich doch nichts rechtes geworden. Darum will ich mich 
mit der kleinen Aquarellskizze, die ich einlege, begnügen. . . . 

Ferner sah ich hier eines der vorzüglichsten Bilder des alten 
Giovanni Bellini, von dem ich früher auch noch nichts gesehen 
hatte, was mir wirklich so recht gefallen konnte. Es ist eine 
„Verklärung Christi". Die drei Figuren stehen ziemlich steif 
nebeneinander, Christus ganz von vorn, Elias und Moses im Profil, 
aber wunderschön gezeichnet und von bezaubernder Farbe. 
Christus ganz weiß, auch im Schatten überaus licht und klar, 
wie von Tageslicht uratiossen und sich so sanft und schön von 
dem landschaftlichen Hintergrund, von dem lichtblauen Himmel 
mit seinen weißen friedlichen Wolken abhebend, als wenn das, 
in moderner Weise, das Hauptstudium des Alten gewesen wäre. 
Nur Elias ist lebhaft rot mit violettrotem Mantel (beide von 
gleichem Wert), sonst bewegt sich alles in braunen, grauen, 
braungelben, saftiggrünen, tiefgrünblauen Farben, für die Luft 
und die Hauptfigur sind Weiß und Himmelblau aufgespart. . . . 
Von einem wirklichen Erfassen des großartigen Momentes ist in 
diesem Bilde freilich nicht die Rede; es wirkt nur so wohltuend, 
wie die meisten Venezianer, durch die ruhige Schönheit der Ge- 
stalten und den Zauber der Farbe, hier obendrein noch durch 
die naiv liebliche Landschaft, 

Sehr begierig bin ich darauf, Fiesoles Verklärung wiederzu- 
sehen. Sie gehört zu den Bildern, die er seinen Mitmönchen in 
die Zellen malte und ist nicht sonderlich ausgeführt. Aber selten 



— 250 — 

hat mir ein Bild einen so großartigen Eindruck gemacht. — 
Vielleicht werde ich inzwischen anders urteilen gelernt haben, 
aber bis jetzt ziehe ich es der Raffaelschen entschieden vor. Das 
Schweben des Christus ist mir nie recht würdig erschienen. Er 
springt mir zu sehr. Dem feierlichen Sinn und Wortlaut der 
Bibel ist die alte Auffassung entsprechender. — Bei der Ge- 
legenheit sei noch erwähnt, daß die obere Hälfte der Trans- 
hguration von Raffael selbst gemalt ist und sehr schön. So 
locker, von Licht und Klarheit umflossen, echt visionär, wie ich's 
nie erwartete. — Warum man im Glasfenster der Petrikirche von 
der Originalfarbe abgegangen ist und das weiße Gewand Christi 
(das Raffael der Bibel und allen alten Malern treu, beibehalten 
hat) in ein buntes Rot und Blau verändert, begreife ich nicht. 

Drei Raffaels gibt's in Neapel, darunter die wunderschöne 
Madonna del divino amore, wo das Christkind den Johannes- 
knaben segnet und die Maria, selig staunend, mit gefalteten 
Händen auf ihn niederblickt — mir eine der liebsten unter allen 
Madonnen Raffaels, vielleicht die liebste in Italien; ferner zwei 
Porträts, ein Kardinal und sein eigener „Waffenmeister", beide 
ebenfalls zu seinen vorzüglichsten Porträts gehörend. Man muß 
sich an Raffaels Porträts erst gewöhnen. Es überrascht, daß er, 
dessen Kompositionen so von Schönheit der Linien und Be- 
wegungen überfließen, im Porträt ganz schlicht und steif, bis- 
weilen fast geschmacklos, die Natur kopiert, wie sie gerade vor 
ihm steht. Seine Porträts scheinen bisweilen zu sagen: „so, nun 
werde ich abgemalt". Von elegantem Arrangement, von Kompo- 
sition irgendwelcher Art, worin van Dyck so ausgezeichnet war 
ist keine Spur bei ihm. Malt er einen Papst, so rückt er ihm 
einen Stuhl hin, probiert vielleicht einmal von dieser, einmal von 
jener Seite, aber damit ist's dann auch gut: dann wird herunter- 
gemalt wie er gerade sitzt, Stück für Stück, mit peinlichster 
Durchführung selbst der Nebensachen, aber ohne irgendwie auf 
Schönheit der Linie oder der Schatten- und Lichtmassen Rück- 
sicht zu nehmen. Die Hände kommen oft in irgendeine Ecke 
oder werden vom Rahmen überschnitten, aber deshalb nicht flotter 
behandelt und dem ganzen untergeordnet, sondern mit derselben 



— 251 — 

Liiiven Sorgfalt durchgebildet wie das andere. Leute, die an 
Raffaels Unfehlbarkeit glauben, werden gewiß auch dies für das 
„einzig wahre'* erklären. Das kann ich nicht mit gutem Ge- 
wissen, aber mit Absicht hat er es gewiß so gemacht, denn keiner 
hätte wohl leichter als er eine schöne Porträtstellung ausfindig 
gemacht, wenn er gewollt hätte. Ich nehme es also als Faktum 
hin, und nachdem ich mich daran gewöhnt habe, gefallen mir 
seine Porträts immer besser. Mit einer solchen Pietät bildet er 
die Natur nach, wie es Onkel Erwin nur in seiner allerstrengsten 
Zeit getan hat und doch ist nichts von Dennerscher Ängstlich- 
keit darin, sondern jener griechische Geist der Bilduisdarstellung, 
von dem ich vorhin sprach. Allerdings — bei den griechischen 
Bildnisstatuen in voller Figur sieht man es am besten — ließen 
sie das Arrangement, um das häßliche Wort zu gebrauchen, doch 
mehr zu seinem Rechte kommen. . . . 

Von vielen andern guten Sachen will ich schweigen, auch 
von den drei herrlichen Tizians — Danae und zwei Porträts, ein 
Papst, Paul III., im Lehnstuhl und Philipp von Spanien in 
ganzer Figur — und nur noch erwähnen, daß hier manche gute 
Altdeutsche sind, die, nachdem man so lange keine gesehen hat, 
besonders anmuten. Da ist ein kleiner Memling von herrlichster 
Farbe, aber doch nicht von der Schlichtheit des Bellinischen 
Bildes, weshalb ich letzteres vorziehe, dann ein großes Bild, eine 
Anbetung des Christkindes mit vielen Figuren und prächtigen 
musizierenden Engelchen, von so schalkhaftem Humor wie raan's 
auf italienischen Bildern nie findet, Dürer genannt, leider mit 
Unrecht, denn Meister Albrecht hat nie so schöne Farben gehabt. 
Vor allen Dingen jenes Bild von den Blinden, die sich gegen- 
seitig leiten und miteinander in die Grube fallen. Onkel Erwin 
spricht ausführlich darüber, hat es auch flüchtig skizziert. Ich 
setze nichts hinzu, als daß es mir neben dem Mantegna das 
allerinteressanteste Bild Neapels ist und daß es zum Teil in der 
Auffassung aber mehr noch in der Ausführung, eine ganz merk- 
würdige Ähnlichkeit mit Schwind hat, wo dieser sich der bunten 
Farben enthält, und, wie er es ja bisweilen tat, mit einer feinen 
grau harmonischen Färbung genügen ließ. Das Bild ist echt 



— 252 — 

deutsch, echt norddeutsch sogar, auch die Landschaft im Hinter- 
grunde. Onkel Erwin nennt es Teniers, jetzt heißt es Bruegel 
der Altere. Das andere kleinere Bild von Bruegel heimelt sogar 
noch durch einen plattdeutschen Vers an, der darauf steht: 
„Darumb dat de Welt is so ungetruw, ga ick armen Slucker in 
de Ruh." Ruh d. h. Einsamkeit, es ist nämlich ein schwarzer 
Mönch, dem jemand einen roten Geldbeutel stiehlt, (den er als 
Mönch gar nicht haben darf!) und der deshalb Einsiedler wird! 
Ein komischer Kerl! Man vergißt in dem Zimmer auf Minuten 
ganz, wo man ist und träumt sich bei Entzifferung dieses Verses 
nach Lübeck — aber ein Schritt weiter, und man ist in der 
Vasensammlung, die so enorm ist, daß ich nicht behaupten kann, 
ich hätte sie gesehen, obgleich sie es wohl wert wäre, gründ- 
lich betrachtet zu werden, denn die roh und flüchtig gemalten 
Gruppen sind oft von wunderbarer Schönheit und lassen sich 
auf die herrlichsten Vorbilder zurückdeuten. Aber ich säße nicht 
nur heute noch da, sondern noch weitere vier Wochen, wenn 
ich alles ordentlich hätte ansehen wollen! 

Unter den Niederländern ist ein Selbstporträt Rembrandts 
aus ziemlich vorgerückten Jahren, eines der schönsten Porträts 
der Welt, glaube ich, mir gerade so hochstehend wie die griechi- 
schen Bronzebüsten und höher als Raffaels Porträts. Doch was 
soll dieses Messen und Vergleichen! . . . 

Zum Schluß will ich noch versuclien, den Ausflug nach 
Amalfi zu beschreiben, über dessen erste Hälfte: Pästum-Salerno, 
ich schon von Pompeji aus berichtete. . . . Wir Entrepreneurs 
des Umwegs über Amalfi (Gildemeister und ich) hatten im Sinne 
gehabt, direkt in Salerno zu Schiff zu gehen und noch denselben 
Abend nach Amalfi zu gelangen. Dann hätten wir viel Zeit ge- 
spart. Außer dem Widerstand der anderen, die sich allmählich, 
teils gegen unsern Wunsch, dieser Partie anschlössen, scheiterte 
dies hauptsächlich an den Schiffern, die so spät nicht mehr fahren 
wollten, außer um hohen Lohn. Mein Vorschlag, bei Mondschein 
den schönen Weg längs der Küste hinzugehen, kam leider zu 
spät. So kamen wir erst am andern Tag gegen elf Uhr dort an, 
Thiersch, Gildemeister und ich, per Wagen, die andern drei 



— 253 — 

waren schon eine Stunde früher gefahren, während wir Salerno 
besahen. Aßen dort und trennten uns dann abermals: drei gingen 
nach Ravello hinauf, einem hochgelegenen, interessanten, ver- 
ödeten Bergstädtchen, drei andere in das berühmte schon lange 
aufgehobene Kapuzinerkloster, welches nur ^4 Stunde von der 
Stadt entfernt ist. Ich gehörte zu letzteren. Sowohl aus Be- 
quemlichkeit wie auch besonders, weil dies der Ort ist, den Platen 
besingt: 

„Festtag ist's und belebt sind Zellen und Gänge des Klosters, 
Welches am Felsabhang in der Nähe des schönen Amalfi 
Flut und Gebirge beherrscht und dem Auge behaglichen Spielraum 
Gönnt, zu den Füßen das Meer und hinaufwärts kantige Gipfel, 
Viele Terrassen umher, wo in Lauben die Rebe sich aufrankt*' usw. 

Ja, was soll ich viel hinzufügen?! Neben Camaldoli war es 
das Schönste von ganz Italien! So einsam still und fröhlich 
friedlich! Hier der leere, halb maurische Kreuzgang, dort die 
große Tropfsteinhöhle, in der „der Gebete beraubt eingehende 
Heiligenbilder" knien, ganz wie der Dichter es beschreibt. Am 
Ausgang die schönsten Olivenbäume, rankender Wein und zwischen 
den Stämmen blitzt das Meer von unsagbar schöner, grünblauer 
Milde, im Sonnenschein funkelnd, eine fröhliche kleine Barke mit 
rotem Segel schwimmt lustig und sicher darüber hin, die Häuser 
der Stadt mit ihren morgenländisch gebildeten flachen Dächern 
und Kuppeln schimmern hell und glücklich, der alte Dom mit 
seinem maurisch-gotischen bunten Ziegeldach blickt ehrwürdig 
froh, und wir sitzen und tun als ob wir zeichneten, atmen aber 
eigentlich nur den Frieden und die Schönheit. Allmählich fällt 
mir das ganze Gedicht wieder ein und klingt durch die Seele, 
Thiersch setzt sich zu mir, läßt es sich leise vorsagen und hat 
auch so rechte Freude an den herrlichen fließenden Versen. 
Dann die Rückfahrt per Barke bei vortrefflichem Wind, so daß 
das Schiff bald hoch, bald tief zwischen den blauen Wasserhügeln 
steckt, und die fröhlichen Bootsleute, der schöne Steuermann 
Alfonso obenan, singen ihre melodischen Weisen ohne Aufhören, 
so daß wir nach einiger Zeit einstimmen können — das alles 



— 254 — 

war wunderschön, ein echter Sonntag Nachmittag, dessen Erinne- 
rung allein schon manche heitere, stillvergnügte Stunde bereiten 
wird. Und damit für heute addio! 



Dienstag, den 29. Mai. 

Rom ist doch wunderschön! Und jetzt, wo ich allmählich 
meinen Abschiedsbesuch bei seinen verschiedenen Herrlichkeiten 
mache, erscheinen sie mir doppelt schön! — Da ich bisher so 
wenig von Rom selbst und seinen Kunstschätzen geschrieben 
habe, will ich von jetzt an immer genau berichten, wo ich war 
und was mir überall besonders gefallen hat. 

Heute Morgen war ich noch einmal in der Sala regia des 
Vatikans, zwar kaum zum letztenmal, aber doch zum letztenmal 
tätig. Diese Sala regia ist ein außerordentlich großer Festsaal, 
zu dem man zwar ca. 150 Stufen hinaufzusteigen hat (vom Peters- 
platz aus), der aber trotzdem sozusagen in der Beletage des 
Vatikans liegt, so hoch baut sich dieser Palast in die Höhe; 
seine verschiedenen Höfe haben verschiedenes Niveau, immer liegt 
einer höher als der andere; Raffaels Stanzen und Loggien liegen 
im zweiten Stock und dem folgt ein noch höherer. Die Sala 
regia ist eigentlich das Prachtempfangszimmer für die Gesandten 
fremder Nationen. Von hier aus ist der Haupteingang in die 
sixtinische Kapelle — die Fremden gehen heutzutage durch eine 
kleine Seitentür der Altarwand, unter den Verdammten von 
Michelangelos jüngstem Gericht hinein — an der anderen Seite 
in die paolinische Kapelle, die mit späten und schlechten 
Fresken von und nach Michelangelo ausgemalt und nie zu sehen 
ist. Einen Blick habe ich gestern freilich hineinwerfen dürfen, 
aber der alte Mönch, der sie für eine abendliche Messe herzu- 
richten hatte, und mit dem ich, da er täglich etliche mal an 
mir vorbeizugehen pflegt, ganz gut Freund bin — d. h. nur 
durch freundliche Begrüßung von beiden Seiten — bat mich so 
ängstlich nicht hineinzugehen, sondern an der Tür zu bleiben, 
damit er keine Unannehmlichkeiten davon habe, daß ich mich 
mit diesem Blick begnügen mußte. Sehr begeisternd wirkte das 



— 255 — 

Gesehene — aus dem Leben Pauli, in der Mitte die Bekehrung 
— auch nicht. 

Viel besser gefällt mir die Sala regia, obgleich sie nicht nur nicht 
von Michelangelo, sondern sogar von Vasari, den Brüdern Zuccaro 
und noch einigen jener „Bestellungs- und Geschwindmaler" der 
Epigonenzeit herrührt. Mustergültig ist sie freilich in keiner 
Weise, aber die Hotte, halb barocke Art, diese enormen Wand- 
flächen zu bewältigen, große Bildflächen und schickliche Um- 
rahmungen dazu zu schaffen (mit Zuhilfenahme von Stuckfiguren) 
interessierte mich doch sehr und immer aufs neue. Die Stuck- 
figuren und Ornamente über den Umrahmungen und in den 
Kassettierungen des Tonnengewölbes rühren von meinem lieben 
Pierin del Vaga her und sind vielleicht das allerbeste. Die 
Bilder sind aber ungleich, die besten von den mit Unrecht so arg 
verschrienen Zuccaros, die schlechtesten wohl leider von Vasari 
selbst, der wohl bei der Anordnung des ganzen so viel zu tun 
hatte, daß die eigene Arbeit darunter litt. Interessant sind die 
Gegenstände dieser Bilder. Sie sind geschichthch und so gewählt, 
daß sie zugleich das Papsttum verherrlichen und den fremden 
Gesandten einprägen, wie gut es den Ländern geht, die es mit 
dem Stuhl Petri halten und wie schlecht den andern. Da ist 
Karl der Große abgebildet und noch verschiedene andere Kaiser 
und Fürsten wie sie Schenkungen machen, dagegen Friedrich 
Barbarossa zu Venedig 1177 und Heinrich IV. zu Canossa 1077 
zu Füßen des Papstes; da ist Innocenz IV., wie er Friedrich IL 
exkommuniziert usw., auch einige große Schlachten, Türken- 
öchlachten besonders und zwei riesengroße Flottenbilder: eine 
Schlacht und eine Vereinigung der Flotten von Neapel, Venedig 
und Rom. An der letzten Wand sind sogar Szenen aus der 
Bartholomäusnacht, aber die sind schlecht zu sehen. In diesem 
großen, wenig betretenen Raum — viel Fremde bekommen ihn 
überhaupt nicht zu sehen — habe ich mehrere Tage gesessen 
und gearbeitet, meist nicht viel über zwei Stunden hinter- 
einander, da die Freude daran mit der Zeit nicht zu- sondern 
abnahm, wie das bei Werken zweiten Ranges leicht kommt. Aber 
nachträglich freut's mich doch, wenigstens ein Werk dieser 



— 256 — 

Spätzeit gründlich durchstudiert zu haben. Man lernt doch 
immer viel daran und würdigt nachher die Meisterwerke besser, 
als wenn man sich ausschließlich mit solchen füttert. 

Ferner sah ich in diesen Tagen zum ersten- und zugleich 
zum letztenmal das Appartamento Borgia, das nur auf besondere 
Erlaubnis des Monsignore — , Direktors der päpstlichen Bibliothek 
gezeigt wird. Es sind sechs Zimmer, die jetzt als Annex zur 
Bibliothek benutzt werden, die Schöpfung Alexanders VI. In 
einem derselben ist er auch gestorben. Die Decken, Gewölbe 
Zwickel und Lunetten sind auf's reichste von Pinturicchio aus- 
gemalt und vortrefilich erhalten. 

Pinturicchio ist bekanntlich Raffaels Mitschüler bei Perugino, 
aber er gehört doch eigentlich noch ganz zu diesem, auch dem 
Alter nach, er ist nur acht Jahre jünger als sein Lehrer, 
29 Jahre älter als sein großer Mitschüler. So sind diese Arbeiten 
etwa gerade so weit vor der höchsten Blütezeit geschaffen wie 
die der Sala regia nachher. Ohne Frage ist das Appartamento 
Borgia unendlich schöner und interessanter, ja vom dekorativen 
Standpunkt aus gehört es zum allerschönsten, das ich kenne und 
rangiert sehr bald hinter Peruginos Wechselrichtersaal in seiner 
Vaterstadt. Die mittelalterliche Kunst mit ihrem feinen Sinn für 
Farbenpracht hat ihren Einfluß auf diesen in vielen Dingen schon 
zur Renaissance gehörigen Meister durchaus nicht verloren. Noch 
wenig berührt von den Geheimnissen schöner Linienführung und 
lebendig dramatischen Aufbaus der Komposition, die in Raffaels 
Disputa plötzlich, alle Schranken seiner Schule durchbrechend, 
wie ein Wunder dastehen — kann Pinturicchio doch wie sein 
Meister ganz vortrefflich zeichnen, kann sehr hübsche Köpfe 
malen, hat einen ganz bedeutenden Farbensinn und eine spezielle 
Ausbildung des Landschaftlichen in all seinen Sachen, was ihnen 
einen ganz besonderen Reiz gibt. Besonders schön ist das Zimmer, 
in dem er die sieben Hauptkünste und Wissenschaften darstellt: 
Astronomie, Dialektik, Rhetorik, Musik und wie sie alle heißen. 
Jede hat eine spitzbogige Lunette zur Verfügung, überall steht 
ein Thron in der Mitte, auf dem die entsprechende Dame sitzt, 
zu beiden Seiten Landschaft und darin einige mittelmäßig 



I 



— 257 — 

gru])pierte Männer und Frauen, im Zeitkostüm, die sich mit der 
betreuenden Kunst abgeben, also musizieren oder Globusse aus- 
messen usw. Und trotzdem ist das nichts weniger als langweilit^: 
alle Throne sind verschieden gestaltet, seine ganze Phantasie für 
Kunstgewerbe hat der Künstler da losgelassen, um möglichst 
prächtige, krause oder schlichte Ehrensitze für seine sieben Damen 
fertig zu bringen; Engelchen, die einen Prachtteppich dahinter 
halten, tun das ihrige, um das Feierliche zu erhöhen. Gold ist 
in reichem Maße angewendet, sowohl in den rein ornamentalen 
Flächen, wie auch in den Bildern selbst, namentlich die Luft ist 
zumeist goldig, und die zierlichen Bäumchen sehen ganz besonders 
hübsch auf dem glänzenden Grunde aus. Aber ich bin schon recht 
weitläufig geworden, ohne ein anschauHches Bild zu geben. Aus 
der Erinnerung habe ich zwar tlüchtig skizziert, aber wahrschein- 
lich mit mehr „Fixigkeit als Richtigkeit", und so will ich es denn 
Eurer eignen Phantasie überlassen, Euch diese von Gold und 
Farbenpracht strotzenden und doch wie ein guter türkisclier 
Teppich oder ein gutes altes Glasfenster harmonisch wirkenden 
Räume näher auszumalen. Nur so viel noch, daß mich die Ar- 
beiten der ganzen umbrischen Schule heimatlich anmuten. Ihr 
Farbensinn scheint mir dem mittelalterlich deutschen verwandt, 
wenn auch nicht so fein wie bei unsern ersten Meistern, auch 
die naiven Engelchen, Spruchbänder usw. heimeln mich an. Die 
meisten andern Italiener der Zeit haben schon höheren, feier- 
licheren Schwung oder bewußtere Grazie. Hier wie bei Benozzo 
Gozzoli ist mir unsere Natürlichkeit mit all ihren gelegentlichen 
Mängeln am verwandtesten nahe getreten. 

Auch in den älteren Kirchen finden sich viele Sachen von 
Pinturicchio. Er war nämlich ein Schnell- und Vielmaler wie 
Perugino und ließ häutig fünf gerade sein. Aber dekorativ 
wirken seine Sachen immer gut und störende Liederlichkeit der 
Ausführung ist mir nicht vorgekommen, oft dagegen sind Einzel- 
heiten, namentlich Engel und Landschaften besonders reizend. 
In Ol kenne ich wenig von ihm; das Andachtsbild als solches 
war seine Sache wohl weniger. Im Fresko, wo ihm die drei 
Wände und Gewölbetiächen einer kleinen Nebenkapelle zur 

Schapire, Hans Speckters Briefe. 17 



— 258 — 

Verfügang stehen, fühlt er sich entschieden wohler. Er ist mir 
ohne Frage einer der allersympathischsten Künstler, trotz seiner 
unleugbaren, von den meisten Kunstbüchern aber zu sehr be- 
tonten Schwächen. 

Eine kleine Kirche, von der ich neulich auch Abschied nahm, 
ist San Pietro in Montorio (Goldberg). Sie liegt in Trastevere 
auf dem Höhenrücken, der die Stadt im Westen umschließt und 
dessen nördlichsten Ausläufer der Vatikan, die Mitte San Onofrio 
(mit Tassos Grab) bezeichnet. An dem südlichen Ende dieses 
westlichen Höhenzuges liegt San Pietro in Montorio, mit be- 
rühmter Aussicht über die ganze Stadt und die Campagna, da- 
hinter die bekannten schönen Berglinien. Hier soll das Kreuz 
Petri gestanden haben. Noch zeigt man in der ünterkirche eines 
berühmten kleinen Rundtempels (von Bramante) im Klosterhof 
die Stelle und darf sich sogar etwas von dem tiefgoldigen Sand 
mitnehmen, der der Kirche den Namen gab. Die Kirche gehört 
zu den wenigen der römischen Frührenaissance. 

Alle Bauten dieser Art lassen sich auf einen Papst zurück- 
führen: Sixtus IV. aus dem Hause der Rovere. Wie vieles auch 
sein Neffe Julius II., sein gi'oßer Nachfolger, nachher tat, er war 
doch eigentlich so recht derjenige, der die Kunstpflege zu einer 
Spezialeigentümlichkeit der Päpste machte. Er zuerst pflasterte 
Rom, baute die Brücke San Sisto, das große Spital San Spirito, 
nach ihm führt die sixtinische Kapelle ihren Namen. Außer 
dieser baute er noch viele andere Kirchen, die interessantesten 
für uns: S. Maria del Popolo, S. Maria della Pace usw., sein 
Wappen, ein stilisierter deutscher Eichbaum, ist eines der häufig- 
sten, die man hier sieht. Auffallender freilich sind die großen 
Fliegen der Barberini, die sich allüberall oft in ganz erschrecken- 
der Größe breit machen und die Drachen der Borghese, aber wo 
der Roveresche Eichbaum steht, da ist Anmut und Würde zu 
finden. Sixtus Hauptbaumeister war Baccio Pintelli, ein mir 
sehr sympathischer Meister, obgleich keine Größe ersten Ranges. 
Er hat nicht den kühnen Mut eines Brunellesco, der plötzlich 
mit aller Tradition bricht und etwas unbedingt Neues an ihre 
Stelle setzt, sondern oft klingt die Gotik noch in seine Bauten 



— 259 — 

hinein, im Detail wenigstens (Fensterrosen z. B ), während er im 
Ganzen reine maüvolle Renaissanceformen anwendet. Seine Kirchen 
sind alle nur von mittlerer Größe, aber die Skulpturen und Male- 
reien, die sie schmücken, kommen um so besser zur Geltung. 
In so enormen Räumen, wie sie später Mode wurden, hätten sich 
die herrlichen Grabmäler Mino da Fiesoles und Sansovinos mit 
ihren reizend zierlichen Ornamenten ganz verloren, und die 
Malerei wurde ebenfalls zu diesem riesengroßen Maßstab genötigt, 
um sich bemerkbar zu machen. Hier kam man noch mit Lebens- 
größe, ja ^/^ und 2/3 Lebensgröße vortrefflich aus, und gerade in 
diesen Pinteilischen Kirchen fühlt sich Pinturicchio, der mir in 
vielen Dingen mit ihm übereinzustimmen scheint, am meisten zu 
Hause. 

San Pietro in Montorio ist die kleinste all dieser Kirchen 
und mit Ausnahme der Fassade später sehr verändert. Doch 
waren die Herren Neuerer hier pietätvoll genug, die „altmodi- 
schen" Fresken Pinturicchios — oder seiner Schüler — nicht zu 
überweißen. Wahrscheinlich wurden sie durch die Ägide des 
Michelangeloschen Namens geschützt, nach dessen Zeichnungen 
hier ebenfalls eine Kapelle ausgemalt ist, von Sebastiano del 
Piombo. Es ist eine Geißelung Christi, darüber in der Halb- 
kuppel eine Verklärung oder Himmelfahrt und über den Bögen 
ein Prophet und eine Sibylle mit Engeln. Namentlich in letzteren 
ist Michelangelos Geist fühlbar, die Geißelung (mit Ölfarben an 
die Wand gemalt) erinnert mich in ihrem ernsten, grauen, farb- 
losen Ton am meisten an das Kolorit der Propheten in der six- 
tinischen Kapelle; die Verklärung ist ganz manieriert. Doch was 
sollen derartige Beschreibungen und Aufzählungen? „Man soll 
über Kunstwerke eigentlich nur reden, wenn man davor steht", 
selbst Photographien sind nur ein Notbehelf, wenigstens sobald 
die architektonische Umgebung mit in Betracht zu ziehen ist 

Nun noch einiges über die Villa Albani, der ich ebenfalls 
gestern meinen Abschiedsbesuch machte. . . . Die Villa, 1758 von 
dem berühmten Kardinal Albani erbaut, ist unter allen Villen 
Roms architektonisch am strengsten angelegt und steht englischen 
Parkanlagen am fernsten. Terrassen mit großen Wasserbecken, 

17* 



— 260 — 

antike Statuen, wohin man sieht: auf den Balustraden, zwischen 
den sorgfältig geschnittenen und regelmäßig angelegten hohen 
Buchsbaum- und Zypressenhecken und besonders in den offenen 
Vorhallen des Hauptpalastes, sowie in sämtlichen Nebenbauten: 
Kasino, Kaffeehaus und wie sie alle heißen. Überall ein wunder- 
voller Ausblick auf die Bergkette im Hintergrund. Beim ersten 
Besuch war selbst mir etwas zuviel des Guten in architektoni- 
scher Anordnung, namentlich die Zahl der weißen Marmorfiguren 
und Hermen auf dem dunklen Grund etwas zu groß. Ich hatte 
das Gefühl einer allzu reichlich mit Zucker bestreuten Frucht- 
torte, oder eines Kranzes, der zu viel Blumen und zu wenig 
Laub enthält. Aber diesmal geüel mir alles ausnehmend gut. . . . 
Berühmt ist die Villa Albani ja durch Winckelmann. Seine 
Kolossalbüste, von König Ludwig gestiftet, steht unter dunkeln 
Steineichen, aber so kolossal, daß man unter dem Eindruck des 
Kolossalen und des Schreckens ganz vergißt, sich die Züge 
näher anzusehen. Viele der Schätze, die er damals unter sich 
hatte, sind in Paris geblieben, da der damalige Besitzer die 
Kosten des Rücktransports nach dem Friedensschluß scheute und 
vorzog, sie zu verkaufen. Aber noch immer befindet sich unter 
dem vielen Mittelmäßigen und dem vielen Schund höchst Wert- 
volles. Manche archaische und auch sehr schöne und graziöse 
archaistische Reliefs, dann das schönste griechische Relief Roms 
aus Phidias Zeit, genannt „die Bestrafung des Lynkeus", das 
zarte Orpheus-Euridike-Relief und vieles andere. Von besonderem 
Interesse war für mich zweierlei: 1. die Dekoration des Kaffee- 
hauses, eines hübschen mittelgroßen Gartensalons, voll mannig- 
faltiger Antiken. Hier hat der Architekt die Pilaster im Sinne 
der raffaelischen Loggien mit reichem, zierlichem Pflanzenorna- 
ment, mit Tieren, eingelegten Tier- und Landschaftsbildern oder 
kleinen Stuckreliefs auf farbigem Grund verziert, ihnen aber 
nicht weißen, sondern hellblauen Grund gegeben und die Wand- 
iiächen dazwischen etwas dunklerblau ins Sanftgrün spielend ge- 
strichen. Vorhänge, Tischdecken, Stühle von hellblau und schwarz 
gemustertem Seidendamast, gelb gefüttert — viel Vergoldung. 
Wie wunderschön die Antiken auf diesem Grund aussehen, be- 



— 261 — 

sonders die recht gelb augeraucliten, ist gar nicht zu sagen. 
So warm und lebensvoll. In Neapel ist der Grund hellgrünlich. 
Das ist auch sehr schön. Rot — obgleich unter Umständen 
herrlich — wird ohne Frage viel zu viel angewendet. Man be- 
kommt es herzlich satt. Die Figuren stehen zu satt und aus- 
geschnitten darauf. 

Ferner sind es die beiden Originalzeichnungen Giulio Ro- 
manos zu den großen Fresken der Hochzeit von Amor und 
Psyche in Mantua, die mich so entzückt haben. Beide auf 
Papier, in sehr kleinem Maßstab, so überaus sorgfältig durch- 
geführt, daß man kaum glaubt, Giulio Romano wäre je so ge- 
duldig vorgegangen. Erst hier lernt man ihn recht kennen und 
lieben. Um diesen Besitz beneide ich den Fürsten Torlonia (den 
jetzigen Eigentümer der Villa) wirklich. Manchen Raffael würde 
ich dafür geben. Eine so liebenswürdige, lustige Phantasie, so 
frei, spielend und doch so streng architektonisch, so schön ge- 
zeichnet und herrlich in der Farbe, naiv wie Schwind und Lud- 
wig Richter — und nachher hat er es so hingesaut, als ob er 
alle Lust daran verloren hätte! 

Rom, 1. Juni 1877. 

Liebe Mutter! 
„Hast Du Capri gesehen? Das felsenumgürtete Eiland?" 
So fragt außer Dir nun auch Onkel Heinrich, und so neugierig 
wie Ihr auf meine dortigen Erlebnisse sein könnt, werde ich 
nachgerade auf dieses Platensche Gedicht! Am ersten Abend in 
Neapel, da ich mit Thiersch bei Santa Lucia ans Meer hinunter- 
spazierte und die ganze Herrlichkeit sich vor unseren — immer- 
hin etwas erstaunten — Augen entwickelte, fragte er jjlötzlich: 
„Hast Du Capri gesehen? Das felsenumgürtete Eiland?" Und 
so ging es wohl jeden Tag, den Gott werden ließ, und zuletzt 
noch in Amalfi hätte er sich gern für meinen Pästum-Passus aus 
Platens Amalfi revanchiert und fing noch einmal wieder an: 
„Hast Du Capri gesehen? Das felsenumgürtete Eiland?*' kam aber 
auch diesmal nicht weiter, sein Gedächtjiis hatte alles übrige 



— 262 — 

absolut verschwitzt. So kommt's nun, daß ich diesen Vers 
allmählich auswendig behalten habe. . . . 

Er klingt gut, ist aber grundfalsch. Bei einem „felsen- 
umgürteten Eiland'*" denkt sich jedermann etwas ganz anderes, 
als Capri ist. Capri ist nämlich nichts als ein Felsen, der in 
der Mitte eine kleine Einsenkung hat und dort zu beiden Seiten 
ein allmählich abfallendes Ufer, so daß Boote landen können, 
sonst fallen die Felsen ringsum senkrecht ins Meer hinunter und 
jede Landung ist unmöglich. 

Um aber als echter Epiker die Sache anzufassen, muß ich 
uns beide vor Deinen Augen erst in Pompeji aufbrechen lassen, 
Gildemeister seine Tasche umgeschnallt, ich mein bekanntes 
„Bündel" (d. i. alles Nötige ins Plaid geschnallt) auf dem 
Eückeu. ... Es war wohl ^2^' ^^^ '^^^ aufbrachen und ziemlich 
warm, zumal der Weg schattenlos war. Aber er führte durch 
üppige Wiesen, die im Schmuck bunter Blumen prangten, längs 
des neuen Sarnokanals, der das Land auf ganz vortreffliche 
Weise bewässert. Nachher gabs eine staubige Chaussee mit Pla- 
tanen und so kamen wir ohne große Beschwerde nach ^/^ Stunden 
in Castellamare an. Dies ist nächst Neapel der Haupthafenplatz 
des Golfs (25 000 Einwohner), liegt herrlich und hat reges 
malerisches Hafenleben. Das sahen wir nur im Fluge, denn 
schon am Bahnhof, am Anfang des Ortes, wurden wir von einer 
Fülle von Fuhrwerksbesitzern umringt, die uns alle für „molto 
poco'* nach Sorrent fahren wollten, lauter Eetourgelegenheiten 
Von fünf gingen sie auf vier und* drei Francs hinunter, schließ- 
lich bekamen wir sogar für zwei Francs eine hochfeine Equipage, 
mit drei strammen Gäulen und einem hübschen fidelen jungen 
Kerl, der uns den herrlichen Weg auf der schönen Chaussee 
immer längs des Meeresufers, bald ganz unten, bald in halber 
Höhe der Berge, mit einer solchen Lust dahinjagte, daß wir zum 
erstenmal so recht in die Eichendorffsche Taugenichtsstimmung 
kamen. . . . Für wenig Geld fürstlich dahinkutschieren , alle 
anderen Wagen überholen, bisweilen einem Bettler einen Soldo 
durch die nachziehende Staubwolke zuwerfen und dabei den 
Golf im schönsten Nachmittagssonnenschein neben oder unter 



— 263 — 

sich haben, den Vesuv behaglich qualmend, die Ölbäume silbern 
zitternd, die Orangen- und Zitronengärten duftend, die Weinreben 
schon munter und üppig rankend — das ist eine Lust!! Unser 
Kutscher war molto allegro — sang und juchzte so herzlich, daß 
auch wir bisweilen zu seiner größten Freude mit einstimmten 
und knallte vor Übermut mit der Peitsche, so oft wir durch einen 
Ort kamen oder uns ein Trupp Menschen begegnete. . . . 

Der Weg läßt sich am ehesten mit dem von Ottensen nach 
Nienstetten oder Blankenese vergleichen, Ortschaft folgt auf Ort- 
schaft, bebaut und bewohnt ist aber die ganze Strecke. Daß er 
hundertmal schöner ist, brauche ich wohl kaum hinzuzufügen. 
Es gibt ein Oswald Achenbachsches Bild (Höhenformat): vorn 
staubige Chaussee und das letzte Stück eines schnell dahin- 
jagenden Wagens, man sieht noch einige Damen im Rücksitz und 
den Jungen hintenauf, der einigen Weibern zujauchzt, die an 
der Brüstung des Weges lehnen. Schöngezeichnete, durchsichtige 
Oliven, nur die Wipfel von der Sonne beschienen, durch deren 
Stämme und Zweige hindurch erblickt man das blaue Meer in 
der Tiefe und einige von Abendsonnengold bestrahlte Felsen und 
Häuser. Gerade so hatten wir es. — Als wir endlich in Sorrent 
anlangten, war die Sonne schon untergegangen. . . . Die Küsten- 
bildung bei Sorrent ist ganz absonderlicher Art. Die Felsen 
fallen senkrecht ins Meer hinab, oben sind sie plötzlich glatt ab- 
geschnitten, so daß die Hauptstraßen in Sorrent ganz eben sind, 
mit Ausnahme jener steilen Gassen, die zu den beiden Landungs- 
plätzen am Ufer hinabführen. Um einen Vergleich zu machen, 
erscheinen die Felsen von Sorrent in der übrigen Küste wie eine 
geschorene Hecke inmitten natürlicher Bäume, die bald sanfter 
sich runden, bald kühner und zackiger aufragen und überhaupt 
auf den ersten Anblick mehr Abwechslung bieten. Bei genauerer 
Betrachtung ist Sorrent, namentlich an diesen zwei steil bergab- 
führenden Schluchten, so reich und eigenartig wie nur möglich. 

Es ist bekanntlich nur klein und ganz Fremdenort, d. h. be- 
sonders für Neapolitaner, die in der heißen Jahreszeit hier Frische 
und Kühlung suchen. Neapel liegt nach Süden, Sorrent direkt 
gegenüber nach Norden. So steht denn auf der Küste dem Meer 



— 264 — 

zugewendet, ein Hotel neben dem andern, alle in großen Buch- 
staben ihre Namen über die Fluten hin verkündend. Jedes dieser 
Hotels ist von üppigen Gärten umgeben, und viele haben unten 
am Strand ihre Badeeinrichtungen, zu denen steile Treppen hart 
an der Felswand hinunterführen. Als erstes Hotel gilt das 
„Hotel Tasso", ein hellblau gestrichener viereckiger Kasten mit 
viereckigen Fenstern, dessen plumpen, dicken Mauern man an- 
merkt, daß es weniger modern ist als die andern. Aber daß es 
wirklich Tassos Geburtshaus ist oder noch Teile davon enthält 
— anderes ist gelegentlich ins Meer hinabgestürzt — muß man 
wissen, sonst käme man auf den Gedanken nicht, wenigstens ich 
prosaische Seele nicht. Onkel Erwin hat freilich hier einen 
seiner schönsten Gedanken gehabt: „Tassos Haus liegt hart auf 
steiler kahler Klippe, schroff über dem Meer. Die dunkelblauen 
Wellen scheinen unten an den Felsen anzuklopfen, hoffend wieder 
von jener süßen Stimme zur Ruhe gewiegt zu werden; sie heben 
ihre weißen Häupter, sie wollen den schlafenden Freund wecken, 
aber die Lorbeeren, die aus dem grauroten Felsen sprießen und 
in düfteschwangerer Abendluft ihre saftigen Blätter baden, winken 
ihnen Ruhe und singen tröstend vom ewigen Kranz und Dichter- 
ruhm; still seufzend gleiten dann die Wellen wieder hinab." — 
Ist das nicht wunderschön? Da sieht man recht, wie die Phan- 
tasie die Welt umgestalten und aus der elendesten Hütte sich 
ein Feenschloß aufbauen kann! Darin ist nichts Falsches, nichts 
künstlich Hinaufgeschraubtes, sondern nur glückliche begeisterte 
Stimmung, die ich sehr wohl nachempfinden kann, aber nur selten 
kommt sie bei mir von selbst, wenigstens bei Tassos Haus, das 
wir freilich im hellen Sonnenschein sahen, mit der Staffage eines 
im Hintergrund lungernden Kellners, kam mir nichts der Art in 
den Sinn. . . . Dazu kommt, daß Onkel Erwin Tasso als Dichter 
kannte und liebte und ich nicht, ferner stand damals noch nicht 
jener marmorne Theater „Marquis Posa" auf dem Hauptplatz des 
Ortchens, der jetzt jedem vernünftigen Menschen den ganzen 
Tasso verleiden muß. 

Doch zurück zu Gildemeister und mir in die piccola Sirena! 
Wir gingen, während das Essen bereitet wurde, in den Garten, 



— 265 — 

der vou Orangen- und Rosenduft erfüllt war, aber so dicht voll 
niedriger Bäume stand, daß die Luft darin unfreundlich dumpf 
war, uDd wir bald auf die kleine Terrasse heraustraten, mit 
weiter Aussicht über das Meer. Auch hier dieselbe unheimlicii 
stille Abendstimmung, die Sonne schon unten, der Himmel rot- 
violett in formlosen häßlichen Wolkenstreifen, das Meer ohne alle 
Wellenbewegung, regungslos wie ein ungeheurer Sumpf, gegen- 
über der Vesuv, dessen Dampfen überhaupt etwas diabolisch 
Unheimliches hat und nur dank der Glückseligkeit der Umgebung 
bisweilen anders erscheint — genug, ich mußte an die Ströme 
der Unterwelt denken, als ob hier der erbarmungslose Fähr- 
mann mit einem großen Boot angefahren kommen könnte, 
um stille, traurige Schattenscharen abzuholen und sie ins 
trostlose ewige Schweigen hinüberzuführen. Lange saßen wir 
da und vermehrten das Schweigen der übrigen Natur: kein 
Vogel sang, kein Menschenlaut scholl herüber, nicht einmal 
ein fernes Donnern ließ sich hören, wie man wohl hätte er- 
warten können, da der Himmel so gewitterschwer erschien. — 
Dann aßen wir gut zu Nacht, bummelten noch etwas durch die 
Straßen der Stadt, fanden vor dem Dom eine herrlich große 
mittelalterliche Loggia, an die vou Florenz erinnernd, von der 
aus in alten Zeiten der Rat mit den Bürgern verhandelt und zu 
Festen sich versammelt hatte und stiegen auf schlecht beleuch- 
teten, malerischen Treppen und Stiegen ans Ufer hinunter, an die 
marina grande. Da war's nun sehr schön: oben auf dem Berg 
gegenüber ein rotes Feuer, wie wenn ein Schloß brennen würde 
(es waren Köhler), unten auf dem vorletzten Treppenabsatz saß 
unter einer freundlich schläfrigen Laterne ein hübscher Kara- 
biniere auf Posten, mit großen Augen ins Dunkel hinausblickend; 
das Wasser war schwarz, spülte sanft an die steinernen Stufen, 
und als wir näher hinsahen, spiegelten sich sogar die Sterne in 
den dunklen Wellen, viele, viele und immer mehr — und endlich 
kamen wir dahinter, daß es das berühmte Meerleuchten sei und 
daß blausilberne Perlen vom Grunde auf brodelten. Besonders 
wenn man darin plätschert, sprüht es wie von silbernen Funken. 
Wir wären gern ein Stück hinausgerudert, aber keine Seele war 



— 266 — 

mehr wach, es war zu spät. Die Boote lagen alle friedlich auf 
dem Ufer nebeneinander. Schließlich kam ein beleuchtetes Boot 
in Sicht und stieß ans Land. Es waren Fischer, ein Vater und 
zwei Söhne, schöngebaute junge Kerle, die ihre Netze ans Ufer 
zogen und beim Schein einer großen Blendlaterne untersuchten, 
was ihnen Schönes beschert war. Es war herzlich wenig, meist 
frutta di mare, so nennen sie alles mögliche und unmögliche 
Getier, kleine Tintentische, Seesterne usw., die hier gegessen 
werden. Als sie wieder abfuhren, fragten wir, ob wir mitfahren 
dürften. Sie forderten sehr viel, wir boten sehr wenig, und in- 
folgedessen machten sie sich schweigend und offenbar verstimmt 
wieder auf den Weg und wir auch. Es war ein tüchtiges Stück, 
das wir zu gehen hatten. . . . Nach einigem Herumirren kamen 
wir um ^/..H im Hotel an, schliefen gut und wachten bei trübem 
Wetter wieder auf. Die Sonne kam zwar spät durch, aber nur 
matt, weißlich und kraftlos, warm genug war's trotzdem. Den 
ganzen Vormittag strichen wir umher und stiegen um V2^^ ^^ 
die Postbarke nach Capri, die jeden Tag fährt und Passagiere 
nach Capri mitnehmen darf. Früher war's per Dampfer noch 
billiger, ja man konnte eventuell für einen Franc, sogar umsonst, 
von Neapel nach Capri fahren. . . . 

Die Bootsleute waren nette Kerle; unser einziger Reise- 
gefährte ein Großnefie von Max von Schenkendorf, ehemaliger 
Offizier, jetzt aber im Zivildienst angestellt, ein bescheidener, 
stiller, harmloser Mann, mit rotem, tidelem Gesicht. Anfangs 
mußte gerudert werden, nachher konnte man das Segel benutzen, 
aber es war im ganzen doch eine langweilige Fahrt, besonders 
wenn man sie mit jener herrlichen nach Amalfi vergleicht, und 
erst nach drei Stunden landeten wir in Capri. Wie die Insel 
näher und näher kommt, das ist freilich wunderschön, besonders 
die Ecke, die sie dem Festland zukehrt — durch Tiberius traurig 
berühmt — ist großartig. Von vielen Jungen, Mädchen und 
Kindern begleitet, die das Gepäck tragen, Blumen und Korallen 
anbieten, um einen bajoc bitten, oder nur neugierig sind, in 
welchem Hotel man absteigen wird, und die allesamt, sobald sie 
hören bei Pagano, einen mit einigen deutschen Brocken begrüßen 



— 267 — 

— so steigt man im Zickzack zwischen Gärten bergan, ist in 
einer guten Viertelstunde oben in Capri auf dem „Platz" und in 
zwei weiteren Minuten im Hotel Pagano. Glücklicherweise war 
noch Platz, was durchaus nicht immer vorkommt. — So nun 
habe ich's glücklich bis Capri gebracht. Der Rest mag folgen 

3. Juni 1877. 

Am Sonntag, den 3. Juni, war in Rom der bewußte große 
Doppelfesttag: das Jubiläum der Verfassung und das der Bischofs- 
weihe des Papstes. Von beiden habe ich nicht viel gesehen. 
Das Jubiläum wurde hauptsächlich durch eine große Parade am 
Morgen zwischen sechs bis sieben Uhr gefeiert, von der ich leider 
erst nachträglich hörte. Ich hätte doch gern einmal ein größeres 
militärisches Schauspiel hier mit angesehen. Ich habe mich bis 
jetzt noch nicht recht von der Richtigkeit des allgemeinen gering- 
schätzigen Urteils über die italienische Armee überzeugen können: 
„diese sei nur dazu da, um im ersten Moment Reißaus zu nehmen" 
und dergl., im Gegenteil finde ich, daß die Leute, sowohl außer 
Dienst wie auch, wenn sie von Feldübungen heimkehrend durch die 
Straßen marschieren, einen ganz vortrefflichen strammen, Eindruck 
machen. Das nur 100 oder 200 Mann starke Corps der königl. 
berittenen Leibgarde, ähnlich den französischen Kürassieren uni- 
formiert — mit langen schwarzen Roßschweifen von dem an- 
nähernd antiken Helm herabhängend — besteht sogar aus aus- 
gesucht schönen und großen Kerlen. Wilhelm soll bei seinem 
Besuch in Mailand ganz erstaunt darüber gewesen sein und, fast 
etwas eifersüchtig gefragt haben: wie viel Regimenter gibt es 
davon? Worauf ihm die beruhigende Antwort zuteil werden 
konnte: zwei Kompagnien (oder wie viele es nun sind). 

Die Hauptfeier des kirchlichen Festes fand in der Kirche 
San Pietro in Vincoli statt, wo Pius seinerzeit zum Bischof 
geweiht worden ist. . . . Ich hatte von der Hitze und dem Ge- 
stank der vielen Wachskerzen schon beim ersten Besuch so völlig 
genug bekommen, daß ich auf das Tedeum verzichtete. Es soll 
freilich sehr schön gewesen sein. Statt dessen ging ich in meine 
liebe Santa Maria sopra Minerva, eine Kirche, von der ich bisher 



— 268 — 

noch nichts erzählt habe. Auf den Fundamenten eines alten 
Minervatempels erbaut, ist sie die einzige gotische, nach deut- 
schen Begriffen daher die „kirchlichste" Kirche Roms. Aus der 
Frühzeit des Christentums existieren hier zahlreiche und zum 
Teil sehr große Basiliken, meist aus Bruchstücken heidnischer 
Tempel aufgebaut, aber nach der Karolingerzeit, wo anderwärts 
in Deutschland, in Oberitalien usw. die großen romanischen Dome 
entstanden sind, scheint sich in Rom nichts gerührt zu liaben — 
wenigstens ist nichts davon erhalten, und aus der Blütezeit der 
Gotik, wo in Florenz im Laufe weniger Jahre die drei größten 
Kirchen in Angriff genommen wurden, besitzt Rom eben nur 
diese eine Dominikanerkirche. Die frommen Herren holten sich 
ihre baukundigen Kollegen aus Florenz zu Baumeistern: Fra 
Sisto und Fra Ristoro, die dort Santa Maria Novella gebaut 
hatten (die Dominikaner zeigen sich auch in ihrem Talent für 
bildende Kunst als Vorläufer der Jesuiten). Die Kirche sieht 
denn auch der florentinischen sehr ähnlich, nur ist sie nocli 
etwas gedrückter in den Verhältnissen, und in Deutschland gibt 
es viele hundert, die schöner sind. Von außen ist natürlich nichts 
Gotisches mehr daran zu sehen. Aber sie ist sehr wohnlich durch 
die vielen schönen Grabmäler und sonstigen Kunstwerke in den 
Nebenkapellen und durch ihr — fast zu tiefes Dämmerlicht — 
während alle anderen Kirchen Roms hell sind, obenan St. Peter. 
Eins ist mir besonders aufgefallen: daß nämlich all die schönen 
Grabmäler aus der guten Zeit nicht nur von Florentinern ge- 
arbeitet sind (Mino da Fiesole und Schüler), sondern daß die- 
selben auch, meistens mit Ausnahme einiger Bischöfe und Kardinäle, 
Florentinern, Sienesen und Pisanern gesetzt wurden, die, sei es auf 
der Reise oder bei längerem Aufenthalt in der Fremde hier gestorben 
sind. Die Römer scheinen erst später Geschmack au diesem 
kunstsinnigen pietätvollen Luxus gefunden zu haben, nachdem er 
durch eine Reihe von Päpsten zum guten Ton erhoben war, 
aber freilich war die Blütezeit der Kunst da auch bald vorbei. 
Ein Grabmal dieser Kirche ist besonders hervorzuheben: ein 
schlichter Grabstein von mittelmäßiger Arbeit jetzt in die Wand 
eingelassen: Fra Angelico da Fiesule, der vom Papst Nicolaus V. 



— 2G9 — 

nach Kom berufen, um ihm im Vatikan eine Kapelle auszumalen, 
hier im Kloster seines Ordens wohnte und gestorben ist. 

Der Hauptaltar steht wie in so vielen gotischen Kirchen 
Italiens nicht hinten im Chor, sondern allen sichtbar, ganz vorn. 
Heute war er besonders schön angeordnet: die plumpen großen 
Zopfkandelaber und künstlichen Blumensträuße waren entfernt 
und statt dessen eine große Menge zierlicher schlanker Wachs- 
kerzen sehr geschmackvoll und stilvoll aufgebaut, welche in dem 
dunklen Raum zu voller, schöner, fast weihnachtlicher Wirkung 
kamen, trotzdem der helle Sonnenschein sich von außen auch in 
einige Nebenkapellen hineinstahl. Etwa vier Schritte vor dem 
Altar kniete ein schöner junger Geistlicher in weißer Kutte im 
stummen Gebete wohl eine halbe Stunde lang. ... Es war eine 
der schönsten Zeremonien, die ich je gesehen habe: der Altar 
im Schmuck und vollen festlichen Lichterglanz, die Kirche von 
Andächtigen gefüllt und dann stellvertretend ein einziger junger 
(reistlicher in schweigendem Gebet. Wie schön sind diese 
knienden Gestalten in geistlicher Tracht, demütig, schlicht und 
vornehm! 

Zu beiden Seiten des Altars stehen große Marmortiguren : 
links der berühmte Christus von Michelangelo, rechts ein mo- 
demer guter St. Johannis Baptista. Ich weiß nicht, ob Ihr diesen 
Christus kennt? In Weimar ist er im Abguß, man kann ihn dort 
besser sehen als hier in der beständigen Dunkelheit Er hat 
eigentlich nie viel Eindruck auf mich gemacht, aber als dunkle 
Silhouette vor diesem strahlenden Hochaltar wirkte er heute von 
meinem Standpunkt aus, mit seinem großen Kreuz ganz prächtig. 
Es war zu voll, um ohne Anstoß mein Skizzenbuch herauszu- 
ziehen, und aus der Erinnerung brachte ich nichts zusammen, 
so deutlich und schön der Gesamteindruck mir auch im Ge- 
dächtnis geblieben ist und bleiben wird: vorn im milden Dämmer- 
licht stand bis zu den Stufen des Altars hinauf die andächtige 
Menge. Groß und ernst, tiefschwarz, über ihr aufragend, die 
Christusgestalt, dahinter der Altar mit seinen vielen Kerzen, 
die sich in der graupolierten Marmorwand wiederspiegelten. Der 
weiße Mönch schwach vom warmen Kerzenlicht beschienen. 



— 270 — 

Hinter ihm Dämmerung, aber allerlei Gestalten, Menschen, Grab- 
mäler usw. belebten sie, etwas nach rechts fiel ein lustiger 
Sonnenstrahl in eine bunt ausgemalte, von Gold und fröhlichen 
Farben schimmernde Kapelle, quer über eine von Engeln um- 
gebene, gen Himmel fahrende Madonna (von Filippino Lippi). 
Doch was nützt die Beschreibung dem, der es nicht gesehen hat! 

Diese Kapelle ist übrigens höchst interessant, sowohl in 
ornamentaler Skulptur wie in Malerei. Der architektonische Teil 
des einen großen Wandbildes gehört zum Schönsten in seiner 
Art; ich habe ihn auch skizziert. Die Figuren sind eigentlich 
mehr sachlich als künstlerisch von Interesse. Dargestellt ist der 
Triumph des Thomas von Aquino, der von vier alten frommen 
Damen umgeben auf einem großen Thron sitzt und den „Un- 
glauben*' mit seinen Füßen aufs Jämmerlichste vermöbelt. Ihn 
selbst kostet es gar keine Anstrengung, er ist sogar kreuzfidel 
dabei. Im Vordergrund stehen, gefesselt, alle möglichen Ketzer, 
Arius usw. und sehen trübselig auf die Bücher, die zu ihren 
Füßen liegen und in denen ihre nach modernen Begriffen sehr 
einleuchtenden Errores zu lesen sind. 

Die Kirche ist mit großer Liebe restauriert worden; wäre 
sie heUer, so würde man sich gewiß oft über die vielen Bummel 
ärgern, jetzt stört nichts sonderlich, mit Ausnahme der grellen 
überlebensgroßen Figuren in den Glasfensteru des Chors, die 
sehr unecht wirken, wenn sie auch gut gezeichnet sind. Dies 
sind die einzigen farbigen Glasfenster in Rom, mit Ausnahme 
der neuen in der englischen Kirche und der ebenfalls neuen, 
aber nur mit leichten Ornamenten versehenen in der deutschen 
Kirche Santa Maria dell 'Anima, welche jetzt von einem der 
vielen Seitz aus München (es ist ja eine ganze Malerfamilie) nach 
meinem Dafürhalten musterhaft restauriert wird. Diese spezifisch 
deutsche, jetzt unter österreichischem Protektorat stehende, 
natürlich katholische Kirche ist nur mittelgroß, aber sehr hübsch. 
Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert. . . . Die Fassade schlicht 
und groß soll von Antonio da Sangallo d. Ä. sein. Sie liegt in 
gleicher Flucht mit den Privathäusern. Innen sind hohe, schlanke, 
viereckige Pfeiler, die mir ungemein gefallen und manch inter- 



— 271 — 

essante Grabmäler, alles Deutsche oder Holländer. Unter ihnen 
sogar ein Landsmann, Herr Hülsten aus Hamburg, im 17, Jahr- 
hundert hochgeehrter Oberbibliothekarius seiner Heiligkeit. Das 
Grabmal ist künstlerisch wertlos, doch befindet sich eine Wieder- 
holung (oder das eigentliche Original) des großen Bronzereliefs, 
welches den Hauptschmuck bildet, im Museum von Neapel und 
gefiel mir so gut, daß ich's, ohne zu ahnen, daß es patriotisches 
Interesse für mich hat, noch am letzten Tage dort eilig skizziert 
habe. Das glänzendste und interessanteste Grabmal ist das des 
armen Hadrian VI. Wie wenig paßte doch der stille, redliche 
pedantische Mann damals auf den päpstlichen Stuhl. Gewiß, er 
tat gut, bald zu sterben, viel Freude hätte er nicht daran ge- 
habt. Charakteristisch ist's auch, daß er hier unter seinen Lands- 
leuten begraben liegt und nicht in St. Peter, wo sich die meisten 
anderen Päpste ihre Grabmäler selbst schon bei Lebzeiten her- 
richten ließen oder von ihren Nachfolgern gesetzt bekamen. 
Diesen hat ein Kardinal, der mit ihm aus Holland gekommen 
war und ebenfalls hier begraben liegt, im Peter wieder aus- 
gegraben und hier zur Ruhe bringen lassen, ihm auch das präch- 
tige Grabmal gesetzt (von Peruzzi entworfen und von Tribolo und 
anderen ausgeführt). Recht friedlich liegt der alte Herr jetzt da, 
stützt sein müdes Haupt in die linke Hand, und die „Tugenden" 
stehen wie bei allen anderen Papstgräbern langweilig in den 
kleinen Nischen ringsum. Unten ist ein großes Relief: wie er in 
Rom ankam; das für bildliche Darstellung wohl einzig geeignete 
Faktum seines kurzen Pontifikats. . . . Der nüchterne alte Herr 
wäre vermutlich sogar über die Pracht des eignen Grabmals ent- 
setzt gewesen! . . . Doch wohin komme ich? Bei Briefen aus 
Rom schwatze ich eine lange Seite von dem Hauptgegner der 
römischen Kunstblüte! — Ich wollte eigentlich nur erzählen, mit 
welch inniger Freude ich diese Seitzsche mit echt deutscher 
Pietät und Gründlichkeit unternommene Restauration betrachtet 
habe! Die Gewölbe mit zierlichem, reichfarbigem und vergoldetem 
Ornament bedeckt wirken so fein, so wenig bunt (obgleich so 
lebhafte Farben angewendet sind wie nur möglich) wie die alten 
Sachen, die Glasfenster ebenfalls einfach und angenehm; über- 



— 272 — 

haupt wird alles Vorhandene, was irgend Berechtigung hat, ge- 
lassen und ohne allen Parismus vorgegangen. 

Heute . . . nahm ich noch kurzen Abschied von den beiden 
nahe gelegenen großen Jesuitenkirchen: il Gesü und San Ignatio. 
Erstere ist älter und schöner, noch von Vignola, die andere auch 
sehr würdevoll und einigen meiner Architektenfreunden besonders 
lieb. . . . Beide sind natürlich überaus reich dekoriert, namentlich 
die Kuppel und Plafondsmalerei ganz virtuos. Aus der einen 
Decke „Triumph des Namens Jesu" stürzt ein Schwärm von 
Teufeln und Verdammten von Racheengeln gejagt, in wilder 
Flucht kopfüber über den Rahmen des Bildes weg, in die Stein- 
architektur hinunter. Das ist technisch so brillant gemacht, 
auch die einzelnen Figuren und Gruppen von solcher Rubensscher 
Kraft und Lebendigkeit, daß erst einmal einer kommen soll, um 
das nachzumachen. Ebenfalls im Gesü befindet sich in einem 
Querschiff der prächtigste und kostbarste Altar, den es wohl gibt, 
dem S. Ignatius Loyola geweiht. Die edelsten Marmorarten, Me- 
talle und namentlich Lapislazuli sind daran verschwendet. Übri- 
gens ist er auch künstlerisch gar nicht ohne. Zu beiden Seiten 
stehen überlebensgroße Gruppen: 1. der siegreiche Glaube, der 
die Schlange zertritt, ein ungläubiger König, der sich den hinab- 
zerrenden Armen des Unglaubens entwindet, strebt andachtsvoll 
zu ihm empor; 2. wieder der siegreiche Glaube, die Ketzer zer- 
schmetternd. Die erste Gruppe gehört zu den klarsten und besten 
Allegorien, die ich kenne, und ist wirklich, von den etwas 
barocken Einzelformen abgesehen, voll Leben und Schönheit. In 
den untergeordneten Stuckdekorationen mit Kränzen und Putten 
leistete jene Zeit das All ervorzüglichste und wird noch immer 
nicht ganz nach Gebühr geschätzt, z. B. gibt es so außerordent- 
lich weniges der Art in Photographie, während jede noch so lang- 
weilige Antike in allen Formaten zu haben ist. Glaubt nicht 
etwa, daß ich die Antike oder die Werke des Mittelalters nicht 
nach Gebühr schätze, ich sage nur, die Photographen und das 
große von den Reisebüchern geleitete Publikum beachtet jene 
mit dem billig abzuurteilenden Namen der „Barockzeit" behaf- 
teten, kleinen Meisterwerke noch lange nicht genug. Und gerade 



— 273 — 

diese Jesuitenkirchen Roms bieten so viel Schönes! Eine Ma- 
donna z. B., die das Kind zu dem inbrünstig betenden Ignatius 
sich herabneigen läßt (ganz hoch als Wandfiäclienfüllurig ange- 
bracht), ist so lieblich und hoheitsvoll, daß sie sich mit dem Be- 
rühmtesten messen könnte; oft habe ich sie betrachtet, aber so 
oft ich anfangen wollte sie zu zeichnen, ging neben mir eine 
Messe vor sich, so daß ich wieder einpacken mußte. — An einem 
der letzten Tage in S. Maria Minerva jedoch forderte der Mini- 
strant, als ich beim Beginn der Messe in eine kleine Neben- 
kapelle gehen wollte, mich freundlich auf, den Platz zu be- 
halten und mich nicht stören zu lassen, was ich denn auch tat. 
So tolerant ist man hier! 

Von diesen Jesuitenkirchen aus ging ich auf das mit Flaggen 
geschmückte Kapitol, dessen Sammlungen jedoch, wie ich mir 
schon halb gedacht hatte, zur Feier des Tages geschlossen waren. 
Was macht Ihr Euch für einen Begriff vom Kapitol? Gar keinen? 
Oder einen falschen? Ich machte mir, ehe ich es sah, eigent- 
lich gar keinen, und jedenfalls darf man sich keinen zu im- 
posanten machen. „Hinauf aufs Kapitol!" das klingt so wunder- 
voll großartig, daß die WirkUchkeit enttäuscht. Von der mo- 
dernen Stadt aus steigt man auf breiten niedrigen Stufen eine 
Rampentreppe hinauf, an deren unterem Ende zwei rote ägyp- 
tische Porphyrlöwen liegen, während oben Kastor und Pollux, 
riesengroße antike Figuren neben kleinen Pferden stehen. Nun 
ist man auf einem mäßig großen Platz, an dessen drei anderen 
Seiten je ein stattlich großer Palazzo steht: geradeaus der Se- 
natorenpalast mit hochansteigender Freitreppe und einem großen 
Brunnen davor, von zwei kolossalen antiken Flußgöttern ein- 
gefaßt, und rechts und links einer genau wie der andere, der 
Konservatorenpalast und das kapitolinische Museum, beide nach 
Michelangelos Entwurf erbaut, stellenweise wuchtig schön, im 
ganzen aber doch ohne rechte Harmonie: das Gesims ist so schwer 
und der Unterbau fehlt so ganz, daß es aussieht, als hätte die 
Steinmasse von oben das ganze Ding um einige Meter in die 
Erde gedrückt. — In der Mitte dieses Platzes steht das antike 
bronzene Reiterstandbild des Marc Aurel, dessen ehemalige Ver- 

Schapire, Hans Speckters Briefe. _ 18 



— 274 — 

goldung noch deutlich sichtbar ist. . . . Mit diesem kleinen Platz 
und seinen drei Palästen ist jedoch der kapitolinische Hügel noch 
nicht erschöpft, vielmehr ist dies erst das mittlere Drittel des- 
selben. Nach rechts und nach links ist noch Eaum für andere 
Baulichkeiten, und diese beiden Ecken sind außerdem höher als 
die Mitte. Rechts, mit weiter Aussicht auf das ganze Tibertal, 
an der Stelle des alten Jupitertempels, liegen die Gesandtschafts- 
gebäude des deutschen Reiches: der Palazzo Caffarelli, wo Keudell 
wohnt, mit Garten, Stallungen usw., dann das neue, berlinerisch 
nüchterne, aber doch ein gewisses Etwas von Schinkelscher Vor- 
nehmheit bewahrende Gebäude des archäologischen Instituts, mit 
offener Loggia, weit über die Lande schauend, sowie einige, 
meist von Archäologen bewohnte Privathäuser. Links, an der 
Stelle der alten „Burg" von Rom, eine alte mit antiken Säulen 
erbaute Basilika (S. Maria Araceli) mit Kreuzgängen und Neben- 
gebäuden. — Unmittelbar hinter dem Kapitol geht es steil hinab 
aufs alte Forum und den ganzen Komplex der alten Stadt; die 
Ausgrabung ist im Gange, kommt aber infolge der geringen Mittel 
nur langsam vom Fleck, genau wie in Pompeji. Ich finde das 
ganz gut: mögen spätere Zeiten auch das Vergnügen haben, 
etwas zu finden, denn einmal muß es ja doch alle sein. Und 
gefunden wird immerhin genug, um die Kennerwelt in Spannung 
zu erhalten. Während meines Aufenthaltes ist allerlei ausgegraben 
worden. . . . 

Die Gegend zwischen Kapitol und Tiber hat ganz den Cha- 
rakter einer kleinen Vorstadt. Da stehen zwei antike Tempel- 
chen, ein rundes und ein eckiges, ganz leidlich erhalten, uralte 
kleine Kirchen, große öde Plätze, enge Straßen, ein einsamer 
großer Tritonenbrunnen steht halbzerschlagen auf einem sonnigen 
Platz und wirft einige spärliche Wasserstrahlen in die gewaltigen 
Quaderbecken, und im schmalen Schatten auf den Stufen des 
Rundtempels schlafen halbnackte Bengel oder eine zottige Ziegen- 
herde mit ihrem ebenso zottigen Hirten: so ist dies vielleicht 
malerischste Quartier Roms. Dort ist auch eine nette, billige, 
kleine Kneipe, wo man unter schattigem Strohdach sitzend, auf 
die gelbe sonnige Flut des Tiber hinabsehen kann, Wein, Brot, 



— 275 — 

Eier und Schinken bekommt und die seltenen Spaziergänger 
beobachtet, die über die alte Brücke gehen, oder die treibenden 
Netze der Flußiischerboote, welche zwischen den Pfeilern der 
Brücke ankern und . . . nie auch nur das kleinste Fischchen zu- 
tage fördern. — Dort also saß ich, aß, trank, skizzierte, und die 
übrigen Gäste spielten Boccia oder Karten und waren so still 
und harmlos vergnügt dabei, so fern von allem Streit und Zank, 
der beim Kartenspiel bei ungebildeten Leuten bei uns doch selten 
ausbleibt, daß es wirklich eine rechte Freude war. Echt römi- 
sche Sonntagsnachmittagsstimmung! So war die Uhr gegen vier 
geworden. Ich schlenderte über den großen sonnigen Platz und 
konnte nicht umhin, in die alte Kirche S. Maria in Cosmedin 
oder Bocca della Veritä hineinzugucken, obgleich ich sie schon 
zur Genüge kannte. Es ist eine jener alten, aus antiken Säulen 
und Kapitellen aufgebauten Basiliken, mit schönem farbigem 
Marmorboden; besonders interessant dadurch, daß der Altar, die, 
beiden Ambonen (d. h. die Pulte rechts und links vor dem Altar, 
von denen aus hier die Episteln, dort die Evangelien vorgelesen 
wurden), der Osterleuchter usw. noch aus alter Zeit in früh- 
mittelalterlichem Stil so vollständig erhalten sind wie in nur 
wenig alten Kirchen. — Hier bot sich mir ein wunderhübsches 
Bild: es war Sonntagsschule oder Christenlehre, oder wie maus 
nennen will in der Kirche. In Abteilungen von 12 bis 20 saßen 
gesondert die Großen, die Kleineren und die ganz Kleinen, an 
der einen Seite die Mädchen, an der andern die Knaben, in ein- 
zelnen Karrees von Bänken in der Kirche verteilt, teils von jungen 
Geistlichen, teils von Nonnen unterrichtet, alle ganz still und 
heimlich in dem schönen kühlen Raum, und ein freundlicher, 
dicklicher, alter Pfaff ging von einer Abteilung zur anderen, um 
Ordnung zu halten. Sehr aufmerksam waren die Gören nicht, 
im Gegenteil, sie schwatzten und kicherten fortwährend zusammen 
und die kleinen Mädchen schwangen ihre Fächer mit dem größten 
Eifer. Aber hübsch war es! Besonders die Schar, die sich vor 
dem Altar zwischen den alten, graugelben Marmorambonen und 
auf den Stufen desselben niedergelassen hatte, lauter fidele 
hübsche, kleine Mädel mit blitzenden Augen, in bunten Sonntags- 

18* 



— 276 — 

kleidern und in ihrer Mitte die schlichte, schwarze, junge Nonne 
mit ihrer großen, schneeweißen, abstehenden Haube. — In Süd- 
deutschland geschieht es auch, wie mein Schwabe mir sagte, daß 
die Sonntagsschulen in der Kirche stattfinden, vielleicht auch bei 
uns auf dem Lande, aber warum nicht in der Stadt?! Bei uns, 
wo die Kirchen leider nur zum Predigthören da sind und dann 
gleich wieder geschlossen werden, entfremdet sich die Mehrzahl 
der Bevölkerung ganz selbstverständlicherweise der Kirche immer 
mehr. Stünden sie immer offen, so würde mancher hineingehen 
und sich an der Feierlichkeit der Räume, dem frommen Sinn 
der Väter, die ihn schmückten, erbauen und mehr Teilnahme für 
Religion in sich aufnehmen; besonders sollte man die Kinder 
schon früh mit dem Gotteshaus vertraut machen, so daß sie sich 
darin zu Hause fühlen und es nicht bei der Konfirmation zum 
ersten Mal zu sehen bekommen. „Die Protestanten haben ihren 
Gott eben nur für Sonntag und müssen jedesmal einen kleinen 
Anlauf nehmen, wenn sie zu ihm wollen; die Katholiken aber 
haben ihn stets zur Hand, er ist ihnen ein vertrauter Freund, 
dem sie auch jedes kleine Anliegen ungeniert anvertrauen können'-, 
hat ein katholischer Freund zum alten Perthes gesagt, der mehr- 
fach darauf zurückkommt. Seine Caroline freilich ist gar nicht 
damit einverstanden und ordentlich erregt darüber, daß ihr Perthes 
es „nicht ohne" gefunden hat. 

Diese alte Kirche hat ihren Beinamen Bocca della Veritä, 
Wahrheitsmund, von einer großen Fratze, die in der Wand der 
Vorhalle eingemauert ist . . . und von der man früher glaubte, 
daß, wenn ein Meineidiger seine Hand in diesen Mund steckte, 
er sie nicht wieder hinausziehen könne! 

Von dort ging ich nach dem Aventin. Dieser Hügel, ehe- 
mals vom „Volk*' bewohnt, hat eigentlich die schönste Lage unter 
allen sieben Hügeln Roms, aber schon im Mittelalter war er 
ebenso verlassen wie heute. Die Luft soll schlecht sein — durch 
die Nähe des Tiber vielleicht? Aber gerade daß man von ihm 
aus auf den Fluß hinabschaut und seinen Schlangenlauf weithin 
verfolgen kann, ist so schÖD. Es stehen vier oder fünf große 
Kirchen auf dem Hügel, neben den meisten Klosteranlagen, 



— 277 — 

sonst nichts als Gestrüpp, Gärten und Gemüsebeete. Ich habe 
nur die eine Kirche gesehen, Santa Sabina, und bin in die 
übrigen nicht mehr gekommen. Überhaupt war dies in der 
ganzen langen Zeit mein erster und mein einziger Besuch auf 
dem Aventin. Santa Sabina ist, seit der alte San Paul ab- 
gebrannt ist, die größte unter allen römischen Basiliken. Die 
gewaltigen 24 Säulen mit gut erhaltenen korinthischen Kapitellen 
stammen alle aus einem Tempel, während man sich sonst oft zu- 
sammensuchte, was man gerade fand, so daß manchmal eine 
Säule doppelt so dick ist wie die daneben stehende und ionische 
und korinthische Kapitelle wechseln. Ist dies oft sehr lustig und 
malerisch, so wirkt dies Gleichmaß natürlich feierlicher und 
großartiger. Sonst ist die Kirche ziemlich kahl, bemerkenswert 
darin ist nur ein kleines Altarbild von Sassoferrato, welches man 
für ein gutes modernes Bild (etwa vom Düsseldorfer Heiligen- 
Müller oder von einem Belgier oder Franzosen) hält, ehe man 
weiß, daß es 200 Jahre alt ist. 

Das Schönste an Santa Sabina ist der Garten, mit der Aus- 
sicht auf Rom, den Tiber, der hier ein paar Dutzend Segelschiff- 
chen trägt und die weite Ebene, in ihrer großartigen unfrucht- 
baren Öde. Schön und lieblich, aber recht wehmütig ist's hier 
oben. Nie habe ich so deutlich die Empfindung von Roms ver- 
sunkener Herrlichkeit gehabt wie hier. Die antike Welt hat 
wunderbarerweise keine Spuren auf dem Aventin zurückgelassen 
— und doch war er der lebhafteste, dicht bevölkertste Stadtteil, 
reich an Tempeln und Heiligtümern ; das Mittelalter, welches hier 
zwar kein wirkliches Leben geschaffen hat, aber doch große 
Kirchen und bedeutende Klöster, ist auch dahin, die Kirchen sind 
kahl, die Klöster leer, die Gärten verkommen, die Lauben und 
Latten für den Wein werden morsch, brechen und niemand er- 
setzt sie durch neue. Unkraut wuchert überall, nur einzelne 
Rosen und silberweiße, schlanke Lilien ragen noch daraus hervor. 
Unten die Stadt lag tot und schweigend da, auf dem Fluß, in 
den Straßen keine Seele, nur in der Ferne ragte St. Peter groß 
und stolz in die Höhe. . . . 

Der Abend war feierlich schön wie so viele hier in Rom. 



— 278 — 

Großartige dunkle Wolken bildeten sich bei Sonnenuntergang, 
dann lag die Stadt grau und kalt wie eine Leiche da, und über 
ihr glänzte der Himmel in den prächtigsten Purpurfarben, — 
Beim Hinuntergehen fragte ich zwei Franziskaner, die den gleichen 
Weg gingen, nach dem Namen einer kleinen Kirche am Wege. 
Sie gaben mir Auskunft, und der eine, ein alter Mann mit fein- 
geschnittenem, nordisch-blassem Kopf und hellen, großen, blauen 
Augen fragte mich: „Sie sind wohl ein Deutscher? Da ssind wir, 
wenn auch nicht Landsleute, sso doch Nachbarn: ich bin von 
Kjöbenhavn." Es war ein netter, feiner, alter Mann, aber etwas 
ungemein Wehmütiges lag über ihm, obgleich er für sein Alter 
frisch und gesund aussah und nicht klagte. Aber er war so 
apathisch, resigniert, ohne Spur von Begeisterung, als ich die Rede 
auf den heutigen Festtag brachte und fragte, ob er in S. Pietro 
in Vincoli gewesen sei: „Nein, da ist es sso voll und sso heiß 
und sso vielen Swindel, der nichs für mich alten Mann ist." — 
Am Forum trennten wir uns, ich ging zur Stadt ins Leben, er 
mit seinem Genossen auf den Palatin, „da ist mein Kloster 
S. Bonaventura, Ssie werden die sswei ssjönen Palmen gewiß 
schon gessehen haben, die oben bei uns wachsen." — Freilich 
hatte ich die zwei Palmen schon oft gesehen, meist wenn der 
Abendhimmel goldig grün hinter ihnen flimmerte und sie ihre 
Kronen sanft bewegten und neigten. Dies stille kleine Kloster 
da oben, der einzig bewohnte Platz zwischen den großartigen 
Trümmern der Kaiserpaläste war mir immer als ein besonderer 
Ort des Friedens und Ausruhens erschienen. 

Am nächsten Abend hörte ich Näheres über den alten Mönch. 
Er war Maler gewesen und Protestant, aus Überzeugung über- 
getreten und Franziskaner geworden. Pater konnte er nicht 
werden, dazu fehlte ihm die gelehrte Vorbildung, aber als Frate 
gewann er bald eine sehr angenehme Stellung, da er dem Kloster 
durch seine Heiligenbilder Geld einbrachte, die er weder gut 
noch schlecht, aber mit Liebe und Freude malte. Man gab ihm 
Dispens von allen harten Obliegenheiten, entband ihn, als er 
älter und seine Gesundheit schwankend wurde, vom frühen Auf- 
stehen und baute ihm schließlich ein schönes großes Atelier. 



— 279 — 

Dort bat der Maler Ludwig, der mir dies erzählte, ihn mehrfach 
besucht und jedesmal den Eindruck eines friedlichen, glücklichen 
Greisenalters mit beimgenommen. Aber nun kam das Jahr 70 
und das rigoristische Vorgehen gegen den Klerus. Die Zahl der 
Mönche dieses Klosters wurde zwar nur unwesentlich beschränkt, 
aber ihnen wurden alle besseren Räume genommen und Douaniers 
ins Kloster gelegt, das verrufenste Corps aller italienischen Be- 
amten, die da oben mit ihren gemeinen Weibern eine Sauwirt- 
schaft trieben. Auch das Atelier ist mit Beschlag belegt, steht 
zwar ganz leer und unbenutzt da, aber der alte Mann darf nicht 
hinein und malt nun oben auf dem Boden, in einem kleinen un- 
freundlichen Winkel weiter. . . . Daß die Leute doch nicht so ganz 
Unrecht haben, wenn sie von einer „Verfolgung der Kirche" 
reden, zeigt dieser Fall. Es ist immer das alte Lied: die Großen, 
gegen die derartige Gesetze gerichtet sind, trifft es nicht, sondern 
die Kleinen, die nichts verschuldet haben und denen man — 
wenigstens die wirklich Gebildeten — nichts zu Leide tun wollte! 
Es ist verwunderlich, wie viel Leute ich hier kennen gelernt 
habe, die, obgleich völlig frei über religiöse Dinge denkend, doch 
den Klerus sehr in Schutz nehmen und aufs äußerste empört 
sind über die moderne Regiererei hier zu Lande, welche, wenn 
auch gewiß von besseren Grundprinzipien ausgehend, doch in der 
Ausführung so viele Bummel und Taktlosigkeiten begeht, und in 
der Regel durch ihre kleinlichen, dummen, frivolen und ehrlosen 
Beamten einen Zustand herbeiführt, dem der frühere mit all 
seinen Fehlern in mancher Hinsicht vorzuziehen gewesen sein 
soll 

Rom, 4. Juni 1877. 
Lieber Onkel Heinrich! 
. . . Die kirchlichen Hauptfestlichkeiten konzentrierten sich 
am Fronleichnamstag in S. Pietro in Vincoli. ... Es ist eine 
mittelgroße Basilika mit 20 antiken, ausnahmsweise dorischen 
Säulen, sonst aber ein so fader, armseliger Zopf bau, wie kaum 
ein anderer in ganz Rom, was viel heißen will. Ln Querschiff 



— 280 — 

aber steht das Grab Julius IL mit dem Moses, der grimmig auf- 
zufahren scheint, als wollte er aufspringen und wie ein Simson 
den jämmerlichen Bau zusammenreißen, der ihn einengt. — Die 
Kirche war schon seit 14 Tagen in modern katholischer Weise 
geschmückt, d. h. durch rote Gardinen, goldene Flitter, in den 
Kannelierungen der Säulen (was nicht schlecht aussah), und zahl- 
lose ordinäre Glaskronleuchter in eine prächtige Festhalle oder 
in einen Tanzsaal verwandelt worden, nur die Ecke des Moses 
hatte man doch nicht anzutasten gewagt. Pfaffen, Pilger, neu- 
gierige Römer und Bettler drängten sich. Es wurde gepredigt, 
kokettiert, geschwatzt, gelacht, vor allem aber geschwitzt, denn 
die Luft war fürchterlich: alle Fenster verhängt, statt dessen 
wohl tausend Wachskerzen und ein fortwährender, dicht ge- 
drängter Menschenstrom, das genügt! Am eigentlichen Festtag 
habe icli deshalb gar nicht versucht hinzugehen, obgleich die 
Musik sehr schön gewesen sein soll. Jetzt verläuft sich die 
Pilgerschar allmählich! 

Am 1. Juni machte ich meinen Abschiedsbesuch in der 
E'arnesina. Herr Chigi aus Siena hat sie sich bauen lassen. 
Herr Chigi war, was heutzutage die Torlonias sind, Bankier der 
Päpste. Vermittelst dieser Stellung erreichte er auch, was meines 
Wissens kein anderer Privatmann erreicht hat, daß Raffael ihm 
in zwei verschiedenen Kirchen seine Kapellen ausschmückte und 
sich obendrein zur Ausmalung dieses Sommerhauses verstand. 
Einem so einflußreichen Mann konnten selbst Julius IL und 
Leo X. es nicht abschlagen, so eifersüchtig sie auch sonst auf 
die Werke ihres Lieblings waren. 

Das Haus liegt in Trastevere, sein mittelgroßer Garten stößt 
an den Tiber. Es liegt noch in der Stadt, aber doch außerhalb 
des Verkehrs, früher wohl noch einsamer als jetzt. . . . 

Die Architektur ist von Baldassare Peruzzi, einfach und an- 
spruchslos, meist Backsteinbau, aber von sehr anmutigen Verhält- 
nissen. Peruzzi ist nächst Bramante der Hauptbaumeister in der 
Hochrenaissance Roms. Kirchen von ihm kenne ich nicht. 
Überhaupt wurden ihm selten Aufgaben zuteil, bei denen er so 
recht aus dem Vollen arbeiten und sich gehen lassen durfte. 



1 



— 281 — 

Sogar hier scheint das Material zu zeigen, daß er sparen mußte, 
und in seinem Hauptbau, dem Palazzo Massimi, hatte er mit 
anderen Schwierigkeiten zu kämpfen, nämlich mit dem Platz in 
einer engen krummen Straße. Aber gerade da bewährte sich 
sein Talent glänzend, er baute im Untergeschoß eine gebogene 
Säulenhalle, die in meinen Augen so schön ist wie nur irgend 
etwas von Bramante. Am liebsten ist mir ferner noch ein dritter 
kleiner, schlecht gelegener und jetzt ganz verbauter Palast 
(Linotta): unten Rustika, die ich so gern habe, oben Back- und 
Sandstein. . . . Peruzzi war zwei Jahre älter als Ratfael und 
stammte aus Siena — daher vielleicht Chigis Bestellung. — Er 
war auch Maler. Sonderlich gute Bilder kenne ich von ihm nicht, 
aber manche hübsche dekorative Sachen, so die Decke des 
zweiten Zimmers der Farnesina und im ersten Stock eine Serie 
richtiger „Architekturbilder", wohl das früheste Beispiel dieses 
Genres, aber die bekommt man nicht zu sehen. Der jetzige 
Besitzer der Famesina zeichnet sich nämlich nicht gerade durch 
Liebenswürdigkeit aus. Daß er sein Haus nur zweimal monatlich 
zeigt, will ich ihm nicht verdenken, auch, daß er den ersten 
Stock nicht sehen läßt, noch entschuldigen, aber daß er in den 
zwei zum Empfang der Fremden geöfiheten Zimmern alle Stühle 
und Sofas mit den Sitzen gegen die Wand umdreht, so daß man 
sich auf die Fensterbank setzen muß, wenn man alles in Behag- 
lichkeit betrachten will, das ist knotig. Ganz anders Torlonia, 
der seine Villa Albani für jeden Dienstag Nachmittag extra zu- 
rechtmachen, Polster auf die eiserneu Gartenstühle legen und die 
Überzüge von den Damastsesseln entfernen läßt. Da kommt man 
von vornherein in eine freudig festliche Stimmung. — In der 
Farnesina müßte nun erst recht alles geschehen, um einen in diese 
zu versetzen! . . . Denn wie vieles fehlt, damit Raffaels Werk hier 
wirke wie es sollte! Von den jetzt durch Fenster geschlossenen, 
früher offenen Bögen will ich ganz schweigen, obgleich es sehr 
wesentlich ist. Aber daß die lustige Götterwelt nicht mehr auf 
die glänzenden Feste der ersten Gesellschaft des damaligen Rom 
herabsieht, auf die strotzenden, prächtigen Gewänder üppig 
schöner Weiber, auf geistvolle Prälaten in farbigen Talaren, auf 



— 282 — 

ritterlich elegante, zierliche Kavaliere und Künstler, auf strahlende 
Tafeln, überladen von Goldgeschirr, Blumen, Früchten und bunten 
Schauijerichten, sondern, daß sie jetzt eine philiströse, praktisch 
reisemäßig gekleidete Gesellschaft unter sich sehen müssen, die 
müde und halb verdrießlich am Boden hockt, ihren Baedeker 
oder Murray vor der Nase hat und darin Aufschluß über die 
Bedeutung jeder einzelneu Szene sucht, und wie verrückt hinauf- 
opernguckert — das ist traurig. — Operngläser sind hier schon 
gar nicht am Platz; denn bekanntlich ist nur die Komposition 
von Raffael, und Giulio Romanos Ausführung, wenn auch besser 
als viele seiner eignen Sachen in Mantua, doch so, daß man 
schon ohne Opernglas Mängel genug bemerkt. Wer darauf aus- 
geht, Unschönheiten der Zeichnung im einzelnen zu finden, der 
hat hier reichlich Gelegenheit — hat man sie doch auch in 
Raffaels eignen Sachen! 

So viele glauben, Raffaels Größe bestände in seiner „Richtig- 
keit", „P'elilerlosigkeit" usw. und seine Größe liegt doch ganz wo 
anders! Für mich liegt sie auch hier wie überall besonders in 
der genialen Gesamtertindung, in dem richtigen Gefühl für das, 
was in diese Räume paßt und die Stimmung, die darin herrschen 
soll, erhöht und belebt. Fürs Leben hat er sie geschaffen, für 
fröhliche, kluge, glückliche, reiche, sorglose, schöne, verliebte, 
naive Menschen. Die sollten sie erfreuen und beglücken! Für 
Galeiiekenner, Kunstzergliederer, Operngläser malte er sie wahr- 
haftig nicht. 

Im einzelnen kennt Ihr sie ja. Wie manches so vollendet 
schön, anderes nur bedingt zu bewundern ist, besonders die beiden 
Deckenbilder, die wie Teppiche zwischen der Blumenarchitektur 
ausgespannt sind, das brauche ich nicht zu erörtern: aber der 
Gesamteindruck dieses luftigen Blätterbaus, nicht zu zierlich, 
nicht zu plumj), durch dessen Öffnungen der blaue (roh über- 
malte) Himmel hereinscheint, auf dessen Grund all jene seligen 
Göttergestalten schweben und handeln, das ist ewig schön und 
nachah m ungswert. 

Die Wände sind mit imitierten Teppichen bespannt, hell- 
graubraun, schlicht gemustert, mit gobelinartig- verschossener, 



— 283 — 

breiter Fruchtkranzborde und bunten Wappen in der Mitte. Mir 
gefällt das sehr gut, und ich kann mir sehr wohl denken, daß 
es ursprünglich ebenso oder ähnlich war. Zwischen dem buuten 
Treiben der Gesellschaft unten und dem bunten Göttcrgowimmel 
oben verlangt das Auge eine ruhige, nur ganz anspruchslos ge- 
schmückte Fläche, auf der es ausruhen und sich erholen kann. 

Wie Raflael sich das zweite Zimmer gedacht hat, ist un- 
bekannt. Nichts würde mich mehr interessieren als authentische 
Auskunft darüber oder Skizzen. Die von ihm selbst gemalte 
Galathea ist auf der Hauptwand, aber nicht auf deren mittelster 
Fläche. Was mag er in die Mitte haben malen wollen?! Jetzt 
sind ringsum graugrün verblichene Landschaften, die zwar ruhig 
wirken, aber doch unangenehm schlecht sind, freilich annehm- 
barer als Sebastiano del Piombos „Polyphem" im Feld links von 
der Galathea, ein unflätiger überlebensgroßer Kerl, der sie ver- 
liebt ansehen soll. Von Piombo sind auch die Lünetten, von 
Peruzzi dagegen die Zwickel und die Decke selbst. Manche be- 
wundern diese; mir gefällt sie im einzelnen zwar teilweise recht 
gut, aber im ganzen kann ich keine rechte Harmonie darin 
finden. Besonders stört es mich, daß all diese vielen Felder von 
Figuren ausgefüllt werden, und diese obendrein alle von etwa 
gleicher Größe sind. Abwechslung von Bild und Ornament und 
Abstufung der Größen scheinen mir zu einem harmonischen Ein- 
druck der Art sehr wesentlich. ... 

7. .Juni. Zur Abwechslung folge jetzt mal wieder etwas 
Landschaft zwischen all den mythologischen und kirchlichen 
Bildern! Am 5. und 6. machte ich den Ausflug ins Albaner- 
gebirge, den ich mir im April geschenkt und auf später ver- 
schoben hatte. Rechte Lust dazu hatte ich gar nicht mehr, ich 
habe der Ausflüge nachgerade genug gemacht, aber ^4 Jahr in 
Rom und nicht am Nemisee gewesen sein, das ging doch wohl 
nicht an. . . . So folgte ich der Aufforderung zweier Bekannten 
und fuhr am Dienstag früh mit ihnen nach Albano. Der ganze 
Zug steckte voller Pfafi"en und Pilger, die nach Neapel weiter 
dampften. Wir gingen nicht den gewöhnlichen Weg nach Albano, 
sondern direkt nach Ariccia, einem herrlich gelegenen kleineu 



— 284 — 

Nest, welches von Albanos letzten Häusern durch eine tiefe Kluft 
getrennt, aber seit einigen Jahrzehnten durch einen kolossalen 
und sehr schönen Viadukt überbrückt ist. Viadukte tragen, glaubeich, 
immer zur Verschönerung der Gegend bei. Hier wurde der Park 
Chigi besehen, der wie die üppigsten Waldpartien Mitteldeutsch- 
lands, eine schattenkühle Wildnis ist und in dessen tiefster Schlucht 
einige kühlende Quellen behaglich murmeln. Von hier nach 
Genzano, berühmt durch sein oft beschriebenes Rosenfest, welches, 
wenn es überhaupt noch gefeiert würde, in diesen Tagen statt- 
finden müßte, aber seit der neuen Regierung hat alle kirchliche 
Poesie aufgehört und der größte Teil volkstümlicher schöner 
Sitten ist hier kirchlich. Der Magistrat hat die Sache zwar ein- 
mal in die Hand nehmen wollen, aber es ist ihm nicht ge- 
glückt. . . . 

In Genzano aßen wir sehr gut und billig in einer bäurisch- 
geschmackvoll ausgemalten Kneipe zu Mittag und blieben, da 
draußen eine fürchterliche Hitze herrschte, bis ^/gS schwatzend 
sitzen; dann in den Park Cesarini, der an den Nemisee stößt. 
Der Park ist schön, aber wir haben an der Elbe schönere. Hier 
nickten wir allesamt infolge der allzugroßen Schwüle ein . . . und 
erwachten erst gegen ^1^4. Nun an den See hinunter, und lang- 
sam, schwitzend nach Nemi hinauf. Die schönste Aussicht dort 
hat man vorm Wirtshaus, und so haben wir dessen Terrasse 
auch den ganzen Tag nicht verlassen. 

Zu beschreiben brauche ich die Aussicht nicht, denn Hir 
kennt sie ohne Frage aus Bildern: den kleinen, blaugrüneu 
glatten Kratersee, mit seinen bewaldeten hohen ufern, gegenüber 
Genzano, dahinter die Ebene und dann das Meer. Die beiden 
so verschiedenen Wasserspiegel des Sees und des Meeres bilden 
den Hauptreiz. Natürlich skizzierte ich es von der luftigen Ter- 
rasse unseres Wirtshauses aus. . . . Die dicke alte Wirtin han- 
tierte in aller Gemütsruhe in der Küche, schwatzte zwischendurch 
mit der Nachbarin, die zum Besuch gekommen war, spann und 
das Italienische beneidenswert rund und melodisch sprach; aus 
einem Oberfenster des Nachbarhauses sah ein hübsches Mädchen 
herunter; die Weinranken waren glücklicherweise noch nicht 



— 285 — 

dicht genug, um sie zu verbergen. So dämmerte der Abend, die 
Sonne war unbemerkt verschwunden, hatte sich eigentlich schon 
am Nachmittag hinter schwülen Wolken versteckt gehalten und 
nicht mehr recht geleuchtet. Dann gingen wir noch etwas durchs 
Städtchen. . . . Rings um den Platz saßen die Männer friedlich 
rauchend und schwatzend auf steinernen Bänken und kümmerten 
sich nicht im mindesten um die schöne Aussicht. Ein Maultier, 
das schon auf drei Schritt Entfernung nach Walderdbeeren 
duftete, wurde zurecht gemacht, um mit seiner Ladung nach 
Rom aufzubrechen. . . . 

Unsere Absicht war ursprünglich gewesen, die Sonne auf 
dem Monte Cavo aufgehen zu sehen. Dann hätten wir um ^2^ 
aufstehen müssen. Daraus wurde natürlich nichts. Aber um ^j^5 
saßen wir doch fix und fertig auf der Terrasse beim Kaftee und 
sahen zuerst das Meer und die ferne Ebene rosig vom jungen 
Tag beschienen, dann die Häuser von Genzano, eins nach dem 
andern goldig erglühen und als wir um fünf abmarschierten, war 
das „Morgenbild am See" vollendet schön — der See und der 
größte Teil seiner waldigen Ufer noch ganz kühlschattig. 

Wir gingen ohne Führer, trotz entgegengesetzter Ratschläge 
der Reisebücher und mehrerer Freunde und fanden den richtigen 
Weg auch wirklich, ohne uns zu verlaufen. Von Gefahr ist gar 
keine Rede, denn alles ist sanft ansteigender Waldweg, stellen- 
weis durch Wiesenland unterbrochen. Auch hier überall durch- 
aus deutscher Charakter, nur der Blütenschmuck der Büsche, be- 
sonders der wilden Rosen, üppiger als bei uns. Auch Jelänger- 
jelieber in Hülle und Fülle, besonders aber wuchert hier roter 
Mohn allüberall in buntester Pracht. Schon auf dem Wege von 
Neapel nach Rom war der Bahnkörper zu beiden Seiten feuerrot 
von seinen üppigen Blüten, auch in den Ruinen der Kaiserpaläste 
und Caracallathermen spielt er eine große Rolle. Der Aspadill, 
jene schöne blaßrote Lilie, die mich in Terracina zuerst so ent- 
zückt hatte, war schon garstig verblüht, aber sonst ein Sprießen 
und Leben allüberall. Die Vögel sangen ganz munter, wenn 
auch nicht mit demselben schmetternden Jubel wie bei uns nach 
der langen Winterpause, sogar der Kuckuck rief mit Ausdauer 



— 286 — 

dazwischen. Das schönste Bild war für mich, als mitten in einem 
dichten, hellgrünen Buchenwald, plötzlich ein Hund anschlug, 
und dann ein Bauer mit sechs schwarzen Pferden und einem 
ganz jungen hellbraunen Füllen, alle von der zierlichen maleri- 
schen hiesigen Rasse mit langen Mähnen und Schwänzen, daher- 
kam, eins hinter dem anderen, er selbst auf dem mittelsten. 
Wie die dunkeln Tiere in dem grünen Blättermeer auftauchten 
und nachher wieder darin verschwanden — das war wunderschön 
— die Sonne beleuchtete nur die Wipfel. — Dann gings zur 
Abwechslung einmal etwas steiler bergan, so steil, daß unsere 
deutschen Pferde nie und nimmer dort hätten klettern können, 
dann ein Stück am Waldesrand entlang, wo Ginsterbüsche so groß 
und gelb wie Goldregen über uns herunterhingen, dann noch ein 
Stück und wieder eins, schließHch kam ein Platz, der mir zum 
Eastmachen sehr passend erschien, und da waren wir auch schon 
oben, viel rascher, als ich erwartet hatte — in siebenviertel 
Stunden ! 

Auf dem Monte Cavo stand in vorgeschichtlicher Zeit ein 
altes, berühmtes Nationalheiligtum, eine kleine Cella auf Unter- 
bauten, denn Opfer und Feste wurden unter freiem Himmel ge- 
feiert. Später baute man einen großen Jupitertempel, von dem 
wir noch ganz gute Abbildungen besitzen, denn erst im Anfang 
des vorigen Jahrhunderts wurde er durch den englischen General 
York (Gott weiß, wie der her kam) zerstört. Zu diesem Tempel 
führte — von Rom an — eine breite in den Felsen gehauene 
Via triumphalis, die zum Teil noch erhalten ist. Siegreich heim- 
kehrende Feldherren, denen der Senat den Triumphzug aufs 
Kapitol nicht gestatten wollte, pflegten als Entschädigung dort 
hinaufzuziehen, das hatte einen militärischeren Anstrich. Jetzt 
ist nur noch die alte Umfassungsmauer vorhanden, und diese 
zum großen Teil, wenn auch mit den alten Steinen, neu ge- 
baut. Schöne, alte Bäume, meist mit Buchen und Steineichen, 
stehen herum, und man könnte gerade so gut denken, hier habe 
ein altgermanisches Heiligtum gestanden und alte Druiden seien 
einst dort gewandelt, weithin blickend über die Lande. Der 
Fernblick ist wirklich sehr großartig, er ist das für Rom, was 



— 287 — 

der Ve8uv für Neapel ist. Nachdem wir langsam die Runde um 
die Mauern gemacht hatten, schellten wir an der Tür des Klosters 
und wurden sofort in ein muftiges Fremdenzimmer geführt, mit 
muffigem Wein, muffigem Brot, dito Käse und Salami und guten 
Eiern bewirtet. Ich glaube fast, diese kleine Wirtschaft ist jetzt 
der Hauptzweck des Klosters, jedenfalls sein nützlichster. Unser 
Frate war ein netter, harmloser Mann, der die Würde seiner 
Kleidung sehr wohl mit der Dienstbeüissenheit eines Kellners 
oder Wirtes zu vereinigen wußte. Es ist der Orden der Passio- 
nisten, d. h. sie denken fortwährend an die Passion Christi; 
tragen auf ihrer schwarzen Kutte auf der linken Brust ein weiß- 
gesticktes Herz, aus dem ein Kreuz emporwächst und auf dem 
geschrieben ist: Jesu Christi Passio. Keiner der übrigen Mönche 
erschien, aber als wir uns in den Garten führen ließen, sahen 
einige höchst gelangweilt zum Fenster hinaus. Spuren des Tempels 
waren nicht mehr zu fimlen. Das einzig Interessante, das uns 
der Frate außer seinen Gemüsebeeten zeigen konnte, war die 
Laube, in der Pio Nono vor x Jahren einmal Kafiee getrunken 
hatte. Aber er hatte nicht die Ehre gehabt, ihn zu kochen, der 
Papst hatte einen großen Troß mit sich gehabt und alles mög- 
liche mitgeführt. 

Nach einigen gar nicht dummen weltgeschichtlichen Betrach- 
tungen des guten Mannes stiegen wir auf schönem Wege nach 
Rocca di Papa herunter. In Y4 Stunde waren wir bei den obersten 
Häusern angelangt, aber die Hitze machte sich bereits so fühl- 
bar, daß wir uns, statt ins Dorf weitervorzudringen, in den Schatten 
setzten und die steile Felswand, mit Steineichen bewachsen, 
betrachteten, dort gibt's noch Spuren einer mittelalterlichen 
Burg, die dem ganzen Nest wohl den Namen gegeben hat. Wir 
waren alle drei müde, der Theologe schlief ganz, wir anderen 
halb; was ich zeichnete, wurde nur ein müdes Gekritzel. Einigen 
lustigen, dreckigen Bauernkindern wurden ein paar Soldi in die 
Grabbel geworfen, dann einem alten Waldmenschen Erdbeeren 
abgekauft, die aber halb unreif waren und ohne Zucker nicht 
schmeckten — rechte Freude hatten wir noch an verschiedenen 
Schweinen, die andere Gedanken über den Weg hatten, als ihre 



— 288 — 

jugendlichen Leiter — das war Rocca di Papa. Wir ließen es 
rechts liegen und gingen auf hübschen aber meist sonnigen Wald- 
wegen weiter zum Albanersee hinunter nach Palazzuolo, einem 
Kloster au der Stelle des alten Alba Longa. Auf halbem Wege 
dahin, gerade als ausnahmsweise einmal der goldgelbe Sandboden 
zum Vorschein kam, begegnete uns, langsam bergansteigend und 
Yon diesem sonnigen Sand kräftig sich abhebend, ein P'ranzis- 
kanermönch von elendem, dummen Aussehen. Dieser freundete 
sich sogleich auf gut österreichisch an — er war aus Graz und 
der Einsiedel von der Madonna della Tufa „gar ein scheens 
Kirchl" — und gern bereit kehrte er sofort mit uns um, um es 
uns zu zeigen. Der Arme war in grober Aufregung: er wußte, 
daß die deutschen Pilger einen AusÜug nach Monte Cavo machen 
wollten, schon vor zwei Tagen sogar und keiner war ihm zu 
Gesicht gekommen! Er hatte natürlich auf glänzende Elinnahmen 
gerechnet — worin er sich übrigens wahrscheinlich verrechnet 
hätte, denn die Pilger sind berühmt dafür, daß sie gar nichts 
geben und unsere deutschen bescheidenen Trinkgelder sind in 
letzter Zeit bedeutend an Wert gestiegen. — Recht merkwürdige 
Aufschlüsse bekam man da über das Einsiedelleben. Die Haupt- 
frage ist auch hier die Geldfrage. Im Winter muß er auf Pump 
leben, denn die Bauern in den Nachbardörfern sind meist arm 
und können ihn nicht ernähren, und im Sommer muß die „Saison" 
mit ihren Fremdenbesuchen das Defizit wieder decken. Daß der 
arme Kerl keine großen Sprünge machen kann, sieht man ihm 
an. Auch klagte er über Langeweile und möchte fort nach 
Bayern oder der Schweiz, da ist er bekannt; nur wenn ein 
anderer Einsiedel, den er kennt und von dem er gehört hat, daß 
er kommen will und ihm Gesellschaft leisten, auch wirklich 
kommt, bleibt er hier. Sein einziges Amt ist die Instandhaltung 
der Kapelle, welche um ein Felsstück herumgebaut ist, das hier 
einmal heruntergestürzt ist, ohne einen reichen Mann zu töten. 
Darauf wurde bei näherer Besichtigung ein Madonnenbild ge- 
funden, das inzwischen natürlich oft übermalt und mit goldenen 
Flitterkronen, Arm-, Halsbändern, Ohrringen und Broschen 
schauderhaft behangen worden ist. Für gewöhnlich ist diese 



I 



— 289 — 

Pinselei verhängt, erst nachdem er vier Kerzen davor angezündet 
und geläutet hat, zieht er den Vorhang auf und kniet betend und 
sich schneuzend auf den Stufen nieder. . . . Zum Schluß wollten 
wir ihm einen Franc in seinen Almosenkasten legen, aber er bat 
beinahe hastig: ,,da muß i schon bitten, schaugens den Schlüssel 
da derzu hoat dej Verwalter und der gibt mir halt goar nix net 
da daraus, obschon es für der Erhaltung dej Kirchen bestimmt 
is, dös Oas dös, da geben's halt lieber glei mir, schaugens, die 
Kirzen hab i halt schon müssen auslegen.'^ So schieden wir vom 
Landsmann und Einsiedel von Maria del Tufa. 

Bald waren wir in Palazuolo. Es war ^j.,!"^ Uhr, die Tür 
geschlossen, und davor, im Schatten einer steilen Felswand, zu 
der heraus ein kühler Brunnen floß, lagen zwölf schlafende Ar- 
beiter in den mannigfaltigsten Stellungen ; schöne Leute darunter. 
Nur ein Esel wachte, dann und wann fuhr einer der Männer auf, 
um uns zu raten, noch lauter zu klopfen, was schließlich kaum 
noch möglich war. Mit Hilfe eines alten Gärtners, der mit den 
Gewohnheiten vertraut war und seine Schaufel als Stemmeisen 
benützte, kamen wir hinein. Der Teil des Gartens, den man 
beim Eintreten übersieht, ist wundervoll: eine hohe Zypressen- 
gruppe, hinter der die Mauer steil zum See abfällt, davor ein 
halb zerbrochener, übermooster Springbrunnen, der noch leise 
plätschert, halbverwilderte Blumen aller Art — eine wild 
malerische, großartige Ecke; dazu die Schwüle und Stille süd- 
licher Mittagssonne. — Sonst war nicht viel zu sehen, nur ein 
höchst altertümliches, in den steilen und geglätteten Granitfeisen 
gemeißeltes Grabrelief, einen kurulischen Stuhl und zwölf Fasces 
darstellend. Daß dies die wirkliche Stelle des alten Alba Longa 
ist, wird, glaube ich, von niemand bezweifelt. Das Terrain er- 
klärt schon den Namen Longa; denn an diesem immerhin ziem- 
lich steilen Seeufer muß sich eine Ansiedlung naturgemäß schmal 
und lang hinstrecken. Es war zwölf Uhr, als wir fortgingen, und 
der fünfviertelstündige Weg nach Marino, meist auf den Resten 
der oben erwähnten Via triumphalis, aber mit nur sehr wenig 
Schatten, war etwas angreifend. Auch Marino liegt, obgleich der 
Weg immer bergab ging, noch nicht am Ufer des Sees. Es ist 

Schapire, Hans Speckters Briefe. 19 



— 290 — 

ein größerer Flecken mit drei Kirchen, in denen sogar sehens- 
werte, zum mindesten in Baedecker erwähnte, Bilder von den 
unvermeidlichen Domenichino, Guercino und sogar ein Guido 
Reni sich betinden; wir schenkten uns dieselben aber und inter- 
essierten uns nur noch für Sitzen, Trinken und ein wenig für 
Essen. , , . 

Der Weg nach dem päpstlichen Schloß Castel Gandolfo ist 
sehr schön und nicht lang. Zuerst führt er an großen Blumen- 
hecken vorüber, die steil unterhalb der Stadt an grauer Fels- 
wand liegen und an denen viele Dutzende von Frauen und 
Mädchen in allen Lebensaltern mit Waschen und Bleichen be- 
schäftigt waren, Kinder spielten dazwischen, eine Schafherde 
kam langsam heran, in der Nähe stehen große schöne Bäume, 
ein wundervoller Ort — ganz Schirmer. Aber wir konnten nicht 
lange bleiben, da der Theologe um sechs in Albano an der 
Bahn sein mußte. Der Weg führt anfangs durch schönen, 
grünen, kühlen, deutschen Wald, wird aber bald baumlos mit 
Aussicht auf den See zur Linken und die Ebene und das Meer 
zur Rechten. Castel Gondolfo ist natürlich geschlossen und es 
wirkt fast traurig, diesen Lieblingssitz so vieler Päpste so still 
und öde daliegen zu sehen. Die eine große Gartentür ganz ver- 
rostet und überwuchert, ist gewiß seit vielen Jahren nicht mehr 
geöffnet worden. So wird es mit der Zeit zu einem Dornröschen- 
schloß werden. — Hier sucht man den Gustos zum „Emissar", 
den Eingang jenes alten Abzugkanals, den die Römer einst, als 
der See überzulaufen drohte (?!), durch den Felsen gruben. Man 
steigt zu dem Zweck an das Seeufer hinab, welches sehr lieblich 
und echt deutsch ist. „Es lächelt der See und ladet zum Bade''^ 
habe ich selten so empfunden wie hier, aber dazu reichte die 
Zeit nicht. Auch das „Bad der Diana" ist hier unten, über das 
Onkel Erwin ausführlich geschrieben hat. Beide Dinge sind sehr 
schön, aber es genügt, sie einmal zu sehen. Oder hatte die 
Hitze meine Empfänglichkeit beeinträchtigt? — Dann durch eine 
schöne, schattige Steineichenallee, oben in der Höhe, längs des 
Sees nach Albano. . . . Lange lagen wir da, dem Monte Cavo und 
Alba Longa gegenüber und wandelten dann still, von Nachtigallen 



— 291 — 

umsuDgen, auf und ab. Es war das Schönste des ganzen Aus- 
flugs für mich. . . . 

Orvieto, den 20. Juni 1877. 

Mein Programm habe ich wirklich durchgeführt und Rom 
heute Morgen schweren Herzens verlassen. Nach zwei Regen- 
tagen, die mir allmählich etwas so Ungewohntes geworden waren, 
daß ich an ihnen eine rechte Freude hatte, schien die Sonue 
heute wieder mit gewohntem Glanz auf die schöne Erde. Die 
Luft war abgekühlt, und das Reisewetter so angenehm, wie 
man es sich nur wünschen konnte. Große, weiße Sommerwolken 
stiegen langsam am tiefblauen Himmel auf und ließen den 
Weg durch die Campagna schöner und feierlicher erscheinen als 
je. Noch sah ich die Peterskuppel ganz deutlich und groß, dann 
wurde sie von Bäumen und Hügeln verdeckt. Der Weg hierher 
ist von jener maßvollen reichen Abwechslung von Gestein, Wald, 
Wiesen, Feldern, Flüssen, Brücken, einzelnen Mühlen oder Ge- 
höften und kleinen alten Städten auf hohem Bergesrücken , wie 
maus eben doch nur in Italien sieht. Man wird nicht müde, 
aus dem Fenster zu sehen: überall schön komponierte Bilder, 
fix und fertig, in Linien, wie in Schatten- und Lichtmassen. Die 
Kornfelder sind jetzt alle gelb, teilweise wird schon geerntet, sogar 
mit der Sichel. Dabei lassen sie die Stoppeln bis zu halber 
Höhe stehen, Stroh scheinen sie nicht zu bedürfen. Übrigens 
steht das Getreide nicht sonderlich üppig, stellenweise sogar recht 
dünn. Die Eiche ist der Hauptbaum der ganzen Gegend; ich 
glaube fast, es gibt deren mehr als bei uns, aber so dicke 
Stämme wie bei uns sah ich nirgends. 

Erst jetzt merke ich so recht, daß ich auf dem Heimweg 
bin. Ein paar Mal wurde mir schon so zu Mut, als ich Neapel 
hinter mir hatte, aber mit Rom ist es doch ganz altra cosal 
Rom ist eben Rom, weitere Erklärungen sind da gar nicht nötig. 
Wer dort lebt oder einmal dort gelebt hat, wird in Zukunft 
immer den Mittelpunkt der Welt dort finden. Daß er es 
politisch jetzt nicht ist und schon seit einiger Zeit nicht mehr, 
ist wahr, aber was wollen die paar Jahrhunderte bedeuten, wo 
beinahe nach Jahrtausenden gezählt werden kann! 

19* 



— 292 — 

In den letzten Tagen war mir wirklich einigermaßen weh 
ums Herz : Sonntag Morgen auf dem Palatin und in der Gemälde- 
sammlung des Kapitols, Nachmittag mit Thiersch und Knapp in 
Frascati, Montag in Santa Maria sopra Minerva, Antiken des 
Kapitols und Galerie Borghese, Dienstag Vormittag im Vatikan, 
je eine Stunde in der sixtinischen Kapelle, in den Stanzen, bei 
den Antiken — — das waren Stunden voll Genuß, voll Wehmut 
und voll Arbeit, denn so weit hatte ich die Augen noch nie auf- 
gemacht wie da. Das alles nie wiederzusehen, kommt mir vor 
der Hand ganz unglaublich vor. — Aber als ich beim Packen 
war, was mit großer List getan werden mußte — so bedeutend 
ist der Zuwachs an Papier und Photographien — , kam auch die 
Eeiselust mit aller Stärke über mich. . . . Und jetzt liegt Rom 
manche Meile hinter mir, und wenn die neue Sonne aufgeht, bin 
ich der Stadt der Blumen schon nahe. Wie wunderlich wird sie 
mir vorkommen! Ich kannte sie bis dato nur mit steif ge- 
frorenen Fingern! 

Doch Ihr wollt gewiß etwas von Orvieto wissen. . . . Orvieto 
liegt wie alle Städte zwischen Florenz und Rom hoch auf 
einem Berge. Von der Bahn aus sieht man die Mauern und 
einige alte Befestigungstürme. Es schlug Mittag, als ich in Be- 
gleitung und im Gespräch mit zwei Wäscherinnen einrückte. . . . 
Eines fällt sofort auf: das gute Pflaster und zwar besteht es nicht 
wie in Florenz und Neapel aus großen Platten, sondern wie bei 
uns und in Rom aus kleinen Granitwürfeln. . . . Mein erster Weg 
durch die leeren mittagsschwülen Straßen war in den Dom, 
dessen Fassade als das glänzendste Beispiel italienischer Gotik 
berühmt ist. Diese große, von Gold und bunten Farben glän- 
zende Dekoration liegt an einem nicht großen und besonders 
stillen Platz des stillen Städtchens. Gerade gegenüber vor einem 
Hause befindet sich eine schwarz und weiß gestreifte alte Marmor- 
bänk, von der aus man alles in Bequemlichkeit bewundern kann. 
Das tat ich auch, aber meine Augen waren ebensoviel oder mehr 
beim Ballspiel einiger Seminaristen. Sie verstanden es vortreff- 
lich und waren in liebenswürdigster, verträglichster Stimmung. 
Daß der Dom noch nicht wieder geöffnet war, war mir lieb, ich 



— 293 — 

fühlte mich durchaus nicht in Stimmung zu ernster Besichtigung 
von Kunst, sondern war vielmehr aufgelegt, mir vorläufig einen 
Kaffee zu leisten. Diese kleinen Cafös sehen in Italien alle gleich 
aus: in der Mitte ein Billard, zwei Männer eifrig aher fröhlich 
daran spielend, die gelben oder weißgetünchten Wände und das 
gleichfarbige Gewölbe ganz schmucklos, und bei geschlossenen 
Fenstern selbst in dem dämmerigen Reflexlicht ziemlich blendend. 
An den Wänden schweigende Menschen, natürlich den Hut auf 
dem Kopf, die mit schweigender Aufmerksamkeit die Partie ver- 
folgen, bisweilen auch ein bravo oder bravissimo nicht unter- 
drücken. Da saß ich über meinem Kaffee und schlief ganz sanft 
ein, und als ich neugestärkt erwachte — Emerentia geh einmal 
hinaus! — fühlte ich mich veranlaßt, die unbescheidene Frage 
nach einer latrina zu stellen, mit der man hier zu Lande viele 
sonst ganz anständige Wirtschaften in Verlegenheit bringen kann. 
In Rom, Florenz und Neapel gibt es die segensreiche Einrich- 
tung von latrine publiche, damit war jedoch in Orvieto nix los; 
aber nach kurzer Überlegung erklärte sich ein Orvietaner dennoch 
bereit, mir den Weg dahin zu zeigen und übernahm schweigend 
die Führung. Wir schritten durch einige winklige Straßen und 
Plätze bergab, dann zwischen alten gotischen Quaderhäusern, die 
jetzt halb Ruine sind und offenbar nur von armen Leuten be- 
wohnt werden, in immer abgelegenere Gegenden, schließlich 
zwischen zwei Mauern durch hohes Unkraut hin, dann öffnete 
sich eine herrliche Fernsicht über das hüglige Land, von einem 
Fluß durchschlängelt — und „ecco" sagte der biedere Freund, 
nahm mir Stock und Skizzenbuch ab und lud mich mit graziöser 
Handbewegung ein, Platz zu nehmen. Dies hier war also die 
allgemeine Latrine der Stadt, und ich muß gestehen, wenn man 
den Alten nachsagt, sie hätten es stets verstanden, sich die 
schönsten Plätze für ihre Theater und den Mönchen für ihre 
Klöster zu wählen, so könnte man dies als drittes Beispiel für 
den Sinn für Landschaft der Italiener anführen, an dem so 
manche zweifeln. 

Dann ging ich in den Dom und blieb wohl 3^2 Stunden 
dort. Innen ist er wirklich prachtvoll; eine der allerschönsten 



— 294 — 

Kirchen, die ich kenne, jedenfalls weit schöner als alle römischen. 
Das Mittelschiff hoch und weit, zugleich schlank und wuchtig, 
von hohen Eundbögen überspannt, während die Seitenschiffe, so 
viel ich mich erinnere, Spitzbogen haben, jedenfalls hat das 
riesige Hauptportal Rund- und die kleineren Nebenportale Spitz- 
bögen. Alles aus schwarz und weiß geschichtetem Marmor, wie 
der Dom zu Siena, aber während das in Siena einen bunten, un- 
ruhigen Eindruck macht, ist es in Orvieto anders, da der schwarze 
Marmor durch die Zeit grau und der weiße goldig geworden ist. 
Außerdem liegt hier ein tiefbraunes Holzdach darüber, in Siena 
hellblaue Gewölbe und mildert die Gegensätze der Marmorfarben 
bedeutend. Im Chor herrliche, tiefbraune, geschnitzte Chor- 
stühle, gotisch mit reichen Intarsien, an den Wänden gute, meist 
wohlerhaltene Fresken der Giottoschule, in teppichartiger Anord- 
nung und an der gerade abgeschlossenen Chorwand ein großes, 
schönes, altes Glasfenster. Die Seitenschiffe sind um 1580 restau- 
riert und ohne Interesse, desto bedeutsamer dagegen die beiden 
Kapellen des Querschiffes, besonders die rechte mit Fresken von 
Luca Signorelli. 

Luca Signorelli aus Cortona ist ein ganz eigener Kerl unter 
seinen Zeitgenossen. Geboren nach 1450, also älter als Perugino 
und aus derselben Gegend stammend (sein Lehrer war Piero della 
Francesca, dessen Hauptfreske nich in Arezzo sah), gehört er doch 
in einer Beziehung schon ganz der neuen Zeit an: in seiner Vor- 
liebe für die Darstellung des Nackten. . . . 

Sein Hauptwerk ist die Kapelle in Orvieto, wo genügend 
Gelegenheit zur Darstellung des Nackten im Thema selbst lag: 
Jüngstes Gericht, Letzte Dinge usw. Gewiß ist vorher nie der 
menschliche Körper so studiert und in den mannigfaltigsten und 
teilweise kompliziertesten Stellungen gezeichnet und gemalt 
worden. Von wirklichem Genuß ist eigentlich wenig die Rede, 
denn die Komposition ist sehr zerrissen und unüberlegt. Es ist 
mehr eine Zusammenstellung von Aktstudien. Aus Stichen und 
Proben in Kunstgeschichtsbüchern waren mir die hauptsächlich- 
sten bekannt. Sehr neu und überraschend war mirs dagegen, 
daß derselbe Signorelli mit so viel Liebe die architektonischen 



— 295 — 

und ornamentalen Umrahmungen der P'resken gemalt hat. 
Namentlich sind die Wände von großer Fülle und Herrlichkeit 
der lustigsten und abenteuerlichsten Dinge, auch wunderschön in 
Farbe. Im ganzen erinnert es an die Fresken Peruginos und 
Pinturicchios, hat aber doch etwas eigenartiges, phantastisches 
Verzwicktes: halb lächerliches, halb widerliches Getier schon fast 
im Bruegelschen Sinne, in matt grüngrauen und rotvioletten 
Tönen auf Goldgrund, von Dunkelblau und Rotviolett umrahmt, 
die gewöhnlichen ornamentalen Farben des Zinnoberrot und Ko- 
baltblau möglichst vermeidend, macht es einen farbigen, aber 
überaus sanftgebrochenen, feinen Gesamteindruck, gegen den die 
nackten Gestalten auf blassem, blaugrauen Grunde ganz zur Gel- 
tung kommen. 

Die Sonne schien schon abendlich rot in die menschenleere 
Halle hinein, als ich endlich aufbrach, und bis ich, durch allerlei 
krumme Gäßchen irrend, an eines der wenigen Tore kam und 
Aussicht in die Ferne hatte, war die Sonne untergegangen und 
nur die Wolken erglühten noch in farbiger Pracht. Hier erst 
sah ich, wie hoch und stolz die Stadt liegt, von der Talsohle 
führt zunächst ein allmählicher Abhang hinan, dann erheben sich 
steile, goldbraune Felsen und bilden eine natürliche Befestigung, 
welche durch künstliche Mauern und Türme noch vervollständigt 
wurde und so mit dem Gestein verwachsen ist, daß man stellen- 
weise kaum noch unterscheiden kann, wo das eine aufhört und 
das andere anfängt. Die Ferne schimmert in tiefen harmoni- 
schen Tönen, hellblitzend schlängelt sich ein Fluß durch das 
sanftwellige Tal, gelbe Felder, graue Olivengärten dehnen sich 
friedlich darüber hin. Einzelne Menschen und bepackte Esel 
sah m.an klein unter sich, die Straßen daherkommen, die aufs Tor 
zuführen, die Luft wurde immer rotgoldener, die Wolken verloren 
mehr und mehr ihren rosigen Abendhauch und wandelten sich in 
nächthches Grau: es war so recht das Bild des Abends in einer 
kleinen Stadt. . . . 



— 296 — 

Florenz, den 26. Juni 1877. 

Also wieder in der Citta dei fiori! Drei Tage schon und 
bereits ganz eingelebt, als ob ich kaum je fortgewesen wäre und 
statt der graziösen Lilie nie das streng ehrwürdige S. P. Q. R. 
auf den Schildern der städtischen Dreckwageu gesehen hätte. 
Ich kam gleich in den großartigsten Festtrubel, denn das Fest 
St. Johannis, des Schutzpatrons der Stadt, wurde diesmal mit 
außerordentlichem Glanz begangen. Wirklich habe ich nie in 
meinem Leben ein so glänzendes und künstlerisch angeordnetes 
Feuerwerk gesehen, wie das hier vom Ponte Carraja abgebrannte, 
dazu der schönste Mondschein und der Arno durch ein Gewitter 
in der vorhergehenden Nacht so wasserreich wie ganz selten 
selbst im Winter. Das Schönste war aber für mich ohne Frage 
die Illuminierung der Dorakuppel, auch der Dächer vom Glocken- 
turm und Baptisterium. 

Doch von alledem später und noch einmal nach Orvieto 
zurück. . . . Ich fand mich schließlich in finsterer oder vielmehr 
in heller Nacht allein in dem stillen Bergstädtchen und hatte 
noch über zwei Stunden Zeit bis zur Abfahrt des Zuges nach 
Siena. Zuerst ging ich natürlich ins Cafö, ein eleganteres als 
am Nachmittag, in welchem noch einige Stammgäste über dem 
Kartenspiel saßen und die Kellner halb schlafend in den Ecken 
lehnten, dann aber, als es elf geschlagen hatte, vor die Fassade 
des Doms, auf dieselbe alte, schwarz und weiße Marmorbank. 
Bei Mondschein wirkt die Fassade wirklich wundervoll: die 
bunten (renovierten) Malereien oder Mosaiken, mit denen alle 
Flächen so reich geschmückt sind, verlieren von ihrer Lebhaftig- 
keit und gehen mehr zusammen mit dem warmen, braungoldigen 
Ton, der sich so einheitlich über das Ganze ausbreitet, und nur 
das Gold flimmert und blitzt, je nachdem man seinen Standpunkt 
verändert, bald matter, bald heller. Der Himmel nur um einen 
Ton dunkler als der goldbraune Stein, war ganz klar und nur 
wenige helle Wolken stiegen langsam am Horizont auf. . . . Die 
Sterne blitzten wunderbar, und ein besonders großer stand gerade 
über dem Mittelgiebel, als wenn der märchenhafte Reichtum des 
Gebäudes sich noch in den Himmel hinein fortsetzte. Gewiß, 



— 297 — 

dies Bauwerk ist so bezeichnend wie wenig andere für den Sinn 
der phantastisch-prächtigen „Ritterzeit", die alle Herrlichkeit und 
Pracht aus Orient und Okzident zusammentat, um ihrem noch 
halbbarbarischen Schönheitssinn zu genügen. Und doch spricht 
teilweise ein bedeutender Sinn für schöne Verhältnisse aus dieser 
Fassade, namentlich wirkt die gewaltige Größe des rundbogigen 
Hauptaltars zwischen den zierlichen kleinen spitzbogigen Seiten- 
portalen imposant, besonders verglichen mit der an bildnerischem 
Schmuck noch reicheren Fassade von Siena, bei- der freilich so 
vieles erneuert ist, daß von einer angenehmen farbigen Wirkung 
wohl erst nach einigen hundert Jahren wieder die Rede wird 
sein können. — Anfangs saß ich ganz solo da, in Gesellschaft 
eines einsam schwirrenden Leuchtkäferchens, dann schlich ein 
großer Käfer auf den Stufen der Kirche auf und ab; schließlich 
kamen einige junge Orvietaner, schwatzten und sangen, zuerst 
dummes Zeug, dann aber war es ganz hübsch. Schließlich zogen 
sie singend ab, es schlug 7^12, und ich schickte mich ebenfalls 
an zu gehen. Gerade an dem alten Eingangstor, wo ich um 
Mittagläuten mit den Wäscherinnen eingezogen war, schlug es 
Mitternacht — der Mond war schon im Sinken und sehr groß. 
Die Tür zwischen diesen alten Türmen war verriegelt und trotz 
allen Randalierens und Klopfens nicht zu öflfnen, auch kein 
Pförtner zu entdecken oder wach zu kriegen. So entschloß ich 
mich, den breiten, viel längeren Fahrweg zu wählen. Derselbe 
ging zwar in ganz anderer Richtung, aber ich nahm an, er 
würde sich mit der Zeit rückwärts schlängeln. Die Aussicht auf 
das schlafende Land im sinkenden Mondschein war ganz eichen- 
dorftisch, und ich kam mir vor wie ein rechter poetischer Tauge- 
nichts. Zuletzt wurde ich doch bedenklich, als der Weg sich 
immer weiter von der Station entfernte, und kurz entschlossen 
drehte ich noch einmal um, um irgend jemand nach dem Weg 
zu fragen. Aber alles schlief, und ich war schließlich froh, als 
ich nach 20 Minuten crescendo raschen Bergansteigens in die 
Stadt zurück, auf dem Markt noch Licht fand und einige Men- 
schen, die im Begriffe waren, die Pferde aus dem Stall zu holen 
und den Postwagen reisefertig zu machen. Der Posthalter war 



— 298 — 

auch noch wach . . . und dann ging's, ich als einziger Passagier 
halb schlafend, noch einmal durch dieselben leeren Gassen zur 
Stadt hinaus, und auch richtig dieselbe breite Straße hinunter, 
auf der ich vorhin zweifelhaft geworden und umgekehrt war. An 
der Station war natürlich noch viel Zeit und der Mond ganz 
untergegangen, als schließlich der Nachtschnellzug aus Rom an- 
dampfte. Bis Chiusi schlief ich in der zweiten Klasse wunder- 
voll, dann fand bei grauendem Morgen für uns Sieneser Wagen- 
wechsel statt; es wurde heller, und die Gegend hatte etwas 
eigentümlich Reizendes in der feinen Dämmerung vor Sonnen- 
aufgang. Diesen selbst verschlief ich, fühlte mich aber, als wir 
bald nach sieben Uhr in Siena anlangten, trotz der unruhigen 
Nacht ganz frisch, zog mich um und begann um acht meine Be- 
sichtigung der alten Freistadt. 

Was für ein Unterschied mit Rom! Jenes die prunkende 
Residenz des Erdkreises in zwei verschiedenen Zeitaltern, hier 
eine solide Bürgerschaft, durch Sparsamkeit und Handel unter 
Kämpfen groß und stattlich geworden, auch jetzt so vieles aus 
der alten Glanzepoche bewahrend wie wohl kaum eine andere 
Stadt. Unwillkürlich dachte ich an Lübeck. Schon in Perugia 
war es mir so ergangen, aber hier noch mehr. Perugias und 
Sienas Lage haben manch verwandten Zug, doch liegt Perugia 
schöner, großartiger und lieblicher zugleich. 

Keine Stadt Italiens hat so viel schöne mittelalterliche 
Paläste wie Siena, selbst Florenz nicht ausgenommen, ja zwei 
Paläste in Siena haben, wenn auch nicht ganz so groß, sehr viel 
Ähnlichkeit mit dem Palazzo Strozzi. Vor allen Dingen lernt 
man hier die Gotik wieder so recht lieb gewinnen. Profanbauten 
in stolzer einfacher Backsteingotik kann man hier in edlen Bei- 
spielen sehen. Auch das Rathaus, mit einem dem Florentiner 
ähnlichen nur schlankeren Turm, ist vom ersten Stock an in Back- 
stein gebaut, und die Form der Türen und Fenster ist durch- 
gehend so, daß eine hübsche Fläche für gemalte oder skulptierte 
Dekoration entsteht. Am Rathaus ist sie mit dem Sieneser 
Wappen ausgefüllt, welches preußisch schwarz-weiß ist, nur 
über der Haupttür steht das vollständige Wappen,, die römische 



— 299 — 

Wöliin, die hier häufiger als in Rom vorkommt. Der blanke 
Scbilderschmuck am Lübecker Ratbaus ist freilich lustiger und 
malerischer. In den oberen Stockwerken pÜegen die Fenster 
bei öifentlichen wie Privat l)auten dreigeteilt zu sein. 

Auch zwei Loggien besitzt Siena, zwar nicht so groß wie 
die Florentiner, auch aus späterer Zeit (1460 und 1480), aber 
beides schöne, zierliche Frührenaissancebauten. . . . Kleine an- 
spruchslose Privathäuser (keine Palazzi) ganz aus Backstein und 
ohne jeden weiteren Schmuck, als den der schönen Verhältnisse 
der Fensteröffnungen zu den Zwischenwänden und der einzelnen 
Stockwerke zueinander, finden sich verhältnismäßig viel, so sehr 
ist die einst so blühende Republik, die Vorkämpferin der Ghi- 
bellinen und Nebenbuhlerin von Florenz in Stillstand geraten! 
Zwar werden einige Kirchen und manche Privathäuser, von denen 
einige sehr anmutig sind, Peruzzi zugeschrieben, aber alles ist so 
überaus schlicht, daß man sieht, wie gering auch hier die Mittel 
waren, mit denen er schafien mußte. Freilich war die Blütezeit 
seiner Vaterstadt damals schon lange vorüber, und er gewiß froh, 
in Rom Beschäftigung zu finden. 

Das Hauptgebäude der Stadt ist der Dom. Von der Haupt- 
fassade sprach ich schon, sie ist reicher an Skulpturen, als die 
in Orvieto, älter, aber fast ganz erneuert und hat schlechte Ver- 
hältnisse. Innen stört zunächst am Hauptschiff und dem sechs- 
eckigen Kuppelraum die schwarz und weiße Marmorschichtung, 
die nicht durch die Zeit verblichen ist und einen unruhigen Ein- 
druck macht; bei dem (späteren) Chor folgt auf 5 weiße Quadern 
immer erst eine schwarze, was sehr schön aussieht. So sollte 
auch der neue Dom werden, den die Bürger im Jahre 1339 zu 
bauen beschlossen und von dem der alte (jetzige) nur das Quer- 
schifi" bilden sollte. Das hätte dann wohl die schönste und 
größte gotische Kirche Italiens gegeben! Was davon fertig ge- 
worden ist und als Ruine dasteht, ist in den herrlichsten Verhält- 
nissen. Aber schon 1357 wurde der Plan ganz aufgegeben. Die 
Kosten waren zu groß; traurige politische Verhältnisse und be- 
sonders die Pest von 1348 lähmten die Lust am Bau. 

Die gotischen Malereien und das Maß der Vergoldung der 



— 300 — 

Gewölbe, Rippen und einzelnen Wandteile sind für mein Auge 
von außerordentlicher Schönheit; die Kirche macht überhaupt 
trotz ihrer schwarzweißen Streifigkeit den harmonischsten Ein- 
druck unter allen, die ich in Italien kenne — neben St. Anastasia 
in Verona. Die Ausstattung an Altären. Stuhlwerk, Figuren und 
Bildern fügt sich überaus schön in den gotischen Grundbau und 
ist zum großen Teil aus bester Renaissancezeit. Auf dem Hoch- 
altar steht ein großes schwarzes Bronzeciborium nach Peruzzis 
Zeichnung, der hier freilich einige Vorbilder aus der Zeit der 
edelsten Frührenaissance hatte. Neben diesem Ciborium stehen 
zwei schwarz bronzene Engel, welche kleine Lämpchen tragen, 
eine Stufe tiefer zwei ähnliche, und dann setzen sich diese bron- 
zenen lampentragenden Engel (etwas unter Lebensgröße wie auch 
fast alle guten antiken Bronzefiguren) durch den ganzen Chor 
hindurch an den Pfeilern fort, was einen vortrefflichen feierlichen 
Eindruck macht. 

Weit berühmt ist die reich skulpierte Marmorkanzel Pisanos 
und vor allen Dingen der eingelegte Marmorfußboden der Kirche, 
der in der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat. Er stammt 
aus den verschiedensten Zeiten; die ältesten Teile, gotisch um 
1369, sind mir eigentlich die liebsten. Es sind Figuren darunter, 
die ganz schlicht, hell auf schwarzem Grund, von einer solchen 
Schönheit in der Silhouette sind, daß ich sie dreist den besten 
antiken Vasenmalereien an die Seite stelle. Später wurde man 
komplizierter, nahm zu den drei Marmorfarben: schwarz, weiß, 
rot, noch grau und gelb hinzu und erfreute sich an großen, 
figurenreichen Prügelszenen, wie bethlehemitischem Kindermord und 
Philisterschlachten aus dem Buch der Richter. Noch später nahm 
man lebensgroße Einzelfiguren, Sibyllen in phantastischer Kleidung 
oder (vor einer kleinen Seitenkapelle) das menschliche Leben in 
Einzelfiguren: Kindheit, Knabenzeit, Jünglingsalter usw., aller- 
liebste Figürchen in herrlichen ornamentalen Umrahmungen. Die 
spätesten und berühmtesten sind die von Beccafumi, welche 
raffinierter, mit verschiedenen Marmorarten bildartige Wirkungen 
in vollendeter Abstufung von Schatten und Licht geben. Diese 
sind nur einmal im Jahre zu sehen und für gewöhnlich mit 



I 



— 801 — 

Brettern verschlossen. Nur ein Stück wird zur Probe gezeigt, 
die schön gezierten Kartons aber kann man sich in der Galerie 
ansehen. Über den Stil von Fußbodenschmuck gehen sie aber 
ohne Frage hinaus. . . . 



Florenz, Sonntag den 1. Juli 1877. 
Lieber Onkel Heinrich! 
. . . Florenz gefällt mir trotz der Wärme so außerordentlich, 
daß ich im Stillen immer Abbitte tun muß, daß es mir nicht 
gleich von vornherein diesen Eindruck gemacht hat. Ich merke 
daran so deutlich, wie viel ich durch vieles Sehen und längere 
Beschäftigung mit alter Kunst gelernt habe. Selbst nach Kom 
empfinde ich keine Sehnsucht. Die frische Quelle ist doch hier, 
und wenn auch Raffaels und Michelangelos Größtes sich dort be- 
findet — wie unendlich bleibt doch der Reichtum an Werken 
der Friihlingsepoche der Kunst, die man in Rom vor der Über- 
fülle des Verschiedenartigsten aller Zeiten nicht gerade vermißt, 
die aber die lehr- und genußreichsten von allen sind! Als ich 
in Siena zum erstenmal wieder in einer Kirche vor dem Tor 
einen großen Lucca della Robbia sah, und an dem herrlichen 
Taufbrunnen des Baptisteriums nebeneinander, in edlem republi- 
kanischen Wetteifer entstanden, Bronzereliefs von Ghiberti und 
Donatello, da wurde mir ganz eigen froh und stolz zu Mute, und 
jetzt ist man wieder mitten unter ihnen, und die schaffensfreudige, 
goldene Zeit der Republik, die „Wiege des modernen Europa" 
begeistert mich so sehr, wie es die Weltstadt mit all ihrem 
Glänze kaum gekonnt hat. Denn was die Künstler hier Herr- 
liches schufen, was die reichen Kaufleute hier bauen und malen 
ließen, dem haftet allüberall die Liebe zur Vaterstadt und ihrem 
Ruhm an; in Rom dagegen ist es stets der eigene Ehrgeiz, der 
sich breit macht, ganz zu schweigen von dem der Päpste, welche 
— besonders in späterer Zeit — allüberall in riesengroßen 
Lettern ihre Namen und Wappen anbringen ließen, selbst an den 
Kirchenfassaden (obenan am St. Peter) ; auch die vornehmen Familien 
bauen ihre Paläste dort in prunkenderem, anspruchsvollem Stil, 



— 302 — 

nur zur Verherrlichung der eigenen Familienehre; ganz natürlich: 
denn Roms Name war allezeit groß genug, um weiterer Sorge 
für ihn nicht zu bedürfen. Außerdem war Rom in der ersten 
Blüte der Renaissance durch das Exil von Avignon ein verödetes 
Raubuest geworden, ohne Zucht, Ordnung, Bildung und Kunst- 
pÜege, und was die späteren Päpste taten, um die Stadt zu 
heben, war doch mehr oder minder künstlich, nicht auf dem 
eignen Boden gewachsen. Alle, die Großes in Rom geschaffen 
haben, waren Fremde, Urbinaten, Sienesen, Florentiner; das ein- 
zige wirklich große Talent, das Rom selbst hervorgebracht hat, 
bleibt Giulio Romano, dessen Geburtshaus, mit der üblichen 
Marmorinschrift geschmückt, sich doch nur sehr bescheiden aus- 
nimmt, wenn man die Geburtshäuser großer Florentiner damit 
vergleichen wollte, von dem schmalen hohen Quaderhäuschen in 
Via S. Martino an, über dessen Tür geschrieben steht: Qui nacque 
il Divino Poeta. 

Abgesehen davon, bleibt alle Herrlichkeit von Florenz ver- 
hältnismäßig erreichbar für uns Kinder einer spätem Zeit. Rom 
wird stets das „ewig-einzige" bleiben. Unternehmungen wie St. 
Peter und Vatikan, wie Kolosseum und Caracalla-Thermen hat 
es nur einmal gegeben, und sie taugen auch nur für eine Welt- 
stadt; Sammlungen wie die Antikensäle dort können selbstver- 
ständlich nirgend sonst entstehen, aber daß ein zweites Florenz 
erblühe, gehört immerhin, so unwahrscheinlich es ist, doch ins 
Gebiet des Möglichen. . . . 

Meine Hauptbeschäftigung ist die Vollendung einer Kopie 
nach Andrea del Sarto im Pitti für Onkel Octavio, mit der ich 
damals wegen der kalten Finger nicht weit kam. Es ist eine alte 
Schuld — noch von München her — , die ich endlich damit aus- 
gleiche. Außerdem macht mir die Arbeit an und für sich Freude. 
Erstlich schon weil ich für einen bestimmten Zweck, mir bekannte 
Räume und Umgebung arbeite und nicht allzu ängstlich das 
Original wiederzugeben brauche, sondern nur seine dekorative 
Wirkung, dann auch, weil mir das Malen mit Petroleum so gut 
gefällt! Der Maler Ludwig in Rom, mit dem ich in den letzten 
vierzehn Tagen dort mehrfach zusammenkam und der auch seine 



— 303 — 

Erfahrungen veröffentlicht hat, hat es mir ziemlich einleuchtend 
gemacht, daß es Petroleum und Bernsteinlack sind, die uns fehlten, 
und auf diesem neuen Wege hofie ich wirklich die Widerwärtig- 
keiten, die mir das Ölmalen von Anfang an bereitete und fast 
verleidete, zu umgehen. . . . 

Die Kopie wird mich vermutlich etwa drei Wochen be- 
schäftigten. Da Palazzo Pitti nur von neun bis drei geöffnet ist, 
bleibe ich bis ein oder halbzwei dort an der Arbeit und habe 
dann die Nachmittage für mich, teils um Florenz zu repetieren, 
teils um still zu Hause in meinem großen, luftigen und leidlich 
kühlen Zimmer Briefe zu schreiben, Skizzenbücher zu ordnen und 
flüchtige Notizen auszuarbeiten, solange die Eindrücke noch 
frisch genug dazu sind — mit einem Worte: zu rasten. Denn 
mit der beabsichtigten Rast in Rom ist es doch eigentlich nichts 
geworden, vielmehr gehörten die letzten fünf Wochen dort zu den 
unruhigsten, wenn auch fleißigsten, der ganzen Reise. 

Eigentlich mag ich jetzt gar nichts ganz Neues mehr sehen. 
Mailand, Genua, Parma will ich jedenfalls aufstecken. Hoffent- 
lich führt mein Weg mich einmal wieder über die Alpen, um es 
nachzuholen, aber jetzt habe ich der vielen Eindrücke genug. Ja, 
wäre nicht Venedig Venedig, so würde ich selbst dies ruhigen Herzens 
für diesmal aufgeben. Aber das geht doch nicht. Darum werde ich 
über Bologna und Ferrara dahin, dann nach Verona und über 
den Brenner zurückreisen. Wie freue ich mich schon auf die 
ersten Tiroler, auf München und auf Hamburg selbst! . . . 

Der Abschied von Italien wird mir nicht schwer; ich sehne 
mich nach Haus, um das Gelernte zu verwerten und anzu- 
wenden. . . . 

Montag, den 2. Juli. 

Meine Reiseberichte fallen wirklich recht ungleich aus! Die 
kleinen Nester kommen verhältnismäßig immer am besten weg, 
z. B. Orvieto. Ich will versuchen, sowohl für Euch wie auch für 
mich, die großen Lücken von hier aus allmählich auszufüllen und 
zunächst mit Siena fortfahren. 

Ich war bei der Beschreibung des Domes stehen geblieben. 



— 304 — 

Von dessen einzelnen Seitenkapellen will ich schweigen — ob- 
gleich eine sehr schöne, nach Peruzzis Entwürfen reich vergoldete^ 
mit Fresken von Pinturicchio und einem hagern Bronzetäufer von 
Donatello usw. usw. es wohl verdiente beschrieben zu werden 
— und nur noch die herrliche Libreria erwähnen, in welche 
man durch ein reiches Renaissanceportal gleich vom Dom 
aus eintritt. Diese Bücherei ist das Werk des nachmaligen 
Papstes Pius II. Piccolomini 1455 — 64, dessen Namen man in 
Siena überall begegnet. Palazzo so und so ehemals Piccolomini 
heißt es alle naslang. — Für die herrliche Sammlung reicher 
Chorbücher (neben der in San Marco die größte, die ich sah), 
ließ ein Neffe des Papstes einen eignen, hohen, luftigen Raum 
erbauen und aufs reichste schmücken. Alles ist vollendet schön 
erhalten, und die Harmonie wird durch keine späteren Um- und 
Einbauten gestört. . . . Der Fußboden besteht aus zierlich, bunt 
ornamentierten Kacheln, vortrefflich erneuert; dann folgt einfach 
dunkle Holzvertäfelung, vor der die großen Folianten stehen, 
darüber beginnt die Ausmalung der Wände und der Decke von 
Pinturicchio, wohl sein Hauptwerk. ... In zehn Bildern stellt er 
die Erfolge oder Fahrten, „Aventiuren" des Aeneas Sylvius 
Piccolomini (des nachmaligen Papstes Pius II.) dar; ohne daß die 
Komposition irgendwie hervorragend wäre — vieles sind nur 
Zeremonienbilder — sieht man das Ganze mit großer Freude an; 
alles ist lustig und anmutig, und der Gesamteindruck mit der 
gemalten, umrahmenden Architektur, den wappenhaltenden Engel- 
chen und Girlanden dazwischen, der zierlichen Ornamentik der 
Lünetten, Zwickel und der Decke auf goldenem oder lebhaft 
rotem und blauem Grund ist einer der angenehmsten und nach- 
ahmenswertesten, den man haben kann. Im ganzen Verwandtes 
mit dem Cambio in Perugia, wie sich überhaupt Pinturicchio 
nicht wesentlich von dem entfernte, was er von seinem Meister 
gelernt hatte. Raffael und Peruzzi haben als Gehilfen bei dieser 
Arbeit mitgewirkt; ja, man behauptete früher sogar, Pinturicchio 
habe sich von dem kleinen Raffael alle Entwürfe zeichnen lassen, 
von dieser Ansicht ist man jedoch zurückgekommen. 

Unter dem Chor der Kirche befindet sich eine Unterkirche. 



— 305 — 

zu der man bei der Unebenheit des Bodens ebenfalls von der 
Straße aus, einige Stuten hinaufsteigen muß. In der Mitte dieser 

Unterkirche steht einer der berühmtesten Tauf brunuen Die ersten 

Bildhauer von Siena und Florenz haben daran gearbeitet: Jacopo 
della Quercia, Donatello, Ghiberti usw., wie ich schon erwähnte. 
Die sechs Reliefs sind aus vergoldeter Bronze, ebenso die alle- 
gorischen Fraueniiguren an den sechs Ecken unter einfach schönen 
Baldachinen. Der Brunnen selbst fast gotisch aus weißem Marmor 
mit blauen Emailstreifen und das Marmorciborium, welches aus 
der Mitte hoch emporwächst, von schönster Frührenaissance; die 
kleinen, bunten Blumenstämme (künstliche Blumen), mit denen 
man es bescheiden und zierlich zur Johannisfeier zu schmücken 
begann, belebten und zierten den schönen Aufbau. Für diese 
Renaissanceciboriea ist Siena überhaupt der maßgebende Ort: 
von dem schwarzbronzenen auf dem Hochaltar des Domes schrieb 
ich schon, nur schrieb ich es irrtümlich meinem Freund Peruzzi 
zu, der erst neun Jahre nach der Aufstellung des Ciboriums ge- 
boren wurde. Das allernobelste ist von Benedetto da Majano, 
von den Sienesen schlechtweg Michelangelo zugeschrieben ; es steht 
in der großen Dominikanerkirche. 

Diese Dominikanerkirche ist besonders berühmt, weil sich dort 
die Fresken des berühmtesten Malers von Siena Sodoma befinden. 
Er hat hier eine kleine Kapelle zu Ehren der heiligen Catarina aus- 
gemalt. Die heilige Catarina von Siena ist eine historische Figur 
des H.Jahrhunderts. Sie war Nonne und spielte auch politisch eine 
Rolle, indem sie viel dazu tat, daß die Päpste wieder aus Avignon 
nach Rom zurückkehrten. Diese Catarina ist Sienas größte Heilige. 
Ihr Zimmer ist noch erhalten, mehrere Kapellen gruppieren sich 
um dasselbe, die größte davon reich ausgemalt; auf dem Hoch- 
altar steht eine Holzfigur der Heiligen mit porträtartigen, an- 
mutigen, leidenden Zügen. Ihr Kopf wird in der Dominikaner- 
kirche aufbewahrt — es gibt überall Photographien desselben! 
— und in der Kapelle hat Sodoma gemalt. Die eine Gruppe, 
wie sie, „in verzückter Ohnmacht in den Armen zweier Kloster- 
schwestern zusammensinkt", ist allgemein durch Photographien 
und Abbildungen in Kunstgeschichten bekannt und wirklich außer- 

Schapire, Hans Speckters Briefe. 20 



— 306 — 

ordentlich schön. Um die anderen beiden Bilder gebe ich nicht 
viel, wie ich überhaupt nicht zu den Verehrern Sodomas gehöre^ 
Sein schönstes Bild für mich, ein heiliger Sebastian, hängt hier 
in den Uffizien; überhaupt verstand er es trefflich das Nackte zu 
behandeln. Er zeichnete groß und edel, modellierte weich und 
hatte ein eigenes, sanft graues, rosiges Kolorit, gegen hellgelb- 
liche oder grünliche Luft, welches ich außerordentlich gut leiden 
kann. In Einzelfiguren oder kleinen Gruppen kommen diese 
Vorzüge zur Geltung, aber wenn er größere Mengen von Figuren 
bewältigen will, merkt man, daß er nicht komponieren kann. 

Diese Dominikanerkirche enthält außerdem noch ein höchst 
wichtiges und interessantes Bild, nämlich eine Madonna von Guido 
da Siena. ... In derselben Kapelle befinden sich noch ein paar 
andere gute Bilder früher Sienesen, besonders eine sehr liebliche, 
auf Goldgrund vortrefilich symmetrisch arrangierte Madonna mit 
Heiligen von Matteo di Giovanni, einem Maler, der im allgemeinen 
wegen seiner greulich geschmacklosen „betlehemitischen Kinder- 
morde'* verrufen ist, deren schlimmster im Museum von Neapel, 
ein anderer in einer hiesigen Kirche, ein dritter als Marmorlüß- 
boden im Dom sich befindet. Burckhardt nennt ihn mit Recht 
dafür den italienischen Wohlgemuth. Um so mehr Freude macht 
es von demselben Manne so Hübsches zu sehen! 

Im übrigen kann man die alte sienesische Schule, welche in 
ihren frühesten Epochen neben der florentinischen die wichtigste 
Italiens ist, am besten in der Akademie studieren. Ich war 
zweimal dort, habe das erste Mal auch mit großer Aufmerksamkeit 
die betreffenden Säle gemustert und manches schöne oder schnur- 
rige Einzelne gefunden, aber doch eigentlich nichts recht be- 
halten. Im ganzen interessierten mich schließhch die dort befind- 
lichen Sodomas und Beccafumis mehr. Letzterer, den ich schon 
bei Gelegenheit des berühmten Marmorfußbodens im Dom erwähnte, 
ist nach Sodoma der größte Sienese (etwa zehn Jahre jünger). 
Seine erhaltenen Cartons zum Fußboden lassen deutlich Michel- 
angelos Einfluß erkennen; in mehreren seiner Ölbilder erkenne 
ich mehr Andrea del Sarto wieder. Außer der Sienesenschule 
besteht diese Akademie mit geringen Ausnahmen aus großem 



— 307 — 

Schund mit unverschämter Namengebung. — Neben der Akademie 
ist die Bibliothek, mit berühmten frühen Drucken und inter- 
essanten Skizzenbücheru Peruzzis und Antonio da Saugalios, die, 
freilich unter Glas, jederzeit zur Besichtigung ausliegeu. 

Im Rathaus sind noch höchst interessante Zimmer aus den 
verschiedensten Zeiten: ganz alte, gotische, grau in grau gemalte 
große Schlachtenbüder aus der Zeit der Kämpfe und Siege zwischen 
Sieua und Florenz — die großen Fahnenstangen des siegreichen 
„Caroccio" von 1280, vierundzwanzig Meter hoch, lehnen noch im 
Dom an den Kuppelpfeilern — dann originell und lustig an- 
geordnete biblische Bilder und römische Heldenporträts von 1410 
(Bartoli), in der Ratskapelle neben dem großen Ratssaal, und in 
diesem selbst verschiedene überlebensgroße Schutzheilige Sienas, 
in glänzend dekorierten gemalten Nischen stehend, darunter drei 
sehr schöne von Sodoma. Für Putten besaß er besonders viel Ge- 
schmack. Überhaupt: wie verstanden es die Meister jener Zeit 
alle alle, ihre Bilder entsprechend zu umrahmen, sie mit der 
Architektur zu verbinden und das Bedeutende, das sie auszu- 
sprechen hatten, im Ornament scherzend und spielend au- und 
ausklingen zu lassen! Wie fühlte sich keiner zu groß und er- 
haben dazu, bis zu Michelangelo hinauf, der dies Beiwerk in der 
sixtinischen Kapelle freilich so grandios bildete, daß man fast 
davor erschrickt; aber trotzdem sind jene Jünglingsgestalten, im 
Vergleich zu seinen Propheten nichts anderes als „Beiwerk". Frei- 
lich Riesen spielen Ball mit Felsblöcken! — Wie anders dagegen 
v;ir Moderneu! Wie wenige können es, wie wenige w^oUen es 
können! Die meisten sind viel zu vornehm dazu. Wer sein 
Rokokokleid, seine Lederhose gut malen kann, hat das ja auch 
nicht nötig. Gott sei Dank, es wird auch bei uns jetzt besser 
damit, und, um nicht ungerecht zu sein : Cornelius hat wenigstens 
im Göttersaal der Glyptothek gezeigt, daß er es nicht verschmähte, 
sich damit abzugeben, nur wollte er jeden Quadratschuh, der ihm 
gegeben war, mit gedankenschwerer, ernster Schönheit erfüllen, 
auch wo das gesättigte Auge ihm anspruchslos anmutiges Orna- 
ment viel mehr gedankt hätte, und doch war er kein Michel- 
angelo, der das durfte und dem man willig, wenn auch mit An- 

20* 



— 308 — 

strengung folgt. — Aber selbst Scbwind: wie reicb seine Phantasie 
und seine Lust am Ornamentalen war; er hat sein schönstes 
Werk, die sieben Raben, durch die unglückliche Einrahmung be- 
einträchtigt — ein Werk, das für mich himmelhoch über allen 
Kompositionen Peruginos, Pinturicchios, Sodomas, Signorellis usw. 
steht! Aber keiner von ihnen würde diese unglückseligen Rund- 
bögen als Umrahmung gewählt haben. . . . 

Zum Schluß hole ich noch nach, daß die Rückseite des 
Doms an der Chorseite und über der Unterkirche aus späterer 
Zeit und sehr schön ist, einfach und ehrwürdig, von feinster 
Gotik, auch nicht renoviert, sondern in schöner gelbbraun an- 
gerauchter Originalfarbe. . . . 

Firenze, Donnerstag 5. Juli 1877. 

Liebe Mutter! 

. . . Die Festlichkeiten hier waren sehr reizend. Der Arno 
schien mir schon bei meiner Ankunft viel größer, als ich ihn in 
Erinnerung hatte. Er ist doch um die Hälfte breiter als die 
„kleine Alster", wo nicht doppelt so breit und durchfließt die 
Stadt so „sichtbar", daß man seine Freude daran hat, während 
der Tiber sich durch wenig besuchte Gegenden Roms hindrückt, 
als schämte er sich seiner trüben Gelbheit. Nur an der Engels- 
brücke bekommt man ihn häufig zu sehen oder täglich, — wenn 
man den Vatikan fleißig besucht; dagegen überschreitet man den 
Arno Gott weiß wie oft auf verschiedenen schlanken schönen 
Brücken, besonders wenn man in der kleineren Hälfte der Stadt 
wohnt wie wir. 

Das Feuerwerk wurde auf einer dieser Brücken abgebrannt, 
so daß es von zwei anderen Brücken aus und von den Straßen 
zu beiden Seiten des Ufers gesehen werden konnte. Hier führen 
die Straßen am Ufer entlang, und nur auf kurze Strecken gehen 
die Häuser wie unsere Speicher bis ans Wasser. 

Von den Resten dieses Feuerwerks am 24. Juni wurde am 
folgenden, den 1. Juli . . . noch ein neuer Festabend im Boboli- 
garten zu fünfzig Centesimi Entröe veranstaltet. Der Boboligarten 



— 309 — 

gehört zum Palazzo Pitti und steigt hinter demselben terrassen- 
förmig iu die Höhe. Es ist der eigenthche „Schloßgarten" aus der 
Zeit der Medicäer, und bleibt auch, nachdem man die römischen 
Villen gesehen hat, eine der allerschönsten Anlagen, jedenfalls 
die fürstlichste von allen. Unmittelbar hinter dem Palast liegt ein 
großer amphitheatralischer Platz, wohl größer als das Kolosseum, 
oben von steinernen Nischen mit Figuren begrenzt. Nach hinten 
öffnet er sich, und man kommt in ansteigenden Terrassen zu 
einem Neptunsbrunnen und dann noch höher zu der kolossalen 
„Flora". Dies ganze Terrain — andere Teile des Gartens, die 
Teiche z. B,, waren nicht hinzugezogen — illuminiert und bei 
Militärnmsik von vielen Menschen belebt, gab einen wundervollen, 
prächtigen Anblick, besonders wenn man aus den stilleren Teilen, 
aus den hohen, beschnittenen Hecken, in denen keine Seele sich 
l)licken ließ und nur einzelne Johanniswürmchen leise umher- 
schwirrten, plötzlich durch irgendeine Öffnung in das flimmernde 
bunte Flammenmeer hinabschaute, oder wenn man gar nicht mehr 
an das Fest denkend, leise und traumhaft Leuchtkugeln und 
Raketen am schönblauen Himmel aufsteigen sah. Einmal veran- 
staltete man eine Art Wettrennen von sieben kleinen illuminierten 
Luftballons, jeder durch ein anders gefärbtes Licht erhellt; ganz 
langsam und fidel schwebten die kleinen Kerle hinauf und ver- 
loren sich schließlich. ... Im übrigen sind die Florentiner ein 
harmloses stilles Volk. Sie äußerten die Freude, die sie gewiß 
hatten, kaum. Bei uns geht es weit lebendiger und lärmender zu. 
Ganz selten erhoben sie sich zu einem kurzen Bravo und Bei- 
fallklatschen — nicht einmal das große Feuerwerk am vierund- 
zwanzigsten auf dem Ponte Carraja, welches es sicherlich verdient 
hätte, entfesselte laute Bewunderung. 

Florenz, Dienstag abend, 10. Juli 1877. 

Lieber Onkel Heinrich! 
. . . Mein Hauptumgang sind alte, längst gestorbene Herren. 
Teils die bekannten (oder unbekannten) alten Florentiner, teils 
die Hamburger und Nichthamburger des Perthesschen Kreises. 



— 310 — 

Was war das doch für ein vorzüglicher Mann! Wie ideal und 
praktisch zugleich, wie klar über sich selbst und das, was er 
konnte und nicht konnte, wie mild und wie scharf immer an der 
rechten Stelle! Mich hat seit langer Zeit kein Buch so inter- 
essiert wie dies — freilich habe ich auch lange kein anderes in 
die Hand bekommen als Burckhardt, Ruskin und Goethes Ge- 
dichte zuweilen, denn meinen Vorrat Platen habe ich dank 
Deiner Schule im Kopf! Ich wollte, Du hättest uns noch mehr 
der Art auswendig lernen lassen! Das bischen Mühe beim Ein- 
pauken verzinst sich huntertfältig. . . . 

Florenz, Dienstag, den 17. JuH 1877. 
Vorgestern machten wir, d. h. die beiden Stuttgarter Archi- 
tekten, Vogel, Moosbrugger und ich einen Ausflug nach Fiesole, 
Fiesole ist für Florenz so etwa was für Hamburg Blankenese oder 
besser was für Rom Frascati ist, nur liegt es der Stadt näher. Aber 
an heißen Tagen pflegt man von hier ebenso sehnsüchtig zu dem 
hoch am Berge, von Winden gekühlten Örtchen hinüberzuschauen 
wie von Rom nach Frascati. — Fiesole ist älter als Florenz, 
schon seine Lage hoch auf einem Berge beweist das. Man sieht 
dort noch ein langes Stück etruskischer Stadtmauer, sowie Ruinen 
eines Amphitheaters, während in Florenz keine vorchristlichen 
Überreste existieren. Man geht Vj^ Stunden oder fährt mit 
dem Omnibus. Wir taten letzteres, wenigstens bis zur Hälfte 
des Weges. . . . Vier forsche, mit Schellen und langen Ohren- 
troddeln geschmückte Gäule zogen den Wagen, und der Kutscher, 
ein schöner, dicklich kräftiger, junger Kerl knallte mit seiner 
langen Peitsche, sobald wir aus dem Tor waren, daß es eine 
Lust war. Sehr bald geht's bergan, und das Vergnügen des 
Schnellfahrens hat ein Ende. Zu beiden Seiten der Straße hohe 
Mauern, über die wir, auf dem Verdeck sitzend, hinwegsehen 
konnten. Die Umgegend von Florenz ist das gerade Gegenteil 
von der Roms! Dort liegt die Stadt auf Hügeln, ringsum breitet 
sich die große, unfruchtbare Campagna, kein Dorf, soweit man 
sehen kann, nur einzelne Landstraßen, ein paar armselige Osterien 
und die Aquädukte. Bäume sind selten, nur einzelne hohe, dünnver- 



— 311 — 

wehte stehen hier und da in Reib und Glied an irgend einem Flußufer. 
Erst in der Ferne wird die Ebene von Bergen umschlossen, an denen 
man Dörfer und Villen, mit einem Worte Leben, bemerkt. — Florenz 
dagegen liegt im Tal, die umgrenzenden Hügel steigen in sanften 
Wellen an, wohin man blickt — Felder, Gärten, Ölbäume, Wein- 
reben, Villen und Häuser bis zu den Bergen von Fiesole empor. 
Es ist etwa wie in der Umgegend Hamburgs, nach Wandsbek und 
Altona zu, nur ländlicher, üppiger und reicher. Jedes Plätzchen 
ist benutzt, alles atmet Fleiß und Wohlhabenheit — daß die 
Stadt trotzdem eine der tiefverschuldetsten Italiens ist, ist eine 
Sache für sich, die hauptsächlich politische Gründe hat. — Auf 
dem halben Weg wird Halt gemacht. Hier liegt San Domenico 
mit Kirche und Kloster, in dem Fra Angelico lebte, ehe er nach 
Florenz kam. Fünf Minuten weiter liegt im Chorherrenstift die 
Badia, für Architekten eins der interessantesten Gebäude: Kirche, 
Kreuzgänge und Kloster sind von Brunellesco in schlichter, feiner 
Frührenaissance erbaut. Die Kirche ist ganz kahl und unbenutzt 
und man kann das Kloster nur mit Erlaubnis des Priors Ijesehen, 
die der Pförtner, ein moderner Elegant, uns zu besorgen ver- 
sprach. „Es wäre gut, wir sollten nur eintreten," war die Ant- 
wort. In der Kirche waren zwei Geistliche, von denen der eine 
den andern herumführte. Nachdem der Fremde fort war, zeigte 
er uns die Loggia, die nach dem sonnigen, friedlichen Garten 
hinausgeht und von der aus man eine der schönsten Aussichten 
auf Florenz hat — nachher in Fiesole selbst ist man fast zu 
hoch — und das Refektorium mit einem schönen Brunnen im 
Vorraum, einer feinornamentierten halbrunden Kanzel und einem 
Fresko von Giovanni da San Giovanni. . . . 

Es hat mir ganz besonders gefallen, ist auch von meinem 
lieben Giovanni da San Giovanni (1599 — 1636) und voll seiner 
lustigen Phantasie. Für gewöhnlich sieht man in Refektorien 
das Abendmahl oder die Hochzeit zu Kana, die beiden Haupt- 
momente, in denen die Bibel Christus bei Tisch schildert. Aber 
wer zwischen den Zeilen lesen kann, findet noch andere. Nach 
der Versuchung heißt es: „und da traten die Engel zu ihm und 
dienten ihm." Nach 40tägigem Fasten war ein kleines Diner 



— 312 — 

sicherlich kein schlechter Dienst, und so hat Giovanni das hier 
aufgefaßt: in der Mitte sitzt Christus vor einem zu einem Tisch- 
leindeckdich gemachten Baumstumpf. Vier größere stehende 
Engel bedienen, einer von ihnen, der gerade ein Gericht präsen- 
tiert, kniet dabei nieder. Ein ganz kleiner Putto hebt sich auf 
die Zehen, um vom Tisch, auf den er kaum hinaufgucken kann, 
eine Schüssel herunterzuheben. In dem Drittel der Wand nach 
rechts kommt noch eine ganze Schar himmlischer Kellner mit 
neuen guten Dingen von oben heruntergefahren, während kleine 
Putten sich über die abgeräumten Reste hermachen, einige auch 
das Keilen dabei kriegen. In dem Drittel nach links flieht der 
Versucher zum Bilde hinaus, ganz in der Fensterecke, so daß 
man ihn kaum erkennen kann, und eine Bande kleiner englischer 
Straßenjungen hinter ihm her höhnend und grimassierend, mit 
Steinen werfend und doch im Herzensgründe recht bange vor 
ihm. Sehr ideal und groß ist die Auffassung sicherlich nicht, 
aber liebenswürdig, und der Stimmung eines Eßsaales in den 
meisten Fällen wohl entsprechender als das feierliche: Einer 
unter Euch wird mich verraten. 

In den üffizien befindet sich derselbe Gegenstand von Gio- 
vanni als kleines, anspruchsloses, skizzenhaftes Bild, das Hände- 
waschen nach der Mahlzeit ist gewählt. Am berühmtesten 
ist und am meisten besehen wird dort „Venus und Amor", 
d. h. eine Bauersfrau, die ihren Kleinen mit einem großen Lause- 
kamm frisiert, abgesehen davon, daß er den Witz lebensgroß! ge- 
malt hat, trivial und ziemlich witzlos aufgefaßt. Wie ganz anders 
dasselbe Motiv von Gerhard Dou in München, ganz klein, zierlich, 
wundervoll in der Komposition der Gruppe, auch in der Linie, 
und trotzdem in kein mythologisches Gewand gehüllt! 

Von der Badia aus geht der Weg steil aufwärts im Zick- 
zack nach Fiesole hinauf. Es war elf Uhr geworden und wir 
schwitzten tüchtig, obgleich die Luft seit dem vorigen Abend 
merklich abgekühlt war. Das unaufhörliche Schnattern oder 
Gecksen der Zikaden, die seit 14 Tagen heftig im Gange sind, 
ist die unerläßhche Musik zur Sommertagshitze im Süden. Oben 
angelangt, besichtigten wir zunächst den sehr alten Dom. . . . 



— 313 — 

Einige schöne Arbeiten des zierlichen und fleißigen Mino da Fie- 
sole, dessen Haupttätigkeit in Grabdenkmälern bestand, befinden 
sich hier in seiner Vaterstadt, sonst nicht viel Sehenswürdig- 
keiten, was uns alle herzlich freute. Dann aßen wir gut, blieben 
noch lange sitzen, und als wir die vergebliche Anstrengung ge- 
macht hatten, auf der anderen Seite des Platzes ins Museum und in 
eine andere große Kirche einzudringen, fielen wir erschöpft in ein 
Caf6, welches ebenfalls auf diesem Platze lag — auch Dom und 
Wirtshaus, genug, alles liegt hier beisammen. Endlich, nachdem 
ich Y4 Stunde geschlafen hatte, ermannten wir uns und stiegen 
zur höchsten Höhe des Berges, einem friedlichen Kapuziner- 
kloster hinauf. Von einer bequemen, aber jetzt glühend heißen 
Steinbank aus, die ein Engländer hier seinen „Reisebrüder jeg- 
licher Nationalität" gestiftet hat, sieht man weit ins herrliche, 
reiche, sonnige Tal hinab, die Domkuppel, in der Mitte der Stadt, 
beherrscht Florenz mehr als die Peterskuppel Rom. Dank ihren 
plumpen Proportionen erscheint sie wuchtiger, wie so oft das 
Rohe wirkungsvoller ist als das Vollendete (das gilt übrigens nur 
von außen, innen macht die Domkuppel absolut keinen Eindruck). 
Die kleine Klosterkirche war offen. Ein Mönch saß da und 
schlief; so drangen wir ungestört in verschiedene, traulich kleine 
Kreuzgänge, brütend heiß, aber malerisch; ein paar Kutten 
hingen zum Lüften über die Brüstung des oberen Ganges her- 
unter! Zu einer andern Tür wieder hiuausgelangt, lagerten wir 
im Schatten einiger Nadelhölzer, beobachteten Ameisen und 
freuten uns faul der schönen Natur. Frauen und Mädchen 
kamen, um von den bekannten zierlichen und unglaublich billigen 
Strohflechtereien zu verkaufen, welche die Hauptindustrie des 
Ortes bilden. . . . Dann wieder hinab, die etruskische Mauer und 
die vorhin geschlossene Kirche mit einem sehr gewöhnlichen 
Robbia und einem schönen Porträtrelief San gallos besichtigt, noch 
einmal im Dom, dann etwas ausgeruht, und für die Anstrengung 
mit einem Wermut belohnt. — Um sechs Uhr gingen wir bergab. 
Bei sinkender Sonne war der Weg herrlich, das Schönste vom 
ganzen Tage, solange wir Aussicht hatten, nachher störten die 
vielen Mauern, über die wir nicht hinwegsehen konnten. . . . 



— 314 — 

Florenz, Donnerstag Abend, 
19. Juli 1877. 

Liebe Tante Ida! 

Heute ist der 19. Juli, also ist's Zeit, einen Geburtstags- 
glückswunsch an Dich zu schreiben, damit er rechtzeitig ankommt. 
Ich vermute, daß Ihr noch in Gotha seid: Bessers werden Euch 
nicht eher fortgelassen haben. 

Ich bin heute besonders guter Laune: erstlich ist nach 
einigen trüben und windigen Tagen wieder schönes Wetter ein- 
getreten, abgekühltes obendrein; zugleich ist meine Erkältung, 
die ich mir auf unserem Ausflug nach Fiesole am Sonntag geholt 
hatte und die sich gestern Abend in echt Speckterscher Weise 
sogar in leichtem Fieber äußerte, heute verschwunden und 
schließlich ist der letzte von fünf unfreiwilligen Ferientagen, die 
mich wegen des alljährlichen „großen Reinmachens" im Palazzo 
Pitti an meiner Kopie hinderten, vorüber, und ich habe den- 
selben extra gut angewendet. Bis drei Uhr war ich in den 
übrigen Sammlungen hier, das ist zwar brav und gut, doch nichts 
besonderes, dann aber gingen wir vier (zwei schwäbische Archi- 
tekten und ein Berliner Maler außer mir) nach der Villa Landau, 
um Makarts „Pest von Florenz" zu besehen. Wir waren alle 
voller Erwartung: erstlich, ob das Bild überhaupt dort sei — 
denn die Berichte waren etwas apokrypher Art — dann, ob wir 
es zu sehen kriegen würden und schließlich, was es nach so 
langer Zeit für einen Eindruck machen würde, besonders, da 
man uns erzählt hatte, es sei inzwischen fürchterlich nach- 
gedunkelt, kreuz und quer gerissen und kaum wieder zu er- 
kennen. 

Die Villa erreichten wir auf sanft bergansteigender Chaussee, 
^/^ Stunde außerhalb des Tores. Ode und verlassen liegt sie da; 
der Besitzer war zuletzt vor zwei Jahren einmal 14 Tage dort, 
sonst lebt er in Wien. . . . Das Haus hat außer seiner schönen 
Lage nichts auffallendes; es ist ein schlichtes, altes, behagliches 
Haus, ohne architektonische Gliederung, nur ein kleines Wappen 
über der Tür besagt, daß es einst den Medizäern gehört hat, 



— 315 — 

vcohl im 16. Jahrhundert. Die Einrichtung ist hübsch und würdig, 
meist gute alte Mobilien, viele Gobelins, Majoliken usw. Schließ- 
lich kommt man in das Zimmer, in dem der Makart hängt, 
natürlich besser beleuchtet als damals, 1869 in Hamburg, aber 
doch nicht gut, nicht so wie er sollte und verdiente, und die 
ganze Umgebung ist zwar nicht unwürdig, aber auch nicht 
speziell für das Bild angeordnet. 

Nachdem ich nun soviel des Besten und Größten der Alten 
gesehen habe und meine Abneigung gegen unsere moderne 
Alltagsware noch höher gestiegen ist, als sie schon früher war, 
kann ich nur sagen, daß all meine Erwartungen beim Wieder- 
sehen dieses Bildes weit übertroifen wurden, daß ich es eigentlich 
mehr bewundere als damals, und daß ich Makarts Talent nur 
mit dem größten der Alten vergleichen kann. Von Dunkeln oder 
Reißen ist keine Rede. Die milde Farbenpracht ist heute so 
schön, als sie es je war und von so zauberhaftem Reiz, daß 
damit nichts, was ich von den Alten kenne, konkurrieren kann. 
Abgesehen davon, ist die Zeichnung so schön, mit einigen Aus- 
nahmen freilich, die Grazie der Bewegungen, der Fluß der Linien 
so herrlich, daß es auch ohne Farbe, ohne Schatten- und Licht- 
verteilung nur in mageren Konturen ä la Genelli gezeichnet, 
noch schön wirken müßte — mit einem Wort, ich bin ganz weg 
und ganz stolz, daß ein moderner Meister so etwas gemacht hat. 
— Daß er, der von Haus aus ein fader, ungebildeter, unklarer 
Kerl ist, der nicht weiß, was er will und soll — seit jenem 
Bilde nicht Fort- sondern Rückschritte gemacht hat und sich 
schwerlich wieder hinaufarbeiten wird, ist traurig genug und liegt 
daran, daß namentlich bei den Münchnern und was damit zu- 
sammenhängt, die allgemeine oder gar die wissenschaftliche Bil- 
dung nicht sehr verbreitet ist und nicht in gutem Rufe steht, 
während die Alten in jeglicher Beziehung auf der Höhe ihrer 
Zeit standen und zu stehen strebten. — Unanständig kann ich 
das Bild — einige häßliche Kleinigkeiten abgerechnet — auch 
heute nicht finden. Dazu ist's zu schön und großartig! Wie 
zahllose, völlig ., angezogene" moderne Bilder sind 1000 mal un- 
anständiger als dies! 



— 316 .— 

Doch endlich genug davon — was ist das fiir'n schlechter 
Geburtstagsbrief für eine 68jährige Tante! Aber wess das Herz 
voll ist, davon läuft der Mund über! 

Nachher gingen wir ins Giuoco di Pallone, d. h. Ballspiel. 
Jede größere Stadt Italiens hat ihr eigenes Ballspielhaus, d. h. 
eine große Arena unter freiem Himmel, mit amphitheatralischen 
Sitzreilien an drei und einer hohen Langmauer an der einen 
Seite. Die Spieler — Berufsspieler — sind weiß und leicht ge- 
kleidet: Strümpfe, helle Schuhe, Kniehosen und eine leichte Jacke. 
Rote und blaue Gürtel unterscheiden die Parteien der Türkisen 
und der Rossi. Auf jeder Seite kämpfen drei Mann, jeder mit 
einem großen, mit hölzernen Stacheln besetzten Fausthandschuh 
bewaffnet. Die Bälle sind von Schweinsleder, mit Luft gefüllt, 
sehr hart und schwer. Kriegt man so'n Ding an den Kopf, so 
fühlt man's gewiß, falls einem die Sinne nicht ganz vergehen. Man 
wirft sich den Ball nur mittels dieser Fausthandschuhe zu. Die 
Partei, die ihn nicht auffängt, aus der Bahn herausschleudert 
über die hohe Mauer weg oder in den Zuschauerraum hinein, 
bekommt 5 oder 10 Striche Strafe. Nach je 40 oder 50 Strichen 
ist eine Partie entschieden. Das Publikum pflegt mit an- 
gestrengtester Aufmerksamkeit zu folgen, schon um sich vor den 
fehlgehenden Bällen bei Zeiten zu retirieren. Außerdem wird 
auch viel gewettet. — Schon in Rom hatte ich's gesehen, aber 
hier wars weit schöner, die Spieler besser und eifriger, wunder- 
schön gewachsene Kerle, deren Gestalten in diesen mannig- 
faltigen, kraftvoll elastischen Bewegungen zur Geltung kamen; das 
Publikum weit zahlreicher und begeisterter bei der Sache, die 
Arena größer und schöner gelegen vor dem Tor, mit Aussicht auf 
die in der Abendsonne purpurn erglühenden Berge — es war 
wirklich ein Genuß! 

Deinen Geburtstag am Sonntag werde ich wohl in Prato 
feiern, zwei Stationen auf der Bahn nordwärts. Ich wollte, es 
ginge von da direkt weiter nach Haus, aber was man versprochen, 
muß man halten, und wenn's nichts schlimmeres ist als eine 
Kopie nach Andrea del Sarto im Palazzo Pitti, so läßt sich'a 
wohl aushalten. Tausend Grüße Euch allen! Dein Hans. 



— 317 — 

Montag, den 20. Juli 1877. 

Gestern war ein angreifender Tag! Um für meine Kopie 
noch zwei Tage zu gewinnen, habe ich Pisa und Lucca, die ich 
eigentlich erst auf der Reise nach Venedig besichtigen wollte, 
an einem Tage abgemacht und bin am Abend wieder hierher 
zurückgekehrt. Aber 67-2 Stunden auf der Eisenbahn und in 
je 4 Stunden zwei Städte von solcher Größe und Bedeutung 
besehen — und das alles bei der Hitze! das nenne ich eine 
Strapaze und kein Sonntagsvergnügeu. Doch habe ich nun von 
beiden Städten einen genügenden Begriff, um mit gutem Gewissen 
sagen zu können: ich kenne sie. 

So interessant wie Siena ist keine von beiden; namentlich 
von Pisa macht man sich leicht eine zu hohe Vorstellung, indem 
man an die gewaltige Bedeutung der Republik denkt, deren Herr- 
schaft und Reichtum selbst von Florenz und Venedig kaum er- 
reicht worden ist. 

Besaß es doch einst Korsika, Sardinien, die Balearen und 
die Küste von Amalfi, schlug die Sarazenen bei Palermo, Karthago 
und Gott weiß wo sonst noch, hatte seine Faktoreien in Afrika, 
Spanien, Frankreich und Tyros; sein Konsul in Konstantinopel hatte 
den ersten Sitz nach dem Patriarchen; in den ersten Kreuzzügen 
spielten sein Geld und seine Schiffe eine Hauptrolle — genug, es war 
die Fürstin Italiens im Anfang des 11. Jahrhunderts! Aber die ver- 
einigten übrigeu toskanischen Städte, verbunden mit dem auf- 
blühenden Genua, vereinigte sich zu seinem Sturz, und wenn es auch 
noch lange siegreich und glänzend dastand, so trat der Wendepunkt 
doch schon am Ende des 13. Jahrhunderts ein. 1509 mußte es 
sich nach glänzender Verteidigung an Florenz übergeben und 
1551 hatte es nur noch 8500 Einwohner! Sic pereat gloria 
mundi. Freilich hat es sich später wieder gehoben und ist jetzt 
immerhin eine Stadt von 50000 Einwohnern. Wenn man am 
Arno entlang geht, der die Stadt in breitem Strom durchschneidet 
und viermal stattlich überbrückt wird — die neueste Brücke hat 
viel Ähnlichkeit mit unserer Lombardsbrücke, nicht so breit, aber 
gewiß nicht kürzer — , so macht sie sogar einen sehr stattlichen 
Eindruck. Wunderschöne Paläste — gotische aus Backstein 



— 318 — 

und Renaissancepaläste aus Quadern — stehen nebeneinander; 
die Aussicht auf die umschließenden Berge ist sehr anmutig, 
aber rechtes Leben fehlt doch. Kommt man weiter auf den 
großen Platz dei Cavalieri, wo allerlei Bauten von Vasari stehen: 
eine Kirche, in der eine Unmasse von Türkeufahneu hängen, die 
ihnen von den Stephaniterrittern abgenommen wurden, ein großer 
Palast daneben, mit langweiligen Büsten der Grroßmeister und 
halbabgefallenen Sgrafitti geschmückt, davor ein schlechtes Stand- 
bild von Cosimo I., dem Stifter dieses Ordens, und ein Brunnen, 
der kaum noch Wasser gibt — , dann überkommt einen etwas 
von der römischen Wehmuts Stimmung, die Onkel Erwin so gern 
schildert und in die Worte zu kleiden liebt: Roma, Roma, non 
e piu, come era prima. Und doch ist dies erst die Vorbereitung 
auf den Domplatz. Dort, ganz einsam, am äußersten Ende der 
Stadt, unmittelbar an der Stadtmauer, liegen auf einer staubigen, 
verdorrten Wiese die vier großen Sehenswürdigkeiten neben- 
einander: Dom, Baptisterium, Campo Santo und der schiefe Turm, 
jedes in seiner Weise ein W^under der W^elt. 

Der Dom von Pisa, begonnen nach einem großem Seesieg 
über die Sarazenen bei Palermo 1063, der den Bürgern eiue 
unermeßliche Beute brachte, ist die erste, größte und epoche- 
machendste romanische Kirche Italiens. Um mit ßurckhardt zu 
reden: „hier tut die Kunst einmal einen ihrer ganz großen 
Schritte." Bis dahin pflegte man aus den Bruchstücken antiker 
Tempel, in mehr oder minder mißverstandener Weise, die antiken 
Formen nachzuahmen und für den neuen Kultus neu zusammen- 
zusetzen: hier plötzlich ein selbstbewußtes künstlerisches Ge- 
stalten. Außen sieht man die vielen kleinen rundbogigen offenen 
Hallen übereinander, die seitdem in ganz Toskana und darüber 
hinaus üblich wurden, innen ist er ganz herrlich: fünfschifiig, die 
Querarme dreischiffig, mit offenen Obergalerien. Nicht so prächtig 
und zu Herzen gehend wie der Dom von Siena, aber feierlicher, 
erhabener. Auch hier wenig störende Zutaten, sogar sehr schöne 
Bilder, Skulpturen und Schnitzereien, wenn auch nicht solche 
Meisterwerke und soviel Harmonie wie in Siena. — Es war 
Hochamt, schöne Musik, die Geistlichen machten einen vor- 



— 319 — 

nehmen Eindruck, al)er wenig Andächtige waren vorhanden, und 

in dem großen Pfeilerwald verschwanden sie ganz Das Bap- 

tisterium wurde fast 100 Jahre später als der Dom errichtet, 
ein riesengroßer Rundbau, ganz eigentümlich und überwältigend. 
Viel größer und wuchtiger als das Baptisterium in Fh)renz, die 
Perle aller Baptisterien. Innen ist's sehr kahl. Ich hatte auch 
keine Zeit, die berühmte Kanzel näher zu betrachten. All diese 
großen Kanzeln haben etwas Verwandtes im Aufbau: die vor- 
züglichste soll in Pistoja sein, in einer Kirche, die wir damals 
nicht sahen, dann folgt diese und die noch reichere in Siena. 
Wie der Dombau in der Architektur, so stellen die Kanzeln 
(von Niccolö und Giovanni Pisano 1260) in der Skulptur den 
Beginn der modernen Kunst dar. Nur in der Malerei ist Pisa 
nicht vorangegangen. 

Der Camposanto, der Friedhof: vier lange, offene gotische 
Pfeilerhallen, welche ein stilles Gärtchen mit Zypressen um- 
schließen, ein unbeschreiblich feierlicher Anblick, Alle Wände 
bemalt, teils Giottesk, teils von den vorzüglichen Meistern der 
Schule von Siena (darunter, die Euch gewiß durch Stiche bekannte 
Darstellung vom Triumph des Todes, früher Orcagna zugeschrieben), 
teils die berühmten Bilder von Benozzo Gozzoli, dieses fideleu 
Genremalers aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, Im Vergleich 
mit letzterem sieht man recht deutlich, wie ernst uod heilig die 
frühen Meister waren, deren Werke noch vom Geist Dantes 
durchweht scheinen und die, zwar in Ausführung befangen, dem 
Gegenstand jedesmal nur den entsprechendsten, deutlichsten Aus- 
druck geben wollten: Right thinkers! 

Später wurde der Gegenstand nur Vorwand. Wie heutzutage 
oder bei den späteren Venezianern die Entfaltung von Farben- 
pracht und glanzvoller Wirkung der eigentliche Beweggrund ist, 
so damals die Lust an mannigfaltigen Bewegungen der mensch- 
lichen Figur. Ja, wenn sie solch einen Turmbau zu Babel 
zeichnen dürfen, mit all der Wirtschalt der Maurer und Hand- 
langer usw. oder einen Brand von Sodom und Gomorrha oder 
einen bethlehemitischen Kindermord und dergl. — dann sind sie 
froh ! — Aber es war doch gut, daß Rajöael und Michelangelo 



— 320 — 

und Lionardo kamen und Avieder Ernst und Würde und Maß 
brachten. . . . 

Im ganzen erinnert diese Reihe der unmittelbaren Vorgänger 
der Blüte in mancher Hinsicht au die Zeit der Meistersinger, die 
endlos fortreimen konnten, und jeden Gedanken, der ihnen einfiel, 
schnell in Wort und Reime setzten, ohne sich darum zu be- 
kümmern, wie nachher das Ganze aussah. — Man muß Zeit 
haben und dazu aufgelegt sein, wenn man derartige Werke be- 
trachten will; ich hatte beides nicht, und kann den Gesamtein- 
druck nur als den sehr mittelmäßiger bunter Gobelins bezeichnen. 
Vor diesen gemalten Wänden steht eine Fülle der interessante- 
sten Skulpturen. Eigentlich sollten es nur Grabmonumente sein, 
aber später ist ein ganzes Museum daraus gew^orden. Neben den 
vorzüglichsten Stücken der Pisaner Schule sieht man antike 
Sarkophage, Büsten und dergl., darunter außerordentlich Schönes, 
auch zopfige und moderne Sachen z. B. von Thorwaldsen. Sach- 
lich interessant ist der Sarkophag Kaiser Heinrichs VII., der 
hier (oder in Siena) starb, dann ein prächtiges Denkmal des 
Grafen Algarotti, das Friedrich der Große „dem Nebenbuhler 
Ovids, dem Schüler Newtons" setzen ließ. Warum setzt er 
solche Denkmäler nicht in Berlin, wo doch kein Überfluß daran 
ist? — Die Zeit reichte nicht mehr, um auf den schiefen Turm 
zu steigen. Ich hatte Not, rechtzeitig an der Bahn zu sein, um 
noch nach Lucca zu kommen. . . . 

Der Weg zwischen Pisa und Lucca ist wundervoll. Im Tal 
dieselbe üppige Fruchtbarkeit wie überall in Toskana, Mais, 
Maulbeeren, Wein, in üppigstem Geranke und sauberster Ordnung 
und Pflege, obendrein wasserreiche Gräben, wie man sie bei 
Florenz nicht sieht, und dann die Berge, von Villen und Schlössern 
bekränzt, die ziemlich nah an die Bahn herankommen, in der Ferne 
hohes Gebirge mit phantastisch ausgezackten, interessanten Formen. 

Lucca macht einen sehr angenehmen Eindruck. Es ist von 
P^estungsraauern und Bastionen umgeben, aus rotem Backstein, 
der in der Sonne glänzt. Schattige hohe Bäume auf den Mauern 
und viele Spaziergänger. Man glaubt in Deutschland zu sein. 
Ein hübsches Barocktor mit kräftig bossierten dorischen Säulen 



— 321 — 

führt in die Stadt hinein. Hier kann man sich in den schattigen 
kühlen Anlagen ergehen, und seihst, wenn man sich als pHicht- 
getreuer Reisender diesem Vergnügen nicht lange hingibt und 
weiter in die Stadt geht, trifft man bald einen großen Platz in 
doppelter Reihe mit schattigen Platanen be])tlanzt. Eine italie- 
nische Stadt mit Bäumen — was will man mehr? — Außer 
einem großen modernen Marmordenkmal für eine Herzogin von 
Lucca, welches sehr vornehm aussieht, stellt hier der übliche 
Palazzo Pubblico (schöne Spätreuaissance) und darin eine sehens- 
werte Bildergalerie. Diese war jedoch geschlossen, was mir nur 
wegen der berühmten zwei Fra Bartolommeos Leid tat, die sich 
dort befinden sollen. Ein dritter sehr schöner ist im Dom. 
Warum konnte man die beiden anderen, wenn sie durchaus aus 
ihrer ursprünglichen kleinen Kirche entfernt werden mußten, 
nicht auch dort unterbringen? Dies Zusammenschleppen aus den 
Kirchen in die Museen heutzutage ist so dumm und widerwärtig ! 
Warum können die Kirchen nicht zugleich Museen sein, wie sie 
es bisher und auch in antiker Zeit waren? Ich sehe darin so 
recht die Herrschaft des Gelehrtenstandes von heutzutage und der 
sogenannten Gebildeten. . . . 

Der Dom von Lucca reiht sich denen von Siena und Pisa 
würdig an. Keine der Kirchen in Rom, Florenz und Ne- 
apel kann sich in meinen Augen mit diesen dreien messen. 
Außen romanisch mit Säulengalerien wie der Dom von Pisa, 
innen aber ist er gotisch und was für eine Gotik ! Namentlich 
die zierliche obere Empore, durch die man nur den dunkeln 
Dachstuhl sieht, hat die entzückendsten, schlanksten Säulchen. 
Gleich versteinerten Wasserstrahlen streben sie empor, und die 
Nachmittagssonne beleuchtete sie prächtig. Auch hier herrscht 
schöne Harmonie in der Einrichtung: prächtige Frührenaissance- 
skulpturen von einem Luccheser Civitali, den besten Florentinern 
jener Zeit ebenbürtig, Grabmäler, vor allen Dingen auch vortreff- 
liche Glasfenster, . . . 

Unter den Bildern besonders der schon erwähnte Fra Barto- 
lommeo. Ich habe eine besondere Vorliebe für den Frate; 
namentlich an seinen Handzeichnungen in den Uffizien lernt man 

Schapire, Hans Speckters Briefe 21 



— 322 — 

ihn recht bewundern. Viele seiner Figuren sind von einer 
schlichten Hoheit und uuliewußten Grazie, wie es kein anderer 
Künstler, Raffael nicht ausgenommen, je erreicht hat. Man fühlt, 
wie es ihm heiliger Krnst um seine Kunst war. Er arbeitete in 
demselben Kloster San Marco — bekanntlich veranlaßte ihn die 
Begeisterung für Savouarola;» Predigten der Welt zu entsagen — 
wo fast hundert Jahre früher Fra Angelico gewirkt hatte. Wie 
anders war die Welt inzwischen geworden! Und wie anders auch 
die Kunst! Das wird einem recht deutlich, wenn man die beiden 
spitzbogigen Lünetten, beide über Türen zum Refektorium, mit- 
einander vergleicht, in denen die bekannte Szene von Emmaus: 
„Bleibe bei uns Herr, denn es will Abend werden/' von den 
beiden Malermönchen behandelt wurde. ... In meinen Augen eine 
der schönsten Schöpfungen der christlichen Kunst, über aller 
Eigentümlichkeit ihrer eignen Kunst stehend und heute noch ge- 
rade so verständlich wie damals. Ich finde sogar etwas Schwind- 
sches darin! Es gibt ja kein größeres Kompliment für uns Mo- 
derne, als wenn man von unseren Sachen sagt: ganz wie ein alter 
Meister; ebenso groß scheint mir aber das Kompliment für die 
Alten, wenn man von ihnen sagen kann: ganz wie ein moderner 
Meister — wenn man von den wirklichen Meistern spricht, 
natürlich nicht Grützner, Lossow und Konsorten. . . . 

Doch zurück zu Lucca! Es ist eine stille Stadt; wenigstens 
machte sie am Sonntag Nachmittag diesen Eindruck. Man sieht 
viel interessante Kirchen, mit meist romanischen P^'assaden, doch 
auch eine schöne Renaissancekirche mit Glasfenstern. In zweien 
war Kinderlehre, in einer Predigt. Der Geistliche sprach wunder- 
schön, was ich verstand, war klar und gut, auch viel Zuhörer 
zugegen. 

Mit dem Gefühl rechter Befriedigung fuhr ich um sechs Uhr 
wieder nach Pisa zurück. In ^/^ Stunden ist man da, Dom, 
Turm, Baptisterium wurden von der milden Abendsonne wunder- 
voll beleuchtet, als wir langsam daran vorbeifuhren, und die 
Berge lagen klar in bläulichem Purpur dahinter. Friedlich 
groß erschien dies „Camposanto der einstigen Größe". Die 
Zeit war zu kurz, um noch einmal hinzugehen, doch waren mir 



— 323 — 

immerhin ^/^ Stunden gegönnt, ehe ich nach Florenz mitfahren 
konnte. Ich hegnügte mich damit, das Flußufer zu erreichen 
und hier von den Brücken aus die Stadt im Abendschein auf 
mich wirken zu lassen. Auf den Wassern, in den Böten war 
etwas Leben, vom Ufer aus sahen viele zu. . . . Eine sehr zier- 
liche kleine Kapelle am Ufer wird völlig restauriert, d. h. sie 
haben sie ganz niedergerissen und bauen sie mit den alten 
Steinen sorgsam wieder auf. Man sieht: die Italiener haben jetzt 
wohl Pietät für ihre alte Kunst, wenigstens offiziell; von Re- 
gierungswegen oder von seiten der Magistratspersonen herrscht 
sehr viel Anstandsgefühl in dieser Beziehung, mehr als au den 
meisten Orten bei uns; die einzelnen Individuen freilich inter- 
essieren sich nur ausnahmsweise wirklich dafür, wenn sie auch 
anstandshalber so tun. Mehr wahre Freude an den Dingen als 
bei den sogenannten Gebildeten findet man gewiß bei den unteren 
Klassen. 

Als es 7^4 schlug, sagte ich diesem friedlichen, stillen 
Flußbild Lebewohl und kam noch rechtzeitig am Bahnhof an. 
Der Mond schien hell und klar während der Fahrt, und der 
droße Pinienwald zwischen Empoli und Florenz, der größte, den 
ich kenne, sah prächtig aus. Etwas nach zehn war ich da, um 
Ygll zu Haus. 

Das waren also Pisa und Lucca! Beides stille, saubere, 
nette Orte, aber welch ein Unterschied gegen Siena! Obgleich 
letzteres wenig größer ist als Lucca, was für ein Leben herrscht 
da! Nicht nur an diesen Festtagen, wo die Stadt voll Fremder 
war; auch bei meinem ersten Besuch war mirs mittelalterlich 
regsam, vergnüglich dort zu Mut. Man denkt nicht an eine zu- 
rückgekommene Vornehmheit, sondern an ein glückliches, be- 
friedigtes Stillstehen und Sich-Bescheiden; ja, wenn man diese 
buntkostümierteu Abteilungen durch die engen Straßen ziehen 
sah, konnte man sich lebhaft an die alte Glanzeszeit gemahnt 
fühlen, wo Siena mit Florenz wetteiferte. Wohl gar an jenen 
glänzendsten Tag in Sienas Geschichte, als es, mit Hilfe von 
König Manfreds 300 deutschen Rittern, die mächtige Rivalin 
völlig besiegt hatte, ihr großes Schlachtenbauner, an eines Esels 

21* 



— 324 — 

Schwanz gebunden, durch die Straßen schleifte, und das siegreiche 
Heer mit Ölzweigen in den Händen, Psalmen singend, seinen 
Einzug hielt. Damals war die Rede davon, ganz Florenz zu 
schleifen, und nur ein einziger der Ghibellinen von Florenz (die 
mit den Sienesen verbündet waren) hatte die Kourage zu oppo- 
nieren! Wie war doch trotz aller schönen Einzelzüge jene 
Glanzzeit Italiens kleinlich und erbärmlich! Darin ist die Neu- 
zeit größer und menschlicher, auch in der Politik heißt's allmäh- 
lich: leben und leben lassen. 

Zu Siena hole ich noch nach, daß die gewinnende Contrada 
sich nur das Recht ersiegt, alle anderen acht Tage, lang in allen 
möglichen Lokalen frei zu halten. Das ist doch hübsch! — Das 
Pferd, welches in der Probe das letzte war, trägt beim Umher- 
führen eine große Nachtmütze! . . . 

Florenz, Mittwoch abend 25. Juli 1877. 
Liebe Mutter! 
. . . Von mir ist nicht viel zu berichten — doch, allerlei! 
Von meinen Wandmalereien habe ich, glaube ich, noch gar nicht 
geschrieben? Überhaupt von Frl. v. Willemoes noch nie? Sie 
ist die Schwester des ehemaligen Altonaer Polizeipräsidenten, eine 
kluge, natürliche, freundliche, häßliche, alte Dame . . . mit einem 
Worte sie ist die liebenswürdigste alte Jungfer, die ich seit 
langer Zeit kennen gelernt habe und wir vertragen uns sehr 
gut . . . Ich lernte sie bei Ludmilla Assing kennen. Am ersten 
Abend nach meiner Rückkehr traf ich sie dort, und sie lud mich 
sogleich ein, sie an einem der nächsten Abende in ihrer Sommer- 
frische zu besuchen, was ich denn auch gemeinschaftlich mit 
Pastor Rönnecke und Bruder tat. ... Es war einer der hübschesten 
Abende hier. In einem alten Nonnenkloster, nicht weit von der 
Stadt, hochgelegen, mit stillem, klosterartigen Gärtchen liegt ihre 
Sommerfrische; wir saßen auf einer langen offenen Terrasse und 
sahen den Abend über der Stadt verglühen. Ludmilla war elend 
und still, selbst das stets gesprächige Frl. von Bach — eine ältere 
junge Dame aus Oldenburg, die in diesem Kreise viel verkehrt 



— 325 — 

— verstummte — statt dessen quakten in der Ferne einige 
Frösche — es war wirklich sehr schön. Nachher brannte der 
Portier ein paar bengalische "Flammen ab, welche die schönen 
Lorbeer- und Olivenbüsche phantastisch beleuchteten und Ludmilla 
in solch affektierte Begeisterungsausbrüche versetzten, daß Pastor 
Rönneckes Bruder mich fortwährend in den Arm kniff — dann 
gingen wir ins Haus zurück; . . . ein allerliebster blonder italie- 
nischer Backfisch, die Tochter der Wirtsleute, sang ein italie- 
nisches Lied. . . . Endlich gingen wir alle zusammen auf dem 
schönen Viale del CoUo in sanftem Mondschein zur Stadt 
zurück . 

Auf diesem Heimweg eröffnete mir Frl. v. Willemoes ihre 
Absicht ihre neue Wohnung, die sie sich bei Ludmilla im zweiten 
Stock gemietet hätte, selbst al fresco auszumalen, in der harmlos 
fidelen Art, wie man es hier in ländlichen kleinen Villen und 
Wirtshäusern so oft findet. Ob ich ihr über die Technik nähere 
Aufklärung geben könnte? Genug, das Ende vom Lied ist, daß 
ich sie alle Wochen etwa zweimal Nachmittags von fünf bis 
sieben besuche und ihr malen helfe, mit gewöhnlichen Leimfarben, 
was mir viel Spaß macht und wobei ich allerlei lerne. Es ist 
eine kleine quadratische, hochgewölbte Küche. Die Decke haben 
wir blau streichen lassen: das bedeutet Luft. In Menschenhöhe 
wird eine Stein wand gemalt, von Wein, Rosen usw. umrankt; in 
einer Nische steht eine alte Dantebüste, eine große Fratze speit 
Wasser in ein Marmorbecken, aus welchem ein Vogel trinkt; in 
einer Ecke steht ein großer Weinkrug, auf dem Boden liegen 
allerlei leere und volle Fiaskos, Zwiebeln, Schinken usw. hängen 
daneben. Eine große Bronzetafel, mit dem von Willemoesschen 
Wappen, von zwei Sphinxen bewacht, war meine erste Tat; heute 
leistete ich in einer Stunde den ganzen Palazzo vecchio, welcher 
in blendender Abendsonnenbeleuchtung, von Ferne über die Mauer 
dieses Küchengärtchens hereinschaut. Die neueste Idee von Frl. 
V. W. ist ein lebensgroßer Pfau, der auf der Mauer sitzen soll, 
aber diese Woche werde ich ihn wohl noch nicht verfertigen. 
Sie kann nun erst einmal ihren Schinken fertig malen ! — Ist das 
nicht eine lustige, phantastisch-deutsche Idee dieser alten Dame? 



— 326 — 

Und mit wieviel Eifer und Selbstironie sie dabei ist, solltet Ihr 
sehen! Dabei unterhält mau sich vortretilich mit ihr. 

Der Pitti wird erst nächste» Woche wieder eröffnet. Ich 
mache inzwischen hauptsächlich Studien bei den Venezianern, um 
mich für den verkürzten Aufenthalt in der Lagunenstadt zu ent- 
schädigen. Heute ist Vollmond; den nächsten erlebe ich hoffent- 
lich dort. 

Sonntag waren wir in Prato und Pistoja, zwei nette Städtchen 
auf dem Wege nach Norden, so etwa was für Hamburg Ahrens- 
burg und Oldesloe sein würden — freilich etwas größer und 
weiter entfernt — aber was für ein Unterschied! Was haben all 
diese kleinen Nester hier für eine Geschichte und für eine Menge 
sehr beachtenswerter Kuustschät/e! Außer der Kathedrale hat 
jedes wohl noch vier bis sechs sehenswerte Kirchen, die meisten 
aus früh mittelalterlicher Zeit, romanisch, mit schwarz und weißem 
Marmor inkrustiert. — Nähere Beschreibungen will ich nicht liefern, 
nur noch erwähnen, daß Prato der Schauplatz der berühmten 
Malergeschichte des Fra Filippo Lippi ist, des Mönchs, der sich 
in Frl. Buti verliebte (die Tochter eines edlen Florentiners, 
die hier bei den Nonnen in Pension war), sie sich zum Modell für 
ein Madonnenbild ausbat und dann mit ihr auf und davon ging. 
Selbst die neuesten Kritiker stellen diese (Tcschichte nicht in Frage. 
Er blieb übrigens Mönch, wurde seines Gelübdes nicht entbunden, 
lebte aber trotzdem, wenn auch in vielen Sorgen, mit seiner 
Lucrezia zusammen, hauptsächlich hier in Prato, wo denn auch 
das älteste ihrer Kinder, der nachmalige Filippino Lippi geboren 
sein soll. — Bisher hatte ich mich, nach den in Florenz vor- 
handenen Bildern, noch nicht recht für Fra Filippo begeistern 
können, aber von ihm gilt dasselbe wie von den meisten wirklich 
großen Meistern jener Zeit: nur ihre Fresken geben einen richtigen 
Begriff von ihnen. Seine Bilder im Dom von Prato (sein Haupt- 
werk) sind wirklich sehr schön und so vollendet, daß auch 
ein vollständiger Laie sich an ihnen erfreuen müßte. L'nd diese 
Bilder sind ca. fünfundzwanzig Jahre vor Kaffaels Geburt 
gemalt. 

Außerdem sah ich in Prato das schönste schmiedeeiserne 



— 327 — 

Gittftr, das ich kenne, mehrere sehr nette Brunnen: einen großen 
modernen, so hübsch, daß man ihn ebenso gut für alt halten 
könnte — und einen alten, im dessen Mitte ein dicker kleiner 
Rac( hus sitzt und mit beiden H.inden in eine große Weintraube 
drückt, die ihm als Sitz dient, so daß das Wasser in vielen 
kleinen Strahlen herausgequetscht wird. — Eine schöne Krüh- 
renaissance Kirche in griechiscliem Kreuz, von Saiigallo nach 
dem Vorbild der Pazzikapelle bei Santa Croce gebaut, mit farbigem 
glasierten Robbiafries ist von besonderem architektonischen Inter- 
esse; eine andere gefiel uns wegf^n des stillen Kreuzganges, in 
dessen Mitte ein sauberes Gärtchen mit blühendem Oleander- 
gebüsch und zopfig verschnittenen Zypressen war und alte Franzis- 
kanermönche hin- und hergingen, während aus der Kirche das 
lustigste, kindlich fröhlichste Orgelspiel herausschallte, mit Läufen 
aus der Mandnlinata vermischt. — Kurz, Prato ist ein prächtiges 
Städtciien uud übertraf all unsere Erwartungen. 

Pibtoja ist gröber, liegt schön, dem Fuß des Apenin näher, 
aber in künstlerischer Hinsicht hat mir Prato doch besser gefallen, 
obgleich es hier noch mehr zu sehen gibt. Von allen Kunst- 
werken interessierte mich am meisten die Fassade des Hospitals, 
welche ihrer ganzen Länge nach über der oö'enen Säulenhalle, 
mit einem breiten farbigen Robbiafries bedeckt ist, in sieben 
großen Bildern die sieben Werke der Barmherzigkeit (jedes in 
etwa zwölf Figuren) darstellend. Es ist dies durchaus nicht die 
vorzüglichste aber die umfangreichste aller Robbiaarbeiten, enthält 
im einzelnen viele schöne, naive Züge, und die Gesamtvvirkung 
ist überaus reich und lustig. Denn diese glasierten Kacheln 
(weiter ists ja eigentlich nicht) tiot/en der Witterung besser 
als Stein und Erz, geschweige denn Marmor und Freskomalerei. 
Die Farben sind heute gerade so frisch wie vor dreihundert 
Jahren. — Eine derartige Industrie könnte so gut bei uns ge- 
deihen und wird es auch ohne Frage mit der Zeit. Unsere 
farbig glasierten Ziegel, unsere Terracottaornamente sind schon 
der erste Schritt dazu. Zur Dekoration der Außenseite unserer 
Häuser eignet sich nichts so gut als gerade dies. Malereien 
können wir bei unserem Klima ja nur innen gebrauchen. — Und 



— 328 — 

der Robbiasclie fromme, naive, schlichte, launige Sinn berührt sich 
so nahe mit dem besten was die deutsche moderne Kunst her- 
vorgebracht hat: mit Schwind und namentlich mit Ludwig Richter. 
Der ist im Holzschnit wie jener in Kacheln für mich gerade so 
groß wie Raffael und Michelangelo in ihren Fresken. . . . 

Ich kann von Pistoja außerdem noch berichten, daß daselbst 
ein Pferderennen stattfand: Chorso degli chavalli (der Toskaner 
kann bekanntlich kein k sprechen und sagt statt dessen ch). Längs 
der Stadtmauer, mit Aussicht auf einen alten Festungsturm und die 
Berge dahinter, waren die Schranken aufgerichtet. Um halb sechs 
sollte es beginnen, aber es wurde halb sieben, doch das Treiben war 
die Hauptsache: die vielen Musikkorps, die hier eine Art Phantasie- 
uniform tragen, die Verkäufer von frischen Wassermelonen und 
anderem Zeug, die harmlosen, so anständig sich benehmenden 
Leute aller Stände, kein einziger Betrunkener usw. Nur ein Rennen 
(zweirädiger Wagen) erlebten wir, dann wars Zeit zur Abfahrt. — 
Durch die üppigen Fluren — Toskana heißt doch der „Garten 
Italiens" — wo jedes Feld von Maulbeerbäumen eingefaßt ist, der 
Wein überwuchert, gings dem lieben alten Florenz zu, wo wir um 
^/^9 wieder anlangten. — Es geht mir mit den Städten Italiens 
wie jenem Knaben mit den Jahreszeiten, der nach der Reihe 
Frühling, Sommer, Herbst und Winter für die schönste erklärte 
und dem Vater seine Bewunderung jedesmal ins Taschenbuch 
schreiben mußte! Neapel, Rom, Florenz — und vielleicht sage 
ich bei Venedig: das beste kommt zuletzt! . . . 

Mit vielen Grüßen 

Dein Hans. 



Florenz, Sonntag abend, 29. Juli 1877. 

Liebe Mutter! 

Heute las ich in der Zeitung den Namen des russischen 

Justizministers von Pahlen; dabei fiel mir der Aufenhalt in Capri, 

an den ich lange nicht mehr gedacht hatte, recht lebhaft ein, 

und so will ich denn endlich Dein Verlangen danach erhören. 



— 329 — 

Komme ich jetzt nicht dazu, so unterbleibt's überhaupt. — Ein 
Fräulein von Pahlen nämlich, sei sie nun die Tochter oder eine 
weitläufige Verwandte, war unser Gegenüber bei Tisch, als wir 
uns abends nach einem vorläufigen Orientierungsbummel bei 
Pagano einfanden, eine junge Dame von etwa 26 Jahren, blond, 
stark, mit lebhaften, blauen Augen, eine echte von Gesundheit 
und Leben strotzende, ostpreußische oder livländische Adelige, 
die daheim gewiß mehr zu reiten und zu jagen gewohnt ist als 
Strümpfe zu stopfen, und nun hier in Italien die Museen mit sehr 
viel Gründlichkeit studiert, ja, sie hatte den ganzen Winter die 
archäologischen Vereinigungen und Vorlesungen des deutschen 
Instituts besucht, mehrfach mit ihren speziellen*Landsleuten, von 
denen auch ich einige kannte, gekneipt — genug eine nicht all- 
tägliche Erscheinung. . . . Diese Dame und ihre ältere Freundin, 
eine stille, häßliche aber nette und gebildete Sächsin waren un- 
mittelbar vor uns mit dem Dampfschiff angekommen und saßen 
uns bei Tisch gegenüber, denn bei Pagano gilt durchaus die 
Anziennität. Wir kamen bald ins Gespräch, welches sogleich sehr 
munter und laut wurde und dem oberen Teil der Tafel offenbar 
durchaus nicht gefiel. Derselbe bestand aus deutschen Studenten 
oder jungen Doktoren. Natürlich genierte uns das gar nicht, wir 
fühlten uns im Gegenteil sehr hoch, so im Nu die erste Rolle zu 
spielen, und jeder tat sein Bestes, die Geistreichigkeiten und Ge- 
lehrsamkeiten der Dame, die sie nicht ungern zutage förderte, 
zu überbieten oder schlagfertig zu parieren. Es war so lange 
her, seitdem ich mit einer deutscheu Dame mich unterhalten 
hatte, daß es mir sehr viel Spaß machte und infolgedessen war 
ich auch so gut aufgelegt, daß Gildemeister mir nachher ein 
Kompliment machte. . . . Pagano ist weltberühmt als Künstler- 
herberge. Zuerst waren meist Franzosen da, dann Franzosen 
und Deutsche gemeinschaftlich, jetzt fast nur Deutsche. Es 
gibt kaum eine Tür im ganzen Haus, sowohl im Eß- wie 
in den Schlafzimmern, die nicht bemalt wäre und zwar sind 
wunderhübsche Sachen darunter, Landschaften, Blumen, pom- 
pejanische Figürchen, lebensgroße Studienköpfe, Genreszenen, 
alles bunt nebeneinander. Ein kleines Ding von A. v. Werner, 



— 330 — 

dem Direktor der Berliner Akademie, gehörte zu den fleißigsten 
und schwächsten, was mich freute. Einer der interessantesten 
Schätze ist das Karrikatureubuch. Darin ganz vorzügliche Sachen, 
auch viele Bekannte aus Weimar. . . . 

Doch wohin gerate ich? Von Capri will ich erzählen. Also 
erstlich: wir hatten kein sonderliches Wetter. Nie klaren Aus- 
blick aufs Festland, die Insel war fortwährend mit Nebelwolken 
verhüllt, nur bei Nacht sah man die Lichter von Neapel herüber- 
scheinen. Aber doch hatten wir einen herrlichen Nachmittag: 
Die Südostecke der Insel, die dem festen Lande zunächst Liegt, 
wird Salto di Tiberio genannt. Von der Steilheit und Höhe der 
Felsen hier, die beinahe ganz senkrecht aus dem blauen Meer auf- 
ragen, macht man sich keinen Begriff, wenn man's nicht sieht; 
selbst es gesehen zu haben nützt nichts: ich weiü heute ganz genau, 
daß ichs nicht mehr so steil und gewaltig in der Erinnerung habe, 
wie es wirklich ist. Hier soll der Hauptpalast des Tiberius gestanden 
haben, als er sich, halbwahnsinnig, auf diese einsame Felsen- 
insel zurückzog, wo im ganzen vierzehn seiner Villen gestanden haben 
sollen. Man zeigt auch die Stelle, wo er bisweilen zum Zeitvertreib 
Sklaven hinabstürzen ließ und ihnen nachrief, sie sollten versuchen 
ans Land zu schwimmen! — Es sind noch allerlei römische Mauer- 
reste da; ein Raum heißt das Theater, ein anderer das Tricli- 
uium, einige Gewölbe werden als große Fischbehälter ausgegeben, 
in denen er seine Murenen mit Menschenfleisch fütterte, aber 
nichts Gewisses ist zu erkennen. Oben auf der höchsten Spitze 
ist eine kleine Kapelle, dort wohnt ein Einsiedler, der erste, den 
ich in meinem Leben sah, aber lange nicht so amüsant wie der 
Österreicher vom Albaner See. Dieser war Schuster gewesen 
und hatte in seiner Krankheit gelobt, wenn er besser würde, 
wolle er zum Dank „nie wieder arbeiten". Das hält er denn 
auch getreulich, lebt von den Almosen der Fremden, denen er 
Wein und Stühle anbietet und die in vier Sprachen durch ein 
großmächtiges Plakat zur Wohltätigkeit gegen ihn ermahnt werden. 
Hier oben ist wohl die schönste Übersicht über die Insel, wie 
über die Küste des Festlandes, von den Inseln Ischia und Pro- 
cida links beginnend, am Golf von Neapel entlang bis zum Vor- 



— 331 — 

gebirge von Campanella, das man mit einem Steinwurf glaubt 
erreichen zu können und rechts davon die Ufer des Golfs von 
Saleruo bis nacb Paestum bin. Der Nebelschleier wogte gewaltig, 
flog in großen Wolken über die Insel und zog an uns vorbei, der 
sinkenden Sonne entgegen, vor deren Kraft er zerrann; dann 
sah man für Augenblicke die ganze Pracht vor sich liegen, aber 
im Nu hatten sich neue Wolken zusammengeballt und hüllten 
uns ein. Die Schlagschatten, die wir auf das neblige Meer zu 
unseren Füßen warfen, zeigten das Phänomen großer Heiligen- 
scheine um unsere Köpfe, was ich noch nie gesehen hatte. Wir 
hofften, bei Sonnenuntergang würden wir, wenn wir ausharrten, 
durch einen völlig klaren Himmel belohnt werden, lagerten uns 
im wehenden dürren Gras auf dem stolzen Felsen und warteten. 
Immer unruhiger und wilder wirbelten die Nebel, gleich den 
unendlichen Geisterschaaren aus Dantes Unterwelt, um die 
Insel und an uns vorüber; bisweilen wurden die Pausen länger, 
so daß wir die hellen Häuser von Neapel, das weiße Observa- 
torium und die kleinen Häuserchen, Villen und Orte erkennen 
konnten, die uns durch das oftmalige Daranvorbeifahren auf der 
Eisenbahn von Neapel nach Pompeji allmählich als gute Bekannte 
erschienen; dazu der Vesuv in dunkelpurpurrotem Abendschein, 
mit goldig weißroter Dampfwolke. Aber der Ausblick dauerte 
nie länger als eine Minute — dann kamen die gespenstigen, 
grau-weißlichen Nebel wieder in langen Zügen, wie Geisterträume, 
und wir mußten ihre rasch wechselden P'ormen bewundern odei, 
da das Auge, das nicht lange aushält, in die klare, blaue Tiefe 
hinabschauen, die mit weißköpfigen Wellen den Fuß des Riesen- 
felsens umspült. Abgesehen von einigen Vögeln und einer meckern- 
den Ziege -auf einem weniger steilen Vorsprung sah und hörte 
man nichts; nur der Vesuv erschien uns als lebendes, vernünftiges 
Wesen inmitten dieser in angstvoller Flucht vorbeiquirlenden 
Gespenster. — Ich möchte diesen Abend nicht um einen mit 
völlig klarer Aussicht hingeben! Er war großartig, eigentümlich 
und das schönste Gegenstück zum friedvollen, klaren Sonnen- 
untergang, den wir nachdem auf Camaldoli erlebten. . . . 

Am dritten und letzten Nachmittag machten wir die Fahrt 



— 332 — 

uacli der blauen Grotte. In einem kleinen Boot rudert man am 
hohen Felsenufer entlang durch die stille, herrliche Bläue. Zwei 
Jungen waren unsere Bootsleute, von denen der kleinere durch- 
aus nicht die so oft gemalte italienische Schönheit mit dunklen 
Augen und schwarzer Lockenpracht besaß, aber dafür eine recht 
allgemein menschliche, helle, kluge Hübschheit und Gewandtheit 
und von einer geistigen Aufgewecktheit und Lernbegier war, wie 
sie mir selbst unter den begabten Italienern kaum vorgekommen 
ist. — Nach langem Versuchen gelangten wir endlich (lurch das 
enge Loch in die Grotte. Es ist so viel darül^er geschrieben 
worden, daß ich mir's erlassen kann. Aber den Entdecker beneide 
ich. Das muß ein überwältigender Anblick gewesen sein, so ganz 
unvermutet ins Feen- oder Nixenreich zu gelangen. Wir heut- 
zutage sind schon darauf vorbereitet und dennoch überrascht es. 
. . . Unmittelbar vom Eingang der Grotte aus kann man auf 
steiler Felsenstiege zur Insel hinaufkommen, nach Anacapri,dem 
kleinen, höher gelegenen Ort. Das taten wir, hielten uns aber 
im Nest nicht länger auf, als zu einer Gazzosa nötig war und 
bestiegen die Ruine des alten Kastells, die auf der Mitte der 
Insel liegt; hier hauste im 16. Jahrhundert der Seeräuberkönig 
Chayreddin Barbarossa, der vom Volke hier mit dem imperatore 
Barbarossa identifiziert wird. Auch von hier aus hat man eine 
herrliche Aussicht. Die Luft war trüb, mild, grau mit rosigen 
Abendwolken, und ein Gefühl tiefsten Friedens überkam mich. 
Wohl konnte ich begreifen, wie man wünschen kann, sich nach 
bewegtem Leben hierher zurückzuziehen und im Angesichte der 
„Welt" — denn das ist Neapel und seine Umgebung — hier in 
tiefster Weltabgeschiedenheit seine Tage zu beschließen. Den 
alten Löwen Garibaldi fesselt ein ähnliches Gefühl an sein 
Caprera. . . . Was Platen von Amalfi sagt, das empfand ich hier 
noch mehr: 

„Ja, hier möchte der Geist ausruhen nach stürmischem Leben 
Ruhig, wie friedliches Silbergewölk in Nächten des Vollmonds, 
Irgendein Herz nach Stille begierig und süßer Beschrän- 
kung." 



— 333 — 

... So waren unsere Nachmittage! — Ganz anders die 
Abende nach dem Essen. Am ersten gingen wir spazieren und 
wollten auf einem näheren, steileren Weg als dem gewöhnlichen 
zum Strand hinab. Die Stufen waren recht unregelmäßig, eckig 
und die Nacht stockfinster. . . . Wir vollbrachten den beschwer- 
lichen Weg wirklich — ich kann im l)unkel ja merkwürdig gut 
sehen — erfreuten uns der friedlichen Musik der langsam ans 
Ufer spülenden Wogen, lagen lange auf dem Rücken im warmen 
Sande und betrachteten die Sterne. . . . Eigentlich w^ollten wir 
noch baden, aber wir hatten unsern guten Herrn von Schenken- 
dorff schon ohnedies lange genug warten lassen und klommen 
deshalb, als es ^gll schlug, rasch die steilen Stufen wieder hinan. 
Er saß mit anderen Deutschen gemütlich beim Bier im .,Hidi- 
geigei*', wir tranken auch noch unsern Schoppen und gingen 
dann schlafen. Diese Bierwirtschaft verdankt ihr Ent- und Be- 
stehen natürlich auch nur den vielen Deutschen und ihren Namen 
dem Scheffeischen „Trompeter", der hier „auf Don Pagano's Dach'-', 
wie man's in der Vorrede lesen kann, entstanden ist. Hier empfand 
ich mehrfach fast eine stille Trauer, daß ich nicht zu den Ver- 
ehrern dieses vielbewunderten Gedichts gehöre und habe mir 
vorgenommen, es gelegentlich doch noch einmal zur Hand zu 
nehmen. Vielleicht gefällt es mir jetzt besser als damals in 
meiner anspruchsvollen Jugendperiode. . . . 

Die beiden folgenden x\bende war Tarantella. Sobald eine 
leidliche Anzahl von Fremden gelandet ist, in der Regel alle 
Sonntage, pflegt Don Michele, der Besitzer der Bierwirtschaft und 
ein besonders unternehmungslustiger Geist, einen Tarantellaabend 
zu arrangieren. Jeder Zuschauer bezahlt 2 Francs; dafür besorgt 
Don Michele Beleuchtung, Bewirtung (bestehend aus Wein und 
und kleinen mit Schmandt bestrichenen Brötchen), bezahlt die 
Tänzerinnen, die Musik, d. h. eine das Tamburin schlagende 
Alte, und das Lokal. Das Lokal wechselt; heute war's wie zu- 
meist, „im Hause der schönen Amalia". Alle Häuser werden 
nach dem Namen der Töchter bezeichnet, wenn solche vorhanden 
und nur halbwegs hübsch sind. Bei dem Wort „bella" muß mau 
sich nicht zu gewaltige Vorstellungen machen. Es heißt mehr: 



- 334 — 

die Schöne im allgemeinen, also etwa: Fräulein o. dgl. Volks- 
tracht gibts auf Capri nicht mehr; zwei der Mädchen hatten 
zwar zum Tanz eine Art Mieder angezogen, es war aber womög- 
lich noch charakterloser als das allergewöhnlichste Schäferinnen- 
mieder eines Kostümverleihers, Im übrigen trugen sie gewöhn- 
liche helle Kattunkleider mit langen Ärmeln, die im Mieder 
kurzärmelige Hemden — also nichts Apartes. Auch die Frisur 
ist ganz simpel, wie alle Bauernmädchen in der ganzen Welt 
sie haben. Zwei hatten bloße Füße, was aber kaum zu merken 
war. Man setzt sich auf wacklige Bänke vor den weiß abfärben- 
den Wänden, und einige Augenblicke herrscht verlegene Stille, da 
man sich gegenseitig gar nicht kennt. Schließlich beginnt eine 
der betreffenden Mütter, die gewöhnlich alle vier erscheinen und 
in einer Ecke kauern, das Tamburin zu schlagen; dann geht der 
Tanz los, der die meisten Zuschauer offenbar sehr enttäuschte. 
Ich hatte nicht viel erwartet und fand ihn recht graziös; zu 
beschreiben ist er natürlich nicht. Besonders die eine, Carmela, 
die blonde, die wie ein hübsches, deutsches Bürgermädchen aussah, 
die schlankste, liebenswürdigst schüchterne Erscheinung von allen, 
hatte einige Bewegungen, an denen ich mich nicht satt sehen 
konnte, aber als ich sie am andern Tag zu skizzieren versuchte, 
hatte ichs vergessen. Die beiden anderen Carmelen, die piccola 
und die nera waren bäurischer, die nera ebenfalls recht graziös, 
nur in anderer Weise. Auch sie war nicht häßlich, aber voller 
Sommersprossen und glich einem deutschen „braunen" Bauern- 
mädchen. Unsere Livländerin konnte sich gar nicht mit ihrer 
Erscheinung zufrieden geben, da sie schon vorher soviel von ihr 
als dem „Reh der Wildnis" hatte reden hören. Die vierte end- 
lich war die berühmte Mariuccia, vor einigen Jahren die gefeiertste 
Schönheit der Insel, jetzt etwas zu sehr in die Breite gegangen, 
aber von so fein geschnittenen, üppig schönen Zügen, mit so 
blitzenden Augen, Zähnen und so wild bacchantischen Bewe- 
gungen, wie man sich eine Tarantellatänzerin von Rechts wegen 
zu denken hat. . . . Bisweilen tanzte auch ein etwa 4 jähriger 
Bengel mit, ein häßliches Kerlchen, mit weiten Hosen, plumpen 
Schmierstiefeln und einem roten Tuch als Schärpe um den Leib 



— 335 — 

gebunden. Der machte seine Sache ganz famos, echt und ge- 
wandt. 

Ein langweiliger Amerikaner oder Engländer, der schon lange 
Wochen auf Capri wohnt und faullenzt, aber so wenig italienisch 
sprechen kann, das ich ihm nachher mehrmals als Dolmetscher 
dienen mußte, versuchte sein Heil auch, was aber recht fad aus- 
sah. Anfangs dadurch zurückgeschreckt, wirkte das Tanzen mit 
dem eigentümlichen Ijärm des Tamburins und der Castagnette, 
aber doch so ansteckend, daß wir beide, Gildemeister und ich, 
es nicht lassen konnten, unser Heil in einem Nebenzimmer zu 
versuchen. Das Reh der Wildnis gab uns Anleitung und mein 
erster Versuch fiel so vorzüglich aus, daß sich bald der größte 
Teil der Zuschauer an die Tür gedrängt hatte und zusah; ja auf 
allgemeines Verlangen mußte ich die Produktion nachher noch 
einmal im großen Saal wiederholen. Dies hättet Ihr mir gewiß 
nicht zugetraut ! Eigentlich ich mir selbst auch nicht, aber ich hatte 
mir den Jungen genau angesehen und übertrieb dessen Charak- 
teristik nun noch, so daß eine ganz verteufelte Quintessenz von 
Echtheit zutage kam. Freilich war das höllisch angreifend; 
schon nach 5 Minuten mußte ich aufhören und fürchtete beinahe, 
ich hätte mir die Schwindsucht geholt: so aus der Puste war ich. 

Die Sache wurde aber allmählich langweilig, besonders da 
keiner der anderen Anwesenden mittanzen mochte, mit alleiniger 
Ausnahme des faden Amerikaners und eines andern sehr hübschen, 
großen amerikanischen Offiziers, dem ein Arm abgeschossen war, 
und der, wenn auch nicht gerade charakteristisch, so doch mit 
großer ritterlicher Anmut tanzte. . . . Ein muntere junge Offi- 
ziersfrau (es liegt auch Militär auf Capri) war nicht zu bewegen, 
ihre Künste, die sie heimlich im Nebenzimmer produziert hatte, 
zum allgemeinen Besten zu geben und ging schließlich fort; selbst 
die bella Amalia, in deren Hause die Zusammenkunft stattfand, 
und die als beste Tarantellatänzerin gepriesen wird, ließ sich nur 
ein einziges Mal erweichen, imponierte mir aber gar nicht. Ihre 
ganze Erscheinung, Kleidung und auch ihr Tanz waren anmutig 
modern und nur das das Außerordentliche, daß ein so einfaches, 
arm«s Mädchen, das nie von seiner Insel fort war, so geschmack- 



— 33ti — 

voll uud taktvoll aufzutreten weiß, daß es in der vornehmsten 
«■Jesellschaft vollkommen zu Hause erscheinen würde.... Es wurde 
später und später, ich immer müder und fand es auch immer 
langweiliger, aber anstandshalber mußten wir ausharren, durften 
unseren Damen nicht weglaufen, sondern dieselben zunächst noch 
im „Hidigeigei'' traktieren. Hier fand sich allmählich die ganze 
Gesellschaft zusammen, Mütter und Töchter, welche vorhin schon 
ganz erkleckliche Quantitäten des schlechten Weines vertilgt 
hatten, leisteten nun in Bier und Marasquino so Achtenswertes, 
daß diese „Nachfeier" der Tarantella mir die Haupteinnahmequelle 
für Don Micchele zu sein scheint. Die Gespräche waren ein so 
wunderliches Gemisch von Kindlichkeit und Zweideutigkeit, daß 
man oft nicht wußte, was man davon denken sollte: ob man es 
mehr für lau dlich- sittliche Naivetät oder für Raffinement zu nehmen 
hatte. Ich glaube, ein Gemisch von beidem. Die Sprache ist 
sehr leicht verständlich — besonders im Vergleich mit dem un- 
ergründlichen Dialekt der Neapolitaner — aber nicht herrvor- 
ragend wohlklingend, ja manche Vokale, namentlich a und o 
so breit ausgesprochen, daß es fast ans Englische oder Lübecki- 
sche erinnert. 

Nachdem wir recht lange zusammen gesessen hatten und 
schon lange gar nichts mehr zu sagen wußten, mußten wir unsere 
bzw. Damen und deren Mütter auch nach Hause bringen. Eigent- 
lich wollten sie, daß wir dem Dr. Hoffmann, einem Philologen 
aus Danzig, der sich, um eine größere Arbeit zu vollenden, auf 
einige Wochen auf Anacapri niedergelassen hat, wo man noch 
ungestörter ist, daß wir diesem „povero dottore" erst das Geleite 
geben sollten, aber dagegen opponierten sowohl die Mütter als 
auch wir. Unsere beiden Caramelen — denn das „Reh der 
Wildnis" blieb nun einmal meine Dame, besonders als sie erfahren 
hatte, daß ich ein pittore wäre und vielleicht einmal auf längere 
Zeit wiederkäme, ließ sie mich nicht los, da sie auch Modell 
sitzt — unsere beiden Caramelen wohnten in einem langen kloster- 
artigen Gebäude, durch dessen dunkle Hallen wir sie hinauf- 
bringen mußten, dann aber zum Dank dafür mit Licht hiuunter- 
begleitet wurden. Sie beschenkten uns mit ihren Photographien, 



1 



— 337 — 

welche aber mein Taschendieb aus der Peterskirche neben dem 
Gelde als wertvolles Andenken behalten hat. Wenigstens gehörte 
es zu den wenigen sonstigen Dingen, die ich nicht wiederbekam, 
und ich bin weiter nicht traurig darüber. — So war's ^2^ S^" 
worden, und wir atmeten beide auf, als diese Prüfungen des 
Ritterdienstes ihr Ende erreicht hatten; um so unerfreulicher 
war die Aussicht, daß dieselbe Geschichte sich am nächsten 
Abend wiederholen sollte, denn Dr. Hoffmann hatte zu unserem 
Benefiz die ganze Gesellschaft für den folgenden Abend zu sich 
eingeladen. Ich hatte die größte Lust, die Sache zu hintertreiben 
und dafür mit Herrn von Schenkendorff auf den Fischfang zu 
gehen, aber es ging nicht gut. Außer dem gemeinschaftlichen 
Hinauf- und Hinabgang in der milden, weichen, wolkigen Nacht- 
luft, unter Gesang, der wenn auch schrill und scharf doch eigen- 
artig klang, und von den Felswänden zurückschallte über das 
weite schweigende Meer hinaus — war nicht viel Vergnügen 
dabei. Ich tanzte so gut wie gar nicht, weil es mich anstrengte, 
Gildemeister . . . ziemlich viel und machte große Fortschritte, 
während ich eher Rückschritte machte, auch war die Mutter, die 
das Tamburin schlug, noch müde vom Abend zuvor — das ist 
sehr erklärlich, wenn man nur einmal versucht hat, das Instrument 
zu spielen — , und so lief es denn mehr auf eine „musikalische 
Abendunterhaltung" hinaus, wobei einige recht hübsche, einige 
recht unanständige und viele uns vollkommen unverständliche 
Lieder zum Vorschein kamen. Sie singen meistens einstimmig, 
so laut sie irgend können, und da sie alle vortreffliche ge- 
sunde Kehlen und Lungen haben, so schallte es in dem engen 
Zimmer bisweilen so, daß es körperlich wehe tat. Dazu tranken 
Mütter und Töchter wieder eine Menge Wein, und als der alle 
war, gingen wir heim. Dieser Abstieg war reizend idyllisch, und 
wenn ich mir hätte einbilden können, in Carmela nera an 
meinem Arm verliebt zu sein, so wäre es noch schöner gewesen — 
aber leider reichte meine Phantasie dazu nicht. Denkt Euch 
diesen Weg, längs der steilen Felsenwand in milder, dunkler 
Nacht, ohne Mondschein, aber von einzelnen Sternen erhellt, 
ganz fem die Lichter von Neapel durch den Nebel herüber- 

Schapire, Hans Speckters Briefe. 22 



— 338 — 

schimmernd, die übrigen Inseln und das leise plätschernde 
Meer schlafend vor und unter sich — eine Erinnerung für 
alle Zukunft, die das überstandene Stück Langeweile leicht 
vergessen macht. Mit der Entschuldigung, daß wir am anderen 
Morgen früh um ^j^l Uhr abfahren müßten, kamen wir dies- 
mal um die Hidigeigeikneipe herum, mußten dafür in einem 
obskuren, malerischen, kleinen Caf6, welches die ganze Nacht für 
Fischer offen zu sein scheint, eine Viertelstunde sitzen, was auch 
wirklich sehr nett und eigentümlich war und durften dann unsere 
müden Glieder zur langersehnten Ruhe ausstrecken. Ehe wir 
unsere sieben Sachen gepackt hatten, war's doch wieder ^j^S 
geworden. 

Aus diesen langdauernden Abend- und Nachtfreuden erklärt 
und entschuldigt es sich, daß wir nicht so früh auf waren, wie 
wir uns vorgenommen hatten, sondern uns immer erst zur ge- 
wöhnlich bürgerlichen Zeit, etwa um 8 oder gar erst ^/^9, zum 
gemeinschaftlichen Kaffee einstellten Da die Sonne vor- 
mittags gar nicht oder nur ganz matt scheint, pflegten wir nicht 
einmal Gewissensbisse über diese späte Stunde zu empfinden. — 
Am ersten Tage statteten wir dem vorhin erwähnten Dr. Hoffmann 

zunächst unsern Besuch auf Anacapri ab Nachdem wir 

dort Wein getrunken und vom platten Dach aus Witterungs- 
beobachtungen angestellt hatten, besahen wir das Nest, welches 
mit seinen ganz engen Gassen und blendend weißen Häuschen, mit 
flachen Dächern, einen fast morgenländischeren Eindruck macht als 
Capri selbst. Diese Bauart findet sich übrigens in der ganzen Um- 
gebung von Neapel, aber nicht so ausschließlich wie hier. Viel 
zu sehen gibt's natürlich in den Nestern nicht. Die beiden Kirchen 
sind bäurisch ausgestattet. — Nachdem wir einige langweilige Ge- 
spräche mit alten Weibern absolviert hatten, und durch ., Grab- 
belwerfen" alles losgeworden waren, was wir an Kupfergeld bei 
uns hatten, blieb nichts übrig, als noch einmal einen zweiten 
Frühschoppen zu trinken und zwar bei der bella Margherita, 
einem dummen Ding, welchem die allgemeine Aufmerksamkeit, 
die ihre ungewöhnlich blonden Haare erregen, zu Kopf gestiegen 
zu sein scheint. Schön ist sie nicht. Bei festlichen Gelegen- 



— 339 — 

heiten zieht sie sich aber ganz deutsch mittelalterlich an. mit 
Puffen an den Ärmeln, Zöpfen usw. und spielt Gretchen; diesmal 
war sie trotz des Sonntags noch im Negligö. 

Am zweiten Vormittag waren wir an der kleinen Marine. 
Das ist für mich die schönste Stelle Capris. Die Insel hat etwa 
die Form einer Schuhsohle, und an der mittleren schmälsten 
Stelle sind zwei Landungsplätze. Sonst fallen die Felsen steil 
ins Meer. Der große wendet sich gegen Neapel und ist sehr 
belebt, der kleine dagegen 

„kehrt sich gegen das ödere Meer, in die wogende Wildnis, 
wo kein Ufer Du siehst, als das, auf welchem Du selbst 
stehst." 

Siehe Platens Gedicht: die Fischer auf Capri, das ich seit 
gestern durch die Güte meines Fräulein v. Willemoes nun endlich 
kennen gelernt habe. Hier wohnt nur ein einsamer Fischer mit 
seinem Sohn. „Immer das Netz auswerfen, es einziehn, wieder es 
trocknen über dem sonnigen Kies, dann wieder es werfen und 
einziehn" ist seine einzige Beschäftigung, es sei denn, daß ein 
Fremder sich ausnahmsweise einmal zur „grünen" Grotte rudern 
ließe. Ich kenne nichts einsameres, als dieses schmale Stückchen 
Strand, zu beiden Seiten hohe Zackenfelsen, die beiden Hütten 
wie Felsennester zwischen die felsigen Trümmer geklebt, kein 
Baum, nur Felsen, Wellen und Sand, auf dem die braunroten 
Netze trocknen, ein verfallner alter Küstenwachtturm, und am 
Ufer entlang an Stangen: Netze, um Wachteln zu fangen, die 
man in der ganzen Gegend, besonders aber auf Capri überall 
sieht. Dort hätte ich gern acht Tage gesessen und Studien ge- 
macht, wenn auch nicht, um sie zu benützen — denn wer der 
hier war, hätte das nicht gemalt — sondern nur um die Einsam- 
keit auf mich wirken zu lassen. Schon die zwei Stunden, die 
ich dort saß und kritzelte, während Gildemeister mir aus dem 
Gesicht gekommen war, wurde mir ganz eigen zu Mut, als ob 
ich für immer vom Verkehr mit Menschen abgeschlossen wäre. 
Salas y Gomez: 

22* 



— 340 — 

,, Ruhig und fern vom Getöse der Welt, an den Grenzen der 

Menschheit 
Zwischen dem schrofien Geklüft und des Meeres anschwellender 

Salzflut 
Lebet! Es lebten wie Ihr des Geschlechts urälteste Väter!" 

Dies letztere ist's namentlich, was Capri so anziehend macht. 
Ich fürchte nur, es währt nicht mehr lange. Es kommen schon 
zu viel Fremde hin, und das Geld, das sie mitbringen, muß die 
urwüchsige Einfachheit und Bedürfnislosigkeit, die Gleichheit 
aller vernichten, und Neid, Haß und alle unnatürlichen Leiden- 
schaften, die die moderne Kultur mit sich führt, werden bald 
auch hier ihren Einzug halten. Es ist ein Wunder und spricht 
für die Güte des menschlichen Herzens, wie wenig sich bis jetzt 
die Bevölkerung davon hat beeinflussen lassen, obgleich schon so 
viele große Hotels stehen und so manche reiche Engländer sich ganz 
auf Capri niedergelassen haben. Daß man fortwährend angebettelt 
wird, versteht sich, aber auf eine so nette, liebenswürdige Art, 
daß man gar nicht umhin kann zu geben, solange man noch 
Soidi hat; die Leute betteln ohne Zudringlichkeit, mehr wie zum 
Scherz, dankbar, wenn man ihnen etwas gibt, aber auch freund- 
lich, wenn sie nichts bekommen. Am nettesten freilich ist es, 
wenn einem ein Kindchen begegnet, dem man ansieht, daß es 
gern sein da mi un soldo ! herausbrächte, es aber vor Verlegenheit 
nicht kann — wenn man dem etwas aus freien Stücken gibt — 
die Freude ! . . . 

Noch muß ich von der Vegetation erzählen. Sie ist nichts 
weniger als üppig. Außer Paganos herrlicher Palme und einigen 
kleineren, sind einige niedrige Eichen wohl die höchsten Bäume, 
sonst wachsen Ol- und Lorbeerbäume nur kümmerlich. Orangen, 
glaube ich, gar nicht, dagegen Wein, Feigen und viele große 
baumähnliche Kakteen. Die wilden Rosen, an niedrigem Gestrüpp, 
sind wundervoll groß und weiß, dagegen die wilden Winden, die 
mit den Rosen alles bedecken, fleisch- ja rosenrot. 

Am Dienstag Morgen um ^j^l stießen wir in größerer Ge- 
sellschaft bei trübem windlosen Wetter vom Ufer, und die Rück- 



— 341 — 

fahrt nach Sorrent war ebenso langweilig, wie die Hinfahrt ge- 
wesen war. Als die hohe kühle, schattige Felswand immer 
weiter verschwand, war mirs doch ganz wehmütig ums Herz! 

Florenz, 3. August. 

Durch die genaue Beschreibung unserer 2^2 Tage in Capri 
ist mir der Aufenthalt in jener Gegend so deutlich in Erinnerung 
gekommen, daß ich gleich fortfahren will, noch etwas über Pom- 
peji und den Vesuv nachzuholen. 

Um 72-^^ kamen wir aus Capri in Sorrent an. Wir waren 
nicht lange umhergebummelt, als es anfing zu regnen, anfangs 
nur in einzelnen Tropfen, so daß wir einen höchst „gelungenen" 
steinernen Bischof, den man den „Santo Bacco" oder San To- 
bacco nennt, mit Hindernissen flüchtig skizzieren konnten; dann 
aber goß es in Strömen und wir flüchteten eiligst in das nächste 
Haus, dessen alte Türhüterin ebenso taub wie unfreundlich war 
und eigentlich sehr mißtrauisch, als wir, um uns die Zeit zu ver- 
treiben, ein großes schmiedeeisernes Gitter zu zeichnen begannen, 
den einzigen unseres Stiftes würdigen Gegenstand in dieser Lage. 
Als der Regen vorüber war, glänzte die Sonne so hell, wie wir 
sie nie auf Capri gesehen hatten, und hatten wir uns vorher im 
Regen gefreut, es verlassen zu haben, so fühlten wir jetzt Reue 
darüber. Als wir uns in einem Wirtshausgarten, mit weiter Aus- 
sicht übers Meer, zum Frühstücken niederließen, sahen wir zu 
unserer Genugtuung, daß sich die dichten Nebel vom Felseneiland 
nicht verzogen hatten. . . . Lange schwatzten wir hier über hansea- 
tische Verhältnisse und gemeinsame Bekannte, stiegen dann 
landeinwärts zu einem Dorf und Park mit Aussicht über beide 
Golfe — doch machte es uns keinen besonderen Eindruck, nachdem 
wir in Capri gewesen waren — am Nachmittag fuhren wir nach 
Castellamare, vertrödelten dort den Eisenbahnzug, indem wir von 
der schönen Promenade und dem Cafö aus die Militärmusik an- 
hörten und mußten, da wir uns keinen Wagen leisten wollten, 
nun den Weg nach Pompeji, den wir schon kannten, abermals zu 
Fuß machen. Es war Nacht und die Frösche quakten, als wir 
in der Sole wieder anlangten. Aber es gab noch etwas zu essen. 



— 342 — 

und als wir unsere Erlebnisse den Bekannten kurz erzählt hatten, 
verfügten wir uns schleunigst noch einmal in die unappetitlichen 
Schlafgemächer, die nach Paganos reinlicher Wirtschaft besonders 
unerfreulich anmuteten. 

Pompeji also! Zunächst denkt Euch eine winzige Eisenbahn- 
station, ringsum Kohl- und Saubohnenfelder, soweit man sehen 
kann, dann ein schmaler Weg, der das Stationsgebäude mit der 
Chaussee verbindet. Diese so staubig wie möglich, mit der feinst- 
pulvrigen, weißgrauen Staubsorte bedeckt, die es gibt, an ihrer 
linken Seite ein Erdwall mit trockenem Gras und einigen be- 
staubten Büschen bewachsen — dahinter liegt die alte Stadt — 
an ihrer rechten einige, zuweilen nebeneinander, meist aber in 
weiten Entfernungen liegende Häuser — etwa sechs bis acht, 
davon drei Gasthöfe, die übrigen kleine Spelunken für Tabak, 
Wein und die notwendigsten Kolonialwaren: das ist nun Pom- 
peji. Das letzte dieser Gasthäuser ist die Sole, in der alle Maler 
und Studenten einkehren. Sie zeichnet sich durch Dreckig- 
keit und Billigkeit aus. Man zahlt nämlich alles in allem 
4Vo Francs. Das eine Hotel ist vornehm und teuer, das zweite 
eigentlich das beste, da man für fünf Francs alles besser und 
reinlicher bekommt, als in der Sole, aber der Wirt ist ein un- 
angenehmer Patron, der bei jedem Eisenbahnzug an der Station 
steht und sich den Ankommenden, die nach der Sole fragen, als 
Padrone dieses Hotels vorstellt. Manche fallen, namentlich abends, 
darauf hinein, werden dann, wenn sie am andern Morgen diese 
Lüge durchschauen, fuchswild und ziehen aus, in die wirkliche 
Sole, wo sie sich bisweilen in die reinlichere Wirtschaft des Be- 
trügers zurücksehnen. Auch wir gingen beinahe auf den Leim, 
als wir ankamen, aber als wir nach unseren Freunden fragten, 
und er uns vorschwindeln wollte, daß sie am Morgen abgereist 
seien, war er entlarvt. — Die Feindschaft dieser beiden Wirte 
ist das einzig Interessante des modernen Pompeji. Der Sonnen- 
wirt ist ein kleines, energisches, garstiges Kerlchen, sieht aus wie 
ein Böhme und ist die Gutmütigkeit selbst. Lesen und Schreiben 
kann er nicht, sondern rechnet, wenn es sein muß, mit Strichen, 
so weiß er denn auch nie, wie lange seine Gäste bei ihm sind 



— 343 — 

und muß sich ganz auf deren Glaubwürdigkeit verlassen — tut 
es auch ohne allen Arg. Er hat viele Kinder, die in den ärgsten 
Lumpen, schmutzig wie die Schweine, halbnackt, in den sonnigen 
Gärten umherstrolchen. Seine Besitzung, die er ganz allein ge- 
baut hat, besteht aus einem Haus mit allerlei gelegentlichen 
Anbauten; der große Kßsaal daneben bildet ein Haus für sich und 
das Ganze ist das Verrückteste an Architektur^ das man sich 
denken kann. Zwei quadratische, leichtgewölbte Räume sind 
durch einen großen Bogen verbunden, die Stütze dieses Bogens (!!) 
ist ein großer unförmlich dicker Pfeiler, der die Aussicht in der 
Mitte verbaut und auf den ihn zierenden Börtern mit Wein- und 
Likörflaschen besetzt ist. Die Möbel sind auf allen möglichen 
Auktionen zusammengekauft: vergoldete Rokokotischchen, napole- 
onische Stühle, auch ganz Modernes, aber alles wackelig; an den 
grellen, zitrongelben Wänden ganz schwarze Heiligenbilder aus 
alten Kirchen akquiriert. Auch hier muß Eure Phantasie alles 
mit dem weißlichen Staub überzuckern, der durch die stets oö'ene 
Tür eindringt, und alles mit zahllosen Fliegen bevölkern — selbst 
zu einer Zeit, wo es anderwärts noch keine gibt. Wie mag es 
jetzt erst sein! 

In der zweiten Hälfte dieses Eßsaals hinter der dicken Säule 
steht die beständige Tafel, welche an dem Abend unserer An- 
kunft ganz voll und immer gut besetzt war. Fünf Personen 
wohnten nämlich schon seit vier, fünf oder gar zehn Monaten 
dort. Wie man das aushalten kann, ist mir ein Rätsel. Der 
älteste Gast, welcher präsidierte, ein wichtiges, bebrilltes, schwarzes 
Herrchen, dessen Namen ich vergaß, ist ein Maler, der für die 
Berliner Akademie oder für das Berliner Archäologische Ijistitut 
Arbeiten zu machen hat. Er tut dies mit der albernsten Ge- 
nauigkeit der Welt. Jedes Titelchen und Häkchen in den flott 
hingemalten Ornamenten wird genau kopiert! Als Thiersch, der 
schnellste und akkurateste Arbeiter, der mir je vorgekommen ist, 
einmal seufzte: er habe jetzt schon drei Tage an einem Stück 
der parete nera (der berühmten „schwarzen Wand") geknufielt, 
lächelte der andere mitleidig: „drei Tage?! Ich habe sechs 
Wochen daran gearbeitet." . . . Sieben oder acht Nächte habe ich 



— 344 — 

im Sole zugebracht, aber doch fürs eigentliche Pompeji nur etwa 
vier Tage gehabt, so viel Ausflüge haben wir von hier aus unter- 
nommen, nach Amalfi, Pästum, nach Capri, auf den Vesuv, und 
noch einmal für einen Tag nach Neapel, um dort Geld von der 
Post zu holen. 

Von der Totenstadt selbst brauche ich kaum zu erzählen. 
Man hat schon so viel darüber geschrieben und gelesen, so viel 
Photographien gesehen, daß man sich ein ungefähr richtiges Bild 
davon macht, und wenn man nicht selber darin herumstieg und bei 
all den alten Herren und Damen, die vor nun fast 2000 Jahren 
gestorben sind, Visite machte, ihre Hauseinrichtungen bis in die 
kleinsten Winkel hinein durchspürte und beschnupperte, so kann 
doch keine Erzählung den eigentümlichen Reiz ersetzen, den dies 
neugierige Herumspähen, dies Kombinieren auf die Eigentümlich- 
keiten und speziellen Liebhabereien der verschiedenen Bewohner 
gewährt. Anfang und Ende vom Lied sind natürlich jedesmal: 
tout comme chez nous! — Eines Nachmittags schlenderte ich 
mit Gildemeister und Friedrich . . . wieder herum, in einem Viertel, 
in dem wir noch gar nicht gewesen waren — denn die Ausdeh- 
nung der Ruinen ist sehr viel größer, als man sich für gewöhn- 
lich vorstellt — und ich amüsierte mich und ich glaube auch 
die anderen damit, einen alten römischen Junggesellen, der sich 
mit einigem Vermögen hierher zurückgezogen hat, auf ham- 
burgisch zu spielen und als solcher, das Plaid als Toga drapiert, 
den Führer zu machen — als plötzlich in einem Nebenzimmer, 
anfangs einem Echo vergleichbar, ganz dieselben biederen Töne 
hörbar wurden, und als wir erstaunt um die Ecke bogen, standen 
auch richtig zwei Landsleute da, die sich sehr bald als die Herren 
Heyn und Wartenburg entpuppten, die an mich nach Rom emp- 
fohlen waren, mich aber dort nicht mehr gefunden hatten. . . . 
Wir haben die Vesuvbesteigung gemeinsam zu viert unternommen, 
denn Friedrich ist ein etwas bequemes Kerlchen in dergleichen 
Dingen und schloß sich nicht an. Wir bildeten keine sonderliche 
Vertretung der Nation: ich war der kräftigste von allen. . . . Die 
übrigen Freunde, die die Geschichte schon gemacht hatten, als 
wir noch in Neapel waren, wußten so viel von der fast übergroßen 



— 345 — 

Strapaze zu erzählen, obgleich sie alle starke Kerle waren und 
den Feldzug zum Teil mitgemacht hatten, daß ich mir von vorn- 
herein vorgenommen hatte, nur bis zum Observatorium zu steigen 
und den Gipfel zu lassen, wenn es mir zu viel werden sollte. 
Die Erinnerung an den guten Spangenberg, der vor zwei oder 
drei Jahren, oben angelangt, vom Schlag gerührt auf der Stelle 
tot war, kam dazu. — Zunächst setzte ich es durch, daß wir 
nicht von Pompeji aus gingen, sondern erst mit der Bahn nach 
Resina fuhren. Von der Seite ist's nämlich viel leichter. Dort 
leisteten wir uns zu je zweien ein Maultier, das erste und einzige 
Mal auf der ganzen Reise, daß ich die häufige Gelegenheit zu 
reiten benutzt habe. Gewiß ein glänzendes Zeugnis für unsere 
Sparsamkeit! 

Es war recht heiß, die Mittagssonne glühte senkrecht auf 
das helle Gestein (meist alte Lava) oder die dunklen, noch kahlen, 
neueren Lavafelder. Überall wächst Wein und Mais; einzelne 
kleine Häuser stehen in der Landschaft, und Menschen bieten 
einem für teures Geld schlechten oder falschen Lacryma Christi 
an. Nach ca. zwei Stunden ist man beim Observatorium. Die 
Aussicht von da ist die bekannte über den Golf und die Inseln, 
nur höher und lange nicht so schön, sonst aber ähnlich wie von 
Camaldoli, das wir damals noch nicht kannten. Von da bis an 
den Fuß des Kegels ist's nicht mehr weit, aber da Gildemeister 
an der Reihe war zu reiten, wurde ich vom Waten in der lockeren 
Asche, die hier schon beginnt, recht müde. Diese Asche habe 
ich mir immer falsch vorgestellt. Sie ist körnig wie Grand oder 
eigentlich wie grobkörniges Scliießpulver, Hier machten wir Halt 
und verzehrten das mitgebrachte Essen: Hammelbraten, Brot, 
Orangen und eine Flasche Wein, die zweite und pro Mann noch 
eine Orange wurden mit hinaufgenommen. Die Belästigung durch 
die Führer ist hier groß. Schließlich gaben sie uns auf. Auch 
waren so viel andere Fremde da, Männer, Weiber, Greise und 
Kinder aller Nationen, daß sie genügend Beschäftigung fanden. 
Nachdem wir uns gründlich gestärkt fühlten, begannen wir das 
Experiment. Riesenhoch türmt sich die sonnige, rotgelbgraue 
Aächenvvüste vor einem auf, und mir fiel das Herz fast in die 



— 346 — 

Schuhe. Aber vorwärts! Es ging nicht so schlecht wie ich dachte, 
man sinkt nicht bis ans Knie ein, gewöhnlich nur bis über die 
Knöchel. Trotzdem nahm ich schließlich das Anerbieten des 
nebenherlaufenden jungen Kerls an, mich ziehen zu lassen. Das 
ist doch eine große Erleichterung! Die anderen drei blieben im 
Xu weit hinter mir zurück und als sie nach fünf Minuten purpur- 
rot an die erste Haltebank gekrabbelt kamen, hatte ich mich 
schon verschnauft und hüpfte weiter. Nach gut 20 Minuten 
waren wir oben. 

Der Krater ist wunderbar groß ; viel größer, als ich ihn mir 
trotz aller Mühe, die ich mir gab, vorgestellt hatte. Es ist, wie 
wenn man von der Koütrappe oder dem Hexentanzplatz ins Bode- 
tal hinabsieht, nur noch größer, und nur selten verziehen sich 
die aufqualmenden Dampfwolken so weit, daß man hineinsehen 
kann. Da kommen phantastische Zacken und Klippen zum Vor- 
schein, aber ehe man sich's versieht, hüllt der gelbweiße Dampf 
alles wieder ein und steigt einem in die Nase, so daß man sich 
hustend zurückzieht. Großartig ist das fortwährende gewitter- 
artige Grollen und Brummen in der Tiefe, das aber nur selten 
laut und donnerartig wird. Wir waren absichtlich ziemlich spät 
(Y7II Uhr) aufgebrochen, um womöglich den Sonnenuntergang oben 
zu erleben, aber daraus wurde nichts. Die Wolken zogen sich 
immer mehr zusammen, Ischia war schon ganz in Regen gehüllt, 
dann auch Sorrent, nur Capri sah klar aus dem weißblitzenden 
Meeresspiegel heraus, dann fing es auch hier oben an zu tröpfeln. 
Zischend, wie wenn man kaltes Wasser an einen warmen Ofen 
spritzt, fielen die Troj)fen auf den mürben, rot- und goldgelben 
Schwefelboden, in dem man Eier kochen kann und der die Fuß- 
sohlen allmählich versengt. Wir setzten uns hinter eine kleine 
Steinwand, die vor Dämpfen und Regen leidlichen Schutz ge- 
währte, tranken unsern Wein aus den Orangenschalen, was ihm 
ein eigentümlich feines Aroma gibt, schleuderten die leeren 
Flaschen in den Abgrund hinab und marschierten, nachdem wir 
wohl 1 ^1^ Stunden oben gewesen und die weite Aussicht genügend 
genossen hatten, hinab auf der andern Seite nach Pompeji zu. 
Das elastische Herabspringen in Riesenschritten und Sätzen ist 



— 347 — 

eiues der größten Vergnügen bei einer Vesuvbesteigung. Au dieser 
Seite genießt man es besonders lange; der stärker werdende 
Regen beflügelte den eilenden Fuß, so daß wir wie der Wind 
unten waren. Wo die erste Vegetation beginnt, entdeckten wir 
einen kleinen Unterschlupf und saßen dort wohl ^2 Stunde, bis 
der Regen nachließ. Aber ehe wir ins erste Dorf kamen, dauerte 
es noch lange Zeit. . . . Hier kehrten wir ein und ruhten unsere 
müden Glieder; im nächsten Nest bekamen wir sogar für einen 
Spottpreis — ich glaube 2^/^ Francs für alle vier — Fuhrwerk 
bis Pompeji, wo wir recht müde aber zum Abendessen anlangten. 

Die Tour war nett und ich freue mich, daß ich's hinter mir 
habe. Ob ich's zum zweitenmal täte, lasse ich dahingestellt, wie 
die meisten. — Wenn Ihr Onkel Erwins Beschreibung seiner 
Vesuvbesteigung lest, so wird diese Euch recht ledern und simpel 
erscheinen. Der Krater ist jetzt ganz anders, ais er damals war. 
Auch das Hinaufsteigen wurde feierlicher und romantischer be- 
trieben. Mit Fackeln! Das muß famos gewesen sein, kommt 
aber jetzt wohl selten vor. . . . 

Wenn ich zu Pompeji noch hinzufüge, daß ich dort eine 
Menge geschafft habe — trotzdem wenigstens zwei volle Tage 
dazu gehören, nur erst einmal alles zu sehen — natürlich sehr 
flüchtiges Zeug und in den Augen der langweilen Knufiler völlig 
unbrauchbar — so kann ich jenen Teil der Reise beruhigt be- 
schließen. 

Nachdem wir aus Capri zurückgekehrt waren, blieben wir 
noch zwei Drittel Tage in Pompeji und fuhren nachmittags ^/gö 
nach Neapel zurück. Mein Abschied geschah im Trab oder 
Galopp; ich hatte beim Skizzieren einer Wand die Zeit vergessen 
und hörte plötzlich das Signal der Station. Da gings! Forum, 
Venustempel, Zeustempel, Gerichtshalle, Stadttor, alles flog nur 
80 an mir vorbei. Die alten Mauern hatten vielleicht seit der 
großen Verschüttung keinen Menschen so eilig an sich vorüber- 
rennen sehen! Eben, eben kam ich noch zur rechten Zeit. 

In Neapel blieben wir noch etwa vier Tage, solange wie 
ich es mir vorgenommen hatte. Wäre das Geld nicht alle ge- 
worden, so wäre ich gern noch länger geblieben und hätte wohl 



— 348 — 

auch Gildemeister dazu verführt. Cap Misenum, ßajae, Cumae 
die elysäischen Felder z. B. haben wir nicht zu sehen bekommen 
und so vieles andere auch nicht. Am letzten Abend besuchten wir 
noch Vergils Grab, welches jetzt im Besitz eines Franzosen ist, 
der 1 Franc Eintrittsgeld dafür erhebt. Schon diese Lumpigkeit 
verleidet einem den Ort, der auch abgesehen davon, meinen Er- 
wartungen nicht recht entsprach. Onkel Erwins Beschreibung 
nach hatte ich mir mehr davon vorgestellt. 

Am Abend in einer Restauration im alten, in Ruinen ins 
Meer hinausragenden Palast der Donna Anna am Strand, plät- 
schernde Wellen zu unseren Füßen; wir sahen von da aus, wie 
die Lichter der Stadt sich allmählich entzündeten, wie ein er- 
leuchteter Luftballon in die klare blaue Luft langsam aufstieg 
und sich wieder senkte, aßen winzige Austern und schlecht- 
gekochte Makkaroni mit Pomidorosauce, das Neapolitaner National- 
gericht, das ich aber nicht leiden kann. Am andern Morgen 
früh um sechs dampften wir ab über Caserta und Monte Cassino 
nach Rom. . . . 

Florenz, den 11. August. 
Lieber Onkel Heinrich! 
. . . Eigentlich ist so eine Kopiererei doch ein recht schlechtes 
Geschäft. Man ist nicht mit ganzer Seele bei der Sache, kann 
es nicht sein, da man nicht seine eignen Gedanken malt, sondern 
nur fremde wiederkäut, und trotzdem ist es um nichts leichter 
als ein selbständiges Arbeiten vor der Natur. Gelernt habe ich 
natürlich allerlei daran: erstlich einmal wieder mit Ölfarben zu 
hantieren, zweitens ist die poetisch übersetzte Farbengebung dieser 
alten Meister doch nur durch Nachahmung wirklich recht zu er- 
kennen und sich anzueignen möglich — obgleich eine flüchtige 
Farbenskizze dieselben Dienste leistet, und ich bei meinen beiden 
Skizzen nach Paolo "Veronese mindestens ebenso viel gelernt habe 
und drittens hat's den moralischen Wert des eisernen Muß, der 
mitten in die süße Schmetterlingsfreiheit hinein als Dämpfer ge- 
setzt wird, damit mir die „rauhe Wirklichkeit" nachher nicht zu 



— 349 — 

bitter schmecke. Wenn nur die Galeriestunden günstiger lägen! 
Von neun bis drei ist eine sehr schlechte Zeit. Vorher kann 
man nichts Rechtes tun, wenn man sich nicht müde machen will, 
um 12 wird man hungrig und braucht eine halbe bis dreiviertel 
Stunde zum Mittag, um ^2^ fangen die Herren Kustoden schon 
an zu läuten, um ^'^3 muß man seine sieben Sachen zusammen- 
packen, das macht täglich fünf Stunden; Donnerstags wird über- 
haupt erst um elf Uhr geöH'net, macht also wöchentlich 28 Stunden, 
im günstigsten Falle, wenn nicht irgendein Festtag in die Quere 
kommt, wovor man ja nie sicher ist; nächste Woche ist Maria 
Himmelfahrt. 

In den zweimal 28 Stunden der letzten 14 Tage habe ich 
mein vorgesetztes Pensum so ziemlich erreicht, und hoffe, daß es 
auch in der nächsten nicht schlechter gehen wird. — Nach drei 
pflege ich nach Haus zu gehen, Pinsel zu waschen und mich 
etwas auszuruhen, im Lehnstuhl sitzend in Philipp Otto Runges 
Briefen zu lesen, auch etwas zu schlafen. ^2^ geht's wieder 
hinaus au irgendeine Arbeit, sei es nun in die Küche der 
Fräulein von Willemoes (die übrigens jetzt fertig ist) oder zu 
anderen schönen Leistungen, — Augenblicklich beschäftigt mich 
die lustige Fassade an Piazza Santa Croce, die von elf verschie- 
denen Maiern in 27 Tagen ausgeführt wurde. Ich schrieb schon 
einmal davon. Sgrafittos und Fassadenbemalung interessieren 
mich überhaupt sehr; trotz unseres Klimas sollte man es bei uns 
einführen. Hält's auch nicht ewig — was schadet das?! Die hier 
haben ja auch nicht ewig gehalten! Aber denke Dir, wenn unser 
Alsterbassin lauter bunt und lustig bemalte Häuser hätte! Jedes 
von einem andern Maler in anderer Art geschmückt. Das könnte 
die langweilige Architektur, die nicht mehr zu ändern ist, ver- 
gessen machen! 

Das ist so einer der vielen großen Pläne, die ich für die 
liebe Vaterstadt in petto habe, freilich gleich einer der aller- 
größten, über dessen geringe Aussichten aufs Gelingen ich mir 
ganz klar bin. Überhaupt braucht Mutter nicht zu fürchten, daß 
es mir gehe wie Otto Runge, der bei seiner Heimkehr aus 
Dresden offenbar wie aus allen Himmeln in die rauhe Wirklichkeit 



— 350 — 

fiel, so daß selbst — seinen Briefen nach — der Besitz der so 
heiß erkämpften Pauline ihm kaum über das Gefühl bitterer Ent- 
täuschung hinweggeholfen zu haben scheint. Ersthch ist die 
Zeit eine andere, dann bin ich selber Gott sei Dank nüchterner, 
will auch keine „neue Kunst" erfinden, bin überhaupt nicht durch 
l^ecksche Romantik verrückt gemacht, auch wohl etwas klarer 
und bescheideneren Sinnes über meine Begabung — genug: seid 
nicht bange davor! Übrigens interessiert das Buch mich sehr. 
Wie kann man aber so verrückt sein, die eigentliche Biographie 
am Ende des zweiten Bandes zu drucken und den ganzen übrigen 
Wust, den jeder andere vernünftige Mensch als „Anhang" be- 
handelt hätte, an den Anfang zu setzen und jeden Leser dadurch 
abzuschrecken! Der gute Daniel! Das muß doch eine rührend 
selbstlose, opferwillige Natur gewesen sein. — In dem einen 
freilich geht's mir gerade wie Eunge : daß mau immer erst all die 
voraus empfangene Güte abarbeiten muß, statt für Geleistetes nach- 
her seinen Lohn zu empfangen. Doch schweigen wir vorläufig 
über dies Kapitel 

Im ganzen gewinne ich Firenze trotz des Kopierens und 
Schwitzens täglich lieber, heute sah ich sogar viel hübsche 
Frauen, was ein seltenes Glück ist, während ich die hiesigen 
Männer schon seit lange als die schönsten Italiens erkannt habe. 

Und damit gute Nacht. Mit vielen Grüßen 

Dein Hans. 

Florenz, den 13. August 1877. 
Lieber Onkel Heinrich! 

.... Morgen werde ich wahrscheinlich noch einmal wieder 
ein Stück nach Süden reisen, zu dem großen Volksfest in Siena, 
von dem ich so viel gehört habe, daß ich es doch sehen möchte. 
Da die Galerie ganz geschlossen ist, wird es mir nicht schwer. 
Hoffentlich geht recht früh ein Ektrazug, so daß wir rechte Muße 
haben werden. Ich freue mich sehr darauf. — 

Meine Abreise von hier soll im Anfang der nächsten Woche 
erfolgen, Ankunft in Venedig am 24. (Vollmond), dort etwa 



— 351 — 

acht Tage, einen Padua, einen halben Vincenza, einen Verona, 
vielleicht noch einen Mantua, einen Klobenstein, einen München, 
einen Augsburg, das ich noch gar nicht kenne, einen oder zwei 
Weimar, einen halben Leipzig, vielleicht noch ein bis zwei Berlin, 
um mir einen flüchtigen Eindruck von der großen Ausstellung 
und der Nationalgalerie zu verschaffen, also in der ersten Hälfte 
bzw. ]\Iitte September in Hamburg. . . . 

Heute die Beschreibung des großen Festes zu Siena, das 
einzige echt mittelalterliche Volksfest, welches sich in Italien 
erhalten hat und alljährlich vom 14. — 16. August stattfindet. Extra- 
züge gehen dazu ab, nicht nur von hier allein, sondern sogar 
von dem viel entfernteren Rom. — Die Reisebücher machen 
lange nicht genug Geschrei davon, um so zufriedener bin ich, zu 
den verhältnismäßig wenigen zu gehören, die es mitgemacht 
haben. 

Am 15. früh gegen ^/^l fuhren wir ab und waren um ^/^lO 
in Siena. „Wir" d. h. Friedrich, Vogel, ein Württemberger Archi- 
tekt, mit dem ich nun schon 5 Wochen hier zusammen bin und 
den ich sehr gut leiden kann, und meine Wenigkeit. . . . Wir 
drei paßten sehr gut zusammen. Unser erster Gang war in den 
Dom, dessen Marraorboden an diesen zwei Tagen aufgedeckt ist. 
Das Längsschiff war mit bunt gemusterten Fahnen geschmückt, 
und die bronzenen Engelknaben an den Pfeilern des Chors und 
Hochaltars trugen brennende Kerzen. Natürlich war's voll von 
Städtern und Landleuten, alle fröhlich und festlich gestimmt und 
gekleidet: die Städterinnen oft in sehr niedlichen Anzügen und 
die braunen Landmädchen in riesigen Strohhüten, die den Kopf 
wie ein kolossaler Heiligenschein umrahmen oder infolge ihres 
eignen Gewicht in Falten wie große Winden niederhängen und 
immer neue Formen annehmen. 

Wir traten durch eine Seitentür ein, und im selben Mo- 
ment kam zum weitgeöffneten Hauptportal, vier alte Bediente in 
Eokoko voran — gerade wie in St. Peter — der Zug des Erz- 
bischofs und der Canonici, alle in roter und violetter Seide, gleich 
darauf begann das Hochamt mit festlich schöner Musik (Orgel, 
Chor und Instrumentalmusik). Immer neue überraschende An- 



— 352 — 

sichten des herrlichen Domes fanden wir. Es ist doch ohne 
Frage die schönste Kirche, die ich kenne! ein so freudiger Ernst, 
eine so milde Pracht erfüllt die Räume — die schwarzweißen 
Marmorpfeiler mit goldenen Kapitelen und lichtblauen Gewölben, 
durch mäßiges Rot gemildert, die schönen Glasfenster dazu, der 
reiche Schmuck der Skulpturen in Marmor, Bronze und tief- 
braunem Holz, alles durchleuchtet von Sonnenstrahlen, darin das 
Gewoge hübscher Mädchen in anmutigen, hellen Kleidern und die 
ländlich frohen, einschmeichelnden Weisen der Gesänge: das 
Ganze macht einen wundervollen Eindruck. Ich glaube, es gibt 
keine Kirche, die so harmonisch wirkt wie diese: vorherrschend 
Gotik oder Renaissance, alles schön und edel, nichts pomphaft 
und die Harmonie beeinträchtigend ; das bißchen Zopf, das da ist, 
bescheidet sich taktvoll, als fühlte es, daß es eigentlich nicht in 
so vornehme Gesellschaft gehört. — Auch ist dies Fest (Mariae 
Himmelfahrt) ein besonders liebliches und poetisches der katho- 
lischen Kirche und wohl begreiflich, daß Kunst und Volkssinn 
es besonders lieb haben. Schade, daß wir es nicht kennen! 

Eine besondere von Pius IL Piccolomini seiner Vaterstadt 
zugestandene Gunst besteht darin, daß beim Hochamt alle Cano- 
nici Bischofsmützen aufhaben dürfen. Außer dem Erzbischof in 
der goldnen, füllten 15 in weißseidnen den Chor, was aussah wie 
ein Konzilium, oder — wenn man weniger historisch aufgelegt 
war — wie eine Cotillontour, denn die weiße Seide der Mitren 
sah von weitem wie Glanzpapier aus. — In der anstoßenden 
Libreria, diesem herrlichen von Pinturicchio ausgemalten Raum, 
waren sämtliche alte Chorbücher aufgeschlagen und das Volk 
wogte auf und ab, um die prächtigen Miniaturen zu besehen; in 
der Sakristei war der ganze Schatz der Kirche an gestickten 
Gewändern, kostbaren Kelchen und sonstigem Altargerät auf- 
gestellt. 

Schließlich schob ich mich dicht an den erzbischöflichen 
Stuhl, bis neben die vier Bedienten, und hätte sogar etwas von 
einer ihnen offerierten Prise abbekommen können. . . . Der Erz- 
bischof war ein behagliches, dickes Herrchen mit Brille und einem 
humoristischen Zug. . . . Die vielen schweren Prachtgewänder 



— 353 — 

waren ihm gewiß nicht besonders augeiiehra, aber er saß ganz 
geduldig auf seinem goldnen Stuhl, und wenn die Musik einmal 
recht lustig wurde, tippte der kleine dicke Fuß in den gold- 
gestickten Schuhen den Takt dazu. Auf den Stufen seines Trones 
kauerten zwei Chorknaben in hübscher, natürlicher Stellung — 
alles schien mir würdig, harmlos, glücklich und dem fröhlichen 
Feste gemäß. Die schönste Aussicht, die ich fand, zugleich das 
schönste Kircheninterieur, das ich je gesehen habe, war hinter dem 
Altar. Ich versuchte im Laufe des Nachmittags mehrfach, es mit 
einigen Strichen festzuhalten, aber jedesmal begann, im Augen- 
blicke wo ich angefangen hatte, irgendeine Zeremonie, so daß ich 
wieder aufhören mußte. Über 2 Stunden habe ich's in diesem 
Hochamt ausgehalten, was teilweise nur infolge der abwechselnden, 
oft an Rossini, Verdi, ja Wagner und Strauß erinnernden Musik 
möglich war. Zuweilen war sie jedoch sehr ernst und feierlich, 
und als beim Credo: ,,natus ex Maria Virgine-' alles niederkniete, 
tat ich es auch, was ich noch nie in Italien getan hatte, da ich 
diesmal so weit vorn war. Auf diesem Marmorboden zu knien, 
statt auf ihm umherzugehen, kommt mir ganz natürlich vor. 
Wenn Michelangelo von Ghibertis Türen behauptete, sie wären 
wert die Pforten des Paradieses zu sein, so möchte ich dasselbe 
von diesem Boden behaupten. Überhaupt: wenn man sich die 
Herrlichkeit des Himmels mittelalterlich vorstellen will, so liegt 
es nahe, hier mit seiner Phantasie anzuknüpfen. Wohl dem Volk, 
das in diesen Hallen groß wird und ihre Schönheit bei jeder 
(relegenheit erhebend und beruhigend auf sich wirken lassen 
kann! 

Gegenüber liegt das Hospital La Scala, eine jener groß- 
artigen kirchlichen Einrichtungen der reichen Städte des Mittel- 
alters, welche auch in dieser Hinsicht der Neuzeit nicht nach- 
stehen. Heute waren alle Säle — mit Ausnahme der der Schwer- 
kranken — geöffnet, und viele Leute machten ihren Verwandten 
und Freunden Besuche; ordentlich und sauber, wie die Anwesen- 
heit der barmherzigen Schwestern voraussetzen Heß, lagen die 
Kranken in den hohen luftigen Gewölben, bei offenen Fenstern und 
Türen, die schöne Sommerluft und der helle Sonnenschein drangen 

Schapire, Hans Speckters Briefe. 23 



— 354 — 

fröhlich ein. Von hier aus hat man die schönste Aussicht über 
das glückliche Land, unter sich üppige Gärten voll Feigen und 
Wein und ein allerliebstes Backsteinkirchlein. An den Wänden 
höchst interessante Fresken, aus dem Anfang des 15., teils noch 
aus dem 14. Jahrhundert, lauter Szenen aus dem Hospitalleben 
von höchster Charakteristik und Würde und einer Behandlung 
des Nackten — nahezu lebensgroß — wie ich sie vor Lucca 
Signorelli nie gesehen habe. Mit größter Pracht und Durch- 
führur.g ist alles gearbeitet und gehört zum Vorzüglichsten, das 
ich kenne. Ob auch die Neuzeit dazu kommen wird, die Wände 
der Krankensäle mit Fresken auszumalen? Sie würden mehr 
betrachtet werden und mehr Freude machen als Fresken in vielen 
Schlössern, z. B. die Kaiser- und Nibelungensäle in der Rezidenz 
zu München, die nur für die durchreisenden Fremden und den 
Trinkgeld erhaltenden Kustoden zu existieren scheinen. 

Außer diesem Spital, dessen Kirche noch eine schöne, ge- 
schnitzte Orgel von Peruzzi und bronzene leuchtertragende Engel 
usw. enthält, war es besonders eine kleine Kapelle, 10 Minuten 
vor dem Tor, die ich bei meinem ersten reichlich flüchtigen 
Aufenthalt vergessen hatte und jetzt besah. Die Kapelle „dei 
Diavoli" nennt Burckhardt ein Juwel der Frührenaissance, und 
sie ist wirklich das vollendetste an maßvoller Schönheit, das man 
im Backsteinbau sehen kann. Der Weg hinaus war sonnig und 
heiß, aber doch schön, und auf dem Rückweg saßen wir lange 
in den alten schattigen Torbogen und aßen saftige Melonen. 
Dann strolchten wir in der Stadt herum oder saßen im Caf6, 
aßen Eis, überall gab's Musik — die Kapellen in Phantasieuni- 
formen — meist nicht schlecht, aber es wurde einem doch des 
Guten zuviel, zumal man sich ja im ganzen in Italien der Musik 
entwöhnt. 

Um 6 IJhr war auf dem Rathausplatz die Generalprobe des 
großen Wettrennens, das wir von einem hohen Balkon sahen. 
Dieser Platz ist das richtige antike Amphitheater, vielleicht auch 
auf den Ruinen eines solchen erbaut: muldenförmig, so daß man 
fast von jedem Punkt aus die Rennbahn übersehen kann. Die eine 
Seite nimmt das Backsteinrathaus ein, mit seinem hohen schlanken 



— 355 — 

Turm und den vielen sch\varz\veil3en Wappen über den spitz- 
bogigon Fenstern. Von den übrigen drei Seiten wird der Platz ein- 
geschlossen von mehr oder weniger altertümlichen Häusern, mit 
Balkons versehen, von denen aus seit vielen hundert Jahren dies 
Festspiel mit Begeisterung verfolgt zu werden pflegt. Ringsum 
sind Tribünen errichtet, auf denen mau sich für 70 Cts. bis 
1,50 Frs. ungeheuer enge Plätze mieten kann. Der Raum inner- 
halb der Bahn kostet nichts. Die Probe ging gut, aber die 
wahre Geschichte kam doch erst am folgenden Tage im Kostüm. 
Jeder der zehn Stadtteile (Contrade) stellt ein Pferd mit Reiter; 
es wird nur einmal geraunt — die Bahn 3 mal durchmessend. 
Wer siegt, hat die Ehre für dies Jahr erreicht. Geldpreise gibt 
es, meines Wissens, nicht. Jede Contrada hat ihr eignes Kostüm 
und durchzieht von 4 ühr an die Straßen, vor den Häusern 
aller „Padrone" — eine Ehre, die man für 10 Frs. jährlich er- 
kaufen kann — Halt machend und die Fahnen schwingend. 
Jeder Zug besteht aus etwa 10 Mann: einem Trommler, der meist 
sehr mangelhaft kostümiert und oft ein trauriger, alter Invalide 
ist, dem Fahnenschwenker, einem kräftigen, jungen Mann, die 
interessanteste und charakteristischste Erscheinung des Zuges. 
Viele sahen aus wie Jost Ammonsche deutsche Landsknechte, 
meist blondhaarige germanische B^eldwebel- oder Vorturnererschei- 
nungen, voll elastischer Kraft und Gewandtheit. Wie sie die 
großen runden Fahnen zu schwingen verstehen, sie rund um den 
Leib wirbeln, zwischen den Beinen durch um den Nacken herum, 
sie schließlich leicht aufrollend, hoch in die Luft werfen und 
sicher wieder auffangen — wobei die Fahne sich in der Luft 
entfalten muß — dann sich leicht verbeugen und weiterziehen — 
das sieht so wunderschön aus und gibt eine solche Fülle der 
schönsten Bewegungen, daß ich nicht begreife, warum unsere 
Kunstreiter dies Feld nicht mehr kultivieren. Freilich würde 
der Hauptreiz, die echte Volkstümlichkeit, fehlen. Nach dem 
Fahnen Schwenker, bisweilen sind es sogar zwei, folgt der Banner- 
träger in der reichsten Kleidung, meist ein junger Mensch von 
ca. 16 Jahren, bisweilen sehr schön, wie aus den alten Bildern her- 
ausgeschnitten, neben ihm zwei Knaben als Pagen, deren Trikots 

23* 



~ 356 — 

meist viel zu weit und lang sind. Dann der gewappnete Haupt- 
mann mit Helm, Panzer und Schwert, ihm folgen wieder zwei 
Pagen, darauf das Rennpferd geschmückt, am Zügel geführt, und 
zum Schluß auf erbärmlichem Klepper abermals ein Gewappneter. 

. . . Die Anzüge sind an Güte sehr verschieden: einige recht 
schön, andere der fürchterlichste „Kümmel". Am vornehmsten 
sah die Contrada Lupa aus: schwarz und weiß mit wenig Gold- 
stickerei. Das ist die älteste und vornehmste. Die römische 
Wölfin ist Sienas Stadtwappen, und man sieht sie hier häufiger 
und schöner als in Rom. 

Von 5 Uhr an war der Festplatz natürlich dicht besetzt, 
um Ya^ fanden wir mit genauer Not einen Platz auf einer Tri- 
büne, nicht viel größer als dieser Briefbogen, und die Hinter- 
männer bohrten einem ihre Knie in den Rücken, daß es eine 
Avahre Tortur war. Als die Sonne die oberste Zinne des alten 
dunkelroten Turmes anglühte, fiel ein Schuß: die Tauben und 
Krähen flogen in Scharen aus dem alten Mauerwerk aufge- 
schreckt in die Höhe, und eine Abteilung berittener Carabinieri 
säuberte die Bahn, was sehr schön aussah und rasch und prompt 
vor sich ging. Dann kam der Festzug: voran ein schauderhafter 
Wagen, wohl eine Erinnerung an den mittelalterlichen Caroccio 
mit Bannern und einigen alten Invaliden, dann von Musikkorps 
unterbrochen, die oben beschriebenen Contrade; jeder Fahnen- 
schwenker tat sein Bestes; die Pferde waren kaum zu halten. 
Zum Schluß abermals ein höchst geschmackvoll dekorierter Wagen, 
mit sämtlichen Bannerträgern, um die von einem scheußlichen 
Kerl dargestellte „Siena" geschart. Auf langen Tribünen vor 
der Front des Rathauses nahm die bunte Schar mit ihren 
Bannern Platz, was schön und lustig aussah. Dann kamen die 
10 Renner. Der Schimmel (Contrada Oca die Gans) war von 
Anfang an vorn und hielt sich bis Schluß. Keiner stürzte, was 
bei den scharfen Biegungen sehr leicht möglich ist. Die Span- 
nung war kolossal. Als das Ziel zum dritten Mal erreicht war, 
und ein abermaliger Kanonenschlag das Ende verkündete, stürzte 
alles über die Barriere, herzte und küßte Schimmel und Reiter — 
und führte ihn im Triumph durch die Bahn. Das sah herrlich 



— 357 — 

aus. Wie wir nachher hörten, wird das Pferd in eine Kirche 
geführt, dort gesegnet, während alle alten Betschwestern vorher 
schon für den Sieg ihrer Contrada gefleht haben. 

Am ersten Abend war ein sehr nettes Feuerwerk auf dem 
Platz, am zweiten Illumination der Lizza, des schönen Spazier- 
ganges von Siena, auf dem viel elegantere Toiletten und Equi- 
pagen zu sehen sind, als man sie einer Stadt von ca. 27000 Ein- 
wohnern zutrauen würde. Es herrscht viel Reichtum unter den 
Grundbezitzern der Umgegend, und der Adel verbringt den 
Sommer in der Stadt. Eine Dame trug ein hellgelbseidnes, reich- 
gesticktes Kleid, mit blaugrünseidnen Ärmeln, gelbliche Spitzen 
daraus hervorquellend, eine schwere rotgoldne Kette auf dieser 
hellgelb-grünlichen Seide und einen blaugrünseidnen Hut mit 
blassen Rosen auf dem rötlich blonden Haar. Das war die vor- 
nehmste und lieblichste Erscheinung, die ich je gesehen habe, und 
mit ihrem Anzug könnte sie dreist alle alten Venezianerinnen 
zum Wettkampf herausfordern. Ein kleines Mädchen in rotweiß- 
gestreiftem vSommerkleid, mit Matrosenkragen, offenem blonden 
Haar, breiter, kirschroter Seidenschärpe und ebensolchen seidnen 
Strümpfen war ebenfalls wunderschön — ich glaube, eine kleine 
Engländerin. Dazu die netten Bauernmädchen unter ihren großen 
Strohhüten, die vielen energischen Bauern — etwa derselbe 
Typus wie man ihn von Südtirol an bis nach Toskana findet — 
genug: es war ein herrliches Fest, und ich habe eine Anzahl 
Seiten des Skizzenbuches gefüllt. Gegen 10 fuhren wir ab und 
langten gegen 1 schlafend wieder in Florenz an. 

Venedig, den 5. September 1877, Dienstag abend. 
Liebe Mutter! 
Ich bin nun bereits seit dreimal 24 Stunden hier und könnte 
fast schon sagen: ich kenne Venedig. Drum wird es Zeit, endlich 

wieder einmal von mir hören zu lassen 

Ich fuhr am Donnerstag gegen 3 Uhr in Florenz ab. Die 
Fahrt über den Apennin war wiederum schön; in Nachmittags- 
und Abendbeleuchtung überdies, doch hatte sie mir im trüben 



— 358 — 

Spätherbst besser gefallen. Es war Nacht, längst ehe ich in 
Bologna ankam. 

Meine notwendigsten Sachen ins Plaid geschnürt, so hielt 
ich meinen Einzug durch die langen Arkaden zu Fuß, und dieser 
bescheidenen Introduktion gemäß fielen auch die Preise in dem 
vortrefflichen Gasthaus zu den drei Gurken („tre zucchetti") aus. 
Bologna gefiel mir mindestens gerade so gut, womöglich noch 
besser als das erste Mal. Die schönen Paläste, das rege, reichs- 
städtische Leben, die wohlgenährte Behaglichkeit der Bewohner 
habe ich schon seinerzeit geschildert. Diesmal gab's obendrein 
noch Sonnenschein, vormittags gute Militärmusik auf dem Markt- 
platz und vortrefflich geeiste Limonaden und Tamarindeu- 
erfrischungen an den Straßenecken. — Im Dom saß ich kaum 
eine Viertelstunde zeichnend in einem alten Chorgestühl, als eine 
alte Dame sich neben mich setzte^ aber ich sah sie nicht an, 
weil ich erwartete, sie würde mich anbetteln. Statt dessen sagte 
sie aber auf gut norddeutsch: „Sind Sie es nun eigentlich? oder 
sind Sie es nicht?" (ich habe nämlich meinen Vollbart in einen 
Henri IV verändert) — und war Fräulein v. Willemoes, die sich 
in ihrem Bad bei Livorno zu arg gelangweilt hatte und nun eben- 
falls die alte Universitätsstadt besah. Welche freudige Über- 
raschung! 

W^ir blieben natürlich den ganzen Tag zusammen und freuten 
uns beide, uns so unerwartet noch einmal zu sehen. Es gibt 
kaum jemand, vor dem ich mich so wenig geniere, wie vor Fräulein 
V. Willemoes. So zeichnete ich denn einen ganzen Haufen und 
sie saß dabei immer neben mir und schwatzte. Auch in der 
Pinakothek waren wir, wo sie, wie gewöhnlich, die ganz alten 
Meister schon genau durchstudiert hatte und mich auf viel naive 
Schönheiten und lustige Scherze aufmerksam machte, die ich 
sonst nie bemerkt hätte. Für Domenichino mich zu begeistern, 
gelang ihr freilich nicht. Die Caraccischule machte denselben 
Eindruck auf mich wie das erste Mal, ebenso Francia, auch von 
Raffaels heiliger Cäcilie kann ich leider nicht behaupten, daß 
sie einen größeren Eindruck auf mich gemacht hätte. Ich be- 
wundere nur die Komposition. 



~ 359 — 

Bis Samstag mittag blieb icb in Bologna und fuhr dann im 
Schnellzug in einer Stunde nach Ferrara. Die Gegend ist so 
flach, daß die Lüneburger Heide dagegen als Mittelgebirge er- 
scheint; dazu hört die Bauart der Häuser auf interessant zu sein, 
schließlich wird auch das üppige Weingeranke an den Maulbeer- 
bäumen spärlicher, bis es ganz verschwindet. Summa: die Gegend 
ist mordslangweilig, zumal in steiler Mittagsonne. Vergleiche ich 
Bologna, die größte Universität — , dazu Kaufmanns- und Musik- 
stadt immer gern mit unserm Leipzig, so drängt sich für das 
nahegelegene Ferrara der Vergleich mit Weimar auf. „Ferrara 
ward durch seine Fürsten groß" — das Wort Goethes war so 
ziemlich alles, was ich von Ferrara wußte, als ich hinkam. Zuerst 
bereute ich es fast, überhaupt ausgestiegen und nicht dem Rat 
von Fräulein v. Willemoes gefolgt zu sein, direkt bis Venedig 
weiter zu dampfen und dort meinen Einzug bei Abendsonnen- 
schein zu halten, denn die breiten, leeren, schattenlosen Gassen 
mit einstöckigen, armseligen Häusern machten einen solchen .,Nest'* 
Eindruck, daß mein Weimarer Herz ganz hochmütig weltstädtisch 
zu schlagen begann. Endlich kam ich ans Kastell, einen großen 
Backsteinbau mit vier Ecktürmen, Wassergräben, Zugbrücke usw. 
Von dort weiter ins Museum. Diese in einem schönen Palast 
vortrefflich aufgestellte Galerie ist so interessant, daß alle Reue, 
ausgestiegen zu sein, sofort verflog. . . . Die Ferraresische Schule 
habe ich immer recht gern gehabt. Sie steht den Venezianern 
schon nahe. Besonders entzückte mich eine Madonna von 
Garofalo. ... — Dann wurden noch einige schöne alte Palazzi 
besichtigt, hinter dem Schloß beginnt die Stadt erst, und ent- 
wickelt sich so stattlich, daß Weimar bedenklich, was Architektur 
anlangt, die Segel streichen muß, schließlich der Dom mit 
phantastisch gotischer Fassade und am äußersten Ende der Stadt 
in einem Palast, der jetzt Taubstummeninstitut ist, bei roter 
Sonnenuutergangsbeleuchtung höchst interessante Fresken aus 
dem Leben eines der Herzöge im XV. Jahrhundert, . . . zuletzt 
schnell an die Bahn gefahren und im Zwielicht abgedampft. 
Ich schlief sehr viel und kam um ^i^ ^^ Vendig an, wo mein 
Quartier schon bestellt war. Vom Bahnhof steigt man direkt in 



— 360 — 

die Gondel, und in leisem Plätschern führte mich diese durch 
kleine Kanäle, unter zahlreichen hohen Brückchen, zweimal den 
großen Kanal kreuzend, durch die schlafende Stadt ans Ufer der 
Calle del Ridotto, wo der Architekt Moosbrugger, ein dicker, 
behaglicher Schwabe, am Ufer stand und mich erwartete. Eine 
halbe Stunde später lag ich im Bett und schlief trotz der leise 
und unheimlich sirrenden Mücken bald ein, in dem wunderlichen 
Gefühl, nun wirklich in Venedig zu sein. 

Denn die Stadt ist so ganz eigenartig, daß man wirklich 
zuerst in einer anderen Welt zu sein glaubt und sich wundert, 
daß die Leute hier italienisch verstehen, da einem dies allmählich 
etwas alltägliches geworden ist. Die Form der Gondeln, ihre 
bequemen Sitze, ihre Schnitzerei, ihr blanker Messingschmuck, 
dazu die elastischen, ruhigen Bewegungen der Gondoliere, die 
zwar nicht mehr in roten Trikots und langen, gerade geschnittenen 
Haaren einhergehen, die man sich aber, da sie hinter einem 
stehen und man sie nicht sehen kann, bisweilen so vorstellt — 
das ist alles so wunderbar, dazu die Paläste, die kleinen Gärtchen! 
keine Stadt Italiens kann sich damit vergleichen! 

Auf die Dauer würde ich's freilich herzlich satt bekommen. 
Man entbehrt doch vieles, und nie und nimmer möchte ich mit 
einem solchen Inselbewohner tauschen. Wie viele leben da, die 
nie in ihrem Leben das Festland gesehen haben, keinen Wald, 
kein Kornfeld, keinen Bach mit Schilf und blumigen Wiesen, kein 
Pferd, keine Kuh, überhaupt keine anderen Vierfüßler als Hunde 
und Katzen! — Auffallend war mir's, nebenbei gesagt, daß trotz- 
dem nirgends so viel Reiterstatuen sind wie hier, teils eherne, 
teils vergoldete, von Holz auf den Sarkophagen der Feldherren 
der Republik, in den Kirchen — in der einen allein fünf lebens- 
große aus den verschiedensten Zeiten! 

Am Sonntag morgen gingen wir zuerst auf den Markusplatz 
Kaffee trinken. Der ist gerade so, wie man ihn sich denkt; nur 
noch größer. An den drei riesigen Mastbäumen vor der Markus- 
kirche wehten riesengroße italienische Flaggen. Das sieht prächtig 
aus. Die Tauben sind alle dunkelgrau; ich hatte sie mir weiß 
gedacht. Sie, wie die Gondeln, die alle schwarz sind, scheinen 



— 361 — 

zu trauern um die verschwundene Größe. Am Markusplatz 
kommt man wenig dazu, derartigen melancholischen Gedanken 
nachzuhängen; besonders jetzt in der Saison herrscht dort ein 
gar reges Leben, und man hat das Gefühl in einer großen reichen 
Stadt zu leben. Hier ist ein Caf6, ein Bijouta'ie- und Photo- 
graphieladen neben dem andern, alle Welt spricht deutsch oder 
radebricht es. Auch die Fremden sind fast ausschließlich Deutsche, 
noch durchgehender als in Rom. 

Zunächst natürlich: Markuskirche, dieser ganz einzige Bau, 
dessen wohlerhaltene, farbige Marmor- und Mosaikpracht einen 
ganz ins frühe Mittelalter versetzt; eine malerische farbige Ecke 
sitzt hier neben der andern. Auf Schritt und Tritt sieht man 
fertige Architekturbilder, so daß der Wunsch, das eine oder 
oder andere davon zu skizzieren, sofort durch das nächste Bild 
verdrängt wird. So sah es damals schon aus, als Barbarossa 
hier mit Papst Alexander Frieden schließen mußte, jeuer ewig 
denkwürdige Tag in der Geschichte der Stadt, der sowohl hier 
im Dogenpalast wie zu Rom in der Sala regia so dargestellt ist, 
daß der Kaiser vor dem Papst kniet und ihm den Fuß küßt, 
während Alexander ihm den anderen Fuß auf den Nacken setzt, 
also ein zweites Canossa, was es historisch doch nicht gewesen 
sein soll. 

Von dort aus in den Dogenpalast, der Sonntags unent- 
geltlich geöffnet und sehr besucht ist. Man kennt das alles aus 
Studien, Bildern und Photographien, aber es ist herrlich, alles 
selbst zu sehen, jedes an seinem Ort und zwischendurch auf die 
Balkons zu treten und sich zu orientieren, nach welchem prächtigen 
Hof, Kanal oder Platz hinaus jedes Zimmer liegt. 

Stolzer ist der Vatikan, prächtiger die Säle des Pitti, aber 
wohligere Vornehmheit als in beiden herrscht hier. Die Zimmer 
sind verhältnismäßig niedrig, die reichen, flachen, goldnen Decken 
mit den prächtigen Bildern von Tintoretto und Veronese drücken 
etwas, in den gewölbten Sälen von Rom und Florenz atmet sich's 
leichter und freier, aber wirft man nur einen Blick hinaus, so 
schwimmt man doch wieder in Wonne. Künstlerisch ist das das 
einzig Schöne und Lehrreiche hier, das Alles noch so wohl- 



— 362 — 

erhalten an seinem eigentlichen Platze ist; zwar ist alles mit Ol 
auf Leinwand oder Holz gemalt und nichts al fresko, und es 
hätte hier und da nahe gelegen, die größten Schätze zu entfernen 
und in Museen zusammenzustellen. Das ist aber glücklicherweise 
nicht geschehen; auch die Franzosen scheinen nur wenig seiner- 
zeit nach Paris geschleppt zu haben. 

Nach dem Essen ging ich nochmals in den Dogenpalast, 
besah mir namentlich die hübsche Antikensammlnng, sowie alte 
Landkarten und ausgestopfte Fische des adriatischen Meeres — 
teilweise schauerliche Biester — und fuhr um 3 nach der Insel 
Murano, einem selbständigen Ort bzw. Vorstadt von 4000 Ein- 
wohnern mit mehreren Kirchen, dort einer der schönsten Bellinis. 
In weitem Bogen halb Venedig umgondelnd, stiegen wir bei 
Sonnenuntergang wieder an der Piazza ans Land, und abends 
um 8 nach dem Essen begrüßte ich Nerly an seinem, seit 34 Jahren 
fast täglich besetzten Stammplatz })ei „Florian" unter den Arkaden. 
Er freute sich sehr mich zu sehen und hatte viel zu fragen. Am 
nächsten Tage besuchte ich ihn in seinem Palazzo Pisani, dem 
größten aller Paläste Venedigs, mit fürstlichen Höfen und Treppen, 
aber öde und verkommen wie alle hier, mit Ausnahme des Staats- 
eigentums. Wie ganz anders in Florenz und Rom ! — Hier war 
er nun überaus freundlich und eingehend, während am ersten 
Abend das Gewoge der Menschen eine lebhaftere Unterhaltung 
gehindert hatte. Er zeigte mir viel schöne Sachen — nicht nur 
Venezianische Mondnächte — , erzählte mancherlei aus alter Zeit 
und macht überhaupt einen frischeren Eindruck, als ich erwartet 
hatte. Er ist ein sehr guter Deutscher geblieben, auch sein Sohn, 
den ich erst am dritten Abend kennen lernte, spricht vollkommen 
fließend deutsch und ist durch und durch Deutscher, offiziell 
sowohl wie von Herzen. Die Frau werde ich erst morgen zu 

sehen bekommen; ich soll mit ihnen auf dem Lido essen 

— Äußerlich ist er sehr gentlemanlike, ganz in Weiß, mit schwarzer 
Kravatte oder schwarz gefüttertem Strohhut auf dem ebenfalls ein- 
farbig hellen Gesicht. Natürlich leidet er pekuniär unter den 
schlechten Zeiten, hat auch durch den Krieg in Papieren viel 
verloren 



— 363 — 

Am zweiten Tag leistete ich Unglaubliches im Besehen von 

— ich weiß nicht wieviel Kirchen. Die bedeutendste derselben 
ist die der E'rari, die große Franziskanerkirche mit viel schönen 
Grabmälern und Bildern von Tizian, Bellini u. a. Daneben 
ist die Scuola di San Rocco, eine der vielen Laienbrüderschaften 
Venedigs; ein Bau, halb Kirche, halb Palast von einer Opulenz 
der Ausschmückung außen und innen, von der man gar keinen 
Begriff hat. Überall Marmor, Gold, Holzwerk und Malerei. 
Wände und Decken mit den riesigsten Leinwänden Tintorettos 
bedeckt; ich habe ihn hier so recht aufrichtig bewundern gelernt. 
Zwar macht er mich nicht warm, es kommt ihm selten so recht 
von Herzen, aber trotzdem ist er ein ganz großer Künstler, und 
die meisten Kunstgeschichten betonen seine Fehler viel zu sehr, 
ohne seiner Größe zugleich genugzutun. 

Ich frühstückte in der malerischsten Spelunke, die mir je 
vorgekommen ist, unter Austern aufklopfenden, teilweise halb- 
nackten Fischern und Schiffern, lief noch schnell durch die 
Akademie (Galerie), die ich inzwischen sehr genau kennen gelernt 
habe und machte in Nachmittagsbeleuchtung mit Moosbrugger 
wieder Gondelfahrten zur Giudecca, wo drei berühmte Palladiosche 
Kirchen stehen, und den Canale Grande auf und ab, mit all 
seinen öden, ausgestorbenen Palästen. 

Am dritten Nachmittag gondelten wir nach der großen 
barocken Kuppelkirche hinüber — Santa Maria della Salute — , 
die auf allen Ansichten eine so bedeutende Rolle spielt und be- 
•etiegen abends den Markusturm, von wo man das schönste 
Panorama hat, das man sich außer dem Golf von Neapel denken 
kann. Ganz anders, und in seiner Weise gerade so schön. — 
Die liebste halbe Stunde ist mir immer die gleich nach Sonnen- 
untergang, wo ich am Fuße einer der großen Säulen der Piazetta 
sitze oder liege und in dem wild prächtigen Farbenspiel schwelge 

— gedankenlos genießend. Abends gabs immer herrhches Wetter- 
leuchten, gestern ganz großartig, dazu etwas Gewitter; heute 
war's sehr abgekühlt, fast schon herbstlich. 

Ich schließe den Brief damit, vielleicht füge ich schriftlich, 
jedenfalls mündlich noch vieles hinzu. Dein Hans. 



Anmerkungen. 



Wie das einzurichten ist. S. 1. 

Speckters Schwager Wurm, der Empfänger des Briefes, war durch die 
Tagungen des Parlaments, an denen er regen Anteil nahm, an Frankfurt 
gebunden. Seine Frau Hermine, geb. Speckter, hatte ihn begleitet. Doch 
sind Wurms die Taufpaten von Haus Speckter geworden, wenn sie auch 
ihr Patenkind sehr viel später gesehen haben. 

Großmutter. S. 1. 

Die Großmutter Bergeest, Frau Dorothea Elisabeth, geb. Wurm. 

Hcrterich. S. 1. 

Dur Maler Heinrich Joachim Herterich 1772—18.52 war der Mitbegründer 
von Johann Michaels Speckters lithographischer Anstalt und hatte bis zu 
seinem Tode in Otto Speckters Hause gelebt. 

Reichsverweser. S. 1. 

Erzherzog Johann von Österreich, 1782 — 1859, am 27. Juni 1848 zum un- 
verantwortlichen Reichsverweser ernannt, trat am 20. Dezember 1849 ins 
Privatleben zurück. 

Hans Speckters Aufzeichnungen. S. 2. 

Sie sind entnommen dem Artikel: „Die Ausstellung der Werke Hans 
Speckters," Aufsatz von Direktor Professor Dr. Justus Brinckmann im 
Hamburgischen Correspondenten 1889 Nr. 27, 48, 58, 62, 64. Herr Pro- 
fessor Brinckmann hat mir freundlichst Einsicht in Speckters Original- 
manuskript gestattet, wofür ich ihm auch an dieser Stelle meinen ver- 
bindlichen Dank sage. 

Louis Asher. S. 5. 

1804—78 gehört dem Hamburger Nazarenerkreis an.' Speckter gedenkt 
in den Italienbriefen wiederholt dankbar der Anregungen, die er von 
diesem seinem ersten Lehrer erfahren hat. 

Martin Gensler. S. 5. 

Die drei Brüder Gensler: Johann Günther (1803— 1884), Jakob (1808—4.5), 
Martin (1811 — 81), sind eng mit Hamburgs Kunstleben verknüpft. Man 
vergleiche Alfred Lichtwark: Hermann Kauffmann und die Kunst in 
Hamburg um 1800—1850, München, 1893, S. 60ff. und Hans Speckter: 
Martin Gensler, Hamburgischer Corr. 1882. 



— 365 — 

Große Brand. S. 5. 

Der „große" Brand hat im Jahre 1842 die Stadt zerstört. Die Hamburger 
Maler hatten sich heim Ketten der gefährdeten Kunstwerke gi-oße Ver- 
dienste erworben. 

Perthes und Bessers. S. 6. 

In „Friedrich Perthes Leben", nach dessen schriftlichen und mündlichen 
Mitteilungen aufgezeichnet von Clemens Theodor Perthes, 3 Bände, Ham- 
burg und Gotha 1848/55, ist Johann Michael Speckter und sein Kreis 
anschaulich geschildert. Besser war der spätere Kompagnon von Perthes 
Hamburger Buchhandlung. 

Wilhelm Ferdinand Pauwels. S. 6. 

1830 — 1904. Der belgische Historienmaler und Schüler von Wappers war 
von 1862 — 72 an der Weimarer Kunstschule als Professor tätig. Seit 
1876 an der Dresdener Akademie. Speckter hat seine Absicht, dort bei 
ihm arbeiten, nicht ausgeführt. 

Kops. S. 6, 

Franz Kops, Bildnis- und Genremaler, 1846 — 1896. 

Friedrich. S. 6. 

Harald Friedrich, Genre- und Portrütuialer, geb. 1858 in Dresden. 

Freiesleben. S. 6. 

Ernst Freiesleben, Genremaler, starb in Weimar 1883. 

Piltz. S. 6. 

Otto Piltz, geb. 1846 in Allstedt, Sachsen- Weimar, Genremaler. Speckter 
hat die Bedeutung dieses von ihm sehr geliebten Freundes wohl über- 
schätzt. 

Krohn. S. 6. 

H. Chr. Krohn, Genremaler, geb. 1843 in Hamburg, hat zusammen mit 
Franz Arndt im Hause Weber in Hamburg Kompositionen der „Vier Jahres- 
zeiten" geschaffen, 1877 vollendet. 

Arndt. S. 6. 

Franz Gustav Arndt, Landschaftsmaler, geb. 1842 in Lobsen (Bezirk 
Bromberg). 

Gussow-Hagensche Periode. S. 6, 

Karl Gussow, geb. 1843, war erst Schüler der Weimarer Kunstschule 
unter Ramberg und Pauwels. Später als Lehrer dort tätig seit 1870. — 
Theodor Joseph Hagen, geb. 1842. Landschaftsmaler, seit 1871 als Pro- 
fessor an der Weimarer Kunstschule tätig. 

Paul Thumann. S. 6. 

Geb. 1834, gest. 1908. Seit 1866 Lehrer in Weimar. 

Spangenberg. S. 6. 

Friedrich Spangenberg 1843—74. 

Günther. S. 6. 

Otto Eduard Günther, Genremaler 1838—84. 



— 366 — 

Graf Harr ach. S. 6. 

Ferdinand Graf von Harrach, geb. 1832. Landschaften und historisches 
Genre. 

Plockhorst. S. 6. 

Bernhard Plockhorst, geb. 1825 in Braunschweig, war von 1865 — 69 Pro- 
fessor in Weimar. Porträts und religiöse Kompositionen. 

Verlat. S. 6. 

Michel Charles Verlat, 1824 — 90. Belgiei-, Schüler von Wappers. 

Henneberg. S. 6. 

Rudolf Henneberg, 1825 — 76. Die Jagd nach dem Glück befindet sich 
in der Natioualgalerie zu Berlin. Kat. Nr. 118. 

Preller. S. 6. 

Friedrich Johann Christian Preller d. Ä., 1804 — 78. Die Odysseeland- 
Bchaften im Museum in Weimar entstehen während Speckters Aufenthalt 
an der dortigen Kunstschule 1865 — 69, 

Geuelli. S. 6. 

Bonaventura Genelli 1798 — 1868, war seit 1859 in Weimar an der Kunst- 
schule tätig. 

Wislicenus. S. 6. 

Hermann Wislicenus, 1824—99, war seit 1857 in Weimar tätig und ist 
1868 nach Düsseldorf übergesiedelt. 

Graf von Kalckreuth. S. 7. 

Stanislaus Graf von Kalckreuth d. Ä., 1821 — 94, hat 1860 die Kunst- 
schule in Weimar begründet und ihr bis 1876 als Direktor vorgestanden. 

Hugo Kauf f mann. S. 8. 

Geb. 1844 in Homburg. Der Sohn Hermann Kaufifmanns. Speckter hat 
auch in München bei ihm verkehrt. 

Pigihein. S. 12. 

Elimar Ulrich Bruno Pigihein, geb. 1848 in Hamburg, gest. 1894 in 
München. 
Kaulbach. S. 12. 

Friedrich August von Kaulbach, geb. 1850 in Hannover. 
Roß. S. 12. 

Christian Meyer Roß, 1843 — 1904. Genrebilder und Motive aus der Zeit 
der französischen Revolution und des Kaiserreichs. 
Fröschl. S. 12. 

Carl Fröschl, geb. 1848 in Wien. Speckter war während der Wiener 
Weltausstellung 1873 Gast im Fröschischen Hause. 
Neubert. S. 12. 

Louis Neubert 1846—92. 
Frühester zeichnerischer Versuch. S. 18. 

Sämtliche hier erwähnte Arbeiten Speckters befinden sich, wenn nicht 
anders bemerkt, im Besitze von Frau Dir. Duncker-Speckter, Hamburg. 



— 367 — 

Hausbuch. S. 26. 

Hausbuch aus deutschen Dichtern seit Claudius. Eine kritische Anthologie 
von Theodor Storm. Erste illustrierte Ausgabe. Mit Holzschnitten nach 
Originalzeichnungen von Hans Speckter, ausgeführt von H. Kaeseberg. 
Leipzig, Wilhelm Mauke. Iö75. 

Guy Manaering. S. 32. 

Guy Mannering. Ein Roman von Walter Scott. Neu übersetzt von 
Benno Tschischwitz. Mit Illustrationen von Hans Speckter, in Holz ge- 
schnitten von H. Kaeseberg u. a. Berlin, G. Grotesche Verlagsbuchhand- 
lung. 1876. 

Heraldik und Schutzmarke. S. 51. 

Vortrag, gehalten in der kunstgewerblichen Abteilung des Hamburger 
Gewerbevereins am 7. März 1883 von Haus Speckter. Hamburg und 
Leipzig, Verlag von Leopold Voss. 1883. 

Zu einer kleinen Schrift. S. 52. 

Die Notwendigkeit eines Museums für Hamburgische Geschichte von 
Hans Speckter. Hamburg, Leopold Voss. 1884. 

Am letzten Blatt. S. 61. 

Die Illustrationen zu Guy Mannering. 

Behagliches deutsch-englisches Zimmer. S. 61. 

Dr. Octavio Bergeest, Frau Otto Speckters Bruder, lebt, mit einer Eng- 
länderin vei'heii'atet, in Florenz. 

Petersen. S. 61. 

Bezieht sich auf den in München lebenden norwegischen Maler Eilif 
Petersen. 

Nonnenkamp. S. 61. 

Rudolph Nonnenkamp, Hamburgischer Maler 1828 — 74. 

Schlesinger. S. 61. 

Felix Schlesinger, geb. 1833 in Hamburg. 

Allotria. S. 61. 

Über die Allotria vergleiche man Corinths amüsante Aufzeichnungen. 
Lovis Corinth: Legenden aus dem Künstlerleben. Berlin, 1908, S. 111 ff. 

Zum 9. November. S. 63. 
Otto Speckters Geburtstag. 

Förster. S. 64. 

Ernst Förster 1800—85 hatte als Comeliusschüler angefangen und war 
zur Schriftstellerei übergegangen. Speckter erwähnt seine „Geschichte der 
italienischen Kunst" (1869 — 78, 5 Bände) wiederholt. 

Der alte Dürck. S. 66. 

Maler Friedrich Dürck, 1809—84. 

Maximiliansgrab. S. 68. 

Renaiäsancegrab, an dem auch Peter Vischer tätig war. 



— 368 — 

Micliele Sanmiclieli. S. 74. 

1484 — 1559. „Seine Bauten sind als "Weitererscheinung der letzten Manier 
Bramantes und als Andeutung von Rafaels Intentionen von hervorragen- 
dem Interesse." Jakob Burckhardt: Der Cicerone. 9. Aufl. 1904. S. 292, 

Morone. S. 75. 

Domeuico Morone, geb. 1442. Von ihm die Fresken im Refektorium. 
Auch sein Sohn Francesco, 1474 — 1529, hat in S. Bernardino, in der 
Capp. della Croce 1498 gemalt. 

Berühmtes Bild von Mantegna. S. 76. 
Das Triptychon wurde 1459 vollendet. 

Libri. S. 78. 

Girolamo dei Libri 1474 — 1556. 

Passinische Erscheinungen. S. 78. 

Ludwig Passini, Österreichischer Genremaler, der sich in Italien nieder- 
gelassen hat. 

Onkel Erwin. S. 80. 

„Briefe eines deutschen Künstlers aus Italien." Aus den nachgelassenen 
Papieren von Erwin Speckter aus Hamburg. Leipzig, F. A. Brockhaus. 
1846. S. 306. 

Abendrothschen Eckzimmer. S. 80. 

Erwin Speckter war im September 1834 aus Italien nach Hamburg zu- 
rückgekommen, um die Malereien im Hause des Dr. Abendroth auszu- 
führen. Die Arbeit wurde durch seinen Tod am 23. November 1835 
unterbrochen. 

Sala di Troja. S. 80. 

Befindet sich im Pal. Ducale; die beiden anderen Säle im Pal. del T6. 

Die Villevieille's bei Wesselhöft. S. 81. 

Leon Villevieille's ,,un dernier sourire du soleil" bei Herrn W. i.st von 
Speckter sehr bewundert worden. Man vergleiche seinen Bericht: die 
Ausstellung neuerer Gemälde und Zeichnungen im Hamburger Privat- 
besitz. Corr. vom 29. Mai 1879. 

Teilweise von Deutschen. S. 83. 

Die Skulpturen gehören in den Anfang des 12. Jahrhunderts. Als Ver- 
fertiger nennen sich ein Meister Wilhelm und Nikolaus. Burckhardt a. a.O. 
S. 376. 

Begarelli. S. 83. 

Antonio Begarelli ca. 1479 — 1565. „Begarelli wurde nicht durch die Be- 
kanntschaft mit dem Altertum, sondern durch eine unverkennbar nahe 
Beziehung zu Correggio und durch die allgemeine Kunsthöhe der Zeit 
emporgehoben. Seine Einzelformen sind so schön, frei und reich wie die 
A. Sansovinos, denen sie doch nicht gleichen." Burckhardt a. a. 0. 
S. 525. 



— 369 — 

Dorn von Bologna. S. S5. 
Speckter verwechselt den Dom S. Pietro mit Bolognas bedeutendster 
Kirche San Petronio. Auf diese bezieht sich seine Beschreibung. 

Einige andere Figürchen. S. 87. 

Während seines Aufenthaltes in Bologna 1494 war Michelangelo au der 
Area di San Domenico tätig. Von ihm stammen: der leuchtertragendc 
Engel rechts und der heilige Petronius, während der heilige Proculus 
nicht mit ebensoviel Sicherheit für ihn in Anspruch zu nehmen ist. 
Vgl. Karl Frey: Michelagniolo Buonarooti. Berlin. 1907. S. 202fr. 

Ein prächtiges Grabmal. S. 89. 
Das Grabmal Tartagnis, f 1477, von Francesco di Simone mit Anklängen 
an Desiderios Marzuppini Grab und Andrea del Verrochios Gestalten. 

Francia. S. 90. 

Francesco Raibolini gen. il Francia. 1450 — 1517. 

Der große Francia in München. S. 90. 
Alte Pinakothek: Madonna im Rosenhag, Nr. 1039 des Katalogs. 

In einer Kirche. ... S. 90. 
San Giacomo Maggiore. 

Ferrarese Costa, S. 90. 

Lorenzo Costa, 1460 — 1535. Seine Hauptwerke sind in Bologna. 

Cossa. ... S. 90. 
Francesco Cossa, 7 1477, seit 1470 in Bologna ansässig, von Piero della 
Francesca beeinflußt. 

Cavedone. S. 91. 

Giacomo Cavedone, 1577 — 1660. 

Zampieri S. 91. 

Domenico Zampieri, gen. Domenichino. 1582 — 1641. 

Hugo von Blomberg. S. 91. 

Das Gedicht fehlt bezeichnenderweise in der von Speckter illustrierten 
Hausbuchausgabe. 

Wintermärchen. S. 92. 

Vgl. Erwin Speckter, Bd. I, S. 64 ff. 

Eichendorff. S. 92. 

„Götterdämmerung" (von Speckter im Hausbuch illustriert). 

über und über bemalt. S. 97. 

Pal. deir Antella, auch von Speckter skizziert. 

von Ghiberti und Donatello. S. 102. 

„Nach Ghibertis Zeichnungen malte Bernardo di Francesco die 
Fenster der Kapelle S. Zanobi und das mittlere Rundfenster der Fassade 
(des Domes). . . . Derselbe Meister führte auch die Fenster des Kuppel- 
tambours nach Zeichnungen von Ghiberti (Darstellung), Donatello (Krö- 
nung Maria) und Uccello (Anbetung) aus, 1432 — 45." Burckkardt, 
S. 760/61. 

Schapire, Hans Speckters Briefe. 24 



— 370 — 

Ruskin. S. 104. 

„Mornings in Florence". S. 15flf. 

Von Andrea del Sarto. S. 106. 
In Sau Salvi bei Florenz. 

Von zwei Dominikanern erbaut. S. 107. 

Die Kirche wurde „in ihrer jetzigen Gestalt begonnen 1178 unter Leitung 
der Mönche Fra Sisto und Fra Ristoro, fortgesetzt von Fra Giovanni da 
Campi (t 1339), vollendet von Fra Jac. Tabuti" (f 1362). Burckhardt 
a. a. 0., S. 67. 

Von Cimabue. S. 110. 

Die kunsthistorische Streitfrage, ob dieses Bild von Cimabue oder was 
aus stilkritischen Gründen wahrscheinlicher von Duccio ist, soll hier nicht 
angeschnitten werden. Vgl Andreas Aubert: Die malerische Deko- 
ration der San Francescokirche in Assisi. Ein Beitrag zur Lösung der 
Cimabuefrage. Leipzig. 1907. 

Noch heute gezeigt wird. S. 110. 

Michelangelos Anteil an diesen Fresken ist nicht festzustellen. 

in vorraffaelischer naiver Zeit. ... S. 112. 

Die älteren Teile der im Chiostro verde gemalten Szenen (Episoden aus 
der Genesis) werden der Giottoschule zugeschrieben; die Darstellungen 
der Sintflut, Noahs Dankopfer und Trunkenheit gehen auf Uccello 
(1397—147.5) zurück. 

die verschiedenen Richtungen der beiden Orden. S. 113. 

Zu diesen Ausführungen vergleiche man: Hermann Hettner: „Italienische 
Studien", S. 180 ff. Braunschweig. 1879. 

und dessen Galerie. S. 114. 

Die Galerie Strozzi ist längst in alle V7inde verstreut, ebenso die anderen 
von Speckter bewunderten Privatgalerien in Florenz, bis auf die Galerie 
Corsini. 

anno 1430 S. 114. 

Der Pal. Piccardi-Medici wurde 1449 begonnen und zehn Jahre später 
vollendet. Burckhardt, S. 117. 

ein kleines Mädchen mit einem Hund. S. 115. 

das Bild, das wahrscheinlich Alfonsino Strozzi darstellt, ist seit 1878 im 
Besitz der Berliner Museen. Kaiser Friedrich-Museum Nr. 160a. 

der alte Filippo Strozzi. S. 115. 

Die Büste ist heute im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin. 

von Giovanni Pisano. S. 119. 

„Der Altar im Dom zu Arezzo, unglücklich und nüchtern im Aufbau 
und kleinlich in der Arbeit der zahlreichen kleinen Reliefs aus dem 
Leben der Maria und der Stadtheiligen, ist ... nicht von Giovanni Pisano, 
sondern wurde 1369 — 75 von Giovanni di Francesco aus Arezzo und Bette 
di Francesco aus Florenz ausgeführt." Burckhardt a. a. 0., S. 389. 



— 371 — 

gbibellinischen Erzbischofs. S. 119. 

Guido Tarlati. Das Grabmal wurde 1330 von Agostiuo di Giovanni und 
Agnolo die Ventura en-ichtet. Burckhardt a. a. 0., S. 397. 

eine recht interessante Kirche. S. 120. 
Abbadia di S. Fiora e Lucilla. 

sein Haus. S. 120. 
Casa Montanti. 

nach Peruginos Zeichnung. S. 128. 

,.In Perugia steht das Stuhlwerk, das Pult und die Tür des Cambio, die 
ersteren beiden von Domen, del Tasso 1490—93, die letztere von Antonio 
Bencivieni da Mercatello 1500, die Tribuna erst 1562 von dem Vlamen 
A. Masi obenan; keine Behörde der Welt sitzt so schön wie einst die 
Herren Wechselrichter der Hauptstadt Umbriens." Burckhardt a. a. 0.» 
S. 219. 

in einer unbenutzten zopfigen Kirche. S. 128. 
Jetzt im Pal. del Comme. 

von einem deutschen Meister Jacob. S. 132. 

„Meister Jacob, der Deutsche, dem Vasari den ganzen Bau zuschreibt, 
ist aus der Baugeschichte der Kirche zu streichen. Schon ein mit Vasari 
gleichzeitig schreibender Spezialhistoriker des Ordens konnte nichts über 
den Architekten, der den Bau begann, ermitteln." Beginn des Baues 
1228, seit 1232 wurde der Bau von Philippus de Campello fortgeführt, 
1235 geweiht, 1253 vollendet. Burckhardt a. a. 0., S. 64. 

de Boor. S. 135. 

Speckters in Rom lebender Jugendfreund. 

Quickborn Initial. S. 152. 

Quickborn von Klaus Groth. Mit Holzschnitten nach Zeichnungen von 
Otto Speckter. Hamburg. 1868. Man vergleiche das Initial zu ,,Wih- 
nachuabend", S. 53, II. Aufl. 

Casa Bartholdy. S. 153. 

Die Fresken aus der Casa Bartholdy befinden sich bekanntlich seit 1887 
in der Nationalgalerie zu Berlin. 

Onkel Erwin spricht darüber. S- 153. 
Erwin Speckter I, S. 196/97. 
ch weiß nicht von wem. S. 155. 
Von Philipp Veit. 

während er es schreiben will. S. 156. 
Erwin Speckter I, S. 183. 

aus jener Zeit S. 159. 

Die Mosaiziening der Kuppel fand unter Giacomo della Portas und 
Dom. Fontanas Leitung statt. Burckhardt a. a. 0., S. 269. 

Onkel Erwins Briefe. S. 159. 
Erwin Speckter I, S. 191. 

24* 



— 372 — 

fast Notwendigkeit scheint. S. 163. 
Burckhardt a. a. 0., S. 301. 

Apoll von Belvedere. S. 167. 
Der Fundort des Apollos von Belvedere steht nicht ganz fest. Vermut- 
lich wurde er in Grotta Ferrata am Ende des 15. Jahrhunderts gefunden. 

die Onkel Erwin beschreibt. S. 178. 
Erwin Öpeckter I, S. 222. 

spricht Onkel Erwin darüber. S. 180. 
Erwin Speckter I, S. 315. 

mit Onkel Erwins Worten. S. 182. 
Erwin Speckter I, 279/80. 

seine Beschreibung der Villa. S. 182, 
Erwin Speckter I, 312/14. 

seit Kardinal Hohenlohe dort residiert. S. 184. 

Die Villa gehört heute bekanntlich dem Erzherzog Franz Ferdinand 
d'Este und ist leider ziemlich verfallen. 

so ausführlich und vortrefflich geschildert. S. 217. 
Erwin Speckter 11, S. Iff. 

für die bronzenen Statuen. S. 220. 
Erwin Speckter II, S. 52/54. 

zeichnet er den Vesuv. S. 232. 
Erwin Speckter II, S. 29. 

den berühmtesten Freskenzyklus. S. 247. 

Die Fresken in der Vorhalle des inneren Hofes von S. Genuaro dei Poveri 
,, vielleicht das geistvollste, was Neapel Heimisches aus der Hochrenais- 
sance besitzt." Burckhardt a. a. 0., Ö. 832. 

nach Onkel Erwins Zeit. S. 248. 

Rauchs Walhalla Viktorien entstehen seit 1835. 

sagt Onkel Erwin darüber. S. 248. 
Erwin Speckter II, S. 17/19. 

in einen Mantegna. S. 248. 

Speckters Bewunderung gilt jedenfalls der heiligen Euphemia im Museum. 
Das Porträt des jungen Kardinals Francesco Gonzaga wurde erst 1895 
von Frizzoni als Werk Mantegnas erkannt. Vgl. Paul Kristeller: 
Andrea Mantegna. Berlin und Leipzig. 1902. S. 181. 

Fiesoles Verklärung. S. 249. 
In San Marco in Florenz. 

der Raffaelschen. S. 250. 

In den Sammlungen des Vatikans. 

ferner zwei Porträts. S. 250. 

,,Die Porträts des Kardinals Tibaldeo und des Kardinals Passerini im 
Museum von Neapel sind florentinisch, ersteres von Bronzino." Sie 
wurden früher Raflfael zugeschrieben. Burckhardt a. a. 0., S. 810. 



— 373 - 

in de Ruh. S. 252. 
Der genaue Text dei* Inschrift lautet: „Om dat deWerelt is soe ongetru 
Dacr om gha ic in den ru." Specktei-s Erklärung stimmt nicht. Dar- 
gestellt ist nicht ein Münch, sondern ein Mann in Trauerkleidung. Das 
ergibt als Illustration des Sprichworts eine andere Deutung: „nous avoua 
donc devant nous un homme qui porte le deuil de sa confiance dans le 
monde: uu desabus^, un misanthrope.'' Vgl. Rene von Bastelaer und Ge- 
orges H. de Loo: „Peter Bruegel l'aneien sou veuvre et son teinps." 
Briixelles. 1907. S. 289. 

ein Selbstporträt Rembrandts. S. 252. 
Nur Werkstattbild. 

Baccio Pintelli. S. 258. 

,,Fast sämtliche Gebäude aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts 
wurden bis vor kurzem, der Aussage Vasaris folgend, dem Florentiner 
Baccio Pintelli zugeschi-ieben. Dieser kam aber erst 1482 nach Rom und 
trat dort nur als Militärbaumeister auf. Wie nun die ihm zugeschriebenen 
Monumente sich unter die drei an seine Stelle tretenden Meister Meo del 
Caprina da Settignano (1430 — 1501), Giovanni de Dolci aus Florenz 
(t zwischen 1^82 — 86) und Giacomo da Pietrasanta (t zwäschen 1492 — 95), 
verteilen, ist zum Teil noch ungewiß." Burckhardt a. a. 0-, S. 137/38. 

einen seiner schönsten Gedanken. S. 264. 
Erwin Speckter II, S. 194. 

Palast Linottii. S. 281. 

Der Pal. della Linotta wurde zwischen 1517 — 24 für den französischen 
Prälaten Thomas Le Roy von Antonio da San Gallo errichtet. Früher 
wurde er irrtümlich Peruzzi zugeschrieben. Burckhardt, S. 284. 

ausführlich geschrieben hat. . . . S. 290. 
Erwin Speckter I, S. 324 ff. 

der Maler Ludwig. S. 302. 
Vgl. Heinrich Ludwig. Über Darstellungsmittel der Malerlei heraus- 
gegeben von J. A. Beringer. Straßburg. 1908. 

obgleich eine sehr schöne. S. 304. 
Capp. S. Giovanni. 

bei dieser Arbeit mitgewirkt. S. 304. 

„Die Frage, inwieweit Raffael bei der Ausführung dieser Fresken mit- 
beteiligt war, beantwortet sich dadurch, daß sie frühestens im Herbst 
1504 mit der Decke begann, daß Raffael also nur an dieser mitgearbeitet 
haben könnte. Aus dem Umstände, daß mehrere Zeichnungen zu den 
Fresken oder nach denselben . . . dem Raffael freilich nicht unbestritten 
zugeschrieben wurden, zu schließen, daß der fertige Meister und groß- 
artige Entrepreneur durch den jungen, noch fast unbekannten Maler sich 
die Entwürfe zu den Fresken habe machen lassen, scheint mir selbst 
bei . . . Pinturicchio mindestens unwahrscheinlich. Zudem sind sämtliche 



— 374 — 

Fresken gleichartig und ganz im Charakter Pinturicchios." Burckhardt, 
S. 696/97. 

sind von Brunellesco. S. 311. 

„Brunelleschis Autorschaft dafür, die zuerst Vasori angibt, ist — selbst 
was auch nur den Entwurf betriflFt — mehr als zweifelhaft. Die Aus- 
führung begann erst 10 Jahre nach seinem Tode 1456 — 66." Burckhardt 
a. a. 0., S. 115/16. 

die vorhin geschlossene Kirche. S. 313. 
S. Maria Primerana. 

die berühmte Kanzel. S. 819. 

Von Niccolö Pisano um 1260. Die Kanzel in Pistoja (San Andrea) ist 
von Giovanni Pisano. 

der hier oder in Siena starb. S. 320. 

Heinrich VIT. ist in Buonconvento 1313 gestorben, in Pisa begraben. 

ist im Dom. S. 321. 

In der Capp. del Santuario. Eine Madonna zwischen Stephanua und 
Job. d. T. 

eine schöne Kenaissancekirche. S. 322. 
San Paolino. 

zierliche kleine Kapelle. S. 323. 
Santa Maria della Spina. 

Eine schöne Frührenaissancekirche. S. 327. 
Madonna delle Carceri. 

Eine andere. S. 327. 
San Francesco. 

Onkel Erwins Beschreibung. S. 347. 
Erwin Speckter II, S. 156. 

Onkel Erwins Beschreibung. S. 348. 
Erwin Speckter 11, S. 126. 

Runges Briefe. S. 349. 

Hinterlassene Schriften von Philipp Otto Runge, Maler. Herausgegeben 
von dessen ältestem Bruder. 2 Bände. Hamburg. 1840/41. Verlag von 
Friedrich Perthes. 

der 80 heiß erkämpften Pauline. S. 350. 

Runges Braut und spätere Gattin Pauline Bassenge. 

der gute Daniel. S. 350. 
Runges Bruder, der die Ausgabe besorgt hat. 

höchst interessante Fresken. S. 354. 
Von Domenico di Bartolo, Priamo della Quercia und Vecchietta aus- 
geführt. 

Orgel von Peruzzi. S. 354. 

„Die prächtige Orgel in der Hospitalkirche della Scala, auf stolzen Kon- 
solen, das vollendetste Meisterwerk seiner Art, wird ihm (Baldassare Pe- 



— 375 — 

ruzzi) zwar zugeschrieben, ist aber wahrscheinlich ein Werk des Giovanni 
di Pietro Castelnuovo." Burekhardt a. a. 0., S. 219. 

begrüßte ich Nerly. S. 362. 

Christian Friedrich Nerly (eigentlich Nehrlich) 1807 — 78. Vgl. Friedrich 
von Nerly, eine kunsthistorische Studie von Franz Meyer in Mitteilungen 
des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, 28. Heft 
und ebenso 29. Heft „Zu Friedrich von Nerly" v. d. V. 

drei berühmte Palladiosche Kirchen. S. 363. 

Auf der Giudecca steht nur Palladios Hauptkirche II Redentore. Nach 
seinem Tode mit ungenauer Benutzung seines Entwurfes wurde dort er- 
richtet die kleine Kirche des Nonnenklosters delle Zitelle. Venedig 
besitzt in S. Giorgio Maggiore einen weiteren Bau Palladios; auch 
S. Francesco della Vigna und S. Lucia gehen auf ihn zurück. Burek- 
hardt a. a. 0. S. 324/25. 



Sachregister. 



Amalfi. 

Kloster 253. 
Arezzo. 

Dom 118. 

Vasaris Haus 120. 
Assisi. 

S. Maria degli Angeli 131. 

S. Francesco 132. 

Minervatempel 134. 

S. Clara 134. 

Bologna. 
Dom 85. 

Dominikanerkirche 86. 
Campo Santo 88. 
Pinacoteca 89. 

Camaldoli 

Kloster 233. 
Caserta. 

Schloß 237. 
Cori. 

Herkulestempel 195. 
Cortona. 

Straßen 122. 

Dom 123. 

Museum 124. 

Ferrara. 

Kastell 359. 

Museum 359. 
Fiesole. 

Badia 311. 



Dom 312. 

Kapuzinerkloster 313. 
Florenz. 

Boboligarten 93. 309. 

Dom 96. 

Sta Maria Novella 96. 107. 

Sta Croce 98. 

Palazzo Strozzi 113. 

Gal. Corsini 114. 

Gal. Torrigiani 114. 

Palazzo Pitti 311. 

Uffizien 312. 

Villa Landau 314. 
Fondi. 

Dom 211. 
Frascati. 

Villa Aldobrandini 148. 

Grottaferrata. 

Kap. d. li. Nilus 177. 

Innsbruck. 

Franziskanerkirche 68. 

Lucca. 
Dom 321. 
Pal. Pubblico 321. 

M a n t u a. 
Andreaskirche 80. 
Palazzo del Te 80. 
Palazzo Ducale 81. 



— 377 — 



M d e n a. 

Dom 82. 
Galerie 83. 
Monte Cassino. 

Kloster 238. 
München, 
Allotria 61, 

Schönlebers Atelier 65, 
Cornelius Fresken 66. 
Galerie Schack 67. 

Neapel. 
Museum 218. 247, 
San Martino 223. 246. 
San Carlo 225. 
Kirchhof 286. 
Chiaja 242. 
Kirchen 244. 
Nettuno. 

Marktplatz 166. 

Orvieto. 

Dom 292. 296. 

Pästum. 

Tempel 228. 
Perugia. 
Straßen 126, 
Dom 127. 
Rathaus 127. 
Pinakothek 180. 
Pisa. 

Paläste 317. 
Dom 318. 
Baptisterium 319. 
Campo Santo 319. 
S. Maria della Spina 323. 
P i s 1 j a. 

Spital 327. 
Pompeji. 

Straßen 344. 
Prato. 
Madonna delle Carceri 327. 



Rom. 

Corso 135. 

S. Peter 142. 

Stanzen 142. 156. 

Villa Wolkouski 143. 

Monte Pincio 146. 

Pantheon 149. 

Kolosseum 149. 

Villa Albani 150. 259. 

Casa Bartholdy 153. 161. 

Garten der Villa Medici 157, 

Peterskuppel 158. 

Katakomben 161. 

Via Appia 162. 

Porta Pia 163. 

S. Agnese 164. 

S. Maria degli Angeli 177. 

S. Gregorio Magno 187. 

Villa Madama 189. 

S. Maria Maggiore 189. 

Santa Croce 191. 

Galerie Corsiui 191. 

S. Paolo fuori le nuira 192. 

Sala regia 252. 

Appartamento Borgia 256. 

S. Pictro in Montorio 258. 

S. Maria sopra Minerva 268. 

II Gesü 272. 

Kapitol 273. 

S. Maria in Cosmedin 275. 

Santa Sabina 277. 

S. Pietro in Vincoli 279. 

Farnesina 280. 

Siena. 
Paläste 298. 
Rathaus 298. 307. 
Dom 299. 308. 352. 
Libreria 304. 
Dominikauerkirche 305. 
Akademie 306. 
Hospital La Scala 353. 
Rathausplatz 354. 



378 — 



Sorrent. 
Tassoa Haus 264. 

Tivoli. 

Antike Villen 180. 

Villa d'Este 182. 
Terracina. 

Dom 208. 
Trient. 

Dom 70. 

Erzbischöfl. Palast 73. 

Velletri. 

Palazzo Ginetti 193. 



Venedig. 

Markusplatz 360. 

Dogenpalast 361. 

Frari-Kirche 363. 

Senola di S. Eocco 363. 
Verona. 

S. Anastasia 74. 77. 

Stadttore 74. 

S. Bernardino 75. 

S. Zeno 76. 

Castell S. Pietro 77. 

S. Giorgio 77. 




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